RILKE
ZWEI GEDICHTE ÜBER APOLLO
In: Der Neuen Gedichte anderer Teil
In: Der Neuen Gedichte anderer Teil
Und darum nehme ich mir vor, besser zu schauen, anzuschauen, mit mehr Geduld, mit mehr Versenkung. R.M.R. an Lou Andreas-Salomé
Oft habe ich in Museen das Bedürfnis ausgestellte Werke anzufassen, sie unter meinen Fingerspitzen zu spüren. Verboten. Ich bleibe auf das Sehen beschränkt. Ein Sinn muß mir den anderen ersetzen.
Ein einbeiniger Torso ohne Kopf und ein Kopf mit leeren Augenhöhlen, beide im Louvre zu finden. 1908, Rilke, Anfang 30, nach seiner Assistenz bei Rodin, will das Sehen neu erlernen. Zu Schauen, anzuschauen, zu erkennen.
ERKENNEN
ARCHAISCHER TORSO APOLLOS
Wir kannten nicht sein unerhörtes Haupt,
Darin die Augenäpfel reiften. Aber
Sein Torso glüht noch wie ein Kandelaber,
In dem sein Schauen, nur zurückgeschraubt,
Sich hält und glänzt. Sonst könnte nicht der Bug
Der Brust dich blenden, und im leisen Drehen
Der Lenden könnte nicht ein Lächeln gehen
Zu jener Mitte, die die Zeugung trug.
Sonst stünde dieser Stein entstellt und kurz
Unter der Schultern durchsichtigem Sturz
Und flimmerte nicht so wie Raubtierfelle;
Und bräche nicht aus allen seinen Rändern
Aus wie ein Stern: denn da ist keine Stelle,
Die dich nicht sieht. Du mußt dein Leben ändern.
Darin die Augenäpfel reiften. Aber
Sein Torso glüht noch wie ein Kandelaber,
In dem sein Schauen, nur zurückgeschraubt,
Sich hält und glänzt. Sonst könnte nicht der Bug
Der Brust dich blenden, und im leisen Drehen
Der Lenden könnte nicht ein Lächeln gehen
Zu jener Mitte, die die Zeugung trug.
Sonst stünde dieser Stein entstellt und kurz
Unter der Schultern durchsichtigem Sturz
Und flimmerte nicht so wie Raubtierfelle;
Und bräche nicht aus allen seinen Rändern
Aus wie ein Stern: denn da ist keine Stelle,
Die dich nicht sieht. Du mußt dein Leben ändern.
Habe ich schon gesagt? Ich lerne sehen. Ja, ich fange an. Es geht noch schlecht. Aber ich will meine Zeit ausnutzen. R.M.R. Malte Laurids Brigge
FRÜHER APOLLO
Wie manches Mal durch das noch unbelaubte
Gezweig ein Morgen durchsieht, der schon ganz
Im Frühling ist: so ist in seinem Haupte
Nichts, was verhindern könnte, daß der Glanz
Gezweig ein Morgen durchsieht, der schon ganz
Im Frühling ist: so ist in seinem Haupte
Nichts, was verhindern könnte, daß der Glanz
Aller Gedichte uns fast tödlich träfe;
Denn noch kein Schatten ist in seinem Schaun,
Zu kühl für Lorbeer sind noch seine Schläfe,
Und später erst wird aus den Augenbraun
Denn noch kein Schatten ist in seinem Schaun,
Zu kühl für Lorbeer sind noch seine Schläfe,
Und später erst wird aus den Augenbraun
Hochstämmig sich der Rosengarten heben,
Aus welchem Blätter, einzeln, ausgelöst
Hintreiben werden auf des Mundes Beben,
Aus welchem Blätter, einzeln, ausgelöst
Hintreiben werden auf des Mundes Beben,
Der jetzt noch still ist, niegebraucht und blinkend
Und nur mit seinem Lächeln etwas trinkend,
Als würde ihm sein Singen eingeflößt.
Und nur mit seinem Lächeln etwas trinkend,
Als würde ihm sein Singen eingeflößt.