Mittwoch, 8. Juli 2015

Hofesh Shechter - barbarians


barbarians

Dreimal in acht Wochen in der Schaperstrasse, zweimal Aufregendes erlebt, Baal und Mount Olympos, jetzt Tanztheater aus London, Hofesh Shechters Company mit einer Uraufführung, genannt babarians - a trilogy.

Teil 1 the barbarians in love
Teil 2 tHE bAD
Teil 3 Two completely different angles of the same fucking thing

Ich kannte Shechters Arbeiten bisher nur aus Youtube-Schnipseln, heftig, krass, lustvoll, fremd. Anziehend.

Volkstanzelemente des Nahen Ostens, Hip-Hop Moves, theatralische Gänge, rund Schultern, geknickte Beine, Barocktanzzitate, Sprünge, viele Sprünge und Hüpfer, wenig Berührungen, außer im letzten Teil. 
Perfekte Synchronität, die sich in verschiedene Gruppen auflöst, scheinbar auseinanderfällt und urplötzlich wieder zusammenkommt. Erst denkt man, einer hat sich vertanzt, und begreift dann, wie kunstvoll das scheinbar Zufällige gebaut ist. Strenge wechselt mit Improvisiertem, oder zumindest frisch erfunden Wirkendem. Hohe Kraftanstrengung wechselt überraschend in Entspannung, Wildheit in Ruhe.


© Jake Walters

Teil 1 - Sechs Tänzer in Gruppe, einer bricht aus, o nein zwei, die anderen vier, teilen sich zu drei und einem, der sein Solo aber nicht als Solo tanzt, sondern immer im Bezug auf die anderen, die schon wieder die Gruppen gewechselt haben. Und dann sind wieder alle sechs wie einer. Selbst zuschauende Tänzer, die ich befragt habe, wußten nicht, wie gezählt wurde, welche Zeichen zu so perfekten Wechseln halfen. Über Ton eine weibliche Stimme, die Liebesanweisungen gibt. Immer wieder: "You are not alone!". Dann ein Dialog mit dem Regisseur/Choreographen, der unsicher versucht, seine Absichten zu erklären und am Ende zum Schweigen aufgefordert wird, da alles, was er redet, Nonsense sei.

Die Musik ist laut, aber nicht zu laut, obwohl der Einlasser, wohl in Betracht meines höheren Alters, nur schwer davon zu überzeugen war, dass ich den Abend ohne Ohrstöpsel überstehen würde.
Und moving lights, suchscheinwerferartig eingesetzt und Nebel viel Nebel und viel Beinah-Dunkelheit.

Teil 2 - Drei Tänzer in einer Probensituation. Aussteiger, verbale Kommentare zum Berufsalltag, Party und harte Arbeit.

Teil 3 - Zwei werben umeinander, ER in bayrischer Tracht, SIE in weißer Seidenbluse und elegant geschnittenen Hosen, man weiß, das kann nicht gut gehen, und wenn ihnen auch ein kurzes Mitinander gelingt, so dauert es doch nicht lang, bis er übergriffig wird, grapscht, sie ohrfeigt. Dan folgt die stärkste Szene des Abends, ER hockt, SIE, unangestrengt und darum tödlich, offeriert ihm den ultimaten kalten und eben doch hocherotischen Verführungstanz. Die Tänzer aus Teil 1 & 2 kommen dazu, alle gemeinsam terrorisieren den zunehmend bewegungsunfähigen Trottel mit der Erotik, die er nie wird haben können.
Wieder die Stimme des Choreographen, und - er hat ein Vaterproblem. Welches jüdische Kind hat keins? Wer meldet sich? Wer? Ich nicht.

Freunde, die frühere Abende von Shechter gesehen hatten, sagten, er wiederholt sich, er schwächelt. Ich, als Neuling, war interessiert, aber wenig hingerissen. Hey, zwei von drei Theaterabenden, die mich gerissen haben, das ist dich großartig, oder?


© Jake Walters

Hofesh Shechter ist kein Künstler der leisen Töne. Arbeiten wie „Political Mother“ und „Sun“, die beide bei den Berliner Festspielen zu Gast waren, beschwören apokalyptische Vorahnungen herauf, mit bombastischen Musiktracks und explosiven Choreografien. Seine Choreografien entlarven die Mechanismen von Gewalt, Macht und Unterdrückung und zeigen uns Shechter als einen kraftvollen Choreografen, der uns auffordert, selbst zu denken. Sein neuer Abend „barbarians“, der bei Foreign Affairs seine Uraufführung erlebt, ist nachdenklicher, ironischer – doch nicht weniger düster als die Vorgänger. Der stets unberechenbare Shechter erschafft eine karge Welt, in der sich drei völlig unterschiedliche Versionen von Intimität, Leidenschaft und der Banalität der Liebe entfalten. Eleganz und Intimität seiner Choreografie offenbaren sich in dem gefeierten und verstörenden Stück „the barbarians in love“, mit dem der Abend beginnt. Eine geistliche Barockpartitur begleitet zitternd vor Emotionen, die von einer strikten Ordnung gehalten werden, eine wahrhaft zeitgenössische Beichte. Die beiden darauffolgenden neuen Stücke, eine Explosion aus Dubstep-Grooves zu einer beinahe urbanen Choreografie, tHE bAD, und ein skurriles Duett, vervollständigen einen Abend, der die einmalige, ironische Stimme ihres Schöpfers und die Vielseitigkeit und das Talent seiner einzelnen Tänzer*innen ins Licht rückt.
 

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