Mittwoch, 2. August 2017

Zungenbrecher

Ein Zungenbrecher ist eine Wortfolge, deren schnelle, wiederholte Aussprache selbst Muttersprachlern schwerfällt, sagt Wiki. 
Ein Zungenbrecher ist eigentlich ein Zungenverstörer, -überforderer. Brechen kann die Zunge nicht, denn sie ist ein Muskel. 
Nebenbemerkung: Ein von mir sehr verehrter Maskenbildner und Witzbold hat einst einen naiven jungen Kollegen davon überzeugt, dass sich im Penis ein ausfahrbarer Akkordeonknochen befindet, indem er einen befreundeten Radiologen überredete, die Röntgenaufnahmen eines Penis und eines doppelbelichteten kleinen Fingers übereinanderzulegen.
Zurück zum Zungenbrecher: Beim beim schnellen Wiederholen solch eines absurden Verbalkonstrukts wird uns bewußt, was für komplizierte Vorgänge in unserem Mund beim Sprechen vor sich gehen. Zunge, Lippen und Gaumen vollbringen Hochleistungen, damit wir uns mitteilen können. Ich bin Berliner, spreche also schnell, und ich rede gerne und viel, gelegentlich zu viel. Meine oralen Organe arbeiten meist tip top, üben hat geholfen, aber hier und da taucht ein Wort auf, das mich sprechstolpern, mich verhaspeln läßt. "Authentizität" zum Beispiel, oder "Meteorologie". Oder "Eifersuchtsszene", das mußte ich sogar mal auf der Bühne sagen - ts und sz hintereinander, man kann es zwar vermanschen zu einem tz, aber das wäre doch zu einfach, oder? 
 
Ein französischer Regisseur inszeniert
ein tschechisches Stück mit einer Eifersuchtsszene.

Fischers Fritze fischt frische Fische -
frische Fische fischt Fischers Fritze.

Im dichten Fichtendickicht picken flinke Finken tüchtig.
(Ja ja, der Versprecher ist kindisch lustig.)

Brautkleid bleibt Brautkleid
Und Blaukraut bleibt Blaukraut.

Es klapperten die Klapperschlangen,
bis ihre Klapper schlapper klangen.

Der Cottbusser Postkutscher
putzt den Cottbusser Postkutschkasten.

Die Katze tritt die Treppe krumm.
Die Katze tritt die Treppe krumm.
Die Katze tritt die Treppe krumm.

Es ist verboten, toten Kojoten die Hoden zu verknoten!

Wenn hinter Griechen Griechen kriechen,
kriechen Griechen Griechen hinterher.
Es war einmal ein Mann,
der hatte drei Söhne.
Der eine hieß Schack,
der andre hieß Schackschawwerack,
der dritte hieß
Schackschawwerackschackommini.
Nun war da auch eine Frau,
die hatte drei Töchter.
Die eine hieß Sipp,
die andre hieß Sippsiwwelipp,
die dritte hieß Sippsiwwelippsippelimmini.
Und Schack nahm Sipp,
und Schackschawwerack nahm Sippsiwwelipp,
und Schackschawwerackschackommini
nahm Sippsiwwelippsippelimmini zur Frau.
Wahnsinn wieviele Muskeln am Sprechen beteiligt sind.

Zur inneren Zungenmuskulatur zählen die:

Verkürzung und Verbreiterung der Zunge, Heben der Zungenspitze:
Musculus longitudinalis superior
Musculus longitudinalis inferior

Verlängerung bzw. Verschmälerung der Zunge, Herausstrecken der Zungenspitze:
Musculus transversus linguaeMusculus verticalis linguae

und zur äußeren Zungenmuskulatur gehören die:

Ziehen die Zunge nach vorne unten(ventro-kaudal):
Musculus genioglossus

Ziehen die Zunge nach hinten unten (dorso-kaudal):
Musculus chondroglossus

Ziehen die Zunge nach hinten oben (dorso-rostral):
Musculus styloglossus

Ziehen die Zunge nach hinten unten (dorso-kaudal):
Musculus hyoglossus

Verengung der Schlundenge (Isthmus faucium):
 
Musculus palatoglossus

Montag, 31. Juli 2017

Schon wieder Kino

DIE PARTY - Sally Potter

Ein Bekannter hatte mich vor dem Film gewarnt: "Er ist.....fürchertlich. die Schauspieler sind .....fürchterlich. die Dialoge sind.....fürchterlich. die Story ist.....fürchterlich und gefilmt ist er auch .....ihr ahnt es schon.....fürchterlich."

Fand ich nicht. Mir hat es nicht einmal zu fürchterlich gereicht. Es ist nur ein vorhersehbares und kümmerliches Kammerspiel. Tolle Schauspieler, Kristin Scott-Thomas, Timothy Spall, Emily Mortimer, Cilian Murphy usw. chargieren sich lahme Mimik aus den Gesichtern, die Dialoge rumpeln und Aleksei Rodionov, der, o Gott, auch Elim Klimovs Abschied von Matjora und sein Geh und sieh photographiert hat, hatte entweder keine Lust oder keine Chance.
 
Vor 25 Jahren saß ich im Kino und sah einem überaus fremden Wunderwesen in einer wundervoll erzählten und verfilmten Geschichte zu. Dieselbe Regisseurin, derselbe Kameramann und Tilda Swinton zauberten Virginia Woolfs Orlando auf die Leinwand. Was für eine beseelende Freude. Ich liebe das Buch, und der Film ist ihm gewachsen.

Erinnern wir uns an den tollen Film und vergessen den, den wir heute Abend gesehen haben, schnell. 


"Die außergewöhnliche Diskrepanz zwischen der Zeit auf der Uhr und der gefühlten Zeit ist unbekannter, als sie sein sollte, und verdient gründlichere Erforschung." V.W. in Orlando

Küsse küssen, Küsse sehen.

© Michael Dressel
 
Bröhan-Museum
Der Kuss. Von Rodin bis Bob Dylan
vom 15. Juni bis zum 3. Oktober 2017

Eine kleine feine Ausstellung. Die großen, berühmten Sachen hängen hier nicht, aber dafür eine leicht unausgewogene, doch unterhaltsame Mischung von Kunst, Dekorativem und Kitsch. Todesküsse, Kussmünder, ein Sofa in Kussmundform,

Der Kuss. Wiki definiert ihn kurz und unerotisch: Ein Kuss ist ein oraler Körperkontakt mit einer Person oder einem Gegenstand. Die wissenschaftliche Erforschung des Kusses nennt man Philematologie von gr. φίλημα, phílēma.

Ich habe noch keinen Kussforscher getroffen. Was möchtest Du werden, wenn Du mal groß bist? Philematologe.

Ekkachai and Laksana Tiranarat aus Thailand halten momentan den Weltrekord im Dauerküssen. Sie küssten sich (ohne Pause) 58:35:58 Stunden lang.

MAC verkauft den einzigen mir bekannten Lippenstift, der für Raucher & Raucherinnen geeignet ist, der wirklich 12 Stunden auf den Lippen bleibt, ohne sie auszutrocknen. Sie hatten die Linie, oh Schreck, schon eingestellt, haben sie aber, nach heftigen Protesten, wieder ins Programm aufgenommen.

kussecht
kussechter
am kussechtesten

Philemaphobie ist die Angst vorm Küssen.

http://lexikon.stangl.eu/15480/philematologie/

 
Leo Putz
HERBSTSTURM
1900

...
Ich will dirs erzählen:
Der Kuß ist ein Lied,
ein wortloses Lied;
ein Kuß – der geschieht!
Es löst das Solo zweier Seelen
in vollen Mollakkorden sich:
Küsse mich ........
Küsse mich - wie das süß -
Küsse mich, Kind, auf den Mund ...
Ja so ein Kuß verrät das und dies ...
Küsse die Lippen mir wund ...

Küsse mich lange, minutenlang,
küsse die Wangen mir rot.
Jetzt bin ich doch schon vor Liebe krank –
küß mich zu Tod ...

Rilke, Die Gedichte. Insel Verlag, Frankfurt a.M. 1986. Das Liebes-Poetische Manuskript No. 3. Kuß-Gedichte









Axel Poulsen
ERSTE LIEBE
1913

In der Ausstellung nicht zu sehen, aber so schön!


Edvard Munch
DER KUSS
1897

Sonntag, 23. Juli 2017

Theaterwohnung 13

Hässlichkeit ist wie eine Keule. Sie haut Dich um. Hinterrücks.
Holzimitattapete, selbst das Wort ist eine monströse Konstruktion. Schwammtechnik in orangerot links und rechts, dazwischen schlecht nachempfunden gemalte Bretter. Die restlichen Wände erstrahlen in graugelbweiß. Warum nur? Die 100% Polyester-Bettwäsche schmiegt sich liebevoll in orangegelbgrünweiß der Wanddekoration an.
Wer denkt sich solch einen Tisch aus? Plump und ungelenk, obwohl er rollt. Dickes totes Holz, das aussieht, als wäre es nie ein Baum gewesen. Derselbe Rohstoff wurde auch für die dicklichen Nachttischchen verwendet. Das silberne Sofa hat silberne Kissen, mit silbernem Kringelmuster. Die nicht wirklich weißen Wände wurden mit Bildern dekoriert. Wer malt solche Bilder? Menschen auf Droge? Menschen im Wahn? Menschen, die Maler werden wollten? Menschen?
Was gut ist, die Wohnung liegt mitten im Zentrum. Sie ist sauber. Zwei Zimmer und ein Bad mit Boiler, der den 40. Jahrestag der DDR noch miterlebt hat. Heiß geht, kalt geht. Da muß man sich schnell die Haare waschen. Das hält wach.
Alles in diesen Räumen ist irgendwie ok und gleichzeitig grauenhaft grässlich. 








Valerian – Die Stadt der tausend Planeten

Vorausgeschickt: Ich liebe Science Fiction. Ich gucke mir in diesem Genre jeden Scheiß an und bin leicht verführbar. 
Avengers, Thor, Guardians, Star Wars, Batman, Mad Max - ich bin da.
Infiziert haben mich Ridley Scott, Isaac Asimov und Stanislaw Lem.
Heute in der Spätvorstellung: Valerian, Luc Bessons neuester Science-fiction Film. Geschrieben auf der Basis einer französischen Comic-Serie, die er als Kind liebte und nun in fünfjähriger Arbeit verfilmt hat.
Besson.
Im Rausch der Tiefe. Nikita. 
Leon Der Profi. Leon Der Profi. Leon Der Profi. Ach, ach, ach. Zehn mal gesehen. Jedesmal geweint. Ich hätte auch den Blumentopf gespielt.
Das Fünfte Element. Lucy war dann nicht so meins.

Mannomann. 
Mehr als zwei Stunden lang, großartige Bilder, tolle Bilder, zitierte Bilder, allzubekannte Bilder, viele Bilder, zu viele Bilder, viel zu viele Bilder. 
Avatar hängt als Mutterschiff über dem Plot, nur dass hier die mit-der-Natur-im-Reinen-seienden-Aliens, nicht langgestreckt und blau sind, sondern wie hyperschlanke, gebleichte nubische Volkstänzer mit Barbiefigur aussehen. Sie schimmern und neigen in Momenten des Glücks zum Piruettendrehen. Ihre Haustiere sind bunt und niedlich und scheißen Überfluß.
Einige der anderen auftretenden Aliens haben schon in Star Wars und Guardians Of The Galaxy kleinere Rollen verkörpert. Bessere Flugkampfszenen als in Star Wars 4/5/6 hat sowieso noch keiner gedreht und Rutger Hauer, was ist dem nur seit Bladerunner geschehen, hat einen Kurzauftritt, später bemüht sich Clive Owen chancenlos um die Darstellung eines interessanten Bösewichts.
Einfall reiht sich an Einfall, eine Idee erschlägt die nächste, nur nichts auslassen. Keine Sekunde lang darf mal nichts passieren. Hektik. Hast. Hysterie. Überdosis. Ich habe zwischendurch die Augen geschlossen, um meine Pupillen auszuruhen. Im Zentrum dieses visuellen Orkans sitzt dann eine dünne Geschichte gespielt von recht schlechten Schauspielern unter Verwendung hölzener Dialogversatzstücke und pseudo-philosophischen Dünnschisses. 
Irgendjemand muß ich in einem Film mögen, für ihn zittern, ihm Glück wünschen, ihn lieb haben. Wo ist Groot, wen man ihn braucht? Wenn die Mitte fehlt, hilft halt auch all der Bombast drumherum nicht recht.

Caspar Shaller schrieb in der ZEIT: Es ist die teuerste Schöpfung der französischen Filmgeschichte, eine bombastische space opera, getrieben von europäischen Hoffnungen auf eine von Hollywood unabhängige Filmindustrie, die in der Lage ist, Blockbuster auf den Markt zu bringen. Drei Jahre hat Besson am Konzept gearbeitet, 18 Monate am Storyboard gewerkelt, zwei Jahre beim Schnitt verbracht. Die Finanzmittel trieb er beim Festival von Cannes auf, wo er mit Drehbuch und Skizzen hausieren ging. 80 Millionen Euro kamen an einem Tag zusammen. Weil er den Blockbuster wie einen Indie-Film finanziert habe, so Besson, habe ihm niemand reingeschwatzt oder genörgelt, wenn er zu sehr auf den Putz gehauen habe. Das ist das Problem: Niemand hat ihm zärtlich über den Kopf gestreichelt, in sanftem, aber bestimmtem Ton gesagt: "Nein, Luc, das reicht", und ihm das Silbertablett mit dem Koks weggenommen. 
http://www.zeit.de/2017/30/valerian-luc-besson-film-kritik 

Wiki informiert uns, dass Valeriana eine Pflanzengattung aus der Unterfamilie der Baldriangewächse sind. Mich hat der Film ermüdet.

Samstag, 22. Juli 2017

Eine richtige Kneipe

Ich liebe Cafes, esse gern in guten Restaurants, aber manchmal muß es eine Kneipe sein.

Eine Kneipe ist ein öffentlich zugänglicher Raum, in dem sehr viel Bier, hochprozentiger Alkohol, aber auch Getränke ganz ohne Alkohol verkauft und getrunken werden. Manchmal bieten sie auch ein beschränktes Speiseangebot. Die Einrichtung, das Ambiente, ist nicht der Rede wert. Eine Kneipe wird von einem Kneipier betrieben oder, immer noch selten, seinem weiblichen Equivalent. Eine Kneipe ist heutzutage leider nicht mehr leicht zu finden.

Der Pub Carolina in Rostock, ehemals Bresis Pub, ohne Apostroph, ist solch eine Kneipe in der Rostocker Altstadt etwa zwanzig Meter von der hiesigen Schauspielschule entfernt. Was dazu führte, dass Dozenten und Studenten dieser Schule, zumindestends früher, hier oft trinkenderweise anzufinden waren. Ein altes Haus, klassischer Eckeingang (Eckkneipe), Neonschild, kurze Treppe mit festem Geländer für kinetisch verunsicherte Heimwärtsstolperer. Drinnen erst eine längliche Strecke mit Barhockern am Tresen und hinten nach links abbiegend, jedoch ohne wirkliche Abtrennung, ein etwas intimerer Raum. Wenig Deko, Bierwerbung, mehr Bierwerbung. Der ehemalige Wirt war rundlich, charmant und rotgesichtig, der neue Wirt trägt Pferdeschwanz und ist ebenfalls charmant. Es darf hier geraucht werden, nein, es soll geraucht werden. Vor mir steht immerhin ein Zweiliter Aschenbecher.
Die Gäste des heutigen Freitagabends sind zehn Männer und, außer mir, eine weitere Frau meines Alters. Wir teilen uns in eine größere heitere Gruppe, zwei ernste Trinker am äußeren linken Tresenrand, einen einzelner Koreaner, der knietief in sein Samsung-Phone versunken wie nebenbei sein Budweiser schluckt und mich.
Die Männer trinken bis auf einen einzelnen Gin/Tonic Individualisten, Halblitergläser Bier. Wie passt nur so viel Flüssigkeit in einen Körper?
Ich bestelle eine Bockwurst, Sprudelwasser und 'nen doppelten Jim Beam. Die Wurst ist knackig, der Senf scharf, das Graubrot angeröstet.

 
Es folgt eine filmreife Szene: Eine wunderschöne junge Frau kommt herein, steuert zielsicher auf den jüngeren des ernsthaft diskutierenden Männerpaares zu. Zweimal, "Du kommst heute nicht nach Hause, versteht Du?" Man stelle sich diesen und die folgenden Sätze gesprochen, nicht geschrien, mit dunkler Stimme und wunderbarem russischen Akzent vor. Sie gießt langsam sein eben frisch serviertes Bier über ihn. "Du kommst heute nicht nach Hause, die Tür ist verschlossen!" Sie gibt ihm eine Ohrfeige, ein unerwartet lautes Klatschen, sie schlägt heftig auf ihn ein, wirft zwei Aschenbecher ziellos in den Raum, beendet den Angriff mit einem sachlich nachgestzten "Arschloch!" und geht. Er reagiert nicht, gar nicht, nimmt hin. Geschockt? Gelähmt? Um Würde bemüht? Nachdem sie gegangen ist, folgt seine Kurzinfo: "Das war meine russische Frau." Der bezopfte Wirt wischt das verschüttete Bier weg, die beiden Männer reden ernsthaft weiter, nun über Frauen, aber im Allgemeinen. Die anderen Gäste hatten kurz innegehalten, gelacht, und dann weiter getrunken.

Sonntag, 16. Juli 2017

Ach, ich rauche so gerne.

Siehst du die Gräber dort im Tal?
Das waren die Raucher von Reval.
Und siehst du die Gräber an anderen Orten?
Das waren die Raucher von anderen Sorten.
Und siehst du die Gräber dort in der Ferne?
Das waren welche, die rauchten so gerne.
Volksmund


Rauchen schadet meiner Gesundheit. Schreibe eintausend mal: Rauchen schadet meiner Gesundheit. Rauchen schadet meiner Gesundheit. Rauchen schadet meiner Gesundheit. 
Stimmt. Aber. Stimmt. Aber. Stimmt. Aber.
Ich habe eine sehr schlaue und wunderbar gradlinige Freundin. Rumeiern gilt bei ihr nicht, Dinge werden benannt und nicht verschleiert. Meine Freundin raucht. Sie hat ein ernstes Problem mit ihrer Lunge. Nichtrauchen wäre nötig. Und meine kluge, scharfsichtige Freundin, haspelt, verfällt in Kindchenstimme, argumentiert wie ein grenzdebiler Teenager, weiß, wie blöd das ist und kann doch nicht anders. Alle Tricks aus jedem Buch, Hypnose, Akupunktur, Elektroersatzzigaretten wurden ausprobiert und funktionierten und dann funktionierten sie nicht mehr.
Andere haben es geschafft. Respekt.
Völlig wahnsinnigerweise versuchen neuerdings sogar Staat und Zigarettenindustrie mich vom Rauchen, an dem sie gut verdienen, abzuhalten. Photographien auf jeder Schachtel, irgendwo zwischen abtörnendem Ekel und melancholischer Tauer. Geschwüre, Zahnstummel, Eiter, depressive Impotenz und die trauernden Hinterbliebenen verstorbener Kettenraucher zieren meine Gaulouise Schachteln. Infamer verlogener Mist.

Die Einnahmen durch die Tabaksteuer betrugen im Jahr 2014 14,3 Milliarden Euro. 1970 waren es noch 6,5 Milliarden Euro. Damit ist die Tabaksteuer nach der Energiesteuer (früher: Mineralölsteuer) die ertragreichste Verbrauchsteuer. ...
Während das Gesundheitsministerium die Tabaksteuer als sogenannte Lenkungssteuer sieht, die eine Senkung des Tabakkonsums bewirken soll, hat das Finanzministerium ein Interesse an möglichst hohen Steuereinnahmen zur Deckung des Staatshaushalts.(Wiki)
 
Ich war jetzt fünf Wochen kränklich, zum ersten Mal in meinem Leben, höchst irritierend.
Ein Infekt. Blah. In den letzten Wochen verabschiedete sich meine Stimme. Zehn Tage Schweigen und Nichtrauchen folgten. Sogar Proben mußte ich absagen, das gab es noch nie! Das war nicht schön, gar nicht schön, aber irgendwie aushaltbar. 
Nun bin ich auf dem Weg der Besserung und rauche wieder. Warum?
WHAT THE FUCK!
Auf Schokolade verzichten? Kein Problem. Auf Alkohol? Nicht wirklich schwer. Aber aufs Rauchen? 
Ich habe eine Verabredung mit mir getroffen, nicht mehr nebenbei zu rauchen. Wenn ich rauche, dann tue ich nichts weiter als dies, rauchen. Der Versuch eine Sucht in einen Genuß zurückzuverwandeln.
Ich weiß, für Nichtraucher muß das vollkommen lächerlich klingen.



Freitag, 14. Juli 2017

Stumm. Meine Stimme, Mimi und ich.

Die Stimmlippen, auch: Stimmfalten, sind paarige schwingungsfähige Strukturen im Kehlkopf. Sie sind ein wesentlicher Teil des stimmbildenden Apparates des Kehlkopfes, bestehend aus der von Epithel überzogenen Stimmfalte, dem eigentlichen Stimmband, dem Musculus vocalis und den Aryknorpeln jeweils beider Seiten. Die Stimmlippen werden beidseits bei der Stimmgebung durch Anblasen aus dem Brustkorb in Schwingungen versetzt und bilden so den Primärschall der Stimme.


Meine Mutter hat mir erzählt, dass wir gemeinsam, als ich zwei Jahre alt war, meine zauberhafte Nenn-Tante Sloma in einem Westberliner Delikatessladen in dem sie damals arbeitete, besuchen gingen. 1960, also noch vor dem Mauerbau, man bin ich alt!  
Eine laute, dunkle, heisere Stimme brüllte: "Loma!", die Kunden wendeten sich der Quelle des wüsten Schreis zu und ihr Blick fiel auf mich, klein, blond, süß.

Am Telefon wurde ich später des öfteren als Herr Schall identifiziert und einige Regisseure drängten mich, meine Töne eine Oktave nach oben zu quetschen. Blond, Unschuld, Opfer - hohe Stimme. WTF?

Mein Vater spielte über 500 Mal den Arturo Ui und brüllte sich vor den Vorstellungen fachgerecht ein. Ich schrie dilettantisch mit und bekam die ersten Knötchen auf den Stimmbändern. Die gingen wieder weg, kamen nach zehn Jahre wieder & wurden operiert. Ohne Narkose, nur Vereisungsspray in den Hals, selbst die Zunge festhalten und Professor Doktor Wendler, ein ganz wunderbarer Arzt, schnitt mit einer ganz kleinen Schere, die an der Spitze eines langen Metallinstrumentes angebracht war, das kleine Gewächs weg. Ein Test-Ton direkt danach - war noch Zukunft, oder nicht mehr? Dann sechs Wochen Schweigen. Danach war alles, was mich umgab mit geschriebenen Worten vollgeschmiert. Selbst die Raufasertapete. 

Am Rande: versucht mal ohne zu sprechen, ein Buch zu kaufen. Der Verkäufer antwortet sehr laut, sehr langsam und sehr deutlich. Keine Stimme, kein Gehör, kein Hirn?

Jahre später verfiel ich auf den Plan, entgegen meiner eigenen festen Erwartung, nun doch Schauspielerin werden zu wollen. Der Stimmtest amüsierte meinen Phoneater, wiederum Professor Dr. Wendler, etwas zu sehr.
Aber ich war fleißig, Sprecherziehung, Atemübungen, Ausdauertraining. Herr Aderholt, der, mit dem französischen Regisseur, der ein tschechisches Stück mit einer Eifersuchtsszene inszeniert, war mein Sprecherzieher, für mich der ganz falsche. Er sagte, ich solle mich auf einen Tisch legen und meine Mauern fallen lassen. Ich bin anstattdessen mit starken Halsschmerzen nach Hause gegangen. 
Und fand dann, durch den Rat einer Freundin, Mimi. 
Mimi, deren Nachname mir leider ums Verrecken nicht einfallen will. Sie war einst Chorsängerin an der Komischen Oper und hatte viel mit Felsenstein gearbeitet, den sie sehr bewunderte. Sie liebte Stimmen, konnte verdruckste, gestemmte, verkrampfte Töne aber körperlich nicht ertragen, also nahm sie ihre Liebe und machte Deine/meine Stimme ihrer würdig. 
Erinnerungen: unzählige Zeitungsausschnitte mit anatomischen Darstellungen von Kehlköpfen, eine winzige Küche, ihre Passion, ihr Bedürfnis nach körperlicher Nähe, so dass ich oft fast rückwärts aus dem Küchenfenster hing. 
Aber meine empfindliches/empfindsames Organ wuchs und gedieh und wurde stärker, widerstandsfähiger. Und hat seitdem viel geleistet, viel mitgemacht und tapfer durchgehalten, trotz meiner dummen Raucherei und meiner Neigung zur Asozialität. 
Im Allgemeinen ähnelt mein physisches Naturell dem eines Ackergaules, stabil, ausdauernd und kräftig. Wenn ich allerdings Stress habe, oder Kummer, dann sind es immer meine Stimmlippen, die zuerst reagieren. Meine Schwachstelle und meine Sensibilität vereint.
Ich mag meine Stimme, sie ist zweistimmig, dunkel mit hellen Untertönen. Nicht kratzig oder derb, eher gut gebraucht. Zwar nicht herrlich verderbt, wie die von Sophie Rois, aber auch nicht harmlos. Kein Piepsstimmchen, auch nicht wunderbar süffig, nicht schön im klassischen Sinn, keine klassisch zarte Mädchenstimme, aber mittlerweile die einer erwachsenen Frau. Sie ist halt meine Stimme, die, mit der ich streiten kann und zustimmen, laut denken und leise vermuten. Sie läßt mich teilnehmen am Leben, aktiv und widerborstig und ganz ich selbst.
Apropos: ich liebe Gesang, kann aber leider nicht gut singen, auch weil meine Physis hohe Töne, obwohl als Sopran eingestuft, nur widerwillig produziert. Schade, schade. 
Vor 15 Jahren dann nochmal Ödeme, nachdem ich in einer neuen Stelle am Volkstheater in Rostock ein Jahr durchgearbeitet hatte und nachlässig geworden war, noch eine Op, diesmal unter Vollnarkose,
Und jetzt, 2017, mitten im Sommer mein persönlicher Supergau. Ein Virusinfekt. Geschlagene vier Wochen lang! Für mich, die ich nie krank bin, eine völlig unbekannte Katastrophe. Husten, noch mehr Husten und dann, als ich grad dachte, es geht wieder, schlich sich der Scheißinfekt auf meine Stimmbänder und legte mich still.
Allein sein und stumm. Wie merkwürdig. Man lebt im eigenen Kopf und hat Angst, dass man da für immer bleiben muß, allein im eigenen Kopf. Kein guter Ort. Ich bin gern mit Anderen, brauche Widerspruch, ich will, muß mich mitteilen, auseinandrsetzen. 
Heute Abend habe ich sie, meine Stimme, nach acht Tagen völliger Stilllegung wieder gehört, noch etwas angerauht, noch nicht in voller Kraft, aber wiedererkennbar, hörbar, meine Stimme.

Mittwoch, 12. Juli 2017

Shakshouka - mhmmmmm!

In Hamburg passierte, was jeder erwarten konnte und erwartet hat und jetzt schmeißen alle wild mit diffusen Namen um sich und fordern Taten oder verteidigen Unverteidigbares oder schenken Polizisten Schokolade oder bereuen ihre Selfies.
Schwarzer Block, Linke Autonome, Links-Radikale, Links-Extremisten, Links-Terroristen, Terror-Touristen, Anarchisten alles dasselbe. Nur nicht denken, lieber aufregen, verurteilen, reagieren, verbieten. Nur nicht Widersprüche sehen müssen, Schattierungen, wo schwarz-weiß doch so tumb und handlich ist.
Warum gibt es Dialektik nicht als Schulfach? Darum.
Deshalb heute ein Blog zum Kochen, handfest, nährend, beruhigend.

Shakshouka

Ich habe mir neulich auf Rat einer Bekannten ein Kochbuch gekauft: "Jerusalem" von Yotam Ottolenghi und Sami Tamimi. Und jetzt sitze ich am Computer, mein Mund ist geschmacksverzückt und ich verdaue und bin etwas froh.

Aus einem Artikel in DER ZEIT: Ottolenghi jobbte in Londoner Restaurantküchen, spezialisierte sich zunächst auf Patisserie – und lernte eines Tages den Palästinenser Sami Tamimi kennen, ebenfalls Koch und wie er in Jerusalem aufgewachsen – wenngleich im muslimischen Ostjerusalem. ...Die beiden gründeten 2002 das erste Ottolenghi-Deli, sind seither Geschäftspartner und Co-Autoren und führen zwei Restaurants. In Jerusalem, Kochbuch und Stadtporträt gleichermaßen, hat jeder der beiden seinen Wurzeln im Nahen Osten nachgespürt und das Beste aus der arabisch-jüdisch-polnisch-italienisch-deutsch-christlich-jüdisch-muslimisch geprägten Küche des Einwandererlandes Israel zusammengetragen.

Also heute zum Frühstück gab es bei mir Shakshouka, dass heißt auf arabisch شكشوكة, auf hebräisch שקשוקה und ist eine Spezialität der nordafrikanischen und jüdischen Küche und lächerlich einfach und unfassbar wohlschmeckend und wohl auch ziemlich gesund.

Für meine verfressene Person benötige ich: eine rote Paprika kleingewürfelt, 2 Eßlöffel Tomatenmark, zwei Knoblauchzehen gehäckselt, Salz, Pfeffer, eine Prise Kreuzkümmel, einen Teelöffel Harissa, in Pulverform würzt es auch gut & hält länger! Ich habe noch einen Klacks Akazienhonig drunter gerührt.

Diese Zutaten in Olivenöl bei kleiner Hitze etwa 5 Minuten anbraten, bis eine dunkelrote Paste brutzelt, die intensiv nach Sommer riecht und nach Basar?

Dann zwei dicke überbrühte Tomaten dazufügen & nochmals zehn Minuten köcheln lassen, bis es eine dicke, zähflüssige Masse bildet. Dann zwei Vertiefungen eindrücken, in jede ein Ei geben, das Eiweiß mit dem Tomatenpaprikapamps leicht verrühren und dabei versuchen, das Eigelb in der Mitte unverletzt zu lassen. Schmeckt aber auch, wenn das nicht klappt.



Mit Pitabrot oder Baguette oder was immer man an Brot mag, in meinem Fall ein Steinofenbrötchen von Butter-Lindner, zum Tunken! Petersilie drüber, wenn's beliebt.
Es gezunterheyt!

Sonntag, 2. Juli 2017

Alles hat ein Ende, nur die Wurst hat zwei.

 
Heute mittag bekam ich von einem Polizisten, auf meine Frage, warum die Rosa-Luxemburg-Strasse denn gesperrt sei, die Antwort: "Der Adjutant der Volksbühne hat seinen letzten Tag, da machen die ein Fest." Die Sperrung begann um 6 Uhr früh für eine Party, die um 20.30 Uhr beginnen sollte.
 
Die Volksbühne schmeißt also ein Abschiedsfest und das Berliner Wetter kommentiert. Sommernovember. Es pisst aus Kannen. Was wetterunverwöhnte preußische Fans nicht daran hinderte, in Massen zu erscheinen. Das "OST" wurde bereits weggekrant, das Räuberrad ging auf Tour, noch eine letzte Vorstellung von "Baumeister Solness", eine Rede von Lederer, eine von Frank, die zynisch begann und verzweifelt endete, und nun ist Schluß. Komisch.
 
Im Gebäude meiner Oberschule, der Zweiten Erweiterten Oberschule, dem Grauen Kloster, ist heute die Staatliche Wirtschaftsfachschule für Hotellerie und Gastronomie am Hausvogteiplatz.
 
Mein Kinder-Lieblingskino Camera, verstaubte zunächst im Tacheles und ist nun Teil eine finanziellen Verschiebe-Transaktion, die ich nicht mal im Ansatz durchschauen kann.
 
Mein Heimat-Theater, das Deutsche ist mir heute so fremd wie jedwedes andere Schauspielhaus.
 
Die Wohnung meiner Oma ist ein Museum.
 
Da, wo ich als Kind meine Wochenenden verbrachte, wohnt jetzt ein reicher Westberliner Anwalt.
 
 Meine Lebensverortungen verändern sich bis zur Unkenntlichkeit. Ich bleibe.
C’est la vie - So ist das Leben.
Trotzdem komisch. 
 
Ja. Und ich habe heute geweint.
 
 Castorf, Hübchen & Wuttke sind traurig - Ich bedanke mich für das Photo bei Burkhardt Ritter