Mittwoch, 11. Februar 2015

Thomas Brasch - Halts Maul, Kassandra




Nur 13 Jahre trennen uns. 1945 & 1958. Der große verfluchte Krieg endete und er wurde geboren. Er starb schon 2001, wie unfaßbar schade.

Ich, Mitglied einer sogenannten "Familie", bin in DDR-Zusammenhängen mit den Mitgliedern anderer "Familien" zusammengetroffen, den Goldsteins und den Braschs, hauptsächlich mit den Söhnen. 
Ihre Väter - der eine Emigrant und der andere Ausschwitz & Buchenwald-Überlebender, wurden in Folge rechtens Vertreter der DDR-Macht. Und die Söhne wuchsen auf unter der harten Knute der immer stärker verunstalteten Utopie ihrer Väter. 
Der eine Vater erzählte, wie er, aus Buchenwald befreit, auf dem von der Bürgern der Stadt Weimar gesäumten Strasse in die Freiheit, den Satz "Die wollten mich alle töten" nicht aus dem Hirn bekam. Der andere bestrafte, so scheint es, seine Söhne, für die eigene unverschuldete Nichtteilnahme am Widerstandskampf.
Schreckliche Endrechnung: Vor den Vätern starben die Söhne. 
Klaus, Peter, Kurt, Thomas, die ich kannte und auf unterschiedlichste Weise liebte, starben früh. Früher als nötig.
Klaus, der Clown und Zartbeseelte, Peter, der Dichter ohne Schutz, Kurt der wunderbare Liebhaber und Thomas der Zornige. 

http://de.wikipedia.org/wiki/Kurt_Goldstein_%28Journalist%29

http://de.wikipedia.org/wiki/Horst_Brasch

WIE VIELE SIND WIR EIGENTLICH NOCH.
Der dort an der Kreuzung stand,
war das nicht von uns einer.
Jetzt trägt er eine Brille ohne Rand.
Wir hätten ihn fast nicht erkannt.
Wie viele sind wir eigentlich noch.
War das nicht der mit der Jimi-Hendrix-Platte.
Jetzt soll er Ingenieur sein.
Jetzt trägt er einen Anzug und Krawatte.
Wir sind die Aufgeregten. Er ist der Satte.
Wer sind wir eigentlich noch.
Wollen wir gehen. Was wollen wir finden.
Welchen Namen hat dieses Loch,
In dem wir, einer nach dem andern, verschwinden.


UND DER SÄNGER DYLAN IN DER DEUTSCHLANDHALLE
Ausgepfiffen angeschrien mit Wasserbeuteln beworfen
von seinen Bewunderern, als er die Hymnen
ihrer Studentenzeit sang im Walzertakt und tanzen ließ
die schwarzen Puppen, sah staunend in die Gesichter
der Architekten mit Haarausfall und 5000 Mark im Monat,
die ihm jetzt zuschrien die Höhe der Gage und
sein ausbleibendes Engagement gegen das Elend der Welt. So sah
ich die brüllende Meute. Die Arme ausgestreckt im Dunkeln neben
ihren dürren Studentinnen mit dem Elend aller Trödelmärkte
der Welt in den Augen, betrogen um ihren Krieg,
zurückgestoßen in den Zuschauerraum
der Halle, die den Namen ihres Landes trägt, endlich
verwandt ihren blökenden Vätern, aber anders als die
betrogen um den, den sie brauchen: den führenden Hammel.
Die Wetter schlagen um:
sie werden kälter.
Wer vorgestern noch Aufstand rief,
ist heute zwei Tage älter.
 


FRIEDE DEN WÄCHTERN
An den Wänden die Drähte,
auf dem gebohnerten Fußboden Teppiche gegen
den harten Schritt der Stiefel
in deinem Rücken. Tür an Tür die Einzelzellen
der neuen Gesellschaft. Wessen Straße ist die Straße.

Die Stille ist die Schwester des Wahnsinns.
Zwischen Hocker und Tür fünf Schritte und
der Herzschlag zwischen den Schläfen.
Die Posen:
Widerstand/Härtetest/Selbstmitleid/Jammer/Gelächter
sind verbraucht: Leitartikel im eigenen Zentralorgan.

Schreie im Flur nach zehn Wochen oder zwölf: Ihr
Verbrecher. Das hastige Tappen der Füße über
den Teppich. Dein Ohr an der Tür.
No man is an island. Friede den Wächtern.
Der Schädel ist ein keimfreies Schlachthaus.

 
KRANICH
Du hast den Kranich gesehn
hoch oben
mit weiten Schwingen,
frei,
unendlich frei.
Doch tröste dich:
auch er muß sterben,
vielleicht bald.
 
Alle diese Gedichte sind von Thomas Brasch

Thomas Brasch nimmt einen Preis von Franz Josef Strauß entgegen.
https://www.youtube.com/watch?v=bYX-tY_pnu0 

 
Die Generation der heute Dreißigjährigen in der DDR hat den Sozialismus nicht als Hoffnung auf das Andere erfahren, sondern als deformierte Realität. Nicht das Drama des Zweiten Weltkriegs, sondern die Farce der Stellvertreterkriege (gegen Jazz und Lyrik, Haare und Bärte, Jeans und Beat, Ringelsocken und Guevara-Poster, Brecht und Dialektik). […] Ich entschuldige mich nicht dafür, daß ich den 32. Versuch von Thomas Brasch, Auf einem untergehenden Schiff aus der eigenen Haut zu kommen, nicht einfach als Literatur lesen und rezensieren konnte. Er geht mich zu viel an, und ich hoffe, daß ihm auch der 33. Versuch mißlingt. Er ist immer noch in seiner Haut der Beste, und Schiffsuntergänge sind kein Alibi für Selbstmord. Gerade die Spuren und Narben seiner DDR-Biographie zeichnen seine Texte aus der Masse der westdeutschen Literaturproduktion, die mich im ganzen herzlich langweilt. Ich weiß nicht, was sie dort für Folgen haben werden, in der DDR wird nach dem Erscheinen seiner Bücher Vor den Vätern sterben die Söhne und Kargo niemand mehr so schreiben können, als ob er sie nicht geschrieben hätte. Wie es ist, bleibt es nicht. Heiner Müller in Der Spiegel, 12.9.1977

Kurt und Thomas wurden von ihren Vätern in diese Institution geschickt:
http://www.ddr-wissen.de/wiki/ddr.pl?Kadettenanstalt_Naumburg 
 

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