Donnerstag, 15. März 2012

Theater hat auch Endproben Teil 1 von 100


Endprobenzeit. Der Kühlschrank ist leer, nein, nicht wirklich, nur das was er enthält, hat den Tag der eigenen Essbarkeit schon lang vergessen. (Verfallsdatum ist ein bedrückendes Wort - an diesem Tag stirbt eine Dose, eine Eierpackung, ein Jogurt. 11 Millionen Tonnen Lebensmittel sollen in Deutschland jährlich auf den Müll wandern. Wandern? Ein unübersehbarer, scheinbar endloser Zug von angerottetem Unverspeisten rollt, humpelt, sickert gen Müllhalde.)

Unter allen Monden ist Plag’
Und alle Jahr und alle Tag
Jammerlaut.
Das Laub verwelket in dem Walde:
Warte nur, balde welkst auch du! *

Voller Aschenbecher, leere Coladosen, ungewaschene Wäsche, das Zimmer unstaubgesaugt, aber ich habe zumindestens die Haare gewaschen, Kämmen kann ich immer noch morgen. Ist da noch was zum Anziehen?
Endprobenzeit.

 Angelo Bronzino 1540-45 Triumph der Venus

Der Herr, links, unter dem Oberarm der Venus, man sieht nur seinen Kopf, eingekrampft in seine beiden Hände, das bin ich, innerlich, gelegentlich, während ich äußerlich organisiert, aufmunternd, enthusiastisch weiterarbeite.

Irgendwo unter dem beinah schon stimmigen Licht, zwischen den fast rechtzeitigen Ab- und Auftritten, unter der Verwirrung über andere Schuhe/Hosen/Keider hockt die Inszenierung, vielleicht bereit zum Absprung, vielleicht bindet sie sich aber auch nur die Schuhe zu.

Vier Stunden Komplettprobe, vier Stunden "Nochmal!",  "Mist zu dunkel!", "Viel zu hell.", rechtser, linkser, "Nochmal!", "Requisite!", "So geht's nicht.", der nette Tonmann hat mir ein Mikro hingelegt, aber daran müßte man eben denken, also hoffentlich stützen und zum Ton/Licht/ Bühnenmeister hinbrüllen. Ach, meine arme Stimme, ach, deren arme Ohren!

Das ist er näher besehen, ganz so schlimm ist es bei mir nicht.

Da! Eine Szene, die ich wiedererkenne, noch eine, aber was ist das, das war doch letztlich so komisch?

Aber Endproben währen nicht ewig, eines nahen Tages, scheint das Licht, als wäre es schon immer so gewesen, fährt die Hubbühne ohne Rucker, ist die Souffleuse nicht zweiter Hauptdarsteller. Noch 10 Tage. Viel Zeit. Viel Spaß ist noch möglich, viel Arbeit noch zu tun.

* Daniel Falk 1817 in Anlehnung an Goethes "Wanderers Nachtlied"

2 Kommentare:

  1. Bronzino hat wunderbare Porträts gemalt, für mich vielleicht die schönsten sogar dieser Zeit.
    Aber mit seinen mythologischen Szenen, in denen die Leiber sich so neckisch verdrehen, kann ich nicht viel anfangen. Vielleicht wollte er damit auch nur Kohle machen. Der Haareraufer erinnert mich sehr an Leonardos Kriegerstudien. Vielleicht musste Bronzino da abgucken, weil Dramatik gar nicht sein Ding war. Könnte ja sein.

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  2. Danke, ich hab sehr gelacht. Es ist großartig, daß Du trotzdem Enthusiasmus und Humor verbreitest. Die Hitze, der Sex, das Atmen, auf der Bühne mit Licht und Kostüm plötzlich hohl und leer und man weiß nicht, wie man das wieder hinkriegt, ja. Gut zu wissen das sie meistens wieder kommen. Aber ich finde es bedenkenswert, daß es diesen komischen Bruch, Riss gibt, in dem Betrieb, so wie er ist. Weil man sich in Probenkostüme hineinlebt und wächst und die Originale dann plötzlich so kalt und leblos sind, drei, vier Proben bleiben, um die Bühne, das Bühnenbild, die Kostüme zu beatmen und wachzuküssen. Von der spielerischen Seite her.

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