Mittwoch, 15. November 2017

Ägypten 4 - Beine

Wir sind viel gelaufen in diesem Urlaub. Haben viel gesehen. Nicht alles verstanden. Und mein Kopf ist zum Bersten gefüllt mit Bildern & Fragen & Schönheit, aber auch mit Zorn, der mir als schwerer Klumpen im Magen liegt und sich nicht verflüchtigen will.

Wie soll ich meinen Zorn erklären? 

Mit der erdrückenden Allgegenwärtigkeit von Religion? Gesungen, gerufen, geschrien, plakatiert, gedruckt, vor sich her getragen in Kostüm, Haltung und Umgang? Es gibt aus dieser Totalbeschallung kein Entkommen. Auch auf unserem Boot mitten auf dem Nil dröhnen die Stimmen der lautsprecherverstärkten Muezzine in meine unwilligen Ohren. Viele tiefreligiöse muslimische Männer haben schwarze Stellen auf der Stirn, die sogenannte Rosine. Als Beweis für die Intensität ihres Glaubens pressen sie ihre Stirn besonders fest auf den Gebetsteppich. Manche dieser Flecken sind vereitert und verschorft. Mir wurde erzählt, dass in einem Wettbewerb der sichtbaren Gläubigkeit, die wunde Stelle absichtlich aufgerieben wird.


Mit der mich bestürzenden Allgegenwart von unangefochtener Männerherrschaft? Überall sitzen & stehen Männer herum und quatschen und rauchen Shisha oder Zigaretten und tun sonst scheinbar nicht viel. Verheiratete Frauen, verhängt, zugehängt, geschwärzt hasten durch die Gegend mit vielen Kindern im Schlepptau. Junge Mädchen sind lustig und supersexy geschminkt, aber auch sie tragen artig bei um die dreissig Grad zwei Kopftücher, ihre Zukunft scheint unvermeidbar. Kleine Mädchen, hinreißende Prinzessinen, dürfen noch unbemützt laufen. Ihr Kopf ist noch frei. Wiki sagt, dass noch 1970 die meisten Frauen ihr Haar nicht bedeckten. Jetzt erwische ich mich dabei, wie ich jedem weiblichen Wesen mit sichtbarem Haar verschwörerisch zulächle, sei sie Koptin, Touristin oder widerständlerisch.


Mit der Apathie dem unglaublichen Dreck gegenüber, der fast jede Ecke zu füllen scheint? Leere Plastikflaschen werden aufgesammelt, sie bringen Geld, alles andere bleibt liegen, wo es hingeschmissen wird. Das nubische Dorf, das wir heute besucht haben, sah aus wie eine riesige Müllkippe und darin saßen wunderschöne Frauen mit wunderhübschen Kindern und ein großgewachsener alter Mann mit strahlendweißem langen Hemd führte uns durch diese traurige Gegend und schien, den Schmutz nicht einmal zu bemerken.


Mit der Art, wie Tiere behandelt werden? Hunde gelten als "schmutzig", Katzen bleiben unbeachtet, Esel werden mit dem Stock geschlagen, halbverhungerte Pferde auf der Weide, so festgebunden, dass sie nicht an das etwas entferntere sattere Gras herankommen. Nebenbei, Eselsschreie klingen wie verzweifelter Protest.


 Mit dem Wissen, das in dieser Landschaft schon vor 5000 Jahren großartige Kunstwerke entstanden & eine hochorganisierte Kultur existierte, als in meiner heimatlichen Gegend noch Holzkeulen gegen Wildschweine geschwungen wurden? Aber auch in den Zeiten der Pharaonen haben die Vielen für die selbstherrlich Herrschenden geschuftet und sind durch Gewalt und komplizierteste Glaubenskonstruktionen im gehorsamen Zaum gehalten worden.


Mit der sichtbaren Herrschaft des Militärs über jeden Aspekt des hiesigen Alltags? Kontrollen vor jedem staatlichen Gebäude, in jeder U-Bahn, jedem Museum, jedem Tempel, jeder Kirche. Die Armee bietet eine der wenigen Aufstiegschancen für junge Männer ohne finanzstarke Verwandtschaft und dann stehen sie mit Maschinenpistolen und schicken schwarzen Uniformen an jeder zweiten Ecke und schützen uns vor genau was? 
Das Militär ist hier auch Großgrundbesitzer, ist der Eigentümer von Hotels & Fabriken.


Mit meiner Hilflosigkeit dem Elend gegenüber? Mit meinem schlechten Gewissen, weil es mir so sehr viel besser geht, als den meisten hier?

23 Kommentare:

  1. Seltsam. Sie verstehen Unterdrückung, wenn Sie Ihnen begegnet. Aber sie verstehen nicht, wenn Gleichberechtigung fehlt. Aber was sind jene, die nicht gleich sind?
    Warum nehmen Sie Unterdrückung nur als unangenehm wahr, wenn sie Ihnen überdeutlich begegnet?
    Sie sind auf einer Linie mit den Kompromisslösugen der Südstaaten vor dem amerikanischen Bürgerkrieg. Da verstand auch niemand, warum dreiviertel Menschenrecht für Menschen mit dunkler Haut nicht ausreicht.
    Gleich ist gleich. Und vorher aufzuhören ist ungleich. Ungleich ist der Machtmissbrauch, den Sie nicht verstehen.

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    1. Anonyme Belehrungen und Schelte. Wie herrlich urdeutsch.

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  2. Kritik ohne Gegenargumente, wie sachlich treffend.

    Nennen Sie es lieber Erstaunen darüber, dass Frau Schall in Ägypten auffällt, was sie in Deutschland oder den USA nicht erkennen kann.

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    1. Herr oder Frau Anonym, Sie klingen genau wie der Anonymvon vor ein paar Tagen. Etwas feige vielleicht? Schön, dass Sie so viel darüber wissen, was ich erkenne oder nicht.
      Ab jetzt Namen nennen oder Mund halten. Mit Namen weiterschimpfen - prima. Ohne Namen - Kein Interesse.

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  3. Ich unterhalte mich nicht mit Leuten die nicht die Anstaendigkeit haben mit ihrem Namen zu ihrer Meinung zu stehen.

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  4. Frau Schall, natürlich klinge ich gleich. Gleicher Mensch.

    Sie gehen beide einen sehr einfachen Weg. Als würde der Absender die Worte verändern. Das tut er nicht. Sie greifen nach dem einfachsten Grund ihren Inhalt zu vermeiden.

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  5. Und - Sie hören Klarnamen nicht besser zu. Ihnen ist, von Klarnamen in den Kommentaren, sehr plausibel erklärt worden, warum "me too" Bedeutung hat. Sie können es nachlesen. Silvia Rhode. Sie sagten, sie verstehen. Sie haben nicht verstanden.
    Sie hören nicht zu. Klarname oder nicht.

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  6. SIlvia Rhode stimme ich zu. Ihnen - "Anonym" - nicht.

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  7. Ja, Du stimmst zu - aber Du verstehst nicht. Du bist eine der klügsten Frauen, die ich kenne, mit ausgeprägtem Gerechtigkeitsgefühl und gesellschaftlichem Bewusstsein. Und Du verstehst nicht, was sexuelle Belästigung ist. Du relativierst sie, Du missverstehst die Diskussion darüber als "Position der Schwäche", Du ignorierst den Mut all jener, die jetzt sprechen... die nichts gewinnen können - und es trotzdem tun.
    Du verstehst victim-blaming nicht und weil Du als Gegner wahrgenommen werden möchtest erwartest Du, dass alle Frauen das auch wollen. Aber nicht alle Frauen sind wie Du oder ich und kommen mit Scheiß ziemlich gut klar. Und es kann auch nicht das Ziel sein alle Frauen aufzurüsten, damit sie mit Scheiß klarkommen. Denn sie sind nicht das Problem.
    Das Ziel ist ein gesellschaftliches Bewusstsein für die Immanenz von ungewollter Sexualisierung von Frauen als Machtinstrument in unserer Gesellschaft zu erreichen.
    Was Du auf Ägyptens Straßen siehst und was Dich trifft findet in Deutschland anders und subtil statt. Nichts desto trotz systematisch.
    In Ägypten siehst Du die Ungleichheit in schreiender Ausprägung und bist betroffen. Ja, in Deutschland sind die Frauen besser dran, fraglos. Aber die Messlatte ist ein wenig zu tief angesetzt.
    Du hast eine Lieblingsnichte, die in Deinem Herzen wohnt. Ob eigene Kinder oder nicht, wir alle haben ein besonderes Kind, ein Mädchen, das wir zum Maßstab der Welt erheben können, die wir für dieses Kind wollen. Ich auch.
    Und ich will nicht, dass dieses Kind lernen muss als ebenbürtiger Gegner zu kämpfen... es soll es gar nicht müssen, weil sich was geändert hat. Ich werde keinem Mädchen erzählen, dass Männer halt "hormongesteuert plappern" und sie lieber so entschuldigen, als festzustellen, dass niemand sie zu sexualisieren hat, egal wie kurz der Rock ist oder ob das Top bauchfrei ist... denn sie hat sich nicht so angezogen um für alle verfügbar zu sein, die sich angesprochen fühlen, sondern für jene ihrer Wahl oder sich selbst.
    Und das ist ein Unterschied. Selbstbestimmung ist ein Unterschied. Genauso wie eigene Entscheidungen, die Du mit 14 getroffen hast nicht zu "me too" gehören, denn dabei geht es um ungewollte Belästigung, Sexualisierung und Machtmissbrauch.
    Vielleicht kommst Du mit "Ungefähr gleich und der Rest ist Kampf" klar... sehr sicher sogar.
    Aber darum geht es nicht. Es geht um die Frage von Gleichheit in der Gesellschaft... und andere Länder beweisen, dass es besser geht. Da sind sie nicht hingekommen, weil sie bemängelt haben, dass "me too" ihnen jetzt das Film- und Fernsehvergnügen eintrübt. Da sind sie nicht hingekommen, weil sie es vorzogen 5, 10, 15, 20 Opfern nicht zu glauben, damit sie einem Menschen glauben konnten.
    Wenn man eine Gesellschaft verändern will, dann sollten zumindest die nicht gleichgestellten ein Bewusstsein dafür entwickeln, denn die besser gestellten haben keinen Grund dazu. Und da hilft es nicht, wenn Frauen wie Du, mit allen Talenten und Kapazitäten es besser zu machen, Männer als Hormonplapperer in Schutz nehmen. Als wären Männer eben so. Nein, sind sie nicht, die meisten sind weiter, viel weiter... und die hormongesteuerten dürfen sich verbessern.
    Es ist ihr Job... nicht der von Frauen mit ihrem Unfug klarkommen zu lernen.
    Ich habe Dir mit Klarnamen flammende Plädoyers geschrieben, über gesellschaftlichen Wandel, seinen Sinn, seine Notwendigkeit, seine Ziele. Sinnlos. Ich habe meine Sicht neutralisiert auf Fakten, anonym, sachlich. Sinnlos.

    Aber gesellschaftlicher Wandel wird von dem getragen, was mehr und mehr nicht mehr akzeptieren. Und das ist keine Position der Schwäche. Das ist ein Prinzip. Und stark.
    Versuch' bitte nochmals darüber nachzudenken. Und versuch' es nicht aus Deiner Position zu tun, tu' es aus der Deiner Lieblingsnichte. Denn für die, die wir lieben legen wir bessere Maßstäbe an - und das ist hier angebracht.
    Und jetzt darfst Du entscheiden, ob Du mir zustimmst oder weiter den Mund verbietest...

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    1. Oooh. Dir den Mund verbieten. Oooh. Hart. War das ein Test? Oooh.

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    2. Liebe Silvia! Jetzt hast Du mir Angst gemacht. Ich denke nach. Aber ich bin auch verstört und gekränkt.

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  8. Teil eins - (wegen Zeichenbeschränkung der Kommentare)

    Kann ich verstehen. Aber als Silvia kann ich schreiben was ich will. Du freust Dich an den ausformulierten Gedanken, Du stimmst zu und wenn das Thema wieder auftaucht ist die gleiche Schlaufe wieder da.
    Und die heisst: Frauen, habt Euch doch nicht so bei Kleinigkeiten, zeigt wo der Hammer hängt, zeigt Stärke, ihr wollt doch kein Opfer sein.
    Das war beim Video über sexuelle Belästigung auf der Straße so, bei "me too". Du meinst, Frauen sollten mit einem gewissen Maß sexueller Degradierung einfach souverän umgehen. Und ich sage Nein.
    Kein Mensch muss mit ungewollter Sexualisierung umgehen, auf keinem Niveau, in keinem Zusammenhang. Frauen signalisieren keine Verfügbarkeit durch Attraktivität... und dieses Missverständnis behandelte das Video. Du hast wahnsinnig feine Sinne und Gespür ...aber wenn sexuelle Belästigung ein gewisses Maß unterschreitet bürdest Du Frauen auf damit klar zu kommen und bist taub dagegen.
    Schlimmer, Du vergleichst unvergleichbares. Einvernehmlichkeit mit Übergriff. Dein 14jähriges Ich mag abenteuerlustig gewesen sein und sich erprobt haben - aber Roy Moore wäre entzückt über die Türen, die Du mit der Argumentation von Selbstbeteiligung 14jähriger an Erotik aufstößt um Kampagnen in Frage zu stellen, die sich gegen Übergriffe wehren.
    Und jeder liberale vernünftige aufgeklärte Mensch weiß, dass man Mist gebaut hat, wenn man eine Argumentation in den Raum stellt, die Roy Moore die Karte in die Hand geben würde: you see, they want it.
    Deine Argumentation, das Frauen ärgerlich sind, wenn ihr Arsch keine Aufmerksamkeit findet. WTF? WAS ist das für ein Frauenbild, dass Du da bedenkenlos zeichnest??? Erstens... nicht alle wollen das, zweitens... nicht von jedem.
    Und das ist der Punkt - Frauen wählen selbstbestimmt wer was darf.
    Und das ist das Gegenteil von "me too" - was ist so schwer daran zu unterscheiden? Du bist verstört? Okay. Ich bin sauer. Ich bin wütend, weil Du nicht verstehst, dass Sexualisierung ein Machtinstrument der Ungleichheit ist und von oben nach unten ausgeübt wird in einer Gesellschaft.

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  9. Teil zwei

    Du bist grade in einem Land über dessen sexuelle Gewalt es einen eigenen Wikipediaeintrag gibt. Und das ist kein Zufall. Übergriffe sind Merkmal von Ungleichheit. Ihre Anzahl ist proportional zu dieser Ungleichheit. Sexuelle Übergriffe, scheißegal ob verbal oder physisch, scheißegal auf welchem Niveau dosiert sind ein Symptom von Ungleichheit.
    Da ist nichts zu relativieren. Frauen haben damit nicht klar zu kommen, sie haben es nicht abzuschütteln, es gehört ausgemerzt. Und ich bin stinksauer, dass jemand wie Du das so sieht wie Du es siehst und gleichberechtigte Gegnerschaft fordert.
    Ziel ist, dass kein Geschlecht mehr der Gegner von irgendwem zu sein braucht, weil alle das erforderliche Maß von gegenseitigem Respekt lernen und gleich sind darin.
    Du schickst Gott in die Wüste, weil er seine Welt enttäuschend schlecht im Griff hat, aber Männer sind hormongesteuerte Plapperer, die man hinnehmen muss?
    Wer wenn nicht Du hätte alle Fähigkeiten die Ursachen nicht lapidar zu handhaben, wenn sie eine Größe unterschreiten, die Du zumutbar findest?
    "Ändere die Welt, sie braucht es." - ist eins meiner Lieblingszitate. Und darin heißt es nicht... freu Dich wenn's ein bisschen besser geworden ist und komm' mit dem Rest klar. Es heißt, ändere was falsch ist. Wann hast Du aufgehört zu glauben, dass gleich gleich heißen kann? Heißen muss? Und dass alle was davon haben. Warum nennst Du die Opferposition schwach, wenn sie sich wehrt? Zum Opfer machen einen andere, was man damit macht entscheidet man selbst... und laut zu sprechen ist Stärke.
    Ich glaube von Dir mehr erwarten zu dürfen, als zu bedauern, dass "Die Reifeprüfung" jetzt als schlechter Film durchgeht... denn das sagt keiner, nur weil Dustin sich wie ein Arschloch benommen hat. Ist nicht der Film, ist er. Was sollen solche Klischees und Bemerkungen?
    Du kannst mehr, Du bist genauer als das.
    Wenn starke Frauen Opfern mit Thesen in den Rücken fallen, nur weil sie sich nie als Opfer fühlen, dann macht mich das stinksauer, ja. Ich war nie Opfer, aber ich verstehe ein falsches gesellschaftliches Prinzip und ich begrüße jeden Anlauf es zu ändern... egal, womit ich klar kommen würde... denn das ist wichtig... für andere, für die nächste Generation, für Entwicklung.
    Du warst für mich immer jemand, für den es gar nicht genug Treibstoff für sinnvolle Entwicklungen geben kann, deren Arbeit nicht zuletzt dadurch motiviert ist verborgenes offen zu legen, klar zu stellen und Veränderung, Verbesserung anzuregen. Und jetzt kontinuierlich das. Breaks my brain.

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  10. Warum? Und worüber?

    Laß' mich nochmal Deinen Beitrag zum Video einbinden.
    Hier zum nachlesen als Link:
    http://johannaschall.blogspot.de/2014/11/eine-besorgte-ernsthafte-frage-mit.html

    Ein Mann fragt Dich: "Und als Mann gefragt: was gibt mir eigentlich das Recht, mich so gegenüber irgend einem Mitmenschen zu verhalten, Frau oder Mann? Wieso sollte es die Pflicht der Frau sein, sich zu wehren -- und nicht auch die Pflicht des Mannes, sich sensibel gegenüber anderen Menschen zu verhalten?"

    Das ist eine gute Frage. Das ist eine gesellschaftlich wichtige Frage? Hat irgendein Mensch das Recht einen anderen ungewollt zum Objekt seiner sexuellen Avancen zu machen?
    Eine Frage, die nur mit NEIN zu beantworten ist.
    Und wenn jemand sich dieses Recht 'rausnimmt... warum ist es das Problem des Menschen gegen den er übergriffig wird? Die Antwort ist auch einfach - es IST nicht sein Problem und sollte es nicht sein.

    Du antwortest anders: "Und Frauen tuen so etwas nicht? Wir sind rund um die Uhr sensibel? Wir schauen auf nicht Ärsche, Münder, etc. und erwarten Reaktionen? Und wenn sie nicht kommen, sind wir sauer. Mich macht der Versuch, mich in ein Opfer viktioranischer Moral zu machen, recht wütend. Solang ich in der Lage bin mich zu wehren, will ich mich wehren können."

    Dazu erstens:
    Wenn Frauen das gleiche machen, dann sind sie genauso im Unrecht. Das entkräftet aber nicht das Problem im Video. Weswegen Deine hartnäckige Vermeidung von Verurteilung von übergriffigem Verhalten keinen Sinn macht.

    Zweitens: Versuch' mal dieses Video mit umgedrehter Geschlechterverteilung aufzunehmen. Schnapp' Dir ein fantastisch attraktives Männermodel und schick' ihn einen Tag über Großstadtstraßen. Denkst Du wirklich, dass Frauen dem genauso penetrant an den Hacken hängen würden?
    Kannst Du wirklich nicht unterscheiden zwischen schauen und 'ranschmeißen?

    Drittens:
    Viktorianische Moral? Ernsthaft? Jeder Mensch hat das Recht in Ruhe gelassen zu werden, nicht ungewollt sexualisiert zu werden, nicht zum Objekt von "ein Nein habe ich, ein Ja kriege ich noch." zu werden. Das ist ein gegebenes Recht. Das sollte selbstverständlich sein. Wenn dieses Recht verletzt wird, dann ist das zu verurteilen. Punkt.
    Wo ist Dein Problem damit?

    Du schreibst: "Ich gehöre einer Generation an, die unter Feminismus ökonomische und soziale Gleichstellung verstand. Muß ich die teilweise ungelenken Flirtversuche meiner männlichen Mitbürger als Bedrohung empfinden?"

    Ich übernehme Deine Definition und frage Dich: wie sozial gleichgestellt wird diese Frau behandelt, wenn Männer ihr Recht auf belästigendes Verhalten höher einstufen, als das Recht der Frau unbehelligt, unsexualisiert über eine Straße zu gehen.
    Wer dringt in wessen Bereich ein?

    Sexualisierung bedeutet: ich habe oder nehme mir die Macht auf Dich zuzugreifen, egal, ob Du das willst. Was ist daran in Ordnung? Was wäre daran mehr in Ordnung, wenn Frauen es ebenso täten?

    Deswegen ist Sexualisierung immer auch Machtausübung und hat nicht relativiert zu werden. Sie wird nicht erst ab einer bestimmten Größe zum Problem, sie ist ein Problem. Ich kann nicht hingehen und sagen: ein Übergriff ist tolerabel solange ich mich wehren kann. Er ist nicht tolerabel - so einfach.
    Denn er ist immer Ausdruck einer sozialen Ungleichstellung, egal wo und wie... jemand stellt sich über Rechte und Willen eines anderen.
    Und damit wird auch Deine Definition von Feminismus davon ramponiert.

    Und ich finde es ziemlich wichtig, dass Männer und Frauen sich gemeinsam darauf einigen, dass Gleichstellung unter anderem bedeutet: ich darf nicht auf dich zugreifen, wenn du das nicht willst.

    Und ich bin extrem irritiert, wenn ein Mann sehr klar in diesem Verständnis ist und Du ihm widersprichst, weil Du nicht ohne die Notwendigkeit auskommen möchtest Dich wehren zu können.

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  11. Mir ist eine schöne Metapher eingefallen, die Dir vielleicht erklärt, warum ich in diesen Frage so insistiere.

    Stell' Dir Ungleichheit als gesellschaftliche Trümmer, Schutt und Dreck vor. Dann fanden die Anfänge der Frauenbewegung etwas vor wie Deutschland nach dem zweiten Weltkrieg. Und dann wäre das Ziel ein Reinraum... einfach kein Dreck mehr da. Gleich wäre dann einfach gleich.
    Jede Generation von Frauen hat, seit den Anfängen der Frauenbewegung, aufgeräumt. Und die ersten mussten Trümmerberge wegräumen. Klopper, Riesenteile. Die nächste Generation hatte immer noch Trümmer, aber kleinere, zu beseitigen. Die wieder nächste konnte beginnen Schutt abzutransportieren.
    Und ich mache innere Kniefälle vor dem Mut und der Leistung dieser Frauen. Ich weiß darum, wie sehr sie die Landschaft für mich aufgeräumt haben und was ich als selbstverständliches Recht genießen darf WEIL sie es getan haben.

    Einer Suffragette von 1920 wäre die Gesellschaft in der ich lebe als ein feministisches Paradies erschienen. Sie hatte Trümmerteile zu bewegen, sie konnte sich nicht um Dreck kümmern. Aber ihre Leistung ermöglicht mir zu sagen "Hier liegt noch ganz schön Dreck 'rum.".
    Ich kann das sagen, weil die Trümmer und viel Schutt in meinem Land schon weg sind, weggeschafft wurden, abgeschafft wurden.
    Aber ich gehe jetzt nicht hin und sage: mit dem Dreck kann ich leben. Ich zucke nicht mit den Schultern und sage "Dreck reinigt den Magen.".
    Wenn ich das täte, dann würde ich alles missachten, was vor mir geschafft wurde - denn das Ziel, um das es immer ging, war Reinraum.
    Gleich.
    Jede Generation von Frauen ermöglicht es der nächsten ein feineres Verständnis von Dreck zu entwickeln, sensibler dagegen zu sein. Und das ist richtig so.
    Und vielleicht ist das der Grund, warum Du scheinbar sagst: "Das ist doch bloß Dreck. Abklopfen und weiter geht's."
    Und ich sage: "Ja, aber es ist Dreck. Und ich mag ihn nicht und wenn er mir begegnet, dann lass' ich ihn nicht weiter 'rumliegen und Leute dreckig machen.".
    Weil ich daran glaube, dass der Reinraum möglich ist und weil ich glaube, dass alle was davon haben.
    Feminismus ist ein unpopuläres Wort geworden und Frauen zögern sich als Feministin zu bezeichnen. Dabei finde ich nicht einmal, dass er auf Frauen begrenzt ist. Ich kenne verdammt viele Männer, die großartige Feministen sind - schlicht weil in ihrer Welt überhaupt keine Frage ist, ob und dass Frauen gleichberechtigt sind. Männer, die sich an den Kopf packen würden bei diesem Video.
    Feminismus ist kein Lagerkampf, keine Gegnerschaft. Feminismus ist eine Einladung an 100% aller Menschen für die Gleichwertigkeit von 100% aller Menschen.
    Denn Geschlechterstereotypen sind nichts worunter per se nur Frauen leiden. Sie tun es... aber eben nicht nur.
    Wusstest Du dass die Selbstmordrate von Männern zwischen 20-40 in Deutschland mehr als dreimal so hoch ist, wie die von Frauen? In England ist sie die häufigste Todesursache dieser Altersgruppe.
    Die Verordnung stark sein zu müssen ist ein Stereotyp und kein Spaß. Wenn Männer Opfer häuslicher Gewalt werden und Hilfe suchen werden sie betrachtet wie ein Alien, wenn sie magersüchtig sind werden sie nicht ernstgenommen.
    Das aufbrechen von Stereotypen, das verfolgen von "gleich heißt gleich" macht geschlechterübergreifend auf vielen Ebenen Sinn.

    Aber es erfordert feinmaschiges hingucken. Und ich weiß, dass es ein Luxus ist, dass ich, heute, diese feinmaschige Betrachtung haben darf. Aber sie ist immer noch nötig und es gibt absolut keinen vernünftigen Grund vor dem Reinraum aufzuhören.

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  12. Liebe Silvia, du wolltest mir eine Lektion erteilen, und das ist Dir gelungen. Keine gute. Ganz hart formuliert, solltest Du jetzt gerade lieber nicht von einem erträumten "Reinraum" reden.

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  13. Ich bedaure, dass Du es als Lektion missverstehst.

    Eine abweichende Überzeugung darzulegen ist kein Verbrechen, erst recht kein dreckiges. Ich finde auch nicht, dass einem dafür der Mund verboten werden sollte. Ich würde das auf meinem Blog nicht tun.
    Ich habe Voltaires berühmtes Zitat hier in Deinem Blog gefunden:

    "Ich lehne ab, was Sie sagen, aber ich werde bis auf den Tod Ihr Recht verteidigen, es zu sagen.
    Evelyn Beatrice Hall zu Voltaire"

    ...aber damals ging es um Böhmermann. Und der sollte den Mund nicht halten müssen.
    Ich frage mich, warum Du so außerordentlich ungewöhnlich auf dieses Thema reagierst. Du bist in keine Diskussion eingetreten, hast keine Gegenargumente aufgewendet, hast die Kommentare falsch, Predigt, Quatsch oder Psychoanalyse genannt - bis hin zum "Mund halten!".
    Keine Auseinandersetzung, keine Argumentation und am Ende Zensur. Das ist sehr sehr ungewöhnlich.

    Wie und warum auch immer... jedenfalls erteile ich keine Lektionen. Scheinbar predige ich, aber ich tue es nicht als Lektion.

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  14. Es geht hierbei nicht um eine abweichende Meinung, denn das "Mund halten" bezog sich ausdrücklich auf die Namenlosigkeit. Ich reagiere ungewöhnlich? Ich habe nicht unter "anonym" und mit anderem Schreibstil auf Dich eingeschrieben, oder?

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  15. Okay, DAS ist der Punkt. Dann dazu vier Dinge.

    1. Wenn Du nicht bereit bist anonyme Beiträge als inhaltlich gleichwertig zu akzeptieren, dann sollte Dein Blog diese Option nicht anbieten. Viele Blogthemen erlauben da die Wahl. Ansonsten geht der Weg über CSS. Denkbar auch, dass Google Add-ons anbietet, die Kommentarfunktionen nach Deinen Vorgaben regeln können.

    2.Tatsächlich verurteilst Du Anonymität nicht. Sie kommt hier im Blog selten vor - aber wenn Dir der Inhalt gefällt, dann stellt Namenlosigkeit kein Problem dar und der Kommentar wird nicht darauf reduziert.
    Zwei Beispiele hier:
    http://johannaschall.blogspot.de/2017/05/theater-hat-auch-schauspieler-die.html#comment-form
    http://johannaschall.blogspot.de/2017/06/actorslive-meine-antwort-auf-den.html
    Entweder Namenlosigkeit ist immer ein Problem oder es sollte nie eins sein. Namenlosigkeit kann nicht nur dann zum Problem werden, wenn der Inhalt mißfällt. Und sollte es vielleicht auch nicht.


    3. Mein Schreibstil hat sich keineswegs verändert. Er kühlt allerdings etwas aus, wenn Du Dich hinter Kommentare stellst, die implizieren, dass ein 14jähriger zustimmt zum Ziel von Übergriffen zu werden, wenn er sich auf einer Hollywoodparty befindet, weil "der Reis beim Asiaten dazugehört". Die nonchalante Akzeptanz von Übergriffen oder victim-blaming ist nicht das, was ich auf Deinem Blog erwarte. Gemessen an dem Grad meines abgestoßen seins würde ich meine Wortwahl als um Sachlichkeit außerordentlich bemüht beschreiben.

    4. Wenn Du meine früheren Kommentare zu diesem Themenkomplex nachliest, dann wirst Du sie inhaltlich deckungsgleich vorfinden, auch wenn Du sie wegen des Absenders anders aufgenommen hast. Du hast diesem Inhalt nie widersprochen, ihn nie mit Gegenargumenten belegt... aber den Inhalt scheinbar auch nicht wahrgenommen.
    Es ist dann kein unlogischer Gedanke diesen Inhalt vom Absender zu neutralisieren und so alleinstehend in die Diskussion einzubringen. Es ist sogar ein sehr logischer und sachbezogener Gedanke.
    Umso mehr, als dass Dein bisheriger Umgang mit anonymen Beiträgen nicht vermuten ließ, dass es auf "Ab jetzt Namen nennen oder Mund halten." hinauslaufen könnte... was letztlich der einzige Grund war den Namen einzubringen.
    "Mit Namen weiterschimpfen - prima."...scheint auch nicht prima zu sein, denn wir reden immer noch nicht über die Sache, jetzt scheinen wir von Verrat zu reden.

    Mein Blog lässt Menschen die Wahl ob und wie sehr sie anonym sein wollen. Für mich war nie entscheidend ob da ein "Peppi" schreibt, nur ein Vorname oder ein scheinbarer Klarname. Du wirst nicht erleben, dass ich einen Kommentarinhalt abkanzle weil der Klarname fehlt. Bei der "Nachtkritik" wird man nachgefragt, wenn man bewusst seinen Klarnamen verwendet, weil eigentlich Nicknames üblich sind. Wir wählen anonym, ich hab' kein Problem mit anonymen Kommentaren, wenn sie inhaltlich sind. Und ich mache ihre Anonymität nicht zum Grund ihnen nicht zu antworten oder sie mundtot zu machen.
    Ich würde auch Vorschläge zur Löschung von kritischen Kommentaren nicht als "Unterstützung" empfinden... da gehst Du (zusammen mit "Mund halten!") einen ganz seltsamen Weg in puncto Meinungsfreiheit.

    Ich hatte erwartet, dass meine Argumente, unverwischt vom Absender, anders aufgenommen werden. Ich hatte mit einer direkteren, weiterführenden Auseinandersetzung über das Thema gerechnet, mit Argumentation, mit Diskussion.
    Die Verweigerung all dessen und das stattdessen hat mich überrascht. Und es ist eigentlich nicht vereinbar mit den Werten für die Du sonst einstehst.

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  16. Ich entscheide mit wem ich reden mag. Manchmal ist mir das "Anonym" egal und manchmal halt nicht. Nach Bauchgefühl. Deine Regeln gelten für Dich.

    Das jemand, die ich, auch wenn wir uns nur zweimal persönlich getroffen haben, fast als Freundin bezeichnet hätte, "Anonym" an mich schreibt, um zu 'predigen', habe ich noch nicht erlebt und hätte es lieber nicht. Das empfinde ich als Mißachtung, der hochmütigen Art.

    Ja, ich habe, in bestimmten Punkten, eine andere Meinung als Du. Wenn ein Kommentator so viel von sich gucken läßt, wie der von Dir zitierte, werde ich ihm nicht vorschreiben, wie er sein Leben zu beurteilen hat. Und wenn jemand mir vorschlägt, Kommentare zu löschen, sage ich: Danke, nein.

    Ich habe es schon mehrmals gesagt, aber da Du scheinbar doch eher liest, was du zu lesen erwartest: Jede Form von Gewalt und Mißbrauch ist verwerflich. Aber über die Definition von Mißbrauch werden wir uns nicht einig werden. Deine Idee vom "Reinraum" finde ich einerseits unrealisierbar und zweitens nicht einmal wünschenswert. Wir sind Menschen, auch zwischen Frauen gibt es keinen Reinraum, wir fühlen verschieden, wir denken verschieden und daraus entsteht dieses schwierige Miteinander. Und Genauigkeit bei der Be- und Verurteilung von Verhalten halte ich für sehr notwendig.

    Schließen wir dieses Gespräch ab, ich denke, Du hast mir deutlich mitgeteilt, was Du denkst und wie Du, dass was ich denke, findest.

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  17. Nochmals... ich bedaure, dass Du es als Missachtung empfindest oder Predigt. Ich hab's unter meinem Namen versucht und das Thema war mir wichtig genug für den anderen Versuch. Offensichtlich unterscheidet sich nicht nur unsere Definition von Missbrauch, sondern auch von Hochmut. Es war eine sachorientierte Entscheidung, die ich vertrete.

    Deinen Wunsch nach Abschluss werde ich respektieren.

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