Donnerstag, 17. August 2017

EIN TAG

EIN TAG

Auf einer Pressekonferenz faselt und fuchtelt der Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika über die Vorkommnisse in Charlottesville, als gäbe es keinen Unterschied zwischen Rassismus und dem Protest gegen ihn. 

In der Berlinischen Gallerie kann man John Bocks Film Hells Bells ganzkörperlich erleben. 
 © Martin Sommer

Berlins allerbester HNO-Arzt gibt meinen Stimmbändern ein freundliches OK.

Der Tod der Schauspielerin Miriam Goldschmidt wird gemeldet.

Auf Barcelonas Boulevard Las Ramlas rast ein Mann mit einem Kleinlaster mitten in die flanierenden Menschen, tötet viele, verletzt noch mehr.


EIN TAG.

Weiße, bigotte  Männer mit pseudoarchaischen Partyfackeln skandieren marschierend irrwitzige Chöre, "You/Jews will not replace us!, "Ihr werdet uns nicht verdrängen! Juden werden uns nicht verdrängen!" Hitlergrüße werden ausgetauscht, das gute alte Hakenkreuz auf wehenden Flaggen, KKK prangt auf durchgeschwitzten T-Shirts. Diese Leute sind nicht plötzlich da, es gibt sie schon lang, sie hielten sich nur bedeckt, jetzt wittern sie Morgenluft. Ein guter Tag für ihren Hass, ihre Minderwertigkeitskomplexe, ihre Angst, ihr Ignoranz ist gekommen. Einer dreht derart durch, dass er sich der neuesten Terrormethode bedient und sein Auto in die Gegendemonstration fährt. Eine junge Frau wird von ihm getötet.  Originaltext Donald Trump: "Fine people on both sides." David Duke, Chef des Ku-Klux-Klans, bedankt sich für diese Worte herzlich bei ihm, Trumps jüdischer Schwiegersohn meldet sich nicht zu Wort, die anwesenden Medienvertreter, von Donald durchweg als Lügenpresse betitelt, protestieren nicht laut genug, entgeistert. 

Höllenglocken von John Bock, der Name haut hin. Was unter dem vibriert was Hieronymus Bosch malte. Barocker Überfluß an dinglichen Erfindungen, mehr irritierende Details, als ich erfassen konnte, Lichtstimmungen in graublau. Ein surrealer Spaghettiwestern durchmischt mit Horrorfilm-Elementen und eingem an Tarkowski von einem hochprofessionellen Kind in Szene gesetzt, dessen Hirn eine Überfülle von Ideen, Assoziationen, Bebilderungen zur Verfügung stellt. Eidinger, Beglau, Seppeler sind großartig, die Geschichte glasklar, die Dialoge mir meist unverständlich. War aber gut so. Verstörend.

Barcelona. Was kann ich sagen? 

Queen & Montserrat Caballe - Barcelona 

Mittwoch, 16. August 2017

Hähnchen mit karamelisierten Zwiebeln und Kardamomreis

Wieder aus dem "Jerusalem" Kochbuch von Ottolenghi & Tamimi, wieder ein Rezept auch für Anfänger, wieder sehr lecker!

EINKAUF:
Hühnerschenkel
Basmatireis
Zwiebeln
Berberitzen oder Korinthen
Dill, Petersilie, Koriander
Zimtstangen
griechischen Jogurth
(Olivenöl, Kardamom, Nelken, Pfeffer, Salz, Zucker)

ZEIT:

Etwa eine Stunde.

ZUTATEN:
 
Berberitzen kenne ich erst seit kurzem und bin geradezu süchtig geworden. Es sind kleine rötliche getrocknete Beeren, die leicht sauersüß schmecken. Etwa 30 Gramm müssen in etwas heißem Wasser, das mit Zucker aufgekocht wurde, eingeweicht werden. Aber Korinthen tun es auch.

Zwei mittelgroße Zwiebeln dünn schneiden und 10 Minuten bei mittlerer Hitze in Öl bräunen.

3 oder 4 Hühnerbeine mit etwas Olivenöl, Salz, Pfeffer, 4 Nelken, Kardamom nach Geschmack und zwei halbierten Zimtstangen in einer Schüssel herumwälzen, bis sie über & über ölig und mit Gewürzen bedeckt sind. Dann auf beiden Seiten 5 Minuten scharf anbraten.

In einer großen Deckelpfanne 300 g Basmatireis mit den Zwiebeln & den Berberitzen/Korinthen verrühren, die angebratenen Hühnerkeulen auf die Masse legen und 550 ml kochendes Wasser aufgießen. Deckel drauf und 30 Minuten bei kleiner Hitze köcheln lassen, nach 20 Minuten gucken, ob noch kochendes Wasser dazu muß. Die Pfanne vom Feuer, Deckel ab, Handtuch über die Pfanne, Deckel wieder drauf und mindestens 10 Minuten ruhen lassen.

Derweil Dill, Petersilie & Koriander hacken und griechischen Jogurth bereitstellen.

ESSEN! 

 Das Photo ist von der Cooking Seite der New York Times

Sonntag, 13. August 2017

Das Buch der Bücher - Eine Radikalisierung

Ich habe viel Zeit dafür gebraucht, aber jetzt kann ich es mit Gewißheit sagen: ich bin Atheist. Ohne Gott. Ich bin sicher, es gibt keinen Gott. Und wenn es einen geben sollte, lehne ich ihn ab und will ihn nicht einmal kennenlernen. 
Stephen Fry hat es auf den Punkt gebracht: "Warum soll ich einen launischen, boshaften, dummen Gott respektieren, der eine Welt voll von Ungerechtigkeit und Schmerz erschaffen hat?"... Wenn er, Fry, vor der Himmelspforte stehe. Dieser darauf: "Ich würde sagen: Knochenkrebs bei Kindern? Was soll das? Wie kannst du es wagen?"

Seit mehr als einem halben Jahr stammen mindestens die Hälfte der Sätze, die ich lese, aus der Bibel, genauer dem Alten Testament, oder, wie es meine Leute nennen, dem Tanach. Das hat mich verändert.

Die Geschichten in diesem Buch sind lebendig, gewalttätig, leidenschaftlich, unfassbar, brutal, herzerschütternd, atemberaubend, wahr. Als Gelenke dazwischen seitenlange Genealogien, von denen ich erst jetzt begreife, dass sie unsere Verwurzelung ineinander besingen. Von den ersten Menschen irgendwo in Afrika oder anderswo bis zu mir und dir und ihm und ihr.

The DNA Journey

Und Adam zeugte Söhne und Töchter. Und alle Tage Adams, die er lebte, betrugen 930 Jahre, dann starb er. Und Set zeugte Enosch. Und Set lebte 912 Jahre, und er zeugte Söhne und Töchter, dann starb er. Und Enosch zeugte Kenan und er lebte 905 Jahre und zeugte Söhne und Töchter, dann starb er. Und Kenan zeugte Mahalalel. Und Mahalalel zeugte Jered, Jered Henoch, Henoch Metuschelach, Metuschelach Lamech. Und Lamech zeugte einen Sohn. Und er gab ihm den Namen Noah, indem er sagte: Dieser wird uns trösten über unserer Arbeit und über der Mühsal unserer Hände von dem Erdboden, den der Herr verflucht hat. Und Noah war 500 Jahre alt; und Noah zeugte Sem, Ham und Jafet. Sem, Ham und Jafet.
So weit, so gut.

 Königin Máxima der Niederlande betrachtet ein Gemälde von Rembrandt in der Alten Pinakothek in München.

Die Sprache ist je nach Übersetzung ideologisiert, poetisch oder ungelenk, von kleinauf symbiotisch eingeimpft oder irritierend fremd. Buber & Rosenzweig von grandioser Wortgewalt, aber zumindest für mich, teilweise, nahezu unverständlich. Die Einheitsübersetzung ist klar, aber auch simplifizierend und gewollt modern. Konkurrenzkampf der Übersetzungen?
Wir schlingern in unserer Arbeit zwischen der Elberfelder und der Schlachterbibel hin und her. Die Züricher taucht hier und da auf. Alles christliche Varianten. Leider. Aber über alle Beschäftigung legt sich Ideologie, Urteil, Abgrenzung, Rechtfertigung, Definitionsmachtansprüche (Neues Wort!) und Hass gegen Andersdenkende. 
Väter sind bereit, ihre Söhne zu opfern, Mütter gebären um die Wette in haßerfülltem Konkurrenzkampf, Vergewaltigungen, Eroberungen, Ungerechtigkeit und Machtgier. Gott offeriert Sonderverträge, wütet maßlos, giert nach Liebesbeweisen, hält sich raus, mischt sich ein, bevorzugt, verurteilt, meist ohne jedwede nachvollziehbare Regeln.

Zum Beispiel: Gott schenkt den Nachkommen Abrahams das Land Kanaan, nur wohnen dort leider schon andere Leute. Egal.
5. Mose 6, 10 -11Dann wird er (G'tt) dir geben, große, schöne Städte, die du nicht gebaut hast, und Häuser alles Guten voll, die du nicht gefüllt hast, und gemeißelte Brunnen, die du nicht gehauen hast, und Weinberge und Ölbäume, die du nicht gepflanzt hast; und du wirst essen und satt werden.
5. Mose 20, 10-18: Aus den Städten dieser Völker jedoch, die der Herr, dein Gott, dir als Erbbesitz gibt, darfst du nichts, was Atem hat, am Leben lassen. Vielmehr sollst du die Hetiter und Amoriter, Kanaaniter und Perisiter, Hiwiter und Jebusiter der Vernichtung weihen, so wie es der Herr, dein Gott, dir zur Pflicht gemacht hat, damit sie euch nicht lehren, alle Gräuel nachzuahmen, die sie begingen, wenn sie ihren Göttern dienten, und ihr nicht gegen den Herrn, euren Gott, sündigt.  
Das Buch ist wahrhaftig, die Auslegungen, welcher Religion auch immer, unerträglich. 
Ja, so sind wir. Aber warum sollte ich dafür Gott dankbar sein, ihn lieben?

Freitag, 11. August 2017

Liebeskummer in New York

Ein Kollege erzählte heute Abend diese Geschichte:

Es sind die frühen Neunziger des letzten Jahrhunderts.
Er ist sehr jung und zum erstenmal in New York. 
Besucht dort einen Freund.
In der ersten Nacht möchte er eine richtige Rockerkneipe besuchen. 
Er hat schrecklichen Liebeskummer und sucht Ablenkung.
Sein Freund führt ihn in einen dunklen verrauchten Schuppen überfüllt mit Damen in hautengem Leder und bärtigen schwarzgekleideten Männern.
Die Musik ist laut. Black Sabbath, Deep Purple, Guns'n Roses, AC/DC.
Oldfashioned Hardrock.
Unser liebesleidender Freund schiebt einen Dollar in die Jukbox.
Wählt ein Lied, das seiner Stimmung entspricht.
Stevie Wonders "You are the Sunshine of my Life".
Wie das Lied in eine die Jukebox geraten war, ist eine Frage, die ich nicht beantworten kann. 
Das Lied beginnt.
Du bist der Sonnenschein meines Lebens,
deshalb werde ich immer in deiner Nähe bleiben.
Du bist mein Augapfel
für immer wirst du in meinem Herzen bleiben.

Die Jukebox wird gestoppt.
Stille.
Ein umfangreicher Mann in schwarzen Leder spricht in ein Mikrofon: Wer hat dieses Lied gewählt?
Er bekam keine Antwort.


https://www.youtube.com/watch?v=uPyq4iqt6Go

Donnerstag, 10. August 2017

RILKE - ZWEI GEDICHTE ÜBER APOLLO

RILKE 
ZWEI GEDICHTE ÜBER APOLLO
In: Der Neuen Gedichte anderer Teil

Und darum nehme ich mir vor, besser zu schauen, anzuschauen, mit mehr Geduld, mit mehr Versenkung. R.M.R. an Lou Andreas-Salomé


Oft habe ich in Museen das Bedürfnis ausgestellte Werke anzufassen, sie unter meinen Fingerspitzen zu spüren. Verboten. Ich bleibe auf das Sehen beschränkt. Ein Sinn muß mir den anderen ersetzen.
Ein einbeiniger Torso ohne Kopf und ein Kopf mit leeren Augenhöhlen, beide im Louvre zu finden. 1908, Rilke, Anfang 30, nach seiner Assistenz bei Rodin, will das Sehen neu erlernen. Zu Schauen, anzuschauen, zu erkennen. 
ERKENNEN


ARCHAISCHER TORSO APOLLOS

Wir kannten nicht sein unerhörtes Haupt,
Darin die Augenäpfel reiften. Aber
Sein Torso glüht noch wie ein Kandelaber,
In dem sein Schauen, nur zurückgeschraubt,


Sich hält und glänzt. Sonst könnte nicht der Bug
Der Brust dich blenden, und im leisen Drehen
Der Lenden könnte nicht ein Lächeln gehen
Zu jener Mitte, die die Zeugung trug.


Sonst stünde dieser Stein entstellt und kurz
Unter der Schultern durchsichtigem Sturz
Und flimmerte nicht so wie Raubtierfelle;


Und bräche nicht aus allen seinen Rändern
Aus wie ein Stern: denn da ist keine Stelle,
Die dich nicht sieht. Du mußt dein Leben ändern.

Habe ich schon gesagt? Ich lerne sehen. Ja, ich fange an. Es geht noch schlecht. Aber ich will meine Zeit ausnutzen. R.M.R. Malte Laurids Brigge


FRÜHER APOLLO

Wie manches Mal durch das noch unbelaubte
Gezweig ein Morgen durchsieht, der schon ganz
Im Frühling ist: so ist in seinem Haupte
Nichts, was verhindern könnte, daß der Glanz


Aller Gedichte uns fast tödlich träfe;
Denn noch kein Schatten ist in seinem Schaun,
Zu kühl für Lorbeer sind noch seine Schläfe,
Und später erst wird aus den Augenbraun


Hochstämmig sich der Rosengarten heben,
Aus welchem Blätter, einzeln, ausgelöst
Hintreiben werden auf des Mundes Beben,


Der jetzt noch still ist, niegebraucht und blinkend
Und nur mit seinem Lächeln etwas trinkend,
Als würde ihm sein Singen eingeflößt.

Sonntag, 6. August 2017

Planet der Affen Survival - War For The Planet Of The Apes

 
Wir erleben die Welt durch die Augen einer Affenhorde. Äußerlich Primaten, innerlich Archetypen Carl Gustav Jungs, der Held, der Mentor, der Schatten, der Trickster, das göttliche Kind, oh, das ist ein Mensch, spielen eine Parabel über die Ausschläge des Menschseins, der Menschlichkeit durch. Die Filmgeschichte wird zitiert, John Sturges, Sergio Leone, Spartakus, Apocalypse Now, aber hier sind die Helden halt Affen.
Ich liebe diese Trilogie und hoffe irgendwie, dass es eine bleibt. Cornelius und Nova sind geboren, von nun an würden wir in das Gebiet der Urverfilmung geraten und wie sollte das gehen, ohne die schreckliche Überraschung der letzten Einstellungen des ersten Filmes und ohne Andy Serkis. Ohne Serkis, der das Herz und das Hirn der Filme ist. Allerdings könnte Serkis auch Cornelius spielen, CGI macht's möglich.
Indem die Antagonisten Affen & Menschen sind, anstatt Deutsche & Juden oder Sklaven und weiße Sklavenhalter oder andere Antagonisten der furchtbaren Ausbeutungs- und Erniedrigungsverhältnisse unserer menschlichen Geschichte, indem also eine Verfremdung stattfindet, wird mir ursprüngliche Empathie ermöglicht. Ein toller Dreh. 

Ganz am anderen Ende des filmischen Spektrums: Felix & Meira, eine kanadische Liebesgeschichte zwischen einer orthodoxen Jüdin und einem französischen Bonvivant. Ganz still, ganz langsam, ganz fein.

http://www.arte.tv/de/videos/068342-000-A/felix-meira
 
Computer Generated Imagery oder Motion Capture, wörtlich Bewegungs-Erfassung, bezeichnet ein Tracking-Verfahren, das es ermöglicht, jede Art von Bewegungen so zu erfassen und in ein von Computern lesbares Format umzuwandeln, dass diese die Bewegungen analysieren, aufzeichnen, weiterverarbeiten und zur Steuerung von Anwendungen verwenden können. 
Ein spezielles Motion Capture-Verfahren ist das Performance Capture (wörtlich: Darstellungs-Erfassung), das die Erfassung von menschlichen Gesichts- und Fingerbewegungen umfasst, also Mimik und Gestik.


Welch ungewöhnlich großer Vorstellungskraft bedarf es, um im enganliegenden Ganzkörperanzug, über und über bepunktet und mit einer Minikamera vor dem Gesicht hochemotionale Szenen zu spielen! Alles muß imaginiert werden. Und der Körper, hochtrainiert, muß sich ganz natürlich, äffisch bewegen. Eine ganz neue & eigene Kunst.

Planet der Affen ist ein Science-Fiction-Film aus dem Jahr 1968 von Regisseur Franklin J. Schaffner mit Charlton Heston in der Hauptrolle. Die Handlung basiert auf dem Roman La Planète des singes (deutscher Buchtitel: Der Planet der Affen) aus dem Jahr 1963 von Pierre Boulle.

Mittwoch, 2. August 2017

Armut am Alex

Was ist Armut hier und heute? Sicher ist nicht dieselbe, wie in Ländern der Dritten Welt, meist nicht bitterer Hunger, nicht völlige Besitzlosigkeit. Arme Menschen in Deutschland sind "relativ" arm, dass heisst, sie sind es "nur" im Vergleich zu ihrem Umfeld. Relativ arm klingt fein harmlos. Die relative Armut wird gemessen am Durchschnitt des Nettoäquivalenzeinkommens, beschreibt es Wiki. In Armut lebt, wem unter 50 Prozent des durchschnittlichen Nettoeinkommens zur Verfügung steht und als Armutsgrenze gilt in Deutschland für eine allein stehende Person ein Einkommen von 979 EUR monatlich. 
Heute am Alex, an den fünf Mülleimern in Sichtweite, stehen fünf Männer, den Oberkörper darübergebeugt, mit einem Arm tief in die Eimer greifend. Die Behältnisse sind eklig, verklebt und stinkend. Die Sammler können nicht sehen, in was genau sie da hineinfassen, Scherben, Essensreste, Kotze, benutzte Spritzen, Hundescheiße. 
Über den Platz verteilt Bettelnde, manchen sieht man ihre Not an, andere lagern an diesem Sommertag zwischen ihren Tüten & Taschen wie in der Sommerfrische. Ein kleiner Dicker mit beängstigend dunkelrotem Gesicht macht ein Picknick mit Salznüssen, Blaubeeren und Fusel. Hier und da wird eine der Obdachlosenzeitungen verkauft.
Grillwalker mit den schweren Bauchläden, 30 Kilo soll so ein Ding wiegen, alle möglichen Menschen in albernen Kostümen, die für irgendetwas Blödes werben, Taschendiebe die Menge, für mich unsichtbar, aber durch die Ergebnisse ihrer Arbeit nachweisbar, Gruppen von Fast-Noch-Kindern, frech, obdachlos, schutzlos. 
Und wie viele der Leute, die über den häßlichen Platz hasten, tippeln, schlendern sind arm, aber sieht man es nicht? Adrett gekleidete Rentner, die mit Mindestrenten am Darben gerade so vorbeischlittern, Bezieher von Hartz IV, alleinstehende Mütter, Mindestlohnverdiener, Berufsunfähige, Selbstständige. 
Von den unzähligen Gelegenheitskellnern, die eigentlich Schauspieler, Maler, Sänger, Musiker sind, muß ich gar nicht reden. 


Heute hat mich die Synchronität der fünf Sammler zum Nachdenken gebracht, aber meist schaue ich nicht so genau hin, kaufe gelegentlich die "Motz", werfe ein paar Euro in einen auf dem Boden stehenden Becher und spende an "Ärzte ohne Grenzen". Mir geht es gut.

ZUSÄTZLICHE INFORMATIONEN: 



https://www.cecu.de/armutsgrenze.html
 
http://www.statistiker-blog.de/archives/nettoaquivalenzeinkommen/299.html

https://www.berlin.de/polizei/aufgaben/praevention/diebstahl-und-einbruch/artikel.119058.php

Wiki:
Mehrweg-Bierflaschen werden mit 0,08 € verbucht, egal ob mit 0,33 l oder 0,5 l Inhalt.
Mehrweg-Bierflaschen mit Bügelverschluss haben 0,15 € Pfand, werden regional auch mit 0,25 € oder 0,50 € bepfandet.
Sonstige Mehrwegflaschen aus Glas oder härterem Plastik kommen auf 0,15 €. Hierzu zählen z. B. Mineralwasser, Limonade, Joghurt, Milch, Sahne, Apfelwein, Fruchtsäfte.
Mehrweg-Glasflaschen der Firma Schweppes sind mit 0,10 € bepfandet.
Für 1-Liter-Weinflaschen aus Glas werden in manchen Handelsketten 0,02 € bzw. 0,03 € Pfand erhoben


http://www.tagesspiegel.de/berlin/armut-in-berlin-helft-endlich-den-flaschensammlern/19701212.html

Zungenbrecher

Ein Zungenbrecher ist eine Wortfolge, deren schnelle, wiederholte Aussprache selbst Muttersprachlern schwerfällt, sagt Wiki. 
Ein Zungenbrecher ist eigentlich ein Zungenverstörer, -überforderer. Brechen kann die Zunge nicht, denn sie ist ein Muskel. 
Nebenbemerkung: Ein von mir sehr verehrter Maskenbildner und Witzbold hat einst einen naiven jungen Kollegen davon überzeugt, dass sich im Penis ein ausfahrbarer Akkordeonknochen befindet, indem er einen befreundeten Radiologen überredete, die Röntgenaufnahmen eines Penis und eines doppelbelichteten kleinen Fingers übereinanderzulegen.
Zurück zum Zungenbrecher: Beim beim schnellen Wiederholen solch eines absurden Verbalkonstrukts wird uns bewußt, was für komplizierte Vorgänge in unserem Mund beim Sprechen vor sich gehen. Zunge, Lippen und Gaumen vollbringen Hochleistungen, damit wir uns mitteilen können. Ich bin Berliner, spreche also schnell, und ich rede gerne und viel, gelegentlich zu viel. Meine oralen Organe arbeiten meist tip top, üben hat geholfen, aber hier und da taucht ein Wort auf, das mich sprechstolpern, mich verhaspeln läßt. "Authentizität" zum Beispiel, oder "Meteorologie". Oder "Eifersuchtsszene", das mußte ich sogar mal auf der Bühne sagen - ts und sz hintereinander, man kann es zwar vermanschen zu einem tz, aber das wäre doch zu einfach, oder? 
 
Ein französischer Regisseur inszeniert
ein tschechisches Stück mit einer Eifersuchtsszene.

Fischers Fritze fischt frische Fische -
frische Fische fischt Fischers Fritze.

Im dichten Fichtendickicht picken flinke Finken tüchtig.
(Ja ja, der Versprecher ist kindisch lustig.)

Brautkleid bleibt Brautkleid
Und Blaukraut bleibt Blaukraut.

Es klapperten die Klapperschlangen,
bis ihre Klapper schlapper klangen.

Der Cottbusser Postkutscher
putzt den Cottbusser Postkutschkasten.

Die Katze tritt die Treppe krumm.
Die Katze tritt die Treppe krumm.
Die Katze tritt die Treppe krumm.

Es ist verboten, toten Kojoten die Hoden zu verknoten!

Wenn hinter Griechen Griechen kriechen,
kriechen Griechen Griechen hinterher.
Es war einmal ein Mann,
der hatte drei Söhne.
Der eine hieß Schack,
der andre hieß Schackschawwerack,
der dritte hieß
Schackschawwerackschackommini.
Nun war da auch eine Frau,
die hatte drei Töchter.
Die eine hieß Sipp,
die andre hieß Sippsiwwelipp,
die dritte hieß Sippsiwwelippsippelimmini.
Und Schack nahm Sipp,
und Schackschawwerack nahm Sippsiwwelipp,
und Schackschawwerackschackommini
nahm Sippsiwwelippsippelimmini zur Frau.
Wahnsinn wieviele Muskeln am Sprechen beteiligt sind.

Zur inneren Zungenmuskulatur zählen die:

Verkürzung und Verbreiterung der Zunge, Heben der Zungenspitze:
Musculus longitudinalis superior
Musculus longitudinalis inferior

Verlängerung bzw. Verschmälerung der Zunge, Herausstrecken der Zungenspitze:
Musculus transversus linguaeMusculus verticalis linguae

und zur äußeren Zungenmuskulatur gehören die:

Ziehen die Zunge nach vorne unten(ventro-kaudal):
Musculus genioglossus

Ziehen die Zunge nach hinten unten (dorso-kaudal):
Musculus chondroglossus

Ziehen die Zunge nach hinten oben (dorso-rostral):
Musculus styloglossus

Ziehen die Zunge nach hinten unten (dorso-kaudal):
Musculus hyoglossus

Verengung der Schlundenge (Isthmus faucium):
 
Musculus palatoglossus

Montag, 31. Juli 2017

Schon wieder Kino

DIE PARTY - Sally Potter

Ein Bekannter hatte mich vor dem Film gewarnt: "Er ist.....fürchertlich. die Schauspieler sind .....fürchterlich. die Dialoge sind.....fürchterlich. die Story ist.....fürchterlich und gefilmt ist er auch .....ihr ahnt es schon.....fürchterlich."

Fand ich nicht. Mir hat es nicht einmal zu fürchterlich gereicht. Es ist nur ein vorhersehbares und kümmerliches Kammerspiel. Tolle Schauspieler, Kristin Scott-Thomas, Timothy Spall, Emily Mortimer, Cilian Murphy usw. chargieren sich lahme Mimik aus den Gesichtern, die Dialoge rumpeln und Aleksei Rodionov, der, o Gott, auch Elim Klimovs Abschied von Matjora und sein Geh und sieh photographiert hat, hatte entweder keine Lust oder keine Chance.
 
Vor 25 Jahren saß ich im Kino und sah einem überaus fremden Wunderwesen in einer wundervoll erzählten und verfilmten Geschichte zu. Dieselbe Regisseurin, derselbe Kameramann und Tilda Swinton zauberten Virginia Woolfs Orlando auf die Leinwand. Was für eine beseelende Freude. Ich liebe das Buch, und der Film ist ihm gewachsen.

Erinnern wir uns an den tollen Film und vergessen den, den wir heute Abend gesehen haben, schnell. 


"Die außergewöhnliche Diskrepanz zwischen der Zeit auf der Uhr und der gefühlten Zeit ist unbekannter, als sie sein sollte, und verdient gründlichere Erforschung." V.W. in Orlando

Küsse küssen, Küsse sehen.

© Michael Dressel
 
Bröhan-Museum
Der Kuss. Von Rodin bis Bob Dylan
vom 15. Juni bis zum 3. Oktober 2017

Eine kleine feine Ausstellung. Die großen, berühmten Sachen hängen hier nicht, aber dafür eine leicht unausgewogene, doch unterhaltsame Mischung von Kunst, Dekorativem und Kitsch. Todesküsse, Kussmünder, ein Sofa in Kussmundform,

Der Kuss. Wiki definiert ihn kurz und unerotisch: Ein Kuss ist ein oraler Körperkontakt mit einer Person oder einem Gegenstand. Die wissenschaftliche Erforschung des Kusses nennt man Philematologie von gr. φίλημα, phílēma.

Ich habe noch keinen Kussforscher getroffen. Was möchtest Du werden, wenn Du mal groß bist? Philematologe.

Ekkachai and Laksana Tiranarat aus Thailand halten momentan den Weltrekord im Dauerküssen. Sie küssten sich (ohne Pause) 58:35:58 Stunden lang.

MAC verkauft den einzigen mir bekannten Lippenstift, der für Raucher & Raucherinnen geeignet ist, der wirklich 12 Stunden auf den Lippen bleibt, ohne sie auszutrocknen. Sie hatten die Linie, oh Schreck, schon eingestellt, haben sie aber, nach heftigen Protesten, wieder ins Programm aufgenommen.

kussecht
kussechter
am kussechtesten

Philemaphobie ist die Angst vorm Küssen.

http://lexikon.stangl.eu/15480/philematologie/

 
Leo Putz
HERBSTSTURM
1900

...
Ich will dirs erzählen:
Der Kuß ist ein Lied,
ein wortloses Lied;
ein Kuß – der geschieht!
Es löst das Solo zweier Seelen
in vollen Mollakkorden sich:
Küsse mich ........
Küsse mich - wie das süß -
Küsse mich, Kind, auf den Mund ...
Ja so ein Kuß verrät das und dies ...
Küsse die Lippen mir wund ...

Küsse mich lange, minutenlang,
küsse die Wangen mir rot.
Jetzt bin ich doch schon vor Liebe krank –
küß mich zu Tod ...

Rilke, Die Gedichte. Insel Verlag, Frankfurt a.M. 1986. Das Liebes-Poetische Manuskript No. 3. Kuß-Gedichte









Axel Poulsen
ERSTE LIEBE
1913

In der Ausstellung nicht zu sehen, aber so schön!


Edvard Munch
DER KUSS
1897