Sonntag, 13. November 2022

DONATELLO

Donatello, Donato di Niccolò di Betto Bardi ca. 1386–1466, einer der wagemutigsten Avantgardisten der Renaissance hat eine Ausstellung in der Gemäldegalerie am Matthäikirchplatz. Ein Gebäude, das innen sehr praktikabel für seinen Zweck ist, aber von außen, mit dem riesigen leeren, steinbelegten Vorplatz und den abrupt positionierten Treppen, richtig mächtig häßlich aussieht und für Menschen mit Gehschwierigkeiten auch schwer zu erreichen ist.

https://de.wikipedia.org/wiki/Marienbildnis

Aber drinnen. 

Donatello. Endlich einmal sieht das Jesukindlein aus wie ein Baby und nicht wie ein verkümmerter Erwachsener. ( Es ist wirklich erstaunlich auf wie vielen Marienbildnissen, das geliebte Wunderkind nahezu abstoßend aussieht.) Aber bei Donatello hat das Kleine die herrlichen Fettfalten kleiner Babies, in die ich immer am liebsten reinbeißen möchte, die Finger und Zehen sind wunderbar knubbelig und die rundlichen Gesichter drücken nur das aus, was Baby-Gesichter halt zeigen. Und ich sehe realistische Interaktionen zwischen Mutter und Kind, mal schmiegt sich das Kind an, mal will es offensichtlich etwas, was die Mama nicht will, mal nuckelt es am Daumen. Und sie reagiert in glaubhafter Art. Wer war wohl die Frau mit der herrlich geraden Nase, offensichtlich Donatellos Lieblingsmodell?


Zwei Figuren, Johannes, der Täufer als junger Mann und die zweite, der gleiche Mann, verhärmt und erschöpft nach seinem anstrengenden Arbeitsaufenthalt in der Wüste. 

Lukas 3.1: Es ist eine Stimme eines Predigers in der Wüste: Bereitet den Weg des Herrn, macht seine Steige eben! Alle Täler sollen erhöht werden, und alle Berge und Hügel sollen erniedrigt werden; und was krumm ist, soll gerade werden, und was uneben ist, soll ebener Weg werden, und alles Fleisch wird das Heil Gottes sehen. Da sprach Johannes zu der Menge, die hinausging, um sich von ihm taufen zu lassen: Ihr Otterngezücht, wer hat euch gewiss gemacht, dass ihr dem künftigen Zorn entrinnen werdet? Seht zu, bringt rechtschaffene Früchte der Buße; und nehmt euch nicht vor zu sagen: Wir haben Abraham zum Vater. Denn ich sage euch: Gott kann dem Abraham aus diesen Steinen Kinder erwecken. Es ist schon die Axt den Bäumen an die Wurzel gelegt; jeder Baum, der nicht gute Frucht bringt, wird abgehauen und ins Feuer geworfen. Und die Menge fragte ihn und sprach: Was sollen wir nun tun? Er antwortete aber und sprach zu ihnen: Wer zwei Hemden hat, der gebe dem, der keines hat; und wer Speise hat, tue ebenso. Es kamen aber auch Zöllner, um sich taufen zu lassen, und sprachen zu ihm: Meister, was sollen denn wir tun? Er sprach zu ihnen: Fordert nicht mehr, als euch vorgeschrieben ist! Da fragten ihn auch Soldaten und sprachen: Was sollen denn wir tun? Und er sprach zu ihnen: Tut niemandem Gewalt noch Unrecht und lasst euch genügen an eurem Sold.

Ein radikaler Gerechter im Fellgewand mit absoluter Gewissheit des rechten Weges, Verkünder des Kommenden und Verurteiler des Gegenwärtigen, Schrecken und Hoffnung. Greta oder Trump? Gut, Trump würde nie zugeben, dass ein anderer, grösserer ihm folgen wird. Mannoman, Trump löst bei mir wirklich üble Gewaltphantasien aus. Was ich nicht mag, aber auch nicht verhindern kann. 

Warum habe ich das Gefühl, das die aktuelle Politik, sich immer öfter auf Muster der Zeit vor der Aufklärung beruft? 

Und Donatellos Reliefs mit ihrer geringen Tiefe, aber dem überwältigenden Eindruck von 3D, auf dem höchst individuell unterscheidbare Menschen, sich drängeln, lugen, sich prügeln, sich verdrücken, von einander Abstand halten, in schon irgendwie religiöse basierten Szenen, die aber auch Reliefdarstellungen heutiger, moderner Strassenphotographie sein könnten.

Und die Büsten von Honoratioren mit Falten und Tränensäcken.

Sonntag, 6. November 2022

Zweimal drei Stunden Theater, zweimal nicht eine Sekunde zu lang.

Gestern: "Was hast DU geliebt? Kinder, Essen, Frauen, Theater. Und zwar von allem reichlich. Darum sind wir auch sechs Kinder. Mit vier Müttern. Aber am meisten hast du das Theater geliebt. Erst wenn gespielt wurde, hast du das Leben durchschaut. Wach, witzig, böse und so unglaublich gescheit. Benno, du fehlst!"  Katharina Thalbach 

Heute: "Ich muss das Vergessen dem Vergessen entreissen."

Gestern: eine Feier zum 100. Geburtstag von Benno Besson in der Volksbühne.

Heute: "Vögel" von Wajdi Mouawad im Neuen Haus des Berliner Ensembles.

Gestern: Thalbach, Pierre Besson, Philippe Besson, Ezio Toffolutti, Christoph Hein, Christian Grashof, Hermann Beyer, Winfried Glatzeder, die Jazz-Optimisten, Hildegard Alex, Walfriede Schmidt, Christoph Waltz, Friedrich Dieckmann, Manfred Karge, Kollegen von anderen Berliner Theatern und, sehr anwesend, so viele Gegangene, Vermisste.

Heute: Amina Merai, Dennis Svensson, Martin Rentzsch, Kathrin Wehlisch, Robert Spitz, Naomi Krauss, Rafat Alzakout, Hadar Dimand und als Regisseur Robert Schuster und ein unfassbar gutes Stück, ein mich glücklich erregender poetischer Text von Wajdi Mouawad, von dem ich viel gehört hatte, aber nichts gelesen oder gesehen, was ich nun zutiefst bedaure. Und froh bin, dass das jetzt von nun an anders ist.

Gestern: Theaterliebe in ihrer zärtlichsten Form. Indem sich öffentlich erinnert wurde, durfte ich mich erinnern. Im Foyer Super 8 Aufnahmen, die Besson gemacht hat, Ost-Berlin am 1. Mai 1955, ein junger Spund springt durchs Bild, es ist mein Theater-Held, Fred Düren. Auch zu sehen, meine Mama und mein Vater, beide sind 25, meine Großmutter ist jünger, als ich es jetzt bin, Brecht ist kurz zu sehen und Sabine Thalbach, die Frau mit dem schönsten Hals den es je gab, Wolf Kaiser, Raimund Schelcher, Norbert Christian, Regine Lutz, all diese Menschen kannte ich, aber ich war Kind und sie waren aus meiner Sicht hauptsächlich alt. Und ich treffe Leute, die ich als Kinder kannte und die nun selbst sehr großgewachsene Kinder haben. Man bin ich alt. Dann im Saal, Glatzeder, der Liebende aus "Paul und Paula", er wollte ums Verrecken nicht abgehen und dann zitiert er einen Monolog des Jacques aus "Wie es euch gefällt", den er 1975, also vor fast 50 Jahren gearbeitet hat und ich bin froh, dass er nicht abgegangen ist. Ezio Toffoluti liefert die beste Slapstick-Nummer des Abends, ermöglicht durch Katharina Thalbach, die ihm in zauberhaft helfender Weise zur Seite steht. Überhaupt, sie, die den Abend moderiert, gbt ihm eine Wärme, einen liebenden Respekt, der mich sehr berührt hat. 


Der Gefeierte, Benno Besson, mit 12 war ich das erste Mal außerhäusig im Theater, bis dahin nur im BE aus familiären Gründen und im Theater der Freundschaft, weil ich halt ein Kind war, aber nun sah ich im Deutschen Theater "Der Drache" von Jewgeni Schwarz und der Gang von Rolf Ludwig, dem Drachen, die Treppe hoch, ist in mein Hirn eingebrannt und einige andere Bilder auch. Die Spektakel in der Volksbühne, wenn man nicht in Berko Acker verknallt war, dann in Kurt Goldstein und jedes Mittel war recht um reinzukommen. Zum "Hamlet" hat meine Schulfreundin ihr Deutsch-Abi gemacht. Wie wichtig Theater damals war? Ein Ort des Einverständnisses, des Verstehenwollens. Diktaturen sind die beste Zeit für Theater und die schlimmste.

Heute: Theaterliebe die mich zum Weinen gebracht hat, weil mir eine Geschichte ohne Erlösung mit Intensität und Distanz erzählt wurde. Hier haben Schauspieler monatelang ihnen völlig fremde Sprachen gelernt und spielen in ihnen, als wäre es ihre Muttersprache und verhandeln Probleme, die unsere Welt auseinanderreissen könnten. Meine Freundin hoffte, wider alle Realität auf ein Happy End. Ach gäbe es das doch. Ach.


Samstag, 29. Oktober 2022

Im Westen nichts Neues - Im Osten jeden Tag was Neues, Schreckliches.

Granaten, Gasschwaden und Tankflottillen – Zerstampfen, Zerfressen, Tod.
Ruhr, Grippe, Typhus – Würgen, Verbrennen, Tod.
Graben, Lazarett, Massengrab – mehr Möglichkeiten gibt es nicht.

Erich Maria Remarque veröffentlichte 1928 seinen Roman, "Im Westen nichts Neues", den er 1918 als zufällig überlebt habender Soldat der deutschen Armee begonnen hatte zu schreiben. 

Die Geschichte des Soldaten Paul Bäumer von seiner Soldatwerdung bis zu seinem frühen Soldatentod. Der Titel könnte auch "Der vermeidbare Tod des Soldaten Bäumer" sein.

Edward Berger hat den Roman neu verfilmt.

Im Osten was Neues lesen wir seit dem 24. Februar jeden Morgen in unseren Nachrichten. Städte, von denen ich vorher noch nie gehört hatte, sind nun täglicher Teil meiner Lektüre. 

Der Krieg Russlands gegen die Ukraine hat laut Zählungen des UN-Hochkommissariats für Menschenrechte  bis zum 23. Oktober 2022 mindestens 6.374 Todesopfer in der ukrainischen Zivilbevölkerung gefordert, darunter mindestens 402 Kinder.

https://de.statista.com/statistik/daten/studie/1297855/umfrage/anzahl-der-zivilen-opfer-durch-ukraine-krieg/

Die Zahl der getöteten Soldaten auf beiden Seiten ist umstritten, aber hoch. Auf jeden Fall sind es viel zu viele Tote. 

"Was ist ein Soldat ohne Krieg?" 

"Ein Mann wird alleine geboren, er lebt allein und er stirbt allein." 

WAS FÜR EIN TRAURIGER DRECK!


Krieg als industriell organisierter Ablauf. Soldaten sterben, werden entkleidet, die Uniformen werden gewaschen, getrocknet, repariert und für neue Soldaten verwendet, die wiederum sterben werden. Das gibt dem Begriff "Secondhand" eine ungemütliche Bedeutung.

Wer wer ist, Freund oder Feind ist nurmehr an der Form der Helme erkenntlich.

Deutsche, die nach 1945 geboren wurden, haben Krieg am eigenen Leib nicht erlebt, wenn sie nicht an Auslandseinsätzen beteiligt waren. Aber meine Freundin ist im Februar 1945 geboren worden, und als dieser neue Krieg im Osten begann, so nah, nicht an exotischen Orten, wie sonst, hat sie intensiv körperlich darauf reagiert. Die Bomben, die das Baby gefühlt hatte, waren in ihr Körpergedächtnis eingebrannt. Ich bin, wie so oft in letzter Zeit, überfordert, Pandemie, Klimakatastrophe, Krieg, es ist zu viel, zu schlimm, zu überwältigend. 

Dreht unsere Welt durch? Wird Irrsinn unsere neue Normalität? Oder war es schon immer so und nun ist es uns privilegierten Europäern erstmals ganz nah an der Haut?

P.S. Albrecht Schuch ist eine Freude. So genau, so differenziert, so glaubwürdig. Daniel Brühl versucht sich an einem seltsamen Dialekt.

Freitag, 28. Oktober 2022

Koreanische Pfannkuchen - PAJEON - Leicht & Lecker

Nichts ist besser, als eine Mahlzeit, die schnell gemacht ist und gut schmeckt, oder? Und Gemüse schnippeln ist mein Yoga. Über die Jahre koche ich mich jetzt durch Asien, was für eine herrliche Reise. 

Die hat begonnen, als ich in Toronto lebte im spanisch-portugiesischen Viertel, mit vielen Bäckereien und bei Strassenfesten sangen sehr, sehr alte Männer italienische Opernarien a capella. Und sie sangen gut. Aber vier Strassen weiter war das koreanische Viertel mit unglaublich vielen Supermärkten, von koreanischen Einwanderern betrieben, die Tag und Nacht schufteten, damit ihre Kinder in der neuen Heimat studieren konnten. In bestimmten Studiengängen waren praktisch alle Studenten asiatischer Herkunft. Vier Strassenbahnstationen weiter war Chinatown. Und vietnamesische, japanische usw. Kanadier lebten auch nicht weit in ihren Stadtteilen. Ich war im Himmel angekommen. Die Bewohner Torontos sind wahrhaftig multikulturell:

Wiki sagt: White: 50.2%  East Asian: 12.7%  (10.8% Chinese, 1.4% Korean, 0.5% Japanese) South Asian: 12.3% Black: 8.5% Southeast Asian: 7.0% (5.1% Filipino) Latin American: 2.8% West Asian: 2.0% Arab: 1.1% Aborginal: 0.7% (0.5% First Nations, 0.2% Metis) Two or more races: 1.5% Other race: 1.3%

Das bringt den Anteil, der Bewohner, die in erster, zweiter oder fünfter Generation aus Asien stammen auf über 36 Prozent mit der unfassbar großen dazu gehörigen Menge an Restaurants. 

Wenn man sich in Kanada vorstellt, ist es völlig normal, die Herkunftsländer seiner Vorfahren und die eigene Religion oder Religionslosigkeit zu benennen. Meinerseits: Polen, Österreich, Sachsen-Anhalt, Jüdin und Atheistin. Berlin hat sich wirklich gebessert, was die Restaurants betrifft, aber von multikulturell sind wir noch weit entfernt. 


ZUTATEN FÜR DIE PFANNKUCHEN 

2 Tassen Mehl oder, besser, 1 Tasse Mehl, 1 Tasse Maisstärke oder Reismehl

2 große Eier leicht geschlagen

1 1/2 Tassen Wasser

Salz

Pfeffer

Frühlingszwiebeln

und je nach Laune Karotten, Chinakohl, praktisch alles, was man schön klein schneiden kann.

Für Nichtvegetarier: Selbst Garnelen wären möglich oder Speck.

Die Eier wie für ein Omlett schlagen und mit dem Mehl und Salz vermischen, Wasser dazugeben, bis der Teig etwas dünner ist, als der übliche Pfannkuchenteig. Dann das sehr klein geschnittene oder geraspelte Gemüse dazu. Die gut geölte Pfanne auf mittlere Hitze stellen und dünne Pfannkuchen braten bis sie sehr knusprig sind, circa 8 Minuten für die eine Seite und dann nochmal drei Minuten für die andere. Wie eine Pizza schneiden und mit den Händen dippen und essen.

FÜR DIE SAUCE ZUM DIPPEN:

1 Esslöffel Soyasauce

1/2 Esslöffel Reisessig

Chiliöl, wenn man es, wie ich, scharf mag.

Pfeffer & Zucker

Sesam schwarz und/oder weiß

ein paar von den geschnippelten Frühlingszwiebeln

Mittwoch, 26. Oktober 2022

Eine Berliner Flaniermeile

In London gibt es lebendige, pulsierende, unterhaltsame Fußgängerzonen, autofreie Bereiche in der Innenstadt, wie Convent Garden oder Neal Street. Sie sind entweder dicht an dicht gefüllt mit Läden oder eine gut geplante Mischung von Cafes, Läden, Museen, Theatern und vielen unterschiedlichen Strassenkünstlern. Menschen, Londoner und Auswärtige schlendern, essen, trinken, kaufen ein, geben viel zu viel Geld aus und amüsieren sich trotzdem. In Paris gibt es solche Gegenden, auch in Florenz und anderswo.

Berlin wollte sowas auch haben. Dazu wurde die Friedrichstrasse zwischen Französischer und Leipziger Strasse vom Senat, ganauer von der Bürgermeisterin und Senatorin für Umwelt, Mobilität, Verbraucher- und Klimaschutz Bettina Jarrasch zur autofreien Zone erklärt. Die Berliner Verkehrssenatorin Frau Jarasch jubelte öffentlich über das beglückende Gefühl, dass diese Flaniermeile in den Flanierenden auslöste. Leider fuhren mittendurch sehr schnelle Fahrradfahrer und außenherum war wenig Unterhaltsames zu finden. Es schien, als wollte man das Gefühl haben, ohne die Arbeit leisten zu wollen. Die Idee wollte man übernehmen, aber nicht die nötige Infrastruktur dafür schaffen. 

Das Ergebnis? Ein menchenleerer, häßlicher Strassenabschnitt, der niemanden erfreut. Und schon gar nicht irgendjemanden anlockt.

Das Quartier 206 ist fast unbenutzt, das riesige ehemalige "Haus der Russischen Kultur" ebenfalls, das Lafayette läuft soso, dann gibt es noch einen kanadischer Fritten Shop, ein Einstein Cafe, ein paar mittelinteressante Läden und jede Menge deprimierende Ödnis, unbequeme Bänke und in ihrer Häßlichkeit kaum zu übertreffende Glasschaukästen vervollkommnen das Ensemble. What the fuck? Wer will hier sein? Und warum sollte er hier sein wollen? Oder sie?

Nach heftiger Kritik wurde jetzt umgedacht. Die Radfahrer werden nun in die Charlottenstrasse umgeleitet und die Markgrafenstrasse darf den gesamten Autoverkehr inclusive der vielen Touristenbusse abfangen. Juche!

 
 Die Flaniermeile am Sonntag, den 16. 10. 2022 um 14:08 Uhr bei 25°.

FLANIEREN: ohne ein bestimmtes Ziel langsam umherschlendern, um andere zu sehen und sich sehen zu lassen, sagt Wiki. Aber warum sollte ich hier herumlaufen? Keiner ist da, der mich sieht, nichts Interessantes ist da zum Ansehen. Und zwischendurch versuchen immer wieder, einige rasende Radler mich zu töten. Gut, die sind weg, wenn die Charlottenstrasse sie übernimmt, aber dadurch wird die Friedrichstrasse leider auch nicht interessanter.

Ich bin unbedingt für eine starke Verminderung des Automobilverkehrs. Bin dafür SUVs für Menschen, die nicht durch unzugängliches Gelände manövrieren müssen, ganz zu verbieten, den Nahverkehr intensiv zu fördern. Ich habe selbst kein Auto mehr und auch, wenn ich selbst nicht Fahrrad fahre, bin ich froh, dass es jetzt so viele andere tun. (Auch wenn einige Idioten sehr aggressiv und unachtsam fahren.) Aber autofreie Strassen müssen eine neue, andere interessante Aufgabe übernehmen, oder? Vielleicht muss das Konzept STADT und VERKEHR neu gedacht werden? Den Nahverkehr weiter ausbauen, die Bahn hin und wieder pünktlich sein lassen, Autofahren für alle, die nicht wirklich darauf angewiesen sind, wie z.B. Pendler, sehr, sehr teuer machen. Meine Freundin sagt, Kapitalismus und echter Klimaschutz schließen einander aus, der eine existiert durch ständiges Produzieren von immer mehr, das gekauft werden oder vernichtet werden muß. (ZARA muß 11 Kollektionen im Jahr anbieten.), der andere verlangt, braucht Einschränkung, Weniger. Wer wird gewinnen, ich befürchte ...

 
Die Flaniermeile am Dienstag, den 18. 10. 2022 um 16:11 Uhr bei 17°
 
NEUESTE ENTWICKLUNG!
 

Susanne Mertens und Philmon Ghirmai, Landesvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen Berlin:„Die Friedrichstraße bleibt dauerhaft autofrei. Gut so! Bettina Jarasch folgt dem überwiegenden Wunsch der Nutzer*innen. Sie führt eine sach- und bürger*innenorientierte Politik fort, statt den lauten Stimmen zu folgen, die die Autostadt konservieren wollen. Vier von fünf Befragten sprechen sich für die dauerhafte Sperrung der Friedrichstraße für den motorisierten Verkehr aus. Die Umgestaltung bietet insbesondere Fußgänger*innen mehr Raum und Sicherheit. Der angekündigte Gestaltungswettbewerb des gesamten Areals bis zum Gendarmenmarkt wird die Grundlage für einen fairen Interessenausgleich schaffen. Im Rahmen dessen wird auch der Radverkehr von neuen und größeren Lösungen profitieren."

 Die Flaniermeile am Dienstag, den 25. 10. 22 um 15:54 Uhr bei 17°

ODER:

Bordsteine sollen weichen

Mit einem Gestaltungswettbewerb wolle man unter anderem mehr Grün oder Sitzgelegenheiten ermöglichen, so Jarasch. Auch die Bordsteine könnten entfernt werden, sodass der gesamte Bereich ebenerdig sei. Der Radverkehr werde in die Charlottenstraße verlegt.

Die solle aber auch prinzipiell für Autos befahrbar bleiben, um dort die Parkhäuser erreichen zu können. Nach den Vorstellungen der Verkehrssenatorin sollte der gesamte Stadtraum auch im Umfeld der Friedrichstraße mitgedacht und mit einer italienischen Piazza vergleichbar werden. Durch das geänderte Einkaufsverhalten kämen die Menschen nur noch dann zum Shoppen in die Stadt, wenn sie sich dort auch wohlfühlen.

... Die Einzelhändler in der Friedrichstraße hatten Jarasch zufolge schon vor dem Beginn des Feldversuchs wirtschaftliche Probleme. Deshalb müsse man zusätzliche Kunden anziehen."

  Die Flaniermeile am Samstag, den 22.10. 22 um 10:57 bei 17°

https://www.berliner-zeitung.de/mensch-metropole/fuer-die-neue-fahrradstrasse-in-mitte-wird-eine-verbindung-fuer-autos-zerstueckelt-charlottenstrasse-almut-neumann-friedrichstrasse-li.277969 

https://www.rbb24.de/politik/beitrag/2022/05/berlin-mitte-friedrichstrasse-piazza-jarasch-verkehr-fussgaenger-radfahrer.html

Montag, 24. Oktober 2022

Ophelia 's got talent in der Volksbühne

Hätte mich jemand ins Theater eingeladen und das zu Erwartende in etwa so beschrieben, nur Frauen, meist nackt, viel Tanz, eine gynäkologische Untersuchung, viel Blut, viel Wasser, viel in Englisch und eine Gruppe Kinder, ich hätte, höchstwahrscheinlich höflich dankend abgelehnt. Gott sei Dank hat mich keiner eingeladen, sondern ich habe Ulrich Seidlers Kritik in der Berliner Zeitung gelesen, der überwältigt und ziemlich fassungslos einen wunderbaren Text geschrieben hat. Ich liebe diesen Kritiker, auch wenn ich, weiß Gott, nicht immer seiner Meinung bin. Aber er liebt. 

https://www.berliner-zeitung.de/kultur-vergnuegen/theater/florentina-holzinger-inszeniert-ophelias-got-talent-mit-hubschraubereinsatz-in-der-volksbuehne-extremer-geht-es-nicht-li.267672

Ich habe sowas, wie das, was ich heute gesehen habe, noch nie gesehen. 

Der Abend ist eine Materialschlacht, Tänzer/Akrobaten/Spieler, die sich völlig verausgaben und dabei gemeinsam Spaß haben, Licht, Musik, Video und mehr Bühnenelemente, als sich ein Stadttheater in zwei Jahren leisten könnte, aber die überwältigende Menge macht Sinn. 

Frau, Flüssigkeiten, Wasserwesen, Kraft, Leid, Ertrinken, Ersaufen, Schwimmen/ Schweben, Sexualität von weiblichen Wesen, Fortpflanzung, Erniedrigung, Schmerz.

Zweimal kommen hilfreiche, männliche technische Mitarbeiter auf die Bühne, freundliche Fremdkörper. Eine Umkehrung der gewöhnlichen Machtverhältnisse.

Das Bühnenbild ist so gigantisch, das es dem Klimawandel gewiss einiges an Hilfe leistet. Aber die Bilder, die entstehen sind magisch.

Es gibt Längen und einige zu offensichtliche Schockelemente, aber, aber was bleibt, ist, dass sich die Spielerinnen sich unterstützen, sich Kraft geben, sich beschützen und mich unterhalten wollen, mich einbeziehen wollen. Nie wird auf mich herabgesehen, ich werde immer berücksichtigt, angesprochen.

Ein Fest, dass Frauen feiert, das Frausein feiert, ohne Sentimentalität und ohne Besserwisserei, aber mit der Gewissheit, das wir Leben erzeugen können. Ein Privileg. Eine Last. Ein Glück.

Im Finale springen kindliche Haie durchs Wasser, das übersät ist mit leeren Wasserflaschen und fordern unsere Zustimmung.

https://www.tagesspiegel.de/kultur/ophelias-got-talent-an-der-volksbuhne-make-up-fur-die-wasserleiche-8652970.html

Manchmal ist er vielleicht zu offensichtlich, aber der Abend hinterlässt Spuren, was mehr ist, als was ich über viele meiner letzten Theaterabende sagen kann. Und ich hatte in keinem Moment das Gefühl belehrt zu werden. Es wurde mit mir gesprochen.

Konzept & RegieFlorentina Holzinger

mit
Melody Alia Saioa Alvarez Ruiz Inga Busch Renée Copraij Sophie Duncan Fibi Eyewalker Paige A. Flash Florentina Holzinger Annina Machaz Xana Novais Netti Nüganen Urška Preis Zora Schemm
Musik
Paige A. Flash Urška Preis Stefan Schneider
Bühne
Nikola Knežević
Licht Design
Anne Meeussen
Videodesign
Melody AliaJens Crull Max Heesen
Dramaturgie
Renée Copraij Sara Ostertag Fernando Belfiore Michele Rizzo
Autor/in
Florentina Holzinger

 

Sonntag, 23. Oktober 2022

TRIANGLE OF SADNESS

Was habe ich da gerade gesehen? Einen gut gemachten Film, den ich letztendlich nicht wirklich mochte. Warum?

Der Titel zuerst: The triangle of sadness, das Dreieck der Traurigkeit, befindet sich in unserem Gesicht waagerecht zwischen den Brauen und dann beidseitig runter zum Beginn des Nasenrückens, ich kannte das bisher als Zornesfalten. Jedenfalls ist diese kleine dreieckige Fläche, die Einbruchstelle des drohenden Alters, das Kainszeichen der gemachten Erfahrungen, der Anfang vom Ende einer Modellkarriere, die der "Held" des Films zu Beginn als gefährdet erlebt.

"The Square" war ein anderer Film dieses Regisseurs, Ruben Östlund, den ich gesehen habe. Eine Satire über den Kunstbetrieb. Soso dachte ich, nicht sehr lustig, aber sehr absichtsvoll.

Nun zum heutigen Abend. Ich habe ein paar Mal sehr gelacht. Sunnyi Melles kotzend und das über lange Zeit und mit sich steigernder Absurdität, ist ein Spaß. Die ideologische Saufszene zwischen Woody Harrelson und Zlatko Buric, der eine als marxistischer Kapitän einer Luxusyacht und der andere als russischer Oligarch mit den Erfahrungen der sozialistischen UdSSR, der mitlerweile erfolgreich mit Düngemitteln handelt, "I deal with shit", ist überaus witzig.

Ich wurde wirklich unterhalten.

Aber. Aber. Ich merkte die Absichten und war dann irgendwie verstimmt. Nahezu jedes zeitgeistige Thema wurde angesprochen und verhandelt und die Pointen, auch die, die funktionierten, jonglierten gekonnt mit meinen, mir nicht angenehmen, aber vorhandenen, zynischen oder fatalistischen Gewissheiten. 

Aber. Aber. Wieder einmal darauf gestossen zu werden, dass in unserer gemeinsamen Welt alles, aber auch wirklich alles, unter dem Aspekt seiner Verkäuflichkeit, seines Warenwertes betrachtet und gewertet wird, ist nicht schlecht.

Rutger Bregman, ein holländischer Historiker wurde zum Wirtschaftsgipfel nach Davos eingeladen. Viele sehr reiche Menschen saßen um ihn herum und fragten, wie sie ihre Spenden, Stiftungen nützlicher machen könnten. Er antwortete ihen: „Ich höre Menschen über Teilhabe und Gerechtigkeit und Gleichheit und Transparenz reden, aber dann spricht kaum jemand über Steuerflucht – und über die Reichen, die einfach nicht ihren gerechten Teil beitragen. Es fühlt sich an, als ob ich auf einer Feuerwehrkonferenz wäre und niemand ist berechtigt, über Wasser reden.“ 

Östlund spielt mit meiner hilflosen Verzweiflung, er teilt sie und darum bin ich erst einmal angetan, aber er meint auch schlauer, wissender, drüberstehender zu sein als ich, und er kann das nicht gut genug verbergen. Er ist "to proud for his pants". Was ich als zu selbstgewiss übersetzen würde. 

Klimakatastrophe, Ukrainekrieg, Coronaepidemie, Rechtspopulismus, das Leid der sogenannten "Dritten Welt" -  keiner von uns hat irgendeine praktische Idee, wie wir alle diese, oder auch nur eines dieser Probleme lösen können, jeder von uns ist erschöpft und unglücklich, aber irgendwie hätte ich in einem Film, der sich all dies als Thema auflädt, mehr Empathie und weniger Selbstgerechtigkeit erhofft.


Mittwoch, 12. Oktober 2022

Warum ich nicht mehr TATORT gucken kann, obwohl ich es gern möchte.

Vorspann und Titelmelodie sind in unser gemeinsames Unterbewusstsein eigelagert, fast jeder große Darsteller, jede große Darstellerin hat in einem mitgespielt, Komissar*in werden ist Ehrenschlag. 

Tatort ist eine Kriminalfilm-Reihe, deren Ausstrahlung 1970 im westdeutschen Fernsehen begann. Ursprünglich als Produktion des Deutschen Fernsehens gestartet, ist sie heute eine Gemeinschaftsproduktion von ARD, ORF und SRF. Bislang erschienen über 1200 Tatort-Filme. Jeder Film erzählt in der Regel eine in sich abgeschlossene Geschichte, in der wechselnd und wiederkehrend ein Ermittler oder ein Team aus Ermittlern in einem Kriminalfall an deutschen, schweizerischen oder österreichischen, meist großstädtischen Schauplätzen ermittelt.

Ich hab es in den letzten Wochen wieder mehr als einmal probiert und bin kläglich gescheitert. Formale Spielereien, aufgebauschte Privatgeschichten, Gesellschaftskritik auf leicht verständlichem Niveau und zu früh durchschaubare Fälle. Warum nur? Whodunnit heißt es im Englischen. Wer hat's getan.

1. Die Geschichte eines guten Kriminalfilms besteht aus einem oder mehreren Verbrechen und der darauffolgenden Suche nach dem Verbrecher, den Verbrechern bzw. den Verbrecherinnen durch Polizist*innen, Detektiv*innen oder anderweitig an der Lösung interessierten Personen.

2. Verbrecher*innen, Verbrechen, Untersuchende. Auflösung. Wer war das Opfer? Wie wurde die Tat getan? Warum wurde die Tat getan? Wer hat sie getan?  Und wie wird er bzw. sie erwischt?

3. Je verzwickter und überzeugender die Motive sind, je überraschender und komplizierter der Prozess der Wahrheitsfindung ist, umso besser.

4. Wobei der Verbrecher, diee Verbrecherin erstmal nur die Person ist, die ein Verbrechen begangen hat, was noch kein Urteil über ihre Beweggründe beinhaltet. 

5. Wobei auch der oder die Untersuchende möglicherweise Täter sein kann.

SUSPENSE - SPANNUNG

Wiki sagt: Suspense (engl. für „Gespanntheit“) leitet sich von lat. suspendere („aufhängen“) ab und bedeutet so viel wie „in Unsicherheit schweben“ hinsichtlich eines befürchteten oder erhofften Ereignisses. Neben anderen Typen der dramatischen Spannung ist dem Suspense die meiste Aufmerksamkeit zuteil geworden, weil er die Spannungserzeugung „mit den geringsten“ Mitteln ist und weil Suspense als intensivstes Mittel der Spannungserzeugung gilt. 

6. Entweder will ich unbedingt wissen wer es war, oder wie es gemacht wurde oder warum es gemacht wurde, oder der Weg oder die Umwege der Aufklärung erzeugen die Spannung.

7. Der/Die nach der Lösung Suchenden, können persönliche Probleme haben, die, sollten aber von Interesse in Bezug auf den Kriminalfall sein, Fehler in der Untersuchung auslösen, Vorurteile oder Voreiligkeit bestärken und ähnliches, zum Beispiel, die Depressionen eines Ermittlers, einer Ermittlerin sollten die Ermittlung verändern oder sind letztendlich überflüssig.

8. Verbrecher*innen und Verbrechensjäger*innen sollten interessante Charaktere sein, aber nicht interessanter als ihre Taten, bzw. die Ermittlungen. 

9. Miss Marple, Hercule Poirot, Inspektor Maigret, Adam Dalgliesh, Sherlock Holmes, Philipp Marlowe, Lord Peter Wimsey, Columbo, Dr. Temperance “Bones” Brennan, Inspektor Jury, Perry Mason, Dave Robicheaux, Harry Bosch, Bobby Goren, Inspector Alan Grant, Lennie Briscoe und und und. Warum sind sie anders als Tatortkomissare? 

10. Eine soziale, bzw. politische Komponente kann anfallen, muß aber Teil des Kriminalfalls sein und ihn nicht ersticken oder gar ersetzen.

Die meisten TATORTE sind langweilig, finde ich, weil sie sich nicht für ihr eigenes Genre interessieren.


Dienstag, 11. Oktober 2022

Patientenimpressionen 5

Die Operation ist jetzt 14 Wochen her und ich laufe seit vier Wochen ohne Krücken, steige Treppen, manchmal flotter, manchmal nicht so sehr, gehe zur Heilgymnastik und treibe dort Sport, bin ein braver Patient, freue mich meiner nicht-mehr-schmerzenden Hüfte. Dafür piekst oder zieht es jeden Tag woanders. Verschiedenste Muskelkater, Hilferufe lang unbenutzter Sehnen, was auch immer, eine nicht vorhersehbare Wundertüte, ist interessant wieviele Körpereinzelteile es mir ermöglichen, mich überhaupt zu bewegen.

Mein linkes Bein verhält sich mehr als vorbildlich, meckert nicht und kommentiert viele Jahre der Überbelastung nur mit gelegentlichem Knieknacken. Mein rechtes Bein, das operierte, ist wie ein Kind, das plötzlich, auf die Schnelle, zu viele neue, bzw. vergessene Dinge lernen soll, aber es gibt sich wirklich Mühe. Hey, zehn Jahre Schonhaltung hinterlassen natürlich eine tiefe Spur.

Kürzlich habe ich den Trainingsraum mit einer gleichaltrigen, viel dünneren und ebenso durchtrainierteren Dame geteilt, kein schöner Anblick. So viel Ernst, Mangel an Vergnügen und Körperfeindlichkeit kann nicht wirklich zur Gesundung beitragen.

Es war ein Abenteuer, sie haben mir einen Knochen abgesägt, steckten ein künstliches Ding in mich und machten mich wieder ganz. Der Vorgang ist absurd und wunderbar und ganz und gar ein Ding der modernen Wissenschaft, die ich liebe, den sonst würde meine Hüfte immer noch schmerzen. Ja, vielleicht kein Spagat mehr, aber ich habe mir heute selber, ohne Hilfe, die Zehennägel geschnitten!

Jetzt gehe ich zur IRENA. Intensiver Rehabilitationsnachbehandlung. 

Drei Jahre bis ich wieder im Normalzustand bin. Ein halbes bis es mir nicht mehr wirklich auffällt.

Ich werde 67 Jahre alt sein, wenn nichts dazwischen kommt, wenn ich wieder auf dem alten Stand bin. 

Aber bis dahin bin ich schmerzfrei.

 


Dienstag, 30. August 2022

Winnetou, Shakespeare und die Autobiographie der Mary Prince

Nicht alles ist geich. Und es ginge uns vielleicht besser, wenn wir das nicht so leicht vergäßen.

Nein, nicht alle Karl May Bücher werden nicht mehr verkauft, sondern nur die, die zu den jüngst erschienen Filmen geschrieben wurden. Karl May - ich habe nur Winnetou 1 bis 3 gelesen und habe "Blauvogel" von Anna Müller-Tannewitz immer mehr gemocht. Der eine träumte eurozentriert den Traum vom guten "Wilden", die andere überschrieb indigene Geschichte mit naiven urkommunistischen Wunschträumen. Goiko Mitič und Pierre Brice, meine kleine Schwester hat mich gezwungen, Osceola u.a. mehrmals im Kino Camera anzuschauen, der andere, westliche ist an mir vorbeigegangen. Aber Rolf Hoppe habe ich noch im Gedächtnis, der seinen in wilder Wut zerstampften Hut, sorgsam wieder in Form bringt. Und das Renate Blume mit Goiko und Dean Reed zusammen war, den zwei Exoten in der, bis auf vietnamesische Gastarbeiter und Studenten aus afrikanischen "Brüderstaaten", mit nicht ddrischen Mitbürgern nicht gerade gesegneten deutschen Republik. Den ersten indigenen Mitbürger, einen Kanadier, habe ich vor zwei Jahren kennengelernt und von ihm, ganz real, viel gelernt. Das eine mit dem anderen habe ich auch vorher nicht verwechselt. Der Antagonismus zwischen der Träumerei und der Realität des Kolonialismus. Die Körper tausender toter indigener Kinder in Kanada, die sich unter der "Aufsicht" religiöser Schulen befanden, sind ein grauenhaftes Testament der Verachtung und Vernichtung des angeblich "Fremden".

Shakespeare ist voller Gewalt und unangenehmer Überraschungen, genauso wie das Leben. Und keine Triggerwarnung schützt uns vor dieser Welt und dem Leben. Aber nun wünschen sich junge Menschen, dass sie vor dem Gefühl des Unwohlseins beim Lesen seiner Werke geschützt werden. "Der Sommernachtstraum" zeigt Szenen von Klassismus, Titus Andronicus" ist zu brutal, Vergewaltigung, Verstümmelung und dann ist der Bösewicht ist auch noch schwarz. Liebe Mitbürger, wie meine Mutter sagen würde, tough shit, große Literatur erzählt nur, was das Leben zu bieten hat, und das ist nicht immer schön. Früher oder schlimmsten Falls später werdet ihr merken, dass das das Leben keine Triggerwarnungen ausgibt. Euer Herz wird gebrochen werden, ihr werdet verraten werden, euch wird Leid angetan. Da müßt ihr durch.

ABER, ABER.

Die Autobiographie der Mary Prince ist an einigen Universitäten der USA nicht mehr Pflichtlektüre, weil sie die Sklaverei "zu brutal" schildert. Sie bescheibt ihr Leben. Das was ihr angetan wurde. Und hier hört mein Sinn für Humor auf. Sklaverei ist menschenverachtend und gewinngierig, kein Argument kann sie verteidigen. Unvorstellbar, dass ein Mensch einem anderen "gehören" soll, dass er ihn verkaufen, gar töten kann, und es ist sein Recht. Und darüber wollt ihr nichts  hören, weil es zu hart, zu unangenehm ist? Weil ihr euch dabei unwohl fühlt? Wie wollt ihr eine Welt erschaffen, die besser ist als die jetzige, wenn ihr die Schrecklichkeiten dieser Welt nicht kennen wollt?