Wir sind viel gelaufen in diesem Urlaub. Haben viel gesehen. Nicht alles verstanden. Und mein Kopf ist zum Bersten gefüllt mit Bildern & Fragen & Schönheit, aber auch mit Zorn, der mir als schwerer Klumpen im Magen liegt und sich nicht verflüchtigen will.
Wie soll ich meinen Zorn erklären?
Mit der erdrückenden Allgegenwärtigkeit von Religion? Gesungen, gerufen, geschrien, plakatiert, gedruckt, vor sich her getragen in Kostüm, Haltung und Umgang? Es gibt aus dieser Totalbeschallung kein Entkommen. Auch auf unserem Boot mitten auf dem Nil dröhnen die Stimmen der lautsprecherverstärkten Muezzine in meine unwilligen Ohren. Viele tiefreligiöse muslimische Männer haben schwarze Stellen auf der Stirn, die sogenannte Rosine. Als Beweis für die Intensität ihres Glaubens pressen sie ihre Stirn besonders fest auf den Gebetsteppich. Manche dieser Flecken sind vereitert und verschorft. Mir wurde erzählt, dass in einem Wettbewerb der sichtbaren Gläubigkeit, die wunde Stelle absichtlich aufgerieben wird.
Mit
der mich bestürzenden Allgegenwart von unangefochtener Männerherrschaft?
Überall sitzen & stehen Männer herum und quatschen und rauchen Shisha oder Zigaretten und tun sonst scheinbar nicht viel. Verheiratete Frauen,
verhängt, zugehängt, geschwärzt hasten durch die Gegend mit vielen Kindern im
Schlepptau. Junge Mädchen sind lustig und supersexy geschminkt, aber
auch sie tragen artig bei um die dreissig Grad zwei Kopftücher, ihre Zukunft scheint unvermeidbar. Kleine Mädchen, hinreißende Prinzessinen, dürfen noch unbemützt laufen. Ihr Kopf ist noch frei. Wiki sagt, dass noch 1970 die meisten Frauen ihr Haar nicht bedeckten. Jetzt erwische ich mich dabei, wie ich jedem weiblichen Wesen mit sichtbarem Haar verschwörerisch zulächle, sei sie Koptin, Touristin oder widerständlerisch.
Mit der Apathie dem unglaublichen Dreck gegenüber, der fast jede Ecke zu füllen scheint? Leere Plastikflaschen werden aufgesammelt, sie bringen Geld, alles andere bleibt liegen, wo es hingeschmissen wird. Das nubische Dorf, das wir heute besucht haben, sah aus wie eine riesige Müllkippe und darin saßen wunderschöne Frauen mit wunderhübschen Kindern und ein großgewachsener alter Mann mit strahlendweißem langen Hemd führte uns durch diese traurige Gegend und schien, den Schmutz nicht einmal zu bemerken.
Mit der Art, wie Tiere behandelt werden? Hunde gelten als "schmutzig", Katzen bleiben unbeachtet, Esel werden mit dem Stock geschlagen, halbverhungerte Pferde auf der Weide, so festgebunden, dass sie nicht an das etwas entferntere sattere Gras herankommen. Nebenbei, Eselsschreie klingen wie verzweifelter Protest.
Mit dem Wissen, das in dieser Landschaft schon vor 5000 Jahren großartige Kunstwerke entstanden & eine hochorganisierte Kultur existierte, als in meiner heimatlichen Gegend noch Holzkeulen gegen Wildschweine geschwungen wurden? Aber auch in den Zeiten der Pharaonen haben die Vielen für die selbstherrlich Herrschenden geschuftet und sind durch Gewalt und komplizierteste Glaubenskonstruktionen im gehorsamen Zaum gehalten worden.
Mit der sichtbaren Herrschaft des Militärs über jeden Aspekt des hiesigen Alltags? Kontrollen vor jedem staatlichen Gebäude, in jeder U-Bahn, jedem Museum, jedem Tempel, jeder Kirche. Die Armee bietet eine der wenigen Aufstiegschancen für junge Männer ohne finanzstarke Verwandtschaft und dann stehen sie mit Maschinenpistolen und schicken schwarzen Uniformen an jeder zweiten Ecke und schützen uns vor genau was?
Das Militär ist hier auch Großgrundbesitzer, ist der Eigentümer von Hotels & Fabriken.
Mit meiner Hilflosigkeit dem Elend gegenüber? Mit meinem schlechten Gewissen, weil es mir so sehr viel besser geht, als den meisten hier?