Sonntag, 15. April 2012

Ingeborg Bachmann - Das Spiel ist aus



 Anselm Kiefer Karfunkelfee
 
 
DAS SPIEL IST AUS 
 
Mein lieber Bruder, wann bauen wir uns ein Floß
und fahren den Himmel hinunter?
Mein lieber Bruder, bald ist die Fracht zu groß
und wir gehen unter.

Mein lieber Bruder, wir zeichnen aufs Papier
viele Länder und Schienen.
Gib acht, vor den schwarzen Linien hier
fliegst du hoch mit den Minen.

Mein lieber Bruder, dann will ich an den Pfahl
gebunden sein und schreien.
Doch du reitest schon aus dem Totental
und wir fliehen zu zweien.

Wach im Zigeunerlager und wach im Wüstenzelt,
es rinnt uns der Sand aus den Haaren,
dein und mein Alter und das Alter der Welt
mißt man nicht mit den Jahren.

Laß dich von listigen Raben, von klebriger Spinnenhand
und der Feder im Strauch nicht betrügen,
iß und trink auch nicht im Schlaraffenland,
es schäumt Schein in den Pfannen und Krügen.

Nur wer an der goldenen Brücke für die Karfunkelfee
das Wort noch weiß, hat gewonnen.
Ich muß dir sagen, es ist mit dem letzten Schnee
im Garten zerronnen.

Von vielen, vielen Steinen sind unsre Füße so wund.
Einer heilt. Mit dem wollen wir springen,
bis der Kinderkönig, mit dem Schlüssel zu seinem Reich
    im Mund
uns holt, und wir werden singen:

Es ist eine schöne Zeit, wenn der Dattelkern keimt!
Jeder, der fällt, hat Flügel.
Roter Fingerhut ist’s, der den Armen das Leichentuch
    säumt,
und dein Herzblatt sinkt auf mein Siegel.

Wir müssen schlafen gehn, Liebster, das Spiel ist aus.
Auf Zehenspitzen. Die weißen Hemden bauschen.
Vater und Mutter sagen, es geistert im Haus,
wenn wir den Atem tauschen.

Ingeborg Bachmann

 
© Piper Verlag GmbH, München 1978 
 
 

Freitag, 13. April 2012

Große und kleine Sprünge


Gestern abend um 11.
Meine Nichte hat Frühlingsferien und durfte mit zur Probe kommen. Es war ein langer Tag und sie hat gerade fünf Stunden den Studenten zugeschaut, mitgefiebert, immer dran, nie störend.
Wir gehen nach Hause.
Sie läuft vor uns her mit diesem leichten federnden Kinder-Hopsschritt. 
Sie hüpft. Nur so für sich. Entfernt sich von uns. Bleibt stehen. Kommt ein Stück zurück. Hüpft weiter.
Wann bin ich das letzte Mal gehüpft, nur so?

Skipping Rope by Lester Talkington of The Photo League, 1950 from Documentary Photography, copyright 1972 Time Inc.

Donnerstag, 12. April 2012

Aus der Bergpredigt


Matthäus 5, 3-12

Da er aber das Volk sah, ging er auf einen Berg und setzte sich; und seine Jünger traten zu ihm, Und er tat seinen Mund auf, lehrte sie und sprach: 

Selig sind, die da geistlich arm sind; denn das Himmelreich ist ihr.
Selig sind, die da Leid tragen; denn sie sollen getröstet werden. 
Selig sind die Sanftmütigen; denn sie werden das Erdreich besitzen.
Selig sind, die da hungert und dürstet nach der Gerechtigkeit; denn sie sollen satt werden.
Selig sind die Barmherzigen; denn sie werden Barmherzigkeit erlangen.  
Selig sind, die reines Herzens sind; denn sie werden Gott schauen.
Selig sind die Friedfertigen; denn sie werden Gottes Kinder heißen. 
Selig sind, die um Gerechtigkeit willen verfolgt werden; denn das Himmelreich ist ihr. 
Selig seid ihr, wenn euch die Menschen um meinetwillen schmähen und verfolgen und reden allerlei Übles gegen euch, so sie daran lügen. 

Seid fröhlich und getrost; es wird euch im Himmel wohl belohnt werden. Denn also haben sie verfolgt die Propheten, die vor euch gewesen sind.

 Fra Angelico Die Bergpredigt Fresco 1436-43

Lukas 6, 20-25 - Die Feldrede

Er richtete seine Augen auf seine Jünger und sagte: Selig, ihr Armen, denn euch gehört das Reich Gottes.
Selig, die ihr jetzt hungert, denn ihr werdet satt werden. Selig, die ihr jetzt weint, denn ihr werdet lachen.
Selig seid ihr, wenn euch die Menschen hassen und aus ihrer Gemeinschaft ausschließen, wenn sie euch beschimpfen und euch in Verruf bringen um des Menschensohnes willen.
Freut euch und jauchzt an jenem Tag; euer Lohn im Himmel wird groß sein. Denn ebenso haben es ihre Väter mit den Propheten gemacht.
Aber weh euch, die ihr reich seid; denn ihr habt keinen Trost mehr zu erwarten.
Weh euch, die ihr jetzt satt seid; denn ihr werdet hungern. Weh euch, die ihr jetzt lacht; denn ihr werdet klagen und weinen.
Weh euch, wenn euch alle Menschen loben; denn ebenso haben es ihre Väter mit den falschen Propheten gemacht. 

Monty Python aus "Das Leben des Brian"

Jesus:
Selig sind die Armen im Geiste, denn ihrer ist das Himmelreich.
Selig sind die Trauernden, denn sie werden getröstet werden.
Selig sind die Sanftmütigen, denn sie werden das Land zu Besitz erhalten.
Selig, die hungern und dürsten nach der Gerechtigkeit, denn sie werden gesättigt werden.
Selig die Barmherzigen, denn sie werden Barmherzigkeit erlangen...
Mutter:
Lauter!
Brian:
Sei still, Mama. 
Mutter:
Was heißt still? Ich kann nichts hören. Laß uns zur Steinigung gehen.
Rübennase:
Pssst.
Brian:
Zu 'ner Steinigung kannst du jeden Tag gehen. 

Mittwoch, 11. April 2012

Caravaggio - David und Goliath mal drei



Caravaggio selbst war das Model für Goliath, il suo Caravaggino, Cecco de Caravaggio, sein eigner kleiner Caravaggio, das für David. Cecco war sein Assisstent der, wie berichtet wurde, bei ihm lag. Möglicherweise sind auch beide Köpfe Porträts Caravaggios, und der Jüngere hält das Haupt des Älteren. 1609/10

Die Bibel sagt in Samuel 1/17:

Da trat aus den Lagern der Philister ein Riese mit Namen Goliath von Gath, sechs Ellen und eine Handbreit hoch  ...  Und er stand und rief zu dem Heer Israels und sprach zu ihnen: Was seid ihr ausgezogen, euch zu rüsten in einen Streit? Bin ich nicht ein Philister und ihr Sauls Knechte? Erwählt einen unter euch, der zu mir herabkomme. Vermag er wider mich zu streiten und schlägt mich, so wollen wir eure Knechte sein; vermag ich aber wider ihn und schlage ihn, so sollt ihr unsre Knechte sein, daß ihr uns dient... 

...und (David) nahm seinen Stab in seine Hand und erwählte fünf glatte Steine aus dem Bach und tat sie in seine Hirtentasche, die er hatte, und in den Sack und nahm die Schleuder in seine Hand und machte sich zu dem Philister...

Da nun der Philister sah und schaute David an, verachtete er ihn; denn er war ein Knabe, bräunlich und schön....

Und David tat seine Hand in die Tasche und nahm einen Stein daraus und schleuderte und traf den Philister an seine Stirn, daß der Stein in seine Stirn fuhr und er zur Erde fiel auf sein Angesicht...

Da nun David wiederkam von der Schlacht des Philisters, nahm ihn Abner und brachte ihn vor Saul, und er hatte des Philisters Haupt in seiner Hand. Und Saul sprach zu ihm: Wes Sohn bist du, Knabe? David sprach: Ich bin ein Sohn deines Knechtes Isai, des Bethlehemiten.


Ein ganz anderer David,1607.

 
Diesen Riesen zu töten, war leicht für den mutigen Hirten,
  Welcher, im Schleudern geschickt, sicher versandte den Stein.
Schwerer fand er es schon, den Toten des Haupts zu berauben,
  Doch es gelang ihm zuletzt durch den verdoppelten Streich.
Aber dem letzten erliegt er, er soll es dem König ja bringen,
  Und nun schleppt er sich tot an der gewaltigen Last.

Friedrich Hebbel

Und der Moment davor, David kniet auf Goliaths Torso, und greift das abgetrennte Haupt, sehr konzentriert, sehr effizient. Auch Goliaths Gesicht wirkt, sehr ruhig, gar nicht tot, es scheint ein intimer Moment zwischen den beiden zu sein, nur die verkrampfte Hand links unten und die Stirnwunde erinnern an den vorangegangenen Kampf. 1599


Dienstag, 10. April 2012

Lisette Model - Photographin


Lisette, Selbstporträt

Die Kamera ist ein Instrument der Entdeckung. Wir photographieren nicht nur was wir kennen, sondern auch das was wir nicht kennen."

"The camera is an instrument of detection. We photograph not only what we know, but also what we don’t know" Lisette Model


Promenade des Anglais, Nizza 1934 © Lisette Model

Lisette Model geboren am 10.11.1901 in Wien als Elise Amelie Felicie Stern, 1903 änderte die Familie den Nachnamen in Seybert; gestorben am 30.3.1983 in New York, war Fotografin.
Sie studierte in Wien Gesang und Harmonielehre und Kontrapunkt, letztere bei Arnold Schönberg, den sie später als einen ihrer formendsten Lehrer beschrieb. 1930 gab sie, aus nicht bekannten Gründen, die Beschäftigung mit Musik auf und begann zu photographieren.

 Coney Island N.Y. Badende, liegend 1939/40 © Lisette Model

In Nizza lernte sie ihren Ehemann Evsa Model, einen Maler, kennen mit dem sie 1938 dann in die USA emigrierte. 1944 wurden ihr Bruder und ihre Schwägerin von Frankreich in ein deutschen Konzentrations- lager gebracht. Ihre Mutter starb in Nizza.

 New York, Reflektionen, 1939-45 © Lisette Model
Über ihre erste Zeit in New York schrieb sie:

"Anderthalb Jahre lang habe ich nicht photographiert. Ich war blind, weil alles so anders war."
"For a year and a half I took no pictures. I was blind because it was all too different." Lisette Model
 
 East Side New York City, Kleine Frau in Turnschuhen eine Tüte tragend, 1939-45 © Lisette Model

"Ich bin oft gefragt worden, was ich durch meine Photographien beweisen will. Die Antwort ist, ich will nichts beweisen. Sie beweisen mir, und ich bin die die lernt."
"I have often been asked what I wanted to prove by my photographs. The answer is, I don’t want to prove anything. They prove to me, and I am the one who gets the lesson." Lisette Model 

Zwei Sänger im Sammy's in der Bowery, New York 1940/44 © Lisette Model

 Modenschau Hotel Pierre New York 1940-46 © Lisette Model

Belmont Park, Rennbahn 1956, Fetter Mann © Lisette Model

Diane Arbus war von 1955 bis 57 eine Schülerin Models und wurde von ihr ermuntert, die kommerzielle Photographie zu Gunsten der künstlerischen aufzugeben. 

Sonntag, 8. April 2012

Winter ade!


Weil es gestern beim Osterfeuer geschneit und gehagelt hat!

Winter ade!

Winter ade! Scheiden tut weh.
Aber dein Scheiden macht,
dass mir das Herze lacht.
Winter ade! Scheiden tut weh.

Winter ade! Scheiden tut weh.
Gerne vergess' ich dein,
kannst immer ferne sein.
Winter ade! Scheiden tut weh.

Winter ade! Scheiden tut weh.
Gehst du nicht bald nach Haus,
lacht dich der Kuckuck aus.
Winter ade! Scheiden tut weh.
 
Musik: Volkslied
Text: Heinrich Hoffmann von Fallersleben (1798-1874)

© APA

Winter ade!

So hört doch, was die Lerche singt!
Hört, wie sie frohe Botschaft bringt!
Es kommt auf goldnem Sonnenstrahl
Der Frühling heim in unser Tal,
Er streuet bunte Blumen aus
Und bringet Freud' in jedes Haus.
Winter, ade!
Frühling, juchhe! 

Was uns die liebe Lerche singt,
In unsern Herzen wiederklingt.
Der Winter sagt: Ade! Ade!
Und hin ist Kälte, Reif und Schnee
Und Nebel hin und Dunkelheit
Willkommen, süße Frühlingszeit!
Winter, ade!
Frühling, juchhe!

August Heinrich Hoffmann von Fallersleben
(1798 - 1874) 


Theater hat fast nie Sex


Im Laufe der letzten Jahre habe ich sicherlich mehr als 100 Menschen getötet, auf der Bühne. 

Nicht durch mich persönlich, aber doch unter meiner Verantwortung, auch Regie genannt, wurde erschossen, gewürgt, erstochen, ertränkt, vergiftet, erschlagen, kurzum gemetzelt, wohl theatralisch überhöht, aber doch noch durchaus als Morden, respektive Sterben erkennbar. Mein persönlicher Rekord war wohl die Ausmerzung der gesamten Besetzung der "Räuber", inclusive des in die erträumte Märtyrerrolle fliehen wollenden Karl Mohr.

Aber Sex? Küsse, ja. Umarmungen, erotische Tötungen, sehr sinnliche Blicke und Dialoge, verklausulierte Ersatzhandlungen, mehr oder weniger deutliche Anspielungen, derbe Komik, aber kein Sex. Und auch in den Inszenierungen anderer kann ich mich nicht erinnern, dieser doch nicht unhäufigen Interaktion zwischen Menschen begegnet zu sein. Oder wenn, dann höchstens in ihrer Klamaukvariante: Sie, mit den gespreizten Beinen in der Luft, Er, wild rammelnd darübergebeugt oder ähnliche akrobatische Lustigkeiten. Oder als bedeutungsgeladenes Black. 
Aber Sex als intimer Kontakt zwischen Menschen? 
(Natürlich nicht naturalistisch nachgestellt oder -gelegt, aber in genaue und verstörende, berührende Bilder übersetzt.)  

Egon Schiele 1915,  Liebesakt Studie

Ich habe gelesen, dass es in Amerika weit einfacher ist trotz blutigster Brutalitäten eine "jugendfrei" Freigabe für einen Film durchzusetzen, als wenn eine Brust, zwei Brüste, ein Hintern oder, Gott verhüte, ein primäres Geschlechtsmerkmal durchs Bild wandeln. "The King's Speech", ein sehr empfehlenswerter Film, mußte die in den verzweifelten Sprechübungen des stotternden Königs auftauchenden "fucks" durch andere nicht sexuelle Flüche ersetzen, um die Freigabe ab 13 Jahren zu erlangen.

Vor Jahren habe ich eine Kurzgeschichte, ich glaube sie war von Peter Hacks, gelesen, in der ein junger Fremder eine ihm unbekannte Stadt besucht. Er betritt ein Haus, im Flur vögelt der Hausherr mit dem Dienstmädchen, auf dem leeren Tisch im Eßzimmer die Dame des Hauses mit dem Stallknecht. Die Tochter des Hauses bietet sich ihm unmißverständlich an. Er ist erstaunt, auch belustigt. Später aber, als er um eine Scheibe Brot bittet, reagieren alle Umstehenden mit tiefer Brüskiertheit. Gegessen wird hier heimlich, unter Ausschluß der Öffentlichkeit, es ist tabu über die Nahrungsaufnahme zu reden. Verkehrte Welt?

 Egon Schiele Liebesakt

Nun arbeite ich am "Reigen" von Schnitzler und die Szenen werden von Irritierenden Strichellinien unerbrochen in denen, den Intentionen des Autors folgend, die Personen Sex miteinander haben, um anschließend ihren "unterbrochenen" Dialog weiterzuführen. Während des Aktes selbst wird nicht gesprochen. 
Und plötzlich stellt sich mir die Frage, warum wir so viel spielerischer und phantasievoller mit der Visualisierung unseres Gewaltpotentiales und unserer Sterblichkeit umgehen, als mit der Darstellung unserer Geschlechtlichkeit, die doch erst unsere Existenz ermöglicht - in der Fortpflanzung - und uns doch auch definiert, erfreut, ängstigt und lebendig hält.

Das Internet und die Nachtprogramme der Privatfernsehsender behaupten unseren "freien" und unverklemmten Umgang mit Sexualität, man könnte es auch den Übergang in die konsumierbare, marktwirtschaftlich verwertbare Form der Libido nennen. Aber das Theater, die alte Dame der darstellenden Künste, ziert sich.

Warum überlassen wir die Sexualität der Pornographie? Warum gestatten wir unserer Lust, Zärtlichkeit, Geilheit auf der Bühne nicht den gleichen Raum, den wir unserer Gewaltätigkeit einräumen?

Wiki sagt:
Sex erfüllt zahlreiche Funktionen: Er befriedigt die Libido, dient in Form des Geschlechtsverkehrs der Fortpflanzung und drückt in der Regel als wichtige Form der sozialen Interaktion Gefühle der Zärtlichkeit, Zuneigung und Liebe aus. Besonders in Liebesbeziehungen kann das Sexualleben eine zentrale Rolle als Ausdruck der Verbundenheit der Partner spielen. Er ist jedoch nicht ausschließlich an Liebesbeziehungen bzw. Partnerverbundenheit gekoppelt.


Samstag, 7. April 2012

William Butler Yeats - Die Wiederkunft

 

Alles anders, völlig anders / Eine schreckliche Schönheit wurde geboren

All changed, changed utterly / A terrible beauty is born

aus: Ostern 1916

Dann, 1919, der Erste Weltkrieg ist kaum vorüber, der Erste, wie einfach sich das schreibt, der Erste war er wohl nicht, traf auch nicht die ganze Welt und doch war er neu, anders, alle bekannten Vorstellungen erschütternd. Eine ganze Generation englischer Dichter, wie Wilfred Owen, Isaac Rosenberg, Robert Graves, Wilfried Sassoon, Edward Thomas wurde von ihm ins Schreiben gestossen, fielen in seinen Schlachten oder schleppten sein Gewicht den Rest ihres Lebens in ihre Arbeiten.

Yeats, 1919 bereits 54 Jahre alt, war nicht Soldat, aber der Krieg, der blutig niedergeschlagene Irische Aufstand 1916, wohl auch die Ereignisse in Russland weckten in ihm ein beunruhigtes und beunruhigendes Gefühl von unumkehrbarer Veränderung.

Das Tier, das aus dem Meer steigt (Off 13,1-18). Fresko von Giusto de Menabuoi (1320-1397) im Baptisterium von Padua (1376). 


William Butler Yeats

Das zweite Kommen

Drehend und drehend in immer weiteren Kreisen
Hört der Falke seinen Falkner nicht;
Alles zerfällt, die Mitte hält nicht mehr;
Und losgelassen nackte Anarchie,
Und losgelassen blutgetrübte Flut, und überall
ertränkt das strenge Spiel der Unschuld;
Die Besten haben keine Meinung mehr, die Schlimmsten
Sind von Kraft der Leidenschaft erfüllt.
Gewiß, eine Offenbarung steht bevor;
Gewiß, die Wiederkunft steht jetzt bevor.
Die Wiederkunft! Kaum ausgesprochen
Trübt groß eine Vision des Geists der Welt
Mir meine Sicht: Irgendwo im Wüstensand
Die Form eines Löwen mit dem Kopf eines Mannes,
Der Blick, wie die Sonne, leer und mitleidlos,
Bewegt seine Schenkel langsam, und rings umher
Schwirren die Schatten empörter Wüstenvögel.
Wieder bricht Dunkel herein - doch nun weiß ich,
Daß zwanzig Jahrhunderte seines steinernen Schlafes
Zum Albtraum erweckt worden sind vom Schaukeln einer Wiege:
Und welch rohes Tier, seine Zeit nun gekommen,
Kriecht auf Bethlehem zu,
um geboren zu werden?

Übersetzung
von Walter A. Aue, von mir bearbeitet 


The Second Coming

Turning and turning in the widening gyre
The falcon cannot hear the falconer;
Things fall apart; the centre cannot hold;
Mere anarchy is loosed upon the world,
The blood-dimmed tide is loosed, and everywhere
The ceremony of innocence is drowned;
The best lack all conviction, while the worst
Are full of passionate intensity.

Surely some revelation is at hand;
Surely the Second Coming is at hand.
The Second Coming! Hardly are those words out
When a vast image out of Spiritus Mundi
Troubles my sight; somewhere in sands of the desert
A shape with lion body and the head of a man,
A gaze blank and pitiless as the sun,
Is moving its slow thighs, while all about it
Reel shadows of indignant desert birds.
The darkness drops again; but now I know
That twenty centuries of stony sleep
Were vexed to nightmare by a rocking cradle,
And what rough beast, its hour come round at last,
Slouches towards Bethlehem to be born?



Die Offenbarung des Johannes Kapitel 13 - Die Zwei Tiere

Und ich trat an den Sand des Meeres und sah ein Tier aus dem Meer steigen, das hatte sieben Häupter und zehn Hörner und auf seinen Hörnern zehn Kronen und auf seinen Häuptern Namen der Lästerung.  Und das Tier, das ich sah, war gleich einem Parder und seine Füße wie Bärenfüße und sein Mund wie eines Löwen Mund. Und der Drache gab ihm seine Kraft und seinen Stuhl und große Macht. Und ich sah seiner Häupter eines, als wäre es tödlich wund; und seine tödliche Wunde ward heil. Und der ganze Erdboden verwunderte sich des Tieres  und sie beteten den Drachen an, der dem Tier die Macht gab, und beteten das Tier an und sprachen: Wer ist dem Tier gleich, und wer kann mit ihm kriegen?
Und es ward ihm gegeben ein Mund, zu reden große Dinge und Lästerungen, und ward ihm gegeben, dass es mit ihm währte zweiundvierzig Monate lang. Und es tat seinen Mund auf zur Lästerung gegen Gott, zu lästern seinen Namen und seine Hütte und die im Himmel wohnen. Und ward ihm gegeben, zu streiten mit den Heiligen und sie zu überwinden; und ward ihm gegeben Macht über alle Geschlechter und Sprachen und Heiden. Und alle, die auf Erden wohnen, beten es an, deren Namen nicht geschrieben sind in dem Lebensbuch des Lammes, das erwürgt ist, von Anfang der Welt.
Hat jemand Ohren, der höre!  So jemand in das Gefängnis führt, der wird in das Gefängnis gehen; so jemand mit dem Schwert tötet, der muss mit dem Schwert getötet werden. Hier ist Geduld und Glaube der Heiligen.
Und ich sah ein anderes Tier aufsteigen aus der Erde; das hatte zwei Hörner gleichwie ein Lamm und redete wie ein Drache. Und es übt alle Macht des ersten Tiers vor ihm; und es macht, dass die Erde und die darauf wohnen, anbeten das erste Tier, dessen tödliche Wunde heil geworden war;  und tut große Zeichen, dass es auch macht Feuer vom Himmel fallen vor den Menschen; und verführt, die auf Erden wohnen, um der Zeichen willen, die ihm gegeben sind zu tun vor dem Tier; und sagt denen, die auf Erden wohnen, dass sie ein Bild machen sollen dem Tier, das die Wunde vom Schwert hatte und lebendig geworden war.
 Und es ward ihm gegeben, dass es dem Bilde des Tiers den Geist gab, dass des Tiers Bild redete und machte, dass alle, welche nicht des Tiers Bild anbeteten, getötet würden. Und es macht, dass die Kleinen und die Großen, die Reichen und die Armen, die Freien und die Knechte allesamt sich ein Malzeichen geben an ihre rechte Hand oder an ihre Stirn, dass niemand kaufen oder verkaufen kann, er habe denn das Malzeichen, nämlich den Namen des Tiers oder die Zahl seines Namens.
Hier ist Weisheit! Wer Verstand hat, der überlege die Zahl des Tiers; denn es ist eines Menschen Zahl, und seine Zahl ist sechshundertsechsundsechzig.

Freitag, 6. April 2012

Rainer Maria Rilke - Karfeitag



"Mein Vater, ist es möglich, so gehe dieser Kelch an mir vorüber; doch nicht, wie ich will, sondern wie du willst." Matth.26


Vincent van Gogh 1889 Der Olivengarten

DER ÖLBAUMGARTEN

Er ging hinauf unter dem grauen Laub
ganz grau und aufgelöst im Ölgelände
und legte seine Stirne voller Staub
tief in das Staubigsein der heißen Hände.

Nach allem dies. Und dieses war der Schluss.
Jetzt soll ich gehen, während ich erblinde,
und warum willst Du, dass ich sagen muss
Du seist, wenn ich Dich selber nicht mehr finde.

Ich finde Dich nicht mehr. Nicht in mir, nein.
Nicht in den andern. Nicht in diesem Stein.
Ich finde Dich nicht mehr. Ich bin allein.

Ich bin allein mit aller Menschen Gram,
den ich durch Dich zu lindern unternahm,
der Du nicht bist. O namenlose Scham...

Später erzählte man: ein Engel kam -.

Warum ein Engel? Ach es kam die Nacht
und blätterte gleichgültig in den Bäumen.
Die Jünger rührten sich in ihren Träumen.
Warum ein Engel? Ach es kam die Nacht.

Die Nacht, die kam, war keine ungemeine;
so gehen hunderte vorbei.
Da schlafen Hunde und da liegen Steine.
Ach eine traurige, ach irgendeine,
die wartet, bis es wieder Morgen sei.

Denn Engel kommen nicht zu solchen Betern,
und Nächte werden nicht um solche groß.
Die Sich-Verlierenden lässt alles los,
und sie sind preisgegeben von den Vätern
und ausgeschlossen aus der Mütter Schoß..

Rainer Maria Rilke
Aus: Neue Gedichte (1907) 

Todesangst in Gethsemane Andrea Mantegna um 1460 


Donnerstag, 5. April 2012

BEIGE ?


Wiki sagt:
Die Farbe Beige umfasst eine Folge von unbestimmt warmen, weißlichen Brauntönen.

Wenn man die Etymologie nachschlägt, findet man nur: das Wort stammt aus dem Französischen, bezeichnet ungefärbte Baumwolle und ist halt beige - beige ist beige, irgendwie nicht weiss, nicht gelb, nicht braun. Es sei ein Synonym für naturfarben. Aber was soll das sein? Natur in beige? Sand. Staub. Stein. Hm. Alle drei setzen sich aus vielen Farben zusammen, die nur in der Vermischung, Zusammenstellung und bei bestimmtem Licht scheinbar verblassen. 

Der Staub auf Olivenbäumen. Der ist gräulich. Beige waren die Windjacken der "unauffälligen" Männer in der DDR. Und dort war Beige auch eine häufig verwendete Farbe, um Häuser zu verputzen. Alte Computer sind beige. Bei beigen Wänden fällt der Schmutz nicht so auf, also waren Krankenhauszimmer früher oft so gestrichen.
 
Werbespot DDR - Trabant 601 

Das Englische hat für nicht-ganz-weißes Weiß das schöne Wort "off-white", bei uns heißt das cremefarben, ist also auch nicht beige. 

WAS IST BEIGE? Eine Fast-Farbe. Erbleichtes Braun, vergilbtes Weiß, gebräuntes Gelb. Bräunlich, gelblich, weißlich. Zögerlich. Feig. Auf halbem Weg. Aber als Kontrastfarbe zu gebrauchen.

 Die Atacama Wüste in Chile
Beige?

Cosmic latte ist der Name, den Astronomen der Johns Hopkins Universität in Baltimore/Maryland, der durchschnittlichen Farbe des Universums gegeben haben. Nach ihren Untersuchungen ergibt die Summe des Lichtes im Universum ein leicht beiges Weiß.
 Der Name entstand, als einer der Wissenschaftler nachdenklich in seinen Starbuck's Kaffee starrte.