Mittwoch, 15. November 2017

Ägypten 4 - Beine

Wir sind viel gelaufen in diesem Urlaub. Haben viel gesehen. Nicht alles verstanden. Und mein Kopf ist zum Bersten gefüllt mit Bildern & Fragen & Schönheit, aber auch mit Zorn, der mir als schwerer Klumpen im Magen liegt und sich nicht verflüchtigen will.

Wie soll ich meinen Zorn erklären? 

Mit der erdrückenden Allgegenwärtigkeit von Religion? Gesungen, gerufen, geschrien, plakatiert, gedruckt, vor sich her getragen in Kostüm, Haltung und Umgang? Es gibt aus dieser Totalbeschallung kein Entkommen. Auch auf unserem Boot mitten auf dem Nil dröhnen die Stimmen der lautsprecherverstärkten Muezzine in meine unwilligen Ohren. Viele tiefreligiöse muslimische Männer haben schwarze Stellen auf der Stirn, die sogenannte Rosine. Als Beweis für die Intensität ihres Glaubens pressen sie ihre Stirn besonders fest auf den Gebetsteppich. Manche dieser Flecken sind vereitert und verschorft. Mir wurde erzählt, dass in einem Wettbewerb der sichtbaren Gläubigkeit, die wunde Stelle absichtlich aufgerieben wird.


Mit der mich bestürzenden Allgegenwart von unangefochtener Männerherrschaft? Überall sitzen & stehen Männer herum und quatschen und rauchen Shisha oder Zigaretten und tun sonst scheinbar nicht viel. Verheiratete Frauen, verhängt, zugehängt, geschwärzt hasten durch die Gegend mit vielen Kindern im Schlepptau. Junge Mädchen sind lustig und supersexy geschminkt, aber auch sie tragen artig bei um die dreissig Grad zwei Kopftücher, ihre Zukunft scheint unvermeidbar. Kleine Mädchen, hinreißende Prinzessinen, dürfen noch unbemützt laufen. Ihr Kopf ist noch frei. Wiki sagt, dass noch 1970 die meisten Frauen ihr Haar nicht bedeckten. Jetzt erwische ich mich dabei, wie ich jedem weiblichen Wesen mit sichtbarem Haar verschwörerisch zulächle, sei sie Koptin, Touristin oder widerständlerisch.


Mit der Apathie dem unglaublichen Dreck gegenüber, der fast jede Ecke zu füllen scheint? Leere Plastikflaschen werden aufgesammelt, sie bringen Geld, alles andere bleibt liegen, wo es hingeschmissen wird. Das nubische Dorf, das wir heute besucht haben, sah aus wie eine riesige Müllkippe und darin saßen wunderschöne Frauen mit wunderhübschen Kindern und ein großgewachsener alter Mann mit strahlendweißem langen Hemd führte uns durch diese traurige Gegend und schien, den Schmutz nicht einmal zu bemerken.


Mit der Art, wie Tiere behandelt werden? Hunde gelten als "schmutzig", Katzen bleiben unbeachtet, Esel werden mit dem Stock geschlagen, halbverhungerte Pferde auf der Weide, so festgebunden, dass sie nicht an das etwas entferntere sattere Gras herankommen. Nebenbei, Eselsschreie klingen wie verzweifelter Protest.


 Mit dem Wissen, das in dieser Landschaft schon vor 5000 Jahren großartige Kunstwerke entstanden & eine hochorganisierte Kultur existierte, als in meiner heimatlichen Gegend noch Holzkeulen gegen Wildschweine geschwungen wurden? Aber auch in den Zeiten der Pharaonen haben die Vielen für die selbstherrlich Herrschenden geschuftet und sind durch Gewalt und komplizierteste Glaubenskonstruktionen im gehorsamen Zaum gehalten worden.


Mit der sichtbaren Herrschaft des Militärs über jeden Aspekt des hiesigen Alltags? Kontrollen vor jedem staatlichen Gebäude, in jeder U-Bahn, jedem Museum, jedem Tempel, jeder Kirche. Die Armee bietet eine der wenigen Aufstiegschancen für junge Männer ohne finanzstarke Verwandtschaft und dann stehen sie mit Maschinenpistolen und schicken schwarzen Uniformen an jeder zweiten Ecke und schützen uns vor genau was? 
Das Militär ist hier auch Großgrundbesitzer, ist der Eigentümer von Hotels & Fabriken.


Mit meiner Hilflosigkeit dem Elend gegenüber? Mit meinem schlechten Gewissen, weil es mir so sehr viel besser geht, als den meisten hier?

Dienstag, 14. November 2017

Ägypten 3 - Religion & Frauen

Fünf mal am Tag ertönt der Ruf zum Gebet von allen Minaretten, und es gibt davon unglaublich viele. Manche sind geschmückt mit Neonröhren in Knallfarben, manche mit bunten Lämpchen verziert, einige strahlen in edlem Weiß. Seit dem Verbot des Abspielens von Tonaufnahmen, wird nun wieder live zum Gebet gerufen. Einige Muezzine singsangen wohlklingend, andere blöken oder schreien, gelegentlich bildet sich aus der Vermischung mehrerer ein eigenartiger Mehrtongesang. 
Religion ist allgegenwärtig. Im Basar tönen dringliche Stimmen aus vielen kleinen Lautsprechern. Sie blubbert aus Radios und auf unzähligen Fernsehsendern palavern alte Männer mit Bärten und zum Teil merkwürdigen Kopfbedeckungen über sie. Auf allen Kairoer U-Bahn-Stationen soll es bald "Orte der religiösen Beratung" geben.
Einerseits wurden die ägyptischen Muslimbrüder durch die "demokratische" Machtübernahme des Militärs in arge Bedrängnis gebracht, andererseits nehmen die schwarz verhüllten Frauen zu. 
Was ist das eigentlich genau - Religion? Komprimierte Angst? Unbedingter Machtwillen? Ja, Angst vor dem Tod, Angst vergessen zu werden, das auch. Aber warum verlangt jeder Errettungsgedanke solch immense Repressionen?

Heute in einer südlichen, schmutzigen Kleinstadt, eine junge Frau, vielleicht achtzehn Jahre alt, das kleine Oval ihres Gesichtes, eingezwängt in festen schwarzen Stoff. Da ging Nofretete, klein, zart, wohlgeformt, mit Mandelaugen, weichem Mund und gerader Nase, sie hatte zwei kleine Kinder bei sich. Es werden sicher noch mehr werden. Der kurze Blick, den sie mir schenkte, war magenumdrehend bestürzend. Ihr Leben ist bereits für sie entschieden worden. 
Keine Überraschung, keine Freude, kein Eigenwillen.
Kinderehen sind zahlreich und die weibliche Beschneidung auch. Wenn Mädchen "Glück" haben, läßt man ihnen ihre äußeren Schamlippen.
Der Koran erwähnt nichts von diesem unerträglichen Gemetzel an Frauen und offiziell ist es auch verboten. Aber ihre Mütter, so sagt man, bestehen darauf, weil es sich so gehört.

Auf dem Bahnhof von Kairo, 
zwei Frauen lächeln, eine andere wendet sich weg, eine vierte verbirgt sich.

Islam heißt ins Deutsche übersetzt, "sich ergeben", der Muslim ist also der sich Ergebende - in den Willen Allahs. Ohne Widerstand, ohne Zweifel, ohne Fragen?
Heute kann ich ihn nicht mehr finden, aber noch 2010 gab es den Fernsehsender "Arab Babes" - arabische Frauen, vollverschleiert, ansonsten nackt. WTF?

Montag, 13. November 2017

Ägypten 2 - Kairo Nachträge

Mir geht es gut.

In Kairo avanciere ich überraschend zum begehrten Photomodell, kleine, bekopftuchte Mädchen und Jungs mit frechen Augen wollen sich unbedingt mit mir photographieren lassen. Endlich exotisch. Doch nach dem dritten Photo ist es mir genug. So auch auf dem Basar, "Hallo!", "Guter Preis!", "Ein Euro!", "Pashmina!", "Taxi?" verneine ich zehnmal, dann stelle ich mich taub. Ein fieses, bedrückendes Spiel, sie brauchen das Geld, dringend und ich kann nicht alles kaufen. Vor etwa zwei Jahren hat das ägyptische Pfund die Hälfte seines Wertes verloren, 1:10 wurde zu 1:20 im Verhältnis zum Euro, ein Erdrutsch, der vielen Bürgern dieses Landes den Boden unter den Füßen weggerissen hat. Hier bin ich die reiche weiße Frau. Ein Schock. Mißtraue ich nun jedem, dem ich begegne, weil er möglicherweise nur an mein europäisches Geld will oder versinke ich in allgemeines Schuldbewußtsein? Denn, wir haben es ja unverhältnismäßig und irgendwie unverdientermaßen gut. Ich mache Urlaub und sie arbeiten, für mich.
Aber ich werde auch oft einfach angelächelt, "Welcome to Egypt", mühsam zusammengesuchte Worte, Freundlichkeit - Fremdheit ohne Feindlichkeit.



Leben heißt sterben.

Die Pyramiden von Gizeh, in tausend Filmen, Dokumentationen, Bildern gesehen, Teil meines persölichen Imaginariums, sehen genauso aus, wie ich es dachte. Nur umgibt sie nicht die erwartete Wüste, sondern die Riesenstadt ist zu ihnen hingewachsen. Gigantisch! Hunderttausende haben hier gegen die Todesangst eines Einzelnen gearbeitet, sind vor Erschöpfung oder Unterernährung gestorben, weil er nicht sterben wollte. Unweit, die Sphinx oder der Sphinx, keiner weiß es, schön, kleiner als erwartet, sehr erodiert. Ihr/sein heiliger Bart befindet sich absurderweise im Britischen Museum in London.

Nach mehrjährigen Verhandlungen zwischen Kairo und London ließ das British Museum vorletzte Woche die Ägypter wissen, daß der begehrte Kinnbart nur leihweise und höchstens für die Dauer von zehn Jahren nach Ägypten zurückkehren dürfe. Die ägyptische Regierung lehnte dieses absurde Angebot ab: Müßte der Sphinx-Bart erst aufwendig eingebaut und später wieder ausgebaut werden, wäre die Statue noch mehr gefährdet als gegenwärtig.
Der Spiegel 9/1989


Sonntag, 12. November 2017

Ägypten 1 - Kairo

TAG EINS

Im Flugzeug von Egyptair ertönt aus dem Bordfernseher gleich nach den Sicherheitshinweisen eine dunkel-sanfte Märchenerzählerstimme und ruft uns zum gemeinsamen Gebet. Die Boeing ist ältlich und topfit, auf den Toiletten finden sich nämlich noch Aschenbecher, wenn auch außer Dienst. 
Dies soll allerdings fürs erste der einzige Ort sein, an dem hier nicht graucht werden darf - ich qualme kindisch-froh im Taxi, in Cafes, im Hotelzimmer.
Das Hotel ist eine Ansammlung von merkwürdigen Widersprüchen, das Treppenhaus heruntergekommen, an der Rezeption lagert ein Knäuel von Kabeln in der Mikrowelle, aber das Zimmer ist wunderbar, die Handtücher in Schwanenform gefaltet und das blitzsaubere Klo schmückt eine Blüte aus Toilettenpapier. 
Ein alter Freund holt uns ab und fährt uns in eine Kneipe mit Alkoholausschank, den wir an diesem Abend wegen Übermüdung aber nicht nutzen, auf dem Weg dorthin überqueren wir den Tahrir-Platz. 
Er war 2011 der Kundgebungsplatz der Kräfte, die gegen/für Mubarak eintraten, und wurde so zum Symbol der ägyptischen Revolution.
Der Freund erzählt vom arabischen Frühling, wie er ihn erlebt hat. Von der hoffnungserfüllten Stimmung, der Sehnsucht nach Freiheit, wenn auch die genaue Definition des Wortes im ahnungslosen Vagen lag. Von den Tagen als seine Schule abgeriegelt war und in der Strasse vor dem Schultor die Leichen der Revolutionsopfer lagen. Von den politischen Manipulationen die sich anschlossen. Von der ökonomisch katastrophalen Lage des Landes. Er liebt es mit verzweifelter Hoffnungslosigkeit.


Früher Dekonstruktivismus im Ägyptischen Museum.

TAG ZWEI


Beim Frühstück schiebt sich am Nebentisch ein schwarzes Vögelchen, eine schmale, junge, vollverschleierte Frau, ihr Frühstück unter das hinderliche Tuch. Ihr Mann, ein Muslimbruder, erkennbar am Bart und der gekürzten Hose, der Knöchel, so will es scheinbar der Prophet, muß frei bleiben, stopft Massen von Süßigkeiten in seinen ohnehin schon feisten Körper.
Trotz des deutlich sichtbaren "Rauchen verboten" Schildes wird auch hier geraucht. 
Die Stadt, ein Moloch. 7 000 000 Einwohner, 16 000 000 in der Metroplregion, kämpfen sich durch den Tag. Ob Autofahrer oder Fußgänger, wer zögert, verliert. Am Morgen habe ich zehn Minuten für eine Straßenüberquerung benötigt, am Abend war ich nur unwesentlich schneller. Solche Art Auto zu fahren habe ich noch nie erlebt, und ich bin gerne und fröhlich in Rom und Paris herumgekutscht. Aber hier? Abenteuerlich, unfaßbar bis lebensgefährlich, Spuren gelten nur als lässig zu mißachtende Vorschläge, Mopeds sind mit vier Personen besetzt oder mit zweien und einem Abwaschtisch, Kleinlaster werden himmelhoch mit Waren vollgestapelt, viele Autos, stammen aus den 60ern und da die Fußgängerwege voll und unbequem sind, latschen auch noch die Fußgänger auf der Strasse. Hupen ist Volkssport. Tohuwabohu. Ein gewöhnlicher deutscher Polizist erläge binnen kurzer Zeit einem Herzinfarkt.

Das Ägyptische Museum, von Franzosen um die Jahrhundertwende erbaut, riesig, unter massivem Polizeischutz, wie alle wichtigen Gebäude, Taschenkontrollen inclusive, der Bau rosafarben und majestätisch. Drinnen fünftausend Jahre menschlichen Könnens, menschlichen Machtge- und Mißbrauches und unserer Fähigkeit zum Imaginieren. So viel Schönes. Fast zu viel! Räume und Räume und Räume voller Mumien und Grabbeigaben und Statuen und Schmuck und historischen Alltagsgegenständen und Tinnef. Pharaonenperrücken aus schwarzer Wolle, viertausend Jahre altes Leinen, fein ziselierter Schmuck.
 
Echnaton, wunderschönes längliches Gesicht, zarter Oberkörper, 
der in einer Birnenform endet. Fett? Schwanger? 


FRAGEN EINES LESENDEN ARBEITERS 
  Wer baute das siebentorige Theben? 
In den Büchern stehen die Namen von Königen. 
Haben die Könige die Felsbrocken herbeigeschleppt? 
Und das mehrmals zerstörte Babylon, 
Wer baute es so viele Male auf ? In welchen Häusern 
Des goldstrahlenden Lima wohnten die Bauleute? 
Wohin gingen an dem Abend, wo die chinesische Mauer fertig war, 
Die Maurer? Das große Rom 
Ist voll von Triumphbögen. Über wen 
Triumphierten die Cäsaren? Hatte das vielbesungene Byzanz 
Nur Paläste für seine Bewohner? Selbst in dem sagenhaften Atlantis 
Brüllten doch in der Nacht, wo das Meer es verschlang, 
Die Ersaufenden nach ihren Sklaven. 
Der junge Alexander eroberte Indien. 
Er allein? 
Cäsar schlug die Gallier. 
Hatte er nicht wenigstens einen Koch bei sich? 
Philipp von Spanien weinte, als seine Flotte 
Untergegangen war. Weinte sonst niemand? 
Friedrich der Zweite siegte im Siebenjährigen Krieg. Wer 
Siegte außer ihm? 
Jede Seite ein Sieg. 
Wer kochte den Siegesschmaus? 
Alle zehn Jahre ein großer Mann. 
Wer bezahlte die Spesen? 
So viele Berichte, 
So viele Fragen.

b.b.


 ÄGYPTISCHE GESICHTER







Und überall Frauen um mich, die ihre Haare und ihren Körper verdecken, aber ihre Gesichter verführerisch schminken, nahezu alle tragen Kopftuch, die meisten zwei übereinander, in vielerlei Bindvariationen, viel zu viele, die meist schwarze Burkha. Und letztere laufen einen Schritt hinter dem bärtigen Gatten und haben oft vier und mehr Kinder dabei. Deutschland findet sich auf der Liste der Staaten, geordnet nach ihrer Gegurtenzahl auf Platz 218, Ägypten liegt mit 23,35 Geburten per 1000 Einwohnern auf Platz 68. 
Ihre unverkleideten Männer wispern "Taxi" oder "Fünf Prozent" in mein Ohr und die mit Witz: "How can I get your money?". Vor jedem Hotel, jeder Werkstatt stehen sechs bis sieben Männer herum, ohne, dass ersichtlich wäre, was genau ihre Aufgabe ist. Ein Land vor der Pleite, ein Land mit mehr als 12 Prozent Arbeitslosigkeit, unter jungen Menschen sind bis zu 28 Prozent. Müll allüberall.

 ÄGYPTISCHER VERFALL

 Abendlicher Basar

Decke im Ägyptischen Museum

 Löwenkopf und Plastiktüten im Ägyptischen Museum


TAG DREI

Wir wandern planlos durch die Stadt, durch Strassen, Gassen, Gässchen, über Müllberge. Die Armut und der damit einhergehende Dreck sind erschütternd. Als wäre die Hoffnungslosigkeit so groß, die Apathie so total, dass die Menschen mit gespenstischer Blindheit für den Zustand ihrer Umgebung geschlagen sind.
















Am Abend essen wir, dem Rat einer jungen Ägypterin folgend, Kushari, eine wohlschmeckende Matschepampe aus Reis, Makkaroni, Linsen und knusprige Zwiebeln, aber wir schlafen schlecht in dieser Nacht und nicht wegen des Essens.


 

Sonntag, 5. November 2017

Das Museum Barberini zeigt DDR Kunst und Kleist ist schwer

Nimm diesen Kuß! – Und bohrten gleich zwölf Kugeln

Dich jetzt in Staub, nicht halten könnt ich mich,
Und jauchzt und weint und spräche: du gefällst mir!
Natalie in H.v.Kleists Prinz Friedrich von Homburg im 4. Auftritt

HINTER DER MASKE. KÜNSTLER IN DER DDR
Museum Barberini 
29. Oktober 2017 bis 4. Februar 2018
Vorrausgeschickt, man sollte sich die diese Ausstellung von oben nach unten ansehen, im zweiten Stock beginnend. Ich hatte den Tipp von einem Facebook-Freund. Ganz oben drei Räume mit Werken, die einst im Palast der Republik hingen. Friede seiner häßlichen, aber durchaus berlintauglichen Asche. 
Das ist ein äußerst kluger Dreh, denn hier hängt das staatstragende, sich ihm anschmiegende, aus Diensteifer gänzlich verkrampfte Grauen. Für jeden, dessen visuelles Gedächtnis Verblassungen aufweist eine exzellenter Auffrischer. Grauenhaft. Traurig. Oder, wie bei Tübke in der Historie bis zur Unkenntlichkeit untertauchend.
Danach wird es besser, viel besser! Immer mal wieder zwischendurch altbekannte DDR-Arbeiter-Portraits, aber eben auch Frechheiten, wildes Abweichlertum, schlaues Umfahren und einfach großartige Werke. 
Trak Wendisch Der Seiltänzer
 
Der Besuch lohnt sich. Und das Museum ist leicht zu erreichen, erst die S-Bahn und dann nur 700 Meter Fußweg. Wenn ich denke, wie viele hunderte Stunden ich bei DEFA-Drehs um dieses unüberbrückbare West-Berlin herumgefahren bin! Der Bau ist wirklich schön. Friedrich der Große hat ihn 1771/72 als herrschaftliches Haus in Auftrag gegeben, 1945 wurde er durch Bomben zerstört. Hasso Plattner, ein enorm reicher Software-Unternehmer, gibt einen Teil seines Geldes für sehr nützliche Dinge her, wie z.B. den Wiederaufbau eben dieses Hauses. Er ist ein Mäzen der Wissenschaft und der Künste. Wiki definiert das Wort so: "Ein Mäzen, auch Mäzenat, weiblich Mäzenin bzw. Mäzenatin, ist eine Person, die eine Institution, kommunale Einrichtung oder Person mit Geld oder geldwerten Mitteln bei der Umsetzung eines Vorhabens unterstützt, ohne eine direkte Gegenleistung zu verlangen. Die Bezeichnung Mäzen leitet sich von dem Etrusker und Römer Gaius Cilnius Maecenas her, der in augusteischer Zeit Dichter wie Vergil, Properz und Horaz förderte." Allerdings was heißt, dass keine direkte Gegenleistung erwartet wird? Steuererlässe? Vielleicht ist er einfach nur ein anständiger Mann mit mehr Geld, als statthaft ist.

Dann haben wir uns im Hans-Otto-Theater in einer 17.00 Uhr Vorstellung den "Prinzen von Homburg" von Kleist angesehen und wiedereinmal bin ich in den Riss zwischen den Generationen gefallen. Ich sah die private Not eines hochsensiblen Hysterikers und hoffte auf den Schrecken eines Menschen, der sich seiner selbst sicher sein konnte, bis ihm dies nicht mehr möglich war. Kleists Figuren, so lese ich es, wissen mit felsenfester Sicherheit wer sie sind, bis ihr Herz, Unterbewußtsein, Magen ihnen mitteilt, dass sie einem Irrtum unterliegen. Sie kämpfen dagegen an mit aller Kraft. Aber am Ende siegt immer die Liebe und der Tod. Amit Epstein hat dazu die mit großem Abstand häßlichsten Kostüme meiner bisherigen Theatererfahrung entworfen.  
Das Leben nennt der Derwisch eine Reise,
Und eine kurze. Freilich! Von zwei Spannen
Diesseits der Erde nach zwei Spannen drunter.
Ich will auf halbem Weg mich niederlassen!
Wer heut sein Haupt noch auf der Schulter trägt,
Hängt es schon morgen zitternd auf den Leib,
Und übermorgen liegts bei seiner Ferse.
Zwar, eine Sonne, sagt man, scheint dort auch,
Und über buntre Felder noch, als hier:
Ich glaubs; nur schade, daß das Auge modert,
Das diese Herrlichkeit erblicken soll.
H.v.Kleist Prinz Friedrich von Homburg 3. Auftritt 

Donnerstag, 2. November 2017

Ich auch, und ihr? Etwa auch?

Kevin Spacey, Dustin Hoffman die Liste der Täter wird länger, täglich. Diese Kerle haben sich schlecht benommen. Sie waren zu bestimmten Zeiten, betrunken oder nüchtern, Arschlöcher. Aber gibt es auch weibliche Mistschweine?
"House of Cards" wird keine nächste Staffel haben, "Reifeprüfung" ist nun ein mieser Film? 
Ich weiß nicht mehr, was ich meinen soll. 
Wie werden wir in Zukunft miteinander umgehen? 
Ich bin aus diesen Kämpfen, unfreiwillig, raus. 
Frauen außerhalb des gebärfähigen Alter sind, für Jäger, nahezu unsichtbar. 
Aber wie läuft es jetzt zwischen euch jungen, unbedachten, sehnsüchtigen Unsicheren? 
Vergewaltigung ist ein Verbrechen. Mißbrauch von ökonomischer Macht zur Befriedigung nicht erwiederten Verlangens sollte es sein.
Aber. ABER. Aber, was ist, wenn mein Vierzehnjähriges Ich sich in einen um vieles Älteren verliebt? 
Wenn Karrierewunsch und Bewahrung der eigenen Würde mein persönlicher Kampf ist? Und diesen Kampf habe ich gebraucht, um die zu werden, die ich bin.
Mit Vierzehn war ich außen vor, ahnungslos, aber schon mit Sechzehn habe ich dumme Entscheidungen ganz allein, absichtsvoll getroffen, aus Abenteuerlust, um wildes Zeug zu erleben, um Spaß zu haben, um erwachsen zu werden. 
War ich also Opfer, der Männer, die ich in diesem Alter gevögelt habe, oder haben sie mich mißbräuchlich gevögelt? Wer hat wen erjagt?
Ich weiß um die Macht weißer Männer, aber ich weiß auch um meine jugendliche Lust auf Abenteuer, um meine mir noch selbst unbekannte Lust. 
Ich kann mit meinen Irrtümern leben. 
Bin ich trotzdem ein Opfer? Oder ein experimentierfreudiges pubertierendes Mädchen mit heftigen eigenen Interessen?
Ich weiß es nicht. Und mag Männer immer noch, nicht alle, aber manche. Und mit Frauen geht es mir genauso.
Machtmißbrauch ist ein subtiles Maschinengewehr. Wer schießt?



nnn

Montag, 30. Oktober 2017

Jeanne Mammen & The Square

Wieder mal die Berlinische Galerie in der Alten Jakobstrasse, die ist immer einen Besuch wert. Jeanne Mammen geboren am 21. November 1890 in Berlin, gestorben am 22. April 1976 ebenda, sehr erfolgreich bis 1933, dann Rückzug, um zu Überleben arbeitet sie als Gebrauchsgrafikerin. Sie notiert "Ende meiner realistischen Periode". Und „Ich habe mich getarnt. Eine Frau als Gebrauchsgrafikerin: Die macht Blümchen.“  Später war sie lang fast vergessen, hat aber immer weiter experimentiert. Wieviele Leben, selbst von Überlebenden, tief eingerissen wurden durch diese verfluchten 12 Jahre.




1947, als ihre Kunst zum ersten Mal seit dem Zweiten Weltkrieg wieder in einer Einzelausstellung präsentiert wurde, zeichnete sie für den Almanach der Galerie Rosen statt einer Vita einfach eine krakelige Linie und schrieb darunter:
„Das ist mein Lebenslauf – er fing mal an und hörte noch nicht auf.“ 
https://www.berlinischegalerie.de/ausstellungen-berlin/aktuell/jeanne-mammen/jeanne-mammen-die-beobachterin/aeusserlicher-kurzbericht/

 
L’art pour L’art
Das Schwirren eines aufgeschreckten Sperlings
begeistert Korf zu einem Kunstgebilde,
das nur aus Blicken, Mienen und Geberden
besteht. Man kommt mit Apparaten,
es aufzunehmen; doch v. Korf ‚entsinnt sich
des Werks nicht mehr‘, entsinnt sich keines Werks mehr
anläßlich eines ‚aufgeregten Sperlings‘.

Christian Morgenstern 1932


Anmutig und herb.
Kurt Tucholsky über J.M.


The Square ein dänischer Film von Ruben Östlund mit Claes Bang (dänisch für Klaus Knall?) in der Hauptrolle. "hm ja durchwachsen, schlechte synchro, mal so mal so, mal platt, mal harter toback, mal gut, recht böser humor" schrieb ein Bekannter. Ich fand ein langer Film, toll photographiert, nicht langweilig, oft überraschend, manchmal überdeutlich und die Schlußsequenz macht klar, was bis dahin dunkel blieb. Ich bin froh, dass ich den Film gesehen habe und Claes Bang ist sehr cool.


Sonntag, 29. Oktober 2017

Wörter klingen - Bilder entstehen

Eine nicht erinnerte, mir nur von meiner Mutter, die heute Geburtstag hätte, würde sie noch am Leben sein, berichtete Episode aus meiner frühesten Kindheit: ich, ihr neues, erstes Baby wird angepriesen, als blond, fett, ausgeglichen und blauäugig, die Gäste bereiten den erwarteten Jubel vor und treffen auf mich, den Säugling im Gitterbett, mild grinsend und über und über mit der mir eigenen Kinderkacke beschmiert. Kontrastbild: blond und dunkelbraun.
Wir bennenen es nur ungern. Obwohl jeder von uns es produziert. Es ist unser völlig idiotisches, geteiltes Geheimnis. Wir essen und verdauen und scheiden die unverdauten Reste aus. Oben geht Nahrung rein, unten kommt Scheiße raus. Warum ist uns das so peinlich?

Die Kackwurst, ein Kinderwort - in meinem Kopf das Bild von etwas länglichem, rundlichen, mittelbraun, nahezu geruchlos. Das erstemal eigenständig auf einer Toilette oder in einen Nachttopf, Windeln werden bald ein vergessenes Wort sein. Hurra!
Aber es gibt auch viele andere Worte für diese menschliche Ausscheidung, zum Beispiel: Scheiße, Kacke, Kot, Stuhl, Darmausscheidung, Haufen, Fäzes, Fäkalien, Exkrement, Schiß, Kaviar.  
Jedes dieser Synonyme, sprachlichen Entsprechungen hat einen eigenen Geruch, eine eigene Deutung, ein eigenes damit verbundenes Gefühl.
Stuhl wird in kleinen Gläsern in Labore gesandt, zur Untersuchung.
Schiß ist, wenn es denn ein guter ist, befreiend, oder er impliziert Angst.
Kacke klingt wie infantiles Schimpfwort.

Kot ist zu untersuchen. Ein Indiz für etwas.
Die Darmausscheidung vermeidet den Ekel und übersetzt ihn hilfreich ins medizinische.
Der Haufen wurde von einem Tier ausgeschieden.
Fäkalien kommen nur in Masse vor. Sie sind Teil des Abwassers, des Abfalls, den wir als Rasse erzeugen.

Fäzes kenne ich nur im Zusammenhang von Kriminalromanen und pathologischen Untersuchungen. 

Kaviar nennt man es in Anzeigen sexueller Art. Ein Euphemismus, Wiki bezeichnet das als Glimpfwort, Beschönigung, Hehlwort, Hüllwort oder Verbrämung. Glimpfwort, als Gegensatz zur Verunglimpfung habe ich das erst heute kennengelernt.
Scheiße ist ein gutes Wort. Das deutsche Equivalent zum englischen "Fuck you". Ich liebe dieses Wort. Es ist ist hart, kurz und und nicht zu verniedlichen. Was Scheiße ist, wird nicht als etwas anderes mißverstanden werden.