Sonntag, 23. Oktober 2011

Eine gute Party

In den Partyjahren meiner Jugend, war ich oft in der Küche zu finden, abwaschend. Kurz gesagt, ich mochte Partys nicht. Zu viele Leute, zu laut, zu unkonzentriert. Aber während des Abwasches kam immer mal jemand vorbei, verweilte, erzählte, oder sinnierte eine Zeitlang vor sich hin. Und die Gastgeber mochten mich und die saubere Küche.

Partys mag ich immer noch nicht, aber heute war ich auf einer schönen, einer Herbst-Begrüßungs-Feier. Es lag wohl daran, dass der Einladende ein wirklich lieber Kerl ist und eine gute Nase für die Leute hat, mit denen er sich befreundet. Ich kannte ein paar der Gäste und das waren dann halt auch Menschen, die ich gern wiedergetroffen habe und, noch seltener vorkommend, ich habe mich auch mit mir bisher Unbekannten gut und überraschend unterhalten. 

Das ist nicht weiter weltbewegend, aber in kühlen Zeiten ein erfreuliches Erlebnis.

Dirck Hals "Lustige Gesellschaft", um 1625/1626
Man beachte oben die wagemutige Beinhaltung des Herren ganz außen rechts mit der Pfeife. Und die Dame vor ihm kippelt. 
Irgendwo zwischen den Stimmungen dieser beiden Bildern liegt wohl die gute Party.
Was mag die Dame unten außen rechts der Jüngeren mit dem schwer alkoholisierten Freier wohl gerade in die Hand geben? Und man trinkt aus Eimern, warum nicht? Nur das Dienstmädchen hat wohl eine lange Nacht vor sich.

William Hogarth The Rake's Progress "Die Orgie" 1733


Samstag, 22. Oktober 2011

Mord als Lösung, Mord als Recht

Scheint es euch auch merkwürdig, dass der Rache-Mord nunmehr, in diesem unseren Jahrhundert, das sich doch mit selbstsicheren Hochmut vom dunklen Mittelalter distanziert, zum gewöhnlichen politischen Arbeitsinstrument wird? Und zwar nicht heimlich und verdeckt, sondern ganz stolz und überzeugt?

Sicher, die andere Wange hat zu viel abgekriegt. Sicher so richtig einen in die Schnauze und  ein Zahn für den verlorenen Zahn raus, tut manchmal not. Und wenn ein Auge mit draufgeht, tough luck!

Ich verstehe, wenn jemand geht und tötet, den der getötet hat. Ich weiss nicht, was ich täte, wenn jemand meine Lieben anrührte.

Aber, wenn der Staat, erfunden als Bollwerk der Zivilisation, auf das wir zusammenleben können, ohne uns ungeordnet die Schädel einzuschlagen, wenn dieser Staat nun ins alttestamentarische verfällt, was ist dann?

Muammar Al-Gadafi

Osama Bin Laden


Lukas Evangelium 6,27
Aber euch Zuhörenden sage ich: Liebet eure Feinde; tut Gutes denen die euch hassen;  segnet die, die euch verfluchen, betet für die, die euch misshandeln.  Dem, der dich auf die Wange schlägt, halte auch die andere hin; und dem, der dir den Mantel wegnimmt, verweigere auch das Hemd nicht.  Gib jedem, der etwas von dir bittet und von dem der dir das Deinige nimmt, fordere es nicht zurück. Und so wie ihr wollt, dass euch die Menschen tun, tut auch ihr ihnen gleichermassen. Und wenn ihr die liebt, die euch lieben, wie gross ist eure Gnade? Denn auch die Sünder lieben die, die sie lieben.  Und wenn ihr denen gutes tut, die euch gutes tun, wie gross ist eure Gnade? Denn auch die Sünder tun dasselbe. . Und wenn ihr denen leiht, von denen ihr hofft es wieder zu erhalten, wie gross ist eure Gnade? Denn auch die Sünder leihen Sündern, damit sie das Ihre zurück erhalten. . Doch liebt eure Feinde und tut Gutes und leiht ohne zurück zu erhoffen und euer Lohn wird gross sein und ihr werdet Söhne des Höchsten sein, denn er ist gütig zu den Gnadenlosen und Bösen. . Seid barmherzig wie auch euer Vater barmherzig ist.

Donnerstag, 20. Oktober 2011

Diane Arbus zum Dritten - Gesichter

Puertoricanische Frau mit Schönheitsfleck N.Y.C. 1965 © D.A.



Kind, weinend N.J. 1973 © D.A.



Ohne Titel © D.A.



Mädchen mit Mütze 1965 © D.A.



Junge mit Strohhut wartend in einer Pro-Kriegs- Demonstration N.Y.C. 1967 © D.A.



Mrs. T. Charlton Henry in ihrem Haus in Chesnut Hill in Philadelphia 1965 © D.A.



Frau mit Turban N.Y.C. 1965 © D.A.

 
   
Mexikanischer Zwerg im Hotel in N.Y.C. 1970 © D.A.

Augen in der Großstadt


Wenn du zur Arbeit gehst
am frühen Morgen,
wenn du am Bahnhof stehst
mit deinen Sorgen:
da zeigt die Stadt
dir asphaltglatt
im Menschentrichter
Millionen Gesichter:
Zwei fremde Augen, ein kurzer Blick,
die Braue, Pupillen, die Lider –
Was war das? vielleicht dein Lebensglück ...
vorbei, verweht, nie wieder.

Du gehst dein Leben lang
auf tausend Straßen;
du siehst auf deinem Gang,
die dich vergaßen.
Ein Auge winkt,
die Seele klingt;
du hasts gefunden,
nur für Sekunden ...
Zwei fremde Augen, ein kurzer Blick,
die Braue, Pupillen, die Lider;
Was war das? kein Mensch dreht die Zeit zurück ...
Vorbei, verweht, nie wieder.

Du mußt auf deinem Gang
durch Städte wandern;
siehst einen Pulsschlag lang
den fremden Andern.
Es kann ein Feind sein,
es kann ein Freund sein,
es kann im Kampfe dein
Genosse sein.
Es sieht hinüber
und zieht vorüber ...
Zwei fremde Augen, ein kurzer Blick,
die Braue, Pupillen, die Lider.
Was war das?
Von der großen Menschheit ein Stück!
Vorbei, verweht, nie wieder.


Theobald Tiger
Arbeiter Illustrierte Zeitung, 1930, Nr. 11, S. 217,
in: Lerne Lachen.



Diane Arbus bei der Arbeit 

Grippezeit - Zitronenzeit

Paul Klee Zitronen
Es war eine gelbe Zitrone,
Die lag unter einer Kanone,
Und deshalb bildete sie sich ein,
Eine Kanonenkugel zu sein.
Der Kanonier im ersten Glied,
Der merkte aber den Unterschied.
– – – – – – – – – – – – – – – – – –
Bemerkt sei noch zu diesem Lied,
Ein Unterschied ist kein Oberschied.

 Joachim Ringelnatz

Paul Gaugin Stillleben mit Fruchtschale

Francisco de Zurbaran 1633 Stillleben



Kennst du das Land, wo die Zitronen blühn, (* Mignon 1)
Kennst du das Land, wo die Zitronen blühn,
Im dunkeln Laub die Gold-Orangen glühn,
  Ein sanfter Wind vom blauen Himmel weht,
Die Myrte still und hoch der Lorbeer steht,
Kennst du es wohl?
               Dahin! Dahin
                              Möcht‘ ich mit dir, o mein Geliebter, ziehn!
 
        Kennst du das Haus? Auf Säulen ruht sein Dach,
      Es glänzt der Saal, es schimmert das Gemach,
Und Marmorbilder stehn und sehn mich an:
Was hat man dir, du armes Kind, getan?
Kennst du es wohl?
               Dahin! Dahin
 Möcht‘ ich mit dir, o mein Beschützer, ziehn!
 
Kennst du den Berg und seinen Wolkensteg?
Das Maultier sucht im Nebel seinen Weg,
In Höhlen wohnt der Drachen alte Brut,
Es stürzt der Fels und über ihn die Flut.
Kennst du ihn wohl?
               Dahin! Dahin
Geht unser Weg! o Vater, laß uns ziehn!

Van Gogh Stillleben mit Trauben Birnen und Zitronen

Banane, Zitrone,
an der Ecke steht 'nen Mann.

Banane, Zitrone,
er lacht sich eine an.
Banane, Zitrone,
er nimmt sie mit nach Haus.
Banane, Zitrone,
er zieht sie nackend aus.
Banane, Zitrone,
er nimmt sie mit ins Bett.
Banane, Zitrone,
er macht sie dick und fett.



Aus dem "Simplicissimus"

Dienstag, 18. Oktober 2011

Die Theaterwohnung 2

Theaterwohnung Magdeburg 2011. Unvorstellbarer Luxus! Geschirrspülmaschine und Waschmaschine und Mikrowelle! Ok, das Bett ist ein Klappbett und verflixt unbequem und selbst für meine 165 cm zu kurz. Das wäre aber zu vernachlässigen, wäre da nicht ein kleines Problem: der Innendesigner oder wer auch immer, die Gestaltung, des Innenlebens dieser Wohnung, in seinen kreativen Händen hielt, hat die Gelegenheit genutzt, und all den künstlerischen Ideen Realität gegeben, die man sonst, bei der Wohnungsrenovierung, aus gutem Grund, kurz überlegt und dann NICHT verwirklicht.
Die Küche ist rosa.
Man beachte, die farblich abgestimmten Vorhänge. Oder ist das Pink?

Das Zimmer, gelb, grobgetupft, mit, und hier wird es ungewöhnlich, einer in Schwammtechnik mit blutrot, gestalteten Wandteppichvision über dem üblichen Schwedenmöbelschreibtisch.
Wurde hier ein Blutbad theatralisch umgesetzt? Möglich.
Die Vorhänge sind blassrot und, damit man den Bezug zur Realität nicht verliert, oder zumindest nicht den zur Laterne vor dem Haus, durchsichtig. Der Flur führt das Blutspritzthema in geometrisch gebündelter Form weiter.
Meine Bühne hier wird weiß sein, reinweiß, nichts als weiß. Klar - Die Schneekönigin - Eis - Weiß. Nun wird sie auch eine Erholung, für meine von dieser Blutdrunst erschreckten Augen.


Übrigens beginnt in Magdeburg, der Nachtverkehr der Strassenbahn um 9. Dann fährt sie nur noch stündlich. Andere Städte andere Sitten.



Montag, 17. Oktober 2011

Borgia oder We are family!


"Die Borgia waren die erste moderne Familie" sagt Tom Fontana, der Drehbuch-Autor, der viel recherchiert und sich lange mit "Entdeckungen von Historikern" beschäftigt haben soll. 
Also meine ist anders - Gott sei Dank!
Viel Locken, Backenknochen, Brüste und Sixpacks, noch mehr Renaissance! schreiendes Szenenbild und ganz schicke neuangefertigte gebügelte Kostüme. Auch das Volk hat sich für die Aufzeichnung in die Feiertagsklamotten geworfen. Eine schöne saubere Zeit muss das gewesen sein.
Das ganze ähnelt einem Krippenspiel der katholischen Amateurtheatergruppe Unter-Ammergau, nur mit mehr sexähnlichem Rumgewälze als üblich, und dass eben alle Apostel italienische Namen haben.
Leider fallen die wenigen Schauspieler unter den vielen niedlichen südländisch aussehenden Laien nur wenig ins Gewicht. 
Und die Dialoge!
„Es ist heiß heute.“
„Ja, letztes Jahr, 1498, war es kühler, Deine Schwester Lucrezia, die Tochter des Papstes, soll ja demnächst heiraten, habe ich gehört, mein lieber Cesare?“
Worauf sich Cesare entweder das Hemd vom Leibe reißt, um sich eine Runde zu peitschen, oder dem Frager ein oder mehrere Körperteile mit dem Degen absäbelt.
Übrigens, aus dem Handbuch für TV-Darsteller Kategorie B: Hauchen macht sexy und Backenmuskeln anspannen wirkt männlich.

Pinturicchio, (wahrscheinlich Lucrezia Borgia) als Heilige Katharina, wahrscheinlich Ende des 15 Jh.

Sonntag, 16. Oktober 2011

Goethes zwei linke Füsse

1787 Johann Heinrich Wilhelm Tischbein Goethe in der Campagna
Genau hinschauen, da stimmt was nicht. Der Mann hat zwei linke Füsse. Liegt da eine tiefere Bedeutung versteckt?

Vaterlandsverräter

Gratzik, Paul * 30.11.1935

Biographie Angaben aus „Wer war wer in der DDR?“ (Christoph Links Verlag):

Geboren in Lindenhof (Krs. Lötzen, Ostpr./Lipowy Dwor, Polen); Vater Landarbeiter; Volksschule; 1952 – 54 Ausbildung zum Tischler; arbeitete als Bauarbeiter im Ruhrgebiet, in Berlin u. Weimar; danach im Braunkohletagebau in Schlabendorf; 1962 Funktionär der FDJ-Kreisleitung Weimar, Sektorenleiter im Jugenklubhaus »Walter Ulbricht«; 1962 – 81 als IM »Peter« für das MfS erfaßt, 82 Beendigung der IM-Tätigkeit durch Verweigerung weiterer Zusammenarbeit; 1963 – 68 Studium am IfL in Weimar; 1968 Aufnahme zum Studium am Literatur-Institut »Johannes R. Becher« in Leipzig, wurde jedoch nach kurzer Zeit relegiert; Arbeit als Erzieher; ab 1971 freischaffend; Mitglied des Schriftsteller Verbandes; seit 1974 neben schriftsteller. Arbeit auch Teilzeitarbeit im VEB Transformatoren- u. Röntgenwerk in Dresden; seit 1977 in Berlin; Autor am Berliner Ensemble; 1980 Heinrich-Heine-Preis; 1984 – 89 in der OPK (Operative Personenkontrolle) »Kutte« vom MfS erfaßt
Debütierte als Dramatiker (»Umwege. Bilder aus dem Leben des jungen Motorenschlossers Michael Runna« UA 1970); Grundlage seiner literarischen Arbeiten ist eigenes Erleben der realsozialistischen Arbeitswelt; kam mit seinem ungeschminkten Realismus – auch mit Berichten aus gesellschaftlihen Tabuzonen (Jugendwerkhof) – in Konflikte mit der Zensur.
1997 Uraufführung von G.s Bühnenbearbeitung der »Litauschen Claviere« (Johannes Bobrowski) in Berlin.




itworksmedien ("Flake", "Die Fotografin Sybille Bergemann") hatte heute offizielle Berlin-Premiere, mit ihrem schon bei den Berliner Filmfestspielen gezeigten Dokumentar-Film "Landesverräter", in Anwesenheit des Teams und des Mannes, um den es sich handelt, Paul Gratzik.
Harter Tobak. Ich habe vor Unwohlsein geschwitzt, nicht wegen des Filmes, aber ob der abrupt wechselnden Selbstsicht und Selbstdarstellung des Titel-"Helden". Dieses körperliche Gefühl, schwankend zwischen Fassungslosigkeit, Abwehr, Zorn und Trauer wurde dann ganz und gar beherrschend, als Gratzik anschließend zu dem Film sprach und scheinbar alle empfundenen Zweifel und alle Selbstverdammung bei Seite schob, einen gedanklichen Salto vollzog und, wie er sagte, "angesichts der uns bevorstehenden viel schlimmeren Katastrophen", die Notwendigkeit der Stasi-Arbeit lobpreiste. Grauenhaft. Da wurde Unrecht gegeneinander aufgewogen und das eigene plötzlich als leicht empfunden. Da wurde der gute alte Imperialismus zur Selbstentschuldigung benutzt. Und sogar der eigentlich erstaunliche Punkt, dass er nämlich 1982 bei der Stasi "gekündigt" und sich den bespitzelten Freunden offenbart hatte, um dann selbst zum observierten Objekt zu werden, wieder in Frage gestellt.
Ein nötiger Film über das Land in dem ich aufgewachsen bin, und das sich im medialen Durcheinander und der revisionistischen Sentimentalität vieler seiner ehemaligen Bewohner immer mehr zu verharmlosen scheint.

Es wäre noch viel zu sagen, aber dazu brauche ich Denkzeit.
Der Film läuft jetzt in mehreren Berliner Kinos an.



http://itworksmedien.com/films/vaterlandsverrater/

Oscar Wilde geboren am 16. Oktober 1854


Joan Miro The Nightingale's Song at Midnight and the Morning Rain 

Oscar Wilde: Die Nachtigall und die Rose

"Sie sagte, sie würde mit mir tanzen, wenn ich ihr rote Rosen brächte", rief der junge Student, "aber in meinem ganzen Garten ist keine rote Rose." In ihrem Nest auf dem Eichbaum hörte ihn die Nachtigall, guckte durch das Laub und wunderte sich.

"Keine rote Rose in meinem ganzen Garten!" rief er, und seine schönen Augen waren voll Tränen. "Ach, an was für kleinen Dingen das Glück hängt. Alles habe ich gelesen, was weise Männer geschrieben haben, alle Geheimnisse der Philosophie sind mein, und wegen einer roten Rose ist mein Leben unglücklich und elend."

"Das ist endlich einmal ein treuer Liebhaber," sagte die Nachtigall. "Nacht für Nacht habe ich von ihm gesungen, obgleich ich ihn nicht kannte. Nacht für Nacht habe ich seine Geschichte den Sternen erzählt, und nun seh ich ihn. Sein Haar ist dunkel wie die Hyazinthe, und sein Mund ist rot wie die Rose seiner Sehnsucht. Aber Leidenschaft hat sein Gesicht bleich wie Elfenbein gemacht, und der Kummer hat ihm sein Siegel auf die Stirn gedrückt."

"Der Prinz gibt morgen nacht einen Ball", sprach der junge Student leise, "und meine Geliebte wird da sein. Wenn ich ihr eine rote Rose bringe, wird sie mit mir tanzen bis zum Morgen. Wenn ich ihr eine rote Rose bringe, wird sie ihren Kopf an meine Schulter lehnen, und ihre Hand wird in der meinen liegen. Aber in meinem Garten ist keine rote Rose, so werde ich einsam sitzen, und sie wird an mir vorübergehen. Sie wird meiner nicht achten, und mir wird das Herz brechen."

"Das ist wirklich der treue Liebhaber", sagte die Nachtigall. "Was ich singe, um das leidet er. Was mir Freude ist, das ist ihm Schmerz. Wahrhaftig, die Liebe ist etwas Wundervolles! Kostbarer ist sie als Smaragde und teurer als feine Opale. Perlen und Granaten können sie nicht kaufen, und auf den Märkten wird sie nicht feilgeboten. Sie kann von den Kaufleuten nicht gehandelt werden und kann nicht für Gold aufgewogen werden auf der Waage."

"Die Musikanten werden auf ihrer Galerie sitzen", sagte der junge Student, "und auf ihren Instrumenten spielen, und meine Geliebte wird zum Klang der Harfe und der Geige tanzen. So leicht wird sie tanzen, daß ihre Füße den Boden kaum berühren, und die Höflinge in ihren prächtigen Gewändern werden sich um sie scharen. Aber mit mir wird sie nicht tanzen, denn ich habe keine rote Rose für sie". Und er warf sich ins Gras, barg sein Gesicht in den Händen und weinte.

"Weshalb weint er?" fragte eine grüne Eidechse, während sie mit dem Schwänzchen in der Luft an ihm vorbeilief. "Ja warum?" fragte ein Schmetterling, der einem Sonnenstrahl nachjagte. "Er weint um eine rote Rose", sagte die Nachtigall. "Um eine rote Rose?" riefen alle, "wie lächerlich!". Und die kleine Eidechse, die so etwas wie ein Zyniker war, lachte überlaut.

Aber die Nachtigall wußte um des Studenten Kummer und saß schweigend in der Eiche und sann über das Geheimnis der Liebe. Plötzlich breitete sie ihre braunen Flügel aus und flog auf. Wie ein Schatten huschte sie durch das Gehölz, und wie ein Schatten flog sie über den Garten.

Da stand mitten auf dem Rasen ein wundervoller Rosenstock, und als sie ihn sah, flog sie auf ihn zu und setzte sich auf einen Zweig. "Gib mir eine rote Rose", rief sie, "und ich will dir dafür mein süßestes Lied singen." Aber der Strauch schüttelte seinen Kopf. "Meine Rosen sind weiß", antwortete er, "so weiß wie der Meerschaum und weißer als der Schnee auf den Bergen. Aber geh zu meinem Bruder, der sich um die alte Sonnenuhr rankt, der gibt dir vielleicht, was du verlangst."

So flog die Nachtigall hinüber zu dem Rosenstrauch bei der alten Sonnenuhr. "Gib mir eine rote Rose", rief sie, "und ich will dir dafür mein süßestes Lied singen." Aber der Strauch schüttelte seinen Kopf. "Meine Rosen sind gelb", antwortete er, "so gelb wie das Haar der Seejungfrau, die auf einem Bernsteinthron sitzt, und gelber als die gelbe Narzisse, die auf der Wiese blüht, ehe der Schnitter mit seiner Sense kommt. Aber geh zu meinem Bruder, der unter des Studenten Fenster blüht, und vielleicht gibt der dir, was du verlangst."

So flog die Nachtigall zum Rosenstrauch unter des Studenten Fenster. "Gib mir eine rote Rose", rief sie, "und ich will dir dafür mein süßestes Lied singen." Aber der Rosenstrauch schüttelte den Kopf. "Meine Rosen sind rot", antwortete er, "so rot wie die Füße der Taube und röter als die Korallenfächer, die in der Meergrotte fächeln. Aber der Winter ließ meine Adern erstarren, der Frost hat meine Knospen zerbissen und der Sturm meine Zweige gebrochen, und so habe ich keine Rosen dies ganze Jahr."

"Nur eine einzige rote Rose brauche ich", rief die Nachtigall, "nur eine rote Rose! Gibt es denn nichts, daß ich eine rote Rose bekomme?" "Ein Mittel gibt es", antwortete der Baum, "aber es ist so schrecklich, daß ich mir es dir nicht zu sagen traue." "Sag es mir", sprach die Nachtigall ohne zu zögern, "ich fürchte mich nicht."

"Wenn du eine rote Rose haben willst", sagte der Baum, "dann mußt du sie beim Mondlicht aus Liedern machen und sie färben mit deinem eigenen Herzblut. Du mußt für mich singen und deine Brust an einen Dorn pressen. Die ganze Nacht mußt du singen, und der Dorn muß dein Herz durchbohren, und dein Lebensblut muß in meine Adern fließen und mein werden."

"Der Tod ist ein hoher Preis für eine rote Rose", sagte die Nachtigall, "und das Leben ist allen sehr teuer. Es ist lustig, im grünen Wald zu sitzen und die Sonne in ihrem goldenen Wagen zu sehen und den Mond in seinem Perlenwagen. Süß ist der Duft des Weißdorns, und süß sind die Glockenblumen im Tal und das Heidekraut auf den Hügeln. Aber die Liebe ist besser als das Leben, und was ist ein Vogelherz gegen ein Menschenherz?"

So breitete sie ihre braunen Flügel und flog auf. Wie ein Schatten schwebte sie über den Gatten, und wie ein Schatten huschte sie durch das Gehölz. Da lag noch der junge Student im Gras, wie sie ihn verlassen hatte, und die Tränen in seinen schönen Augen waren noch nicht getrocknet.

"Freu dich", rief die Nachtigall, "freu dich. Du sollst deine rote Rose haben. Ich will sie beim Mondlicht bilden aus Liedern und färben mit meinem eigenen Herzblut. Alles, was ich von dir dafür verlange, ist, daß du deiner Liebe treu bleiben sollst. Denn die Liebe ist weiser als die Philosophie, wenn die auch weise ist, und mächtiger als die Gewalt, wenn die auch mächtig ist. Flammfarben sind ihre Flügel, und flammfarben ist ihr Leib. Ihre Lippen sind süß wie Honig, und ihr Atem ist Weihrauch."

Der Student blickte aus dem Gras auf und horchte. Aber er konnte nicht verstehen, was die Nachtigall zu ihm sprach, denn er verstand nur die Bücher. Aber die Eiche verstand und wurde traurig, denn sie liebte die kleine Nachtigall sehr, die ihr Nest in ihren Zweigen gebaut hatte. "Sing mir noch ein letztes Lied", flüsterte sie, "ich werd mich sehr einsam fühlen, wenn du fort bist." Und die Nachtigall sang für die Eiche, und ihre Stimme war wie Wasser, das aus einem silbernen Krug springt.

Als sie ihr Lied beendet hatte, stand der Student auf und nahm ein Notizbuch und eine Bleistift aus der Tasche. Sinnend schaute er vor sich hin. "Sie hat Form", sagte er zu sich, als er aus dem Gehölz schritt, "Sie hat ein Formtalent, das kann ihr nicht abgesprochen werden. Aber ob sie auch Gefühl hat? Ich fürchte, nein. Sie wird wohl sein wie die meisten Künstler: alles nur Stil und keine echte Innerlichkeit. Sie würde sich kaum für andere opfern. Sie denkt vor allem an die Musik, und man weiß ja, wie egoistisch die Künste sind. Aber zugeben muß man, sie hat einige schöne Töne in ihrer Stimme. Schade, daß sie gar keinen Sinn haben, nichts ausdrücken und ohne praktischen Wert sind."

Und er ging auf sein Zimmer und legte sich auf sein schmales Feldbett und fing an, an seine Liebe zu denken. Bald war er eingeschlafen. Und als der Mond in den Himmel schien, flog die Nachtigall zu dem Rosenstrauch und preßte ihre Brust gegen den Dorn. Die ganze Nacht sang sie, die Brust gegen den Dorn gepreßt, und der kalte kristallene Mond neigte sich herab und lauschte. Die ganze Nacht sang sie, und der Dorn drang tiefer und tiefer in ihre Brust, und ihr Lebensblut sickerte weg.

Zuerst sang sie von dem Werden der Liebe in dem Herzen eines Knaben und eines Mädchens. Und an der Spitze des Rosenstrauchs erblühte eine herrliche Rose, Blatt reihte sich an Blatt, wie Lied auf Lied. Erst war sie bleich wie der Nebel, der über dem Fluß hängt, bleich wie die Füße des Morgens und silbern wie die Flügel des Dämmers. Wie das Schattenbild einer Rose in einem Silberspiegel, wie das Schattenbild einer Rose im Teich, so war die Rose, die aufblühte an der Spitze des Rosenstocks.

Der aber rief der Nachtigall zu, daß sie sich fester noch gegen den Dorn presse. "Drück fester, kleine Nachtigall", rief er, "sonst bricht der Tag an, bevor die Rose vollendet ist." Und so drückte die Nachtigall sich fester gegen den Dorn, und lauter und lauter wurde ihr Lied, denn sie sang nun von dem Erwachen der Leidenschaft in der Seele von Mann und Weib. Und ein zartes Rot kam auf die Blätter der Rose, wie das Erröten auf das Antlitz des Bräutigams, wenn er die Lippen seiner Braut küßt.

Aber der Dorn hatte ihr Herz noch nicht getroffen, und so blieb das Herz der Rose weiß, denn bloß einer Nachtigall Herzblut kann das Herz einer Rose färben. Und der Baum rief der Nachtigall zu, daß sie sich fester noch gegen den Dorn drücke. "Drück fester, kleine Nachtigall", rief er, "sonst ist es Tag, bevor die Rose vollendet ist." Und so drückte die Nachtigall sich fester gegen den Dorn, und der Dorn berührte ihr Herz, und ein heftiger Schmerz durchzuckte sie. Bitter, bitter war der Schmerz, und wilder, wilder wurde das Lied, denn sie sang nun von der Liebe, die der Tod verklärt, von der Liebe, die auch im Grab nicht stirbt. Und die wundervolle Rose färbte sich rot wie die Rose des östlichen Himmels. Rot war der Gürtel ihrere Blätter, und rot wie ein Rubin war ihr Herz. Aber die Stimme der Nachtigall wurde schwächer, und ihre kleinen Flügel begannen zu flattern, und ein leichter Schleier kam über ihre Augen. Schwächer und schwächer wurde ihr Lied, und sie fühlte etwas in der Kehle.

Dann schluchzte sie noch einmal auf in letzten Tönen. Der weiße Mond hörte es, und er vergaß unterzugehen und verweilte am Himmel. Die rote Rose hörte es und zitterte ganz vor Wonne und öffnete ihre Blätter dem kühlen Morgenwind. Das Echo trug es in seine Purpur- höhle in den Bergen und weckte Schläfer aus ihren Träumen. Es schwebte über das Schilf am Fluß, und der trug die Botschaft dem Meere zu. "Sieh, sieh!" rief der Rosenstrauch, "nun ist die Rose fertig". Aber die Nachtigall gab keine Antwort, denn sie lag tot im hohen Gras, mit dem Dorn im Herzen.

Um Mittag öffnete der Student sein Fenster und blickte hinaus. "Was für ein Wunder und Glück!" rief er, "da ist eine rote Rose! Nie in meinem Leben habe ich eine solche Rose gesehen. Sie ist so schön, ich bin sicher, sie hat einen langen lateinischen Namen". Und er lehnte sich hinaus und pflückte sie. Dann setzte er seinen Hut auf und lief ins Haus seines Professors, mit der Rose in der Hand.

Die Tochter des Professors saß in der Einfahrt und wand blaue Seide auf eine Spule, und ihr Hündchen lag ihr zu Füßen. "Ihr sagtet, Ihr würdet mit mir tanzen, wenn ich Euch eine rote Rose brächte", sagte der Student. "Hier ist die röteste Rose der Welt. Tragt sie heut abend an Eurem Herzen, und wenn wir zusammen tanzen, wird sie Euch erzählen, wie ich Euch liebe."

Aber das Mädchen verzog den Mund. "Ich fürchte, sie paßt nicht zu meinem Kleid", sprach sie, "und dann hat mir auch der Neffe des Kammerherrn echte Juwelen geschickt, und das weiß doch jeder, daß Juwelen mehr wert sind als Blumen."

"Wahrhaftig, Ihr seid sehr undankbar", rief der Student gereizt. Und er warf die Rose auf die Straße, wo sie in die Gosse fiel, und ein Wagenrad fuhr darüber. "Undankbar?" sagte das Mädchen, "ich will Euch was sagen: Ihr seid sehr ungezogen - und dann: wer seid Ihr eigentlich? Ein Student, nichts weiter. Ich glaube, Ihr habt nicht einmal Silberschnallen an den Schuhen, wie des Kammerherrn Neffe." Und sie stand auf und ging ins Haus.

"Wie dumm ist doch die Liebe", sagte sich der Student, als er fortging, "sie ist nicht halb so nützlich wie die Logik, denn sie beweist gar nichts und spricht einem immer von Dingen, die nicht geschehen werden, und läßt einen Dinge glauben, die nicht wahr sind. Sie ist wirklich etwas ganz Unpraktisches, und da in unserer Zeit das Praktische alles ist, so gehe ich wieder zur Philosophie und studiere Metaphysik." So ging er wieder auf sein Zimmer und holte ein großes, staubiges Buch hervor und begann zu lesen. 

Rocco Deluca

William Eggleston 2 - MENSCHEN IN FARBE


Ohne Titel c.1971-73 © Eggleston Artistic Trust

Der amerikanische Süden, the South, die 16 südöstlichen Bundesstaaten, südlich der Mason-Dixie Line:
Wiki sagt: Die Grenze zwischen Pensylvania and Maryland, im Missouri Kompromiss von 1820 wurde die westliche Fortsetzung dieser Linie als zukünftige Grenze neuer Sklavenhalter Staaten festgelegt; in allen neu zu formenden Staaten nördlich der Linie sollte die Sklaverei verboten, südlich davon aber erlaubt sein.
 
Hier, vornehmlich in Memphis, lebt Eggleston, auch wenn er mit seiner Arbeit die halbe Welt bereist hat. Subtropisches Klima, ein seltsam sentimentales, hochmütiges, auch ignorantes Verhältnis zur eigenen Geschichte, vornehmlich auf der weissen Seite der Bevölkerung, wunderbare Küche, immer Musik und die Reste hunderter Plantagen, nebst ante-bellum Herrenhaus und Sklavenunterkünften. Es ist heiss und es ist feucht, nach zwei Tagen, schwitzig und seltsam heiß-matt, begreift man die hysterische Depression mancher Tennessee Wiliams Stücke viel besser.  

Sumner, Mississippi, Cassidy Bayou in Background 1969. Dye transfer print © William Eggleston

Eggleston ist Trinker mit unzähligen meist abgebrochenen Entzügen, er ist verheiratet mit seiner Jugendliebe und stolz auf zahlreiche Liebschaften, er raucht wie ein Schlot. Er sammelt Waffen, und Kameras und hat mehrmals wegen Schlägereien im Gefängnis gesessen. Er komponiert und spielt klassische Musik, betrunken singt er gelegentlich. Er hat einen, natürlich, schwarzen Chauffeur, er ihn im Cadillac oder Bentley herumfährt. Heute begleitet ihn oft einer seiner Söhne zu Terminen, auch weil Eggleston in Interviews manchmal gar nicht spricht.

Und er photographiert. Er nennt es "demokratisch", was wohl sowohl das zu photographierende Objekt meint, als auch die Art zu photographieren. Ein Schuß und der muß sitzen.

Huntsville, Alabama, 1971 © Eggleston Artistic Trust

Morton, Mississippi 1969. Dye transfer print © 2011 William Eggleston

Huntsville, Alabama 1969-70. Dye transfer print © 2011 William Eggleston