Freitag, 3. Juni 2011

"Birken" von Robert Frost




Birken

Ich seh oft Birken, krumm nach links und rechts
quer zu den Linien grader, dunkler Bäume,
dann denk ich gern, ein Junge hat sie geschaukelt.
Doch Schaukeln biegt sie nicht bis an den Boden.
Ein Eissturm schafft's. Du hast sie schon gesehen,
mit Eis bepackt an sonnigen Wintermorgen
nach einem Regen. Sie knacken aneinander
bei frischem Wind und werden vielfarbig,
wenn die Glasur durch die Bewegung bricht.
Die Sonne wärmt, sie werfen ihr Kristall
wie in Kaskaden auf den Schnee hinab -
ein großer Haufen Scherben, dass man meint,
des Himmels Innenkuppel sei gestürzt.
Die Last zieht sie herab auf alten Farn,
sie brechen nicht; doch wenn so lang gebückt,
dann richten sie sich nie mehr auf:
Du siehst noch jahrelang im Wald die Stämme
gebogen, mit den Blättern auf dem Boden
wie Mädchen, die auf Händen und auf Knien
ihr Haar zum Sonnentrocknen vor sich werfen.
Doch wollt ich sagen, als die Wahrheit sich
zum Thema Eissturm nüchtern eingemischt hat:
Mir war es lieber, dass ein Bub sie bog,
als er die Kühe draußen holen ging.
Ein Bub, weit weg vom Baseball in der Stadt,
der nur zum Spielen hatte, was er fand,
das ganze Jahr beim Spiel sich selbst genug.
Des Vaters Bäume unterwarf er alle,
zwang rittlings einen nach dem ändern nieder,
bis ihre Starrheit ausgetrieben war;
und alle hingen schlaff, nicht einer blieb
noch zu erobern. Alles lernte er,
was es zu lernen gab: Sich nicht zu bald
hinauszuwerfen, da der Baum dann nicht
zum Boden reichte. Stets hielt er Balance,
wenn er bis zu den höchsten Ästen stieg,
behutsam, wie man eine Tasse füllt,
bis an den Rand und dann sogar noch drüber.
Dann schwang er sich zur Seite, Füße vor,
und strampelt' durch die Luft zum Boden runter.
Auch ich war einmal so ein Birkenschaukler.
Ich träum davon, die Zeit zurückzudrehn,
meist wenn ich müde bin vom Grübeln und
das Leben wie ein wegeloser Wald ist,
wo das Gesicht von Spinnennetzen juckt,
die es zerriss, und wo ein Auge tränt
von einem Zweig, der ungeschützt es traf.
Ich wollt der Erde gern einmal entrinnen
und dann zu neuem Anfang wiederkehren.
Das Schicksal möge mich nicht missverstehn,
nur halb erhören und für immer schnappen.
Die Erde ist der Liebe wahrer Ort:
Ich wüsste nicht, wo man es besser fände.
Ich ginge gern von hier, nach oben kletternd
auf schwarzen Ästen am schneeweißen Stamm
gen Himmel, bis der Baum mich nicht mehr trägt,
den Wipfel neigt und mich zu Boden setzt.
Wie gut: Zu gehen und zurückzukehren.
Man könnte Schlimmeres sein als Birkenschaukler.

Übersetzung Lars Vollert





Birken



Sehe ich Birken sich vor den Konturen
Dunklerer Bäume nach rechts und links biegen
Dann denke ich gern, dass ein Junge sie schwingt;
Doch Schwingen hält sie nicht so lang unten
Wie Schneestürme es tun. Du musst sie oft gesehen haben,
An sonnigen Wintermorgen nach einem Regen,
Die Äste beladen mit Eis. Klirrend gegen sich selbst,
Wenn Wind aufkommt, und vielfarbig leuchtend.
Das Rütteln macht, das ihre Glasur reisst und splittert
In der Sonne verschütten sie kristallenes Perlmutt
Das auf der Schneekruste zerspringt und sich zu Haufen
Von zerbrochenen Glassscherben sammelt,
Man könnte denken, die Himmelskuppel sei eingestürzt.
Die Last drückt sie hinunter ins Farnkraut;
Scheinbar zerbrechen sie nicht, doch
Einmal gekrümmt werden nie wieder richtig gerade,
In den Wäldern berühren Ihre gebogenen Stämme
Noch Jahre danach mit den Blättern den Boden,
Wie Mädchen auf Händen und Knien, die ihre Haare
vornüber werfen, um sie in der Sonne zu trocknen.
Doch bevor mich die Wahrheit mit all ihren Fakten
Über Schneestürme unterbrach, wollte ich sagen,
dass ich sie mir lieber von einem Jungen gebogen dächte,
Der vorbeiging, auf seinem Weg zu den Kühen.
Irgendein Junge zu weit von der Stadt für Baseball,
Der nur mit dem, was er fand, Sommers und Winters
Spielte, und der allein spielen konnte.
Einen nach dem anderen unterwürfe er des Vaters Bäume
Sie wieder und wieder zu Boden reitend,
bis er ihnen ihre Steifheit genommen und nicht einer
der durchhinge, nicht einer der noch
Zu erobern gewesen wäre. Er lernte alles
Was zu lernen war. Nicht zu früh abzuspringen,
Dass der Baum nicht brach und zu Boden fiel
Immer hielt er sein Gleichgewicht
bis in den Wipfel und kletterte mit Sorgfalt
mit der Vorsicht, mit der man ein Glas
bis an den Rand füllt und noch darüber hinaus.
Erst dann sprang er, die Füße zuerst, mit einem Satz
und fand seinen Weg bis zum Boden

So war ich selber einst ein Birkenschwinger;
so träume ich, wieder einer zu sein.
Wenn ich aller Bedenken müde bin,
Wenn das Leben einem weglosen Wald gleicht
Und das Gesicht von Spinnenweben juckt
und brennt und das Auge weint,
Von einem Zweig der dagegen schnellte.
Ich möchte gern eine Weile fort von der Erde
Und dann zurückkehren und neu beginnen.
Möge das Schicksal mich nicht böswillig falsch verstehen
Und mir nur den halben Wunsch erfüllen und mich wegschnappen,
Mich nicht zurückkehren lassen.
Die Erde ist der richtige Ort zum Lieben.


Ich weiss nicht, wo es besser gehen könnte.
Ich ginge gern (fort) eine Birke erkletternd,
Schwarze Äste aufwärts an einem schneeweissen Stamm
Richtung Himmel, bis mich der Baum nicht mehr tragen kann,
Und seine Spitze neigt und mich wieder absetzt.
Das wäre gut, gehen und wiederkommen.
Man könnte Schlimmeres als ein Birkenschwinger sein. 


Übersetzung unbekannt
 
Hier liest der Dichter selbst:


http://www.youtube.com/watch?v=aBw-OaOWddY


Birches

When I see birches bend to left and right
Across the lines of straighter darker trees,
I like to think some boy's been swinging them.
But swinging doesn't bend them down to stay 
As ice-storms do. Often you must have seen them
Loaded with ice a sunny winter morning
After a rain. They click upon themselves
As the breeze rises, and turn many-colored
As the stir cracks and crazes their enamel.
Soon the sun's warmth makes them shed crystal shells
Shattering and avalanching on the snow-crust--
Such heaps of broken glass to sweep away
You'd think the inner dome of heaven had fallen.
They are dragged to the withered bracken by the load,
And they seem not to break; though once they are bowed
So low for long, they never right themselves:
You may see their trunks arching in the woods
Years afterwards, trailing their leaves on the ground
Like girls on hands and knees that throw their hair
Before them over their heads to dry in the sun.
But I was going to say when Truth broke in
With all her matter-of-fact about the ice-storm
I should prefer to have some boy bend them
As he went out and in to fetch the cows--
Some boy too far from town to learn baseball,
Whose only play was what he found himself,
Summer or winter, and could play alone.
One by one he subdued his father's trees
By riding them down over and over again
Until he took the stiffness out of them,
And not one but hung limp, not one was left
For him to conquer.  He learned all there was
To learn about not launching out too soon
And so not carrying the tree away
Clear to the ground.  He always kept his poise
To the top branches, climbing carefully
With the same pains you use to fill a cup
Up to the brim, and even above the brim.
Then he flung outward, feet first, with a swish,
Kicking his way down through the air to the ground.
So was I once myself a swinger of birches.
And so I dream of going back to be.
It's when I'm weary of considerations,
And life is too much like a pathless wood
Where your face burns and tickles with the cobwebs
Broken across it, and one eye is weeping
From a twig's having lashed across it open.
I'd like to get away from earth awhile
And then come back to it and begin over.
May no fate willfully misunderstand me
And half grant what I wish and snatch me away
Not to return. Earth's the right place for love:
I don't know where it's likely to go better.
I'd like to go by climbing a birch tree,
And climb black branches up a snow-white trunk
Toward heaven, till the tree could bear no more,
But dipped its top and set me down again.
That would be good both going and coming back.
One could do worse than be a swinger of birches.


4 Kommentare:

  1. Alexander Höchst3. Juni 2011 um 12:39

    So behutsam und gekonnt möchte ich gern auf den Boden der Tatsachen zurück gebracht werden, um dann wieder den Himmel stürmen zu können... Ausgespochen schöner Text; wobei mir die zweite Überzetzung besser gefällt.

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  2. Mir auch.

    Ein neuer Autor für mich. Danke.
    Die Bilder sind fein beobachtet, regen eigene an, es macht Freude, die Schichten der Metaphern aufzudecken.

    Biegsam. Biegbar. Biegung. Verbiegen. Verbogen. Beugen. Gebeugt. Weich. Erweichen. Hart. Erhärten. Aushärten. Verhärten. Dehnen. Dehnbar. Überdehnen. Zerdehnen.Brechen. Zerbrechen. Verbrechen. Bruch. Schwung.Das Schwingen. Die Schwingen.

    Du, lass dich nicht verhärten
    in dieser harten Zeit.
    Die allzu hart sind, brechen,
    die allzu spitz sind, stechen
    und brechen ab sogleich.
    (Wolf Biermann, aus "Ermutigung")

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  3. eben bei Wikipedia unter Robert Frost gefunden:
    "Glück macht durch Höhe wett, was ihm an Länge fehlt."

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  4. Wie schön ist, wenn man etwas so Schönes lesen kann, danke schön! Herzliche Grüße, Carla!

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