Donnerstag, 3. September 2015

Meine Mutter ist gestorben

Meine Mama ist tot. Ich habe sie lieb gehabt und jetzt ist sie weg.

Jemand postet ihre Todesanzeige und ein fescher junger Mann kommentiert: "Endlich BB ohne BBS!"

Barbara Brecht-Schall war auch einmal Schauspielerin, sie gehörte zur BE-Familie und trug ihre Rolle mit Stolz – den schlechten Ruf, eine Verhinderin zu sein. Heute gibt es wieder Leute, die Stücke lieber in ihrer Textgestalt sehen als in der freien Fantasieform eines Regisseurs. Nur: Das müssen Theaterleute entscheiden, wie sie zu Brecht finden, mit ihm umgehen. So wie er umgegangen ist mit anderen zu seiner Zeit. Wenn Erben mit Argusaugen wachen, riecht es nach Willkür und gestrigem Mief; auch bei Kurt Weill gibt es Probleme mit den Rechte-Habern. Barbara Brecht-Schall sah darin ihre Lebensaufgabe: Brecht zu bewahren als Standbild. Eine doch eher traurige Berühmtheit. 
Schreibt Rüdiger Schaper im Tagesspiegel.

Was wissen diese Leute? 
Der Skandaal um Baal! (Brechts Reime sind die besten! Zitat meiner Mutter) 
Ein paar Dramaturgen im Residenztheater machen ihre Hausaufgaben nicht - nein, wir reden nicht mit der alten doofen Tante, die wird schon kuschen, die ist alt, und ein pissiger Skandal, neudeutscher Art wird geboren. Sie unterschreiben einen Vertrag, den sie nicht einzuhalten gedenken und verstecken sich dann hinter verlogener kunstliebender empörter Attitüde. Und ich muß nun mitansehen wie meine Mutter als sture, dumme, uneinsichtige NichtsweiteralsTochter beschrieben wird. Brecht ist jahrelang der meistgespielteste deutsche Autor, aber sie ist eine Verhinderin der übelsten, miefigen, und natürlich auch geldgierigen Sorte. 
Frank Castorf hat einen großartigen "Baal" inszeniert und war zu faul oder zu feig, sich mit einer älteren Dame auseinanderzusetzen. Aber sie ist blöd? Nennt das Ding um in "Baal Apocalypse" frei nach bb und alles ist ok. Aber nein, ein Skandal ist schicker. Dämlich. Weil der Theaterabend, den ich gesehen habe, war erstaunlich und wahrhaftig.
"Die Dreigroschenerbin" - What the fuck? - Sie verbietet, weil die Inszenierung nicht ihre klar formulierten Regeln einhält (Striche und Umstellungen nach Wunsch, aber keine Fremdtexte). Sie verdient also weniger durch das Verbieten, und ist doch nur gierig?
Mit drei Jahren als Hochverräterin angeklagt und von einer mutigen Calvinistin aus dem plötzlich lebensgefährlichen Heimatland geschmuggelt, über Wien, Zürich, Dänemark, Schweden, Finnland, die UdSSR in die USA entkommen. Ohne Heimat, ohne Muttersprache, ohne ausreichendes Geld. Gerettet durch die uneigennützige Hilfe erstaunlicher Menschen, kam sie 1947 zurück in das zerstörte und verlogene neue Deutschland und lernte Deutsch, lebenslang schrieb sie in amerikanischer Art und las lieber Englisch. 
Sie hat mir die alten Hollywoodfilme nahegebracht, im Dritten Programm, Fred Astair und Cary Grant und Walter Huston. Sie hat nie auf einem Stuhl sitzen können, wie "normale" deutsche Mütter, sie saß bequem, mit einem Fuß auf dem Stuhl. Sie hat mir Johnny Dodds vorgespielt und Rudyard Kipling vorgelesen. Mir vorelisabethanische Gedichte als Einschlafhilfe rezitiert. 
Sie hatte eine kindlich beschützende Beziehung zu ihren Eltern. Rettet ihr mich, rette ich euch? 
Castorf ist ein großer, möglicherweise genialer Regisseur, aber, dass jetzt jeder mittelbegabte Künschtler meint, dass seine Interpretation spannender und relevanter sei, als das geschriebene Kunstwerk, macht mich mißtrauisch. Ich wäre gern Castorf oder Petras, bin ich aber nicht. Ich kann, was ich kann. Und das ist nicht wenig. Stücke sind Material, aber nicht zu zermetzelnde Feinde. 

Das hat eine Freundin aus alter Zeit geschrieben und es ist wahr:
Liebe Hanna, es ist wirklich Äonen von Jahren her: nach einer Theateraufführung saßen wir beide um Mitternacht erzählend auf der Bettkante Deiner Mama. Und plötzlich stand sie auf, ging den langen Gang zur Küche und kam mit zwei großen Gläsern Pimms zurück: Longdrink, Strohhalm, Gurke! und die lässige Aufnahme von zwei Teenagern in den Kreis der Erwachsenen.


Sonntag, 30. August 2015

Wenn das alles ist? - Thomas Mann & Peggy Lee



Jerry Leiber & Mike Stoller, waren eines der größten Songschreiberteams der 50er und 60er Jahre. "Stand by me", "Jailhouse Rock", "Love Potion Nr.9", "On Broadway", "Spanish Harlem", um nur einige zu nennen. Big Mama Thornton, The Drifters, Elvis, Sammy David jr., Ben E. King und Peggy Lee haben ihre Lieder gesungen, auch dies wieder nur eine kleine Auswahl.
Und heute bin ich auf eins ihrer Lieder gestoßen, das ich nicht kannte. "Is that all there is?" oder " Ist das alles?", ein Peggy Lee Hit, aber von John Parish & PJ Harvey gecovert. 

Die Melodie ist trügerisch simpel und der Text basiert auf einer Erzählung von Thomas Mann "Enttäuschung". Mit einem kurz formulierten, aber entscheidenden Unterschied. Thomas Mann endet mit: "Von einem Leben, in dem es keinen Horizont mehr gibt?...  Ich träume davon, und ich erwarte den Tod. Ach, ich kenne ihn bereits so genau, den Tod, diese letzte Enttäuschung! Das ist der Tod, werde ich im letzten Augenblicke zu mir sprechen; nun erlebe ich ihn!"  Im Lied dagegen: "Ist das alles? Wenn das alles ist, meine Freunde, dann laßt uns weitertanzen, laßt uns den Schnaps holen und ein Fest feiern, wenn das alles ist."

Eher meine Variante. 

(Ganz unten findet ihr die Thomas Mann Erzählung, Dank an Gutenberg.de!)


Peggy Lee

PJ Harvey

Der nacherzählte Liedtext geht in etwa so:


Ich erinnere mich, dass unser Haus brannte, als ich ein kleines Mädchen war und an den Gesichtsausdruck meines Vaters, als er mich in seine Arme nahm und durch das brennende Haus auf die Straße rannte. Ich stand zitternd im Schlafanzug und sah die ganze Welt in Flammen. Und als es vorbei war, sagte ich mir: "Ist das alles, was Feuer ist?"

Dann folgt der gesungene Refrain: 

Ist das alles? Ist das alles? 
Wenn das alles ist, meine Freunde, 
dann laßt uns weitertanzen, 
laßt uns den Schnaps holen 
und ein Fest feiern, 
wenn das alles ist.

Und als ich zwölf war, ging mein Vater mit mir in den Zirkus, die größte Show der Welt. Da waren Clowns und Elephanten und Tanzbären. Und eine schöne Dame in rosa Strümpfen flog hoch über unseren Köpfen. Und als ich so saß und dem wundervollen Schauspiel zusah, hatte ich das Gefühl, dass etwas fehlte. Ich weiß nicht was, aber als es vorbei war, sagte ich mir: "Ist das alles, was Zirkus ist?"

Ist das alles? Ist das alles? 
Wenn das alles ist, meine Freunde, 
dann laßt uns weitertanzen, 
laßt uns den Schnaps holen 
und ein Fest feiern, 
wenn das alles ist.

 Dann verliebte ich mich, Hals über Kopf verliebte ich mich in den wunderbarsten Jungen der Welt. Wir machten lange Spaziergänge am Fluß oder schauten uns stundenlang tief in die Augen. Wir waren so sehr verliebt. Dann ging er eines Tages fort und ich dachte, ich würde sterben. Tat ich aber nicht. Und als ich nicht starb, sagte ich zu mir: "Ist das alles, was Liebe ist?"

Ist das alles? Ist das alles? 
Wenn das alles ist, meine Freunde, 
dann laßt uns weitertanzen, 
laßt uns den Schnaps holen 
und ein Fest feiern, 
wenn das alles ist.

Ich weiß, was ihr wahrscheinlich sagt, wenn es das ist, was sie fühlt, warum beendet sie es dann nicht ein für alle Mal? Oh, nein, nicht ich. Ich will diese letzte Enttäuschung nicht zu bald erleben. Weil ich weiß genau, wie ich jetzt vor euch stehe, werde ich, wenn der letzte Moment kommt und ich meinen Letzten Atem atmen werde, zu mir sagen:


Ist das alles? Ist das alles? 
Wenn das alles ist, meine Freunde, 
dann laßt uns weitertanzen, 
laßt uns den Schnaps holen 
und ein Fest feiern, 
wenn das alles ist.



IS THAT ALL THERE IS?
 
SPOKEN:
 I remember when I was a very little girl, our house caught on fire.
I'll never forget the look on my father's face as he gathered me up
in his arms and raced through the burning building out to the pavement.
I stood there shivering in my pajamas and watched the whole world go up in flames.
And when it was all over I said to myself, "Is that all there is to a fire"

SUNG:
Is that all there is, is that all there is
If that's all there is my friends, then let's keep dancing
Let's break out the booze and have a ball
If that's all there is

SPOKEN:
And when I was 12 years old, my father took me to a circus, the greatest show on earth.
There were clowns and elephants and dancing bears.
And a beautiful lady in pink tights flew high above our heads.
And so I sat there watching the marvelous spectacle.
I had the feeling that something was missing.
I don't know what, but when it was over,
I said to myself, "is that all there is to a circus?

SUNG:
Is that all there is, is that all there is
If that's all there is my friends, then let's keep dancing
Let's break out the booze and have a ball
If that's all there is

SPOKEN:
Then I fell in love, head over heels in love, with the most wonderful boy in the world.
We would take long walks by the river or just sit for hours gazing into each other's eyes.
We were so very much in love.
Then one day he went away and I thought I'd die, but I didn't,
and when I didn't I said to myself, "is that all there is to love?"

SUNG:
Is that all there is, is that all there is
If that's all there is my friends, then let's keep dancing

SPOKEN:
I know what you must be saying to yourselves,
if that's the way she feels about it why doesn't she just end it all?
Oh, no, not me. I'm in no hurry for that final disappointment,
for I know just as well as I'm standing here talking to you,
when that final moment comes and I'm breathing my lst breath, I'll be saying to myself

SUNG:
Is that all there is, is that all there is
If that's all there is my friends, then let's keep dancing
Let's break out the booze and have a ball
If that's all there is

THOMAS MANN
ENTTÄUSCHUNG.


Ich gestehe, dass mich die Reden dieses sonderbaren Herrn ganz und gar verwirrten, und ich fürchte, dass ich auch jetzt noch nicht imstande sein werde, sie auf eine Weise zu wiederholen, dass sie andere in ähnlicher Weise berührten, wie an jenem Abend mich selbst. Vielleicht beruhte ihre Wirkung nur auf der befremdlichen Offenheit, mit der ein ganz Unbekannter sie mir äußerte ...  Der Herbstvormittag, an dem mir jener Unbekannte auf der Piazza San Marco zum ersten Male auffiel, liegt nun etwa zwei Monate zurück. Auf dem weiten Platze bewegten sich nur wenige Menschen umher, aber vor dem bunten Wunderbau, dessen üppige und märchenhafte Umrisse und goldene Zierrate sich in entzückender Klarheit von einem zarten, lichtblauen Himmel abhoben, flatterten in leichtem Seewind die Fahnen; grade vor dem Hauptportal hatte sich um ein junges Mädchen, das Mais streute, ein ungeheurer Rudel von Tauben versammelt, während immer mehr noch von allen Seiten herbeischossen ... Ein Anblick von unvergleichlich lichter und festlicher Schönheit.  Da begegnete ich ihm, und ich habe ihn, während ich schreibe, mit außerordentlicher Deutlichkeit vor Augen. Er war kaum mittelgroß und ging schnell und gebückt, während er seinen Stock mit beiden Händen auf dem Rücken hielt. Er trug einen schwarzen, steifen Hut, hellen Sommerüberzieher und dunkelgestreifte Beinkleider. Aus irgendeinem Grunde hielt ich ihn für einen Engländer. Er konnte dreißig Jahre alt sein, vielleicht auch fünfzig. Sein Gesicht, mit etwas dicker Nase und müdeblickenden, grauen Augen, war glattrasiert, und um seinen Mund spielte beständig ein unerklärliches und ein wenig blödes Lächeln. Nur von Zeit zu Zeit blickte er, indem er die Augenbrauen hob, forschend um sich her, sah dann wieder vor sich zu Boden, sprach ein paar Worte mit sich selbst, schüttelte den Kopf und lächelte. So ging er beharrlich den Platz auf und nieder.  Von nun an beobachtete ich ihn täglich, denn er schien sich mit nichts anderem zu beschäftigen, als bei gutem wie bei schlechtem Wetter, vormittags wie nachmittags, dreißig- und fünfzigmal die Piazza auf und ab zu schreiten, immer allein und immer mit dem gleichen seltsamen Gebaren.  An dem Abend, den ich im Sinne habe, hatte eine Militärkapelle konzertiert. Ich saß an einem der kleinen Tische, die das Café Florian weit auf den Platz hinausstellt, und als nach Schluss des Konzertes die Menge, die bis dahin in dichten Strömen hin und wieder gewogt war, sich zu zerstreuen begann, nahm der Unbekannte, auf abwesende Art lächelnd wie stets, an einem neben mir freigewordenen Tische Platz.  Die Zeit verging, rings umher ward es stiller und stiller, und schon standen weit und breit alle Tische leer. Kaum dass hier und da noch ein Mensch vorüberschlenderte; ein majestätischer Friede lagerte über dem Platz, der Himmel hatte sich mit Sternen bedeckt, und über der prachtvoll theatralischen Façade von San Marco stand der halbe Mond.  Ich las, indem ich meinem Nachbar den Rücken zuwandte, in meiner Zeitung und war eben im Begriff, ihn allein zu lassen, als ich mich genötigt sah, mich halb nach ihm umzuwenden; denn während ich bislang nicht einmal das Geräusch einer Bewegung von ihm vernommen hatte, begann er plötzlich zu sprechen.  -- Sie sind zum ersten Mal in Venedig, mein Herr? fragte er in schlechtem Französisch; und als ich mich bemühte, ihm in englischer Sprache zu antworten, fuhr er in dialektfreiem Deutsch zu sprechen fort mit einer leisen und heiseren Stimme, die er oft durch ein Hüsteln aufzufrischen suchte.  -- Sie sehen das alles zum ersten Male? Es erreicht Ihre Erwartungen? -- Übertrifft es sie vielleicht sogar? -- Ah! Sie haben es sich nicht schöner gedacht? -- Das ist wahr? -- Sie sagen das nicht nur, um glücklich und beneidenswert zu erscheinen? -- Ah! -- Er lehnte sich zurück und betrachtete mich mit schnellem Blinzeln und einem ganz unerklärlichen Gesichtsausdruck.  Die Pause, die eintrat, währte lange, und ohne zu wissen, wie dieses seltsame Gespräch fortzusetzen sei, war ich aufs neue im Begriff, mich zu erheben, als er sich hastig vorbeugte.  -- Wissen Sie, mein Herr, was das ist: Enttäuschung? fragte er leise und eindringlich, indem er sich mit beiden Händen auf seinen Stock lehnte. -- Nicht im Kleinen und Einzelnen ein Misslingen, ein Fehlschlagen, sondern die große, die allgemeine Enttäuschung, die Enttäuschung, die alles, das ganze Leben einem bereitet? Sicherlich, Sie kennen sie nicht. Ich aber bin von Jugend auf mit ihr umhergegangen, und sie hat mich einsam, unglücklich und ein wenig wunderlich gemacht, ich leugne es nicht.  Wie könnten Sie mich bereits verstehen, mein Herr? Vielleicht aber werden Sie es, wenn ich Sie bitten darf, mir zwei Minuten lang zuzuhören. Denn wenn es gesagt werden kann, so ist es schnell gesagt ...  Lassen Sie mich erwähnen, dass ich in einer ganz kleinen Stadt aufgewachsen bin in einem Pastorhause, in dessen überreinlichen Räumen ein altmodisch pathetischer Gelehrtenoptimismus herrschte, und in dem man eine eigentümliche Atmosphäre von Kanzelrhetorik einatmete -- von diesen großen Wörtern für Gut und Böse, Schön und Hässlich, die ich so bitterlich hasse, weil sie vielleicht, sie allein an meinem Leiden die Schuld tragen.  Das Leben bestand für mich schlechterdings aus großen Wörtern, denn ich kannte nichts davon als die ungeheuren und wesenlosen Ahnungen, die diese Wörter in mir hervorriefen. Ich erwartete von den Menschen das göttlich Gute und das haarsträubend Teuflische; ich erwartete vom Leben das entzückend Schöne und das Grässliche, und eine Begierde nach alledem erfüllte mich, eine tiefe, angstvolle Sehnsucht nach der weiten Wirklichkeit, nach dem Erlebnis, gleichviel welcher Art, nach dem berauschend herrlichen Glück und dem unsäglich, unnahbar furchtbaren Leiden.  Ich erinnere mich, mein Herr, mit einer traurigen Deutlichkeit der ersten Enttäuschung meines Lebens, und ich bitte Sie, zu bemerken, dass sie keineswegs in dem Fehlschlagen einer schönen Hoffnung bestand, sondern in dem Eintritt eines Unglücks. Ich war beinahe noch ein Kind, als ein nächtlicher Brand in meinem väterlichen Hause entstand. Das Feuer hatte heimlich und tückisch um sich gegriffen, bis an meine Kammertür brannte das ganze kleine Stockwerk, und auch die Treppe war nicht weit entfernt, in Flammen aufzugehen. Ich war der erste, der es bemerkte, und ich weiß, dass ich durch das Haus stürzte, indem ich einmal über das andere den Ruf hervorstieß: »Nun brennt es! Nun brennt es!« Ich entsinne mich dieses Wortes mit großer Genauigkeit, und ich weiß auch, welches Gefühl ihm zu Grunde lag, obgleich es mir damals kaum zum Bewusstsein gekommen sein mag. Dies ist, so empfand ich, eine Feuersbrunst; nun erlebe ich sie! Schlimmer ist es nicht? Das ist das Ganze?...  Gott weiß, dass es keine Kleinigkeit war. Das ganze Haus brannte nieder, wir alle retteten uns mit Mühe aus äußerster Gefahr, und ich selbst trug ganz beträchtliche Verletzungen davon. Auch wäre es unrichtig, zu sagen, dass meine Phantasie den Ereignissen vorgegriffen und mir einen Brand des Elternhauses entsetzlicher ausgemalt hätte. Aber ein vages Ahnen, eine gestaltlose Vorstellung von etwas noch weit Grässlicherem hatte in mir gelebt, und im Vergleich damit erschien die Wirklichkeit mir matt. Die Feuersbrunst war mein erstes großes Erlebnis: eine furchtbare Hoffnung wurde damit enttäuscht.  Fürchten Sie nicht, dass ich fortfahren werde, Ihnen meine Enttäuschungen im einzelnen zu berichten. Ich begnüge mich damit, zu sagen, dass ich mit unglückseligem Eifer meine großartigen Erwartungen vom Leben durch tausend Bücher nährte: durch die Werke der Dichter. Ach, ich habe gelernt, sie zu hassen, diese Dichter, die ihre großen Wörter an alle Wände schreiben und sie mit einer in den Vesuv getauchten Feder am liebsten an die Himmelsdecke malen möchten -- während doch ich nicht umhin kann, jedes große Wort als eine Lüge oder als einen Hohn zu empfinden!  Verzückte Poeten haben mir vorgesungen, die Sprache sei arm, ach, sie sei arm -- oh nein, mein Herr! Die Sprache, dünkt mich, ist reich, ist überschwänglich reich im Vergleich mit der Dürftigkeit und Begrenztheit des Lebens. Der Schmerz hat seine Grenzen: der körperliche in der Ohnmacht, der seelische im Stumpfsinn, -- es ist mit dem Glück nicht anders! Das menschliche Mitteilungsbedürfnis aber hat sich Laute erfunden, die über diese Grenzen hinweglügen.  Liegt es an mir? Läuft nur mir die Wirkung gewisser Wörter auf eine Weise das Rückenmark hinunter, dass sie mir Ahnungen von Erlebnissen erwecken, die es gar nicht gibt?  Ich bin in das berühmte Leben hinausgetreten, voll von dieser Begierde nach einem, einem Erlebnis, das meinen großen Ahnungen entspräche. Gott helfe mir, es ist mir nicht zu teil geworden! Ich bin umhergeschweift, um die gepriesensten Gegenden der Erde zu besuchen, um vor die Kunstwerke hinzutreten, um die die Menschheit mit den größten Wörtern tanzt; ich habe davor gestanden und mir gesagt: Es ist schön. Und doch: Schöner ist es nicht? Das ist das Ganze?  Ich habe keinen Sinn für Tatsächlichkeiten; das sagt vielleicht alles. Irgendwo in der Welt stand ich einmal im Gebirge an einer tiefen, schmalen Schlucht. Die Felsenwände waren nackt und senkrecht, und drunten brauste das Wasser über die Blöcke vorbei. Ich blickte hinab und dachte: Wie, wenn ich stürzte? Aber ich hatte Erfahrung genug, mir zu antworten: Wenn es geschähe, so würde ich im Falle zu mir sprechen: Nun stürzt du hinab, nun ist es Tatsache! Was ist das nun eigentlich? --  Wollen Sie mir glauben, dass ich genug erlebt habe, um ein wenig mitreden zu können? Vor Jahren liebte ich ein Mädchen, ein zartes und holdes Geschöpf, das ich an meiner Hand und unter meinem Schutze gern dahingeführt hätte; sie aber liebte mich nicht, das war kein Wunder, und ein anderer durfte sie schützen ... Gibt es ein Erlebnis, das leidvoller wäre? Gibt es etwas Peinigenderes als diese herbe Drangsal, die mit Wollust grausam vermengt ist? Ich habe manche Nacht mit offenen Augen gelegen, und trauriger, quälender als alles übrige war stets der Gedanke: Dies ist der große Schmerz! Nun erlebe ich ihn! -- Was ist das nun eigentlich? --  Ist es nötig, dass ich Ihnen auch von meinem Glücke spreche? Denn auch das Glück habe ich erlebt, auch das Glück hat mich enttäuscht ... Es ist nicht nötig; denn dies alles sind plumpe Beispiele, die Ihnen nicht klar machen werden, dass es das Leben im ganzen und allgemeinen ist, das Leben in seinem mittelmäßigen, uninteressanten und matten Verlaufe, das mich enttäuscht hat, enttäuscht, enttäuscht.  »Was ist,« schreibt der junge Werther einmal, »der Mensch, der gepriesene Halbgott? Ermangeln ihm nicht eben da die Kräfte, wo er sie am nötigsten braucht? Und wenn er in Freude sich aufschwingt oder in Leiden versinkt, wird er nicht in beiden eben da aufgehalten, eben da zu dem stumpfen, kalten Bewusstsein wieder zurückgebracht, da er sich in der Fülle des Unendlichen zu verlieren sehnte?«  Ich gedenke oft des Tages, an dem ich das Meer zum ersten Male erblickte. Das Meer ist groß, das Meer ist weit, mein Blick schweifte vom Strande hinaus und hoffte, befreit zu sein: dort hinten aber war der Horizont. Warum habe ich einen Horizont? Ich habe vom Leben das Unendliche erwartet.  Vielleicht ist er enger, mein Horizont, als der anderer Menschen? Ich habe gesagt, mir fehle der Sinn für Tatsächlichkeiten, -- habe ich vielleicht zu viel Sinn dafür? Kann ich zu bald nicht mehr? Bin ich zu schnell fertig? Kenne ich Glück und Schmerz nur in den niedrigsten Graden, nur in verdünntem Zustande?  Ich glaube es nicht; und ich glaube den Menschen nicht, ich glaube den wenigsten, die angesichts des Lebens in die großen Wörter der Dichter einstimmen -- es ist Feigheit und Lüge! Haben Sie übrigens bemerkt, mein Herr, dass es Menschen gibt, die so eitel sind und so gierig nach der Hochachtung und dem heimlichen Neide der anderen, dass sie vorgeben, nur die großen Wörter des Glücks erlebt zu haben, nicht aber die des Leidens?  Es ist dunkel, und Sie hören mir kaum noch zu; darum will ich es mir heute noch einmal gestehen, dass auch ich, ich selbst es einst versucht habe, mit diesen Menschen zu lügen, um mich vor mir und den anderen als glücklich hinzustellen. Aber es ist manches Jahr her, dass diese Eitelkeit zusammenbrach, und ich bin einsam, unglücklich und ein wenig wunderlich geworden, ich leugne es nicht.  Es ist meine Lieblingsbeschäftigung, bei Nacht den Sternenhimmel zu betrachten, denn ist das nicht die beste Art, von der Erde und vom Leben abzusehen? Und vielleicht ist es verzeihlich, dass ich es mir dabei angelegen sein lasse, mir meine Ahnungen wenigstens zu wahren? Von einem befreiten Leben zu träumen, in dem die Wirklichkeit in meinen großen Ahnungen ohne den quälenden Rest der Enttäuschung aufgeht? Von einem Leben, in dem es keinen Horizont mehr gibt?...  Ich träume davon, und ich erwarte den Tod. Ach, ich kenne ihn bereits so genau, den Tod, diese letzte Enttäuschung! Das ist der Tod, werde ich im letzten Augenblicke zu mir sprechen; nun erlebe ich ihn! -- _Was ist das nun eigentlich?_ --  Aber es ist kalt geworden auf dem Platze, mein Herr; ich bin imstande, das zu empfinden, hehe! Ich empfehle mich Ihnen aufs allerbeste. Adieu ...

Samstag, 29. August 2015

"Der Kirschgarten" im Brandenburgischen


 "Es ist kein Drama geworden, sondern eine Komödie, stellenweise sogar eine Farce" A.T.

Da hat mich mitten im dörflich-unaufgeregten, laß-alles-hängen Urlaub auf einem nahezu magisch-erholsamem Reiterhof das Theater erwischt. 
Unzählige Menschen dörfliche, zugereiste und pendelnde, investieren ungeheure Mengen Zeit und Kraft und Phantasie für kein bis ganz wenig Geld, um in einer alten Scheune Theater zu ermöglichen. Dorfbewohnerinnen schenken aus, Berliner Künstler verkaufen Eintrittskarten (Horst Vogelgesang), Polotrainer braten Würste, IT-Experten fahren das Licht, berentete Kostümassisstentinnen nähen und entwerfen Kostüme (Barbara Schiffner), anderswo gutbezahlte Schauspieler stellen ihr Talent zur Verfügung. Kinder wuseln herum. Brandenburger Bürger haben sich in Schale geworfen, um dem Ereignis beizuwohnen, leider zwingt der fiese Nieselregen zur Abdeckung der sorgfältigen Kreationen durch Nylonanoraks. Aber egal. 
Initiatorin all dieser Aktivitäten ist eine Schwäbin, eine Kostüm-und Bühnenbildnerin, eine Poloreiterin, eine Mutter, eine brillante Köchin, ein Energiebündel, eine, die Leute begeistern kann. Katja Lebelt.

Fanny Staffa hat eine kluge, knappe, klare und witzige Fassung des "Kirschgartens" von Anton Tschechow für drei Schauspieler, eine Frau und zwei Männer vorgegeben und ihre drei Spieler, Cornelia Heyse, Jannek Petri und Fabian Oehl danken es ihr mit Spielfreude und spielerischer Intelligenz. 

Ich hab das Stück oft gesehen und meist waren die parteilichen Entscheidungen schnell gefallen und  fielen meist sie zu Gunsten der romantischen, den Kirschgarten als Metapher liebenden Gutsbesitzer aus. Sentimentale Regisseure trafen auf scheinbar verwandte Seelen. Sie sind lebensunfähig, verschwenderisch und arrogant, aber eben auch rührend, gefühlig und bemitleidenswert. 

 
An diesem Abend, in dieser Inszenierung wird Lopachin zum heutigen tragischen Anti-Helden. Er ist nicht vom Schicksal verdammt, der Zeit überholt. Er ist Bauer, Sohn eines Bauern, Enkel eines Leibeigenen. Er weiß, wie die neue Zeit funktioniert und versucht verzweifelt und vergeblich, die die er immer noch, gegen alle eigene Interessen, bewundert, zu retten. Sie aber sind nicht rettbar. Und er muß unausweichlich zum Monster der NEUEN ZEIT werden, der den Garten abholzen wird. 

Janek Petri ist erstaunlich. Geduldig verharrt er so lang wie möglich in der Haltung des naiven, bewundernden, nahezu servilen Helfers. Nur ist er reich, sehr reich. Und wenn er begreift, das er seine kindliche sentimentalen Vorstellungen nicht aufrecht erhalten kann, dann, erst dann, wird er zum Zerstörer, zum Zerstörer, um den Neuaufbau, die Siedlung der Sommerfrischler aufzubauen. "Und jetzt die Kreissäge!" sind seine letzten Worte.

Lopachin, der liebende Retter, wird zum manischen Erneuerer. Liebe, unerwiedert, gebiert einen Albtraum.

"Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben", soll Gorbatschow gesagt haben, und er hatte wohl Recht.

LehnschulzenHofbühne Viesen e.V.
Viesener Dorfstraße 45, 14789 Rosenau OT Viesen, Deutschland 

Kolumne: Als ich noch ein Zuschauer war – Wolfgang Behrens über die Fallen des Sommertheaters und den grenzenlosen Masochismus des Publikums

http://nachtkritik.de/index.php?option=com_content&view=article&id=11345:kolumne-als-ich-noch-ein-zuschauer-war-wolfgang-behrens-ueber-das-zweifelhafte-vergnuegen-des-sommertheaters-und-den-masochismus-des-publikums&catid=1503:kolumne-wolfgang-behrens&Itemid=1

Mittwoch, 26. August 2015

Das Grundgesetz der BRD - zur Erinnerung


I. Die Grundrechte

Artikel 1

(1) Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.
(2) Das Deutsche Volk bekennt sich darum zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt.
(3) Die nachfolgenden Grundrechte binden Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung als unmittelbar geltendes Recht.

Artikel 2

(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.
(2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden.

Artikel 3

(1) Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich.
(2) Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.
(3) Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.

Artikel 4

(1) Die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses sind unverletzlich.
(2) Die ungestörte Religionsausübung wird gewährleistet.
(3) Niemand darf gegen sein Gewissen zum Kriegsdienst mit der Waffe gezwungen werden. Das Nähere regelt ein Bundesgesetz.

Artikel 5

(1) Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten. Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film werden gewährleistet. Eine Zensur findet nicht statt.
(2) Diese Rechte finden ihre Schranken in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze, den gesetzlichen Bestimmungen zum Schutze der Jugend und in dem Recht der persönlichen Ehre.
(3) Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre sind frei. Die Freiheit der Lehre entbindet nicht von der Treue zur Verfassung.

Artikel 6

(1) Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung.
(2) Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. Über ihre Betätigung wacht die staatliche Gemeinschaft.
(3) Gegen den Willen der Erziehungsberechtigten dürfen Kinder nur auf Grund eines Gesetzes von der Familie getrennt werden, wenn die Erziehungsberechtigten versagen oder wenn die Kinder aus anderen Gründen zu verwahrlosen drohen.
(4) Jede Mutter hat Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge der Gemeinschaft.
(5) Den unehelichen Kindern sind durch die Gesetzgebung die gleichen Bedingungen für ihre leibliche und seelische Entwicklung und ihre Stellung in der Gesellschaft zu schaffen wie den ehelichen Kindern.

Artikel 7

(1) Das gesamte Schulwesen steht unter der Aufsicht des Staates.
(2) Die Erziehungsberechtigten haben das Recht, über die Teilnahme des Kindes am Religionsunterricht zu bestimmen.
(3) Der Religionsunterricht ist in den öffentlichen Schulen mit Ausnahme der bekenntnisfreien Schulen ordentliches Lehrfach. Unbeschadet des staatlichen Aufsichtsrechtes wird der Religionsunterricht in Übereinstimmung mit den Grundsätzen der Religionsgemeinschaften erteilt. Kein Lehrer darf gegen seinen Willen verpflichtet werden, Religionsunterricht zu erteilen.
(4) Das Recht zur Errichtung von privaten Schulen wird gewährleistet. Private Schulen als Ersatz für öffentliche Schulen bedürfen der Genehmigung des Staates und unterstehen den Landesgesetzen. Die Genehmigung ist zu erteilen, wenn die privaten Schulen in ihren Lehrzielen und Einrichtungen sowie in der wissenschaftlichen Ausbildung ihrer Lehrkräfte nicht hinter den öffentlichen Schulen zurückstehen und eine Sonderung der Schüler nach den Besitzverhältnissen der Eltern nicht gefördert wird. Die Genehmigung ist zu versagen, wenn die wirtschaftliche und rechtliche Stellung der Lehrkräfte nicht genügend gesichert ist.
(5) Eine private Volksschule ist nur zuzulassen, wenn die Unterrichtsverwaltung ein besonderes pädagogisches Interesse anerkennt oder, auf Antrag von Erziehungsberechtigten, wenn sie als Gemeinschaftsschule, als Bekenntnis- oder Weltanschauungsschule errichtet werden soll und eine öffentliche Volksschule dieser Art in der Gemeinde nicht besteht.
(6) Vorschulen bleiben aufgehoben.

Artikel 8

(1) Alle Deutschen haben das Recht, sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu versammeln.
(2) Für Versammlungen unter freiem Himmel kann dieses Recht durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes beschränkt werden.

Artikel 9

(1) Alle Deutschen haben das Recht, Vereine und Gesellschaften zu bilden.
(2) Vereinigungen, deren Zwecke oder deren Tätigkeit den Strafgesetzen zuwiderlaufen oder die sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder gegen den Gedanken der Völkerverständigung richten, sind verboten.
(3) Das Recht, zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen Vereinigungen zu bilden, ist für jedermann und für alle Berufe gewährleistet. Abreden, die dieses Recht einschränken oder zu behindern suchen, sind nichtig, hierauf gerichtete Maßnahmen sind rechtswidrig. Maßnahmen nach den Artikeln 12a, 35 Abs. 2 und 3, Artikel 87a Abs. 4 und Artikel 91 dürfen sich nicht gegen Arbeitskämpfe richten, die zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen von Vereinigungen im Sinne des Satzes 1 geführt werden.

Artikel 10

(1) Das Briefgeheimnis sowie das Post- und Fernmeldegeheimnis sind unverletzlich.
(2) Beschränkungen dürfen nur auf Grund eines Gesetzes angeordnet werden. Dient die Beschränkung dem Schutze der freiheitlichen demokratischen Grundordnung oder des Bestandes oder der Sicherung des Bundes oder eines Landes, so kann das Gesetz bestimmen, daß sie dem Betroffenen nicht mitgeteilt wird und daß an die Stelle des Rechtsweges die Nachprüfung durch von der Volksvertretung bestellte Organe und Hilfsorgane tritt.

Artikel 11

(1) Alle Deutschen genießen Freizügigkeit im ganzen Bundesgebiet.
(2) Dieses Recht darf nur durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes und nur für die Fälle eingeschränkt werden, in denen eine ausreichende Lebensgrundlage nicht vorhanden ist und der Allgemeinheit daraus besondere Lasten entstehen würden oder in denen es zur Abwehr einer drohenden Gefahr für den Bestand oder die freiheitliche demokratische Grundordnung des Bundes oder eines Landes, zur Bekämpfung von Seuchengefahr, Naturkatastrophen oder besonders schweren Unglücksfällen, zum Schutze der Jugend vor Verwahrlosung oder um strafbaren Handlungen vorzubeugen, erforderlich ist.

Artikel 12

(1) Alle Deutschen haben das Recht, Beruf, Arbeitsplatz und Ausbildungsstätte frei zu wählen. Die Berufsausübung kann durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes geregelt werden.
(2) Niemand darf zu einer bestimmten Arbeit gezwungen werden, außer im Rahmen einer herkömmlichen allgemeinen, für alle gleichen öffentlichen Dienstleistungspflicht.
(3) Zwangsarbeit ist nur bei einer gerichtlich angeordneten Freiheitsentziehung zulässig.

Artikel 12a

(1) Männer können vom vollendeten achtzehnten Lebensjahr an zum Dienst in den Streitkräften, im Bundesgrenzschutz oder in einem Zivilschutzverband verpflichtet werden.
(2) Wer aus Gewissensgründen den Kriegsdienst mit der Waffe verweigert, kann zu einem Ersatzdienst verpflichtet werden. Die Dauer des Ersatzdienstes darf die Dauer des Wehrdienstes nicht übersteigen. Das Nähere regelt ein Gesetz, das die Freiheit der Gewissensentscheidung nicht beeinträchtigen darf und auch eine Möglichkeit des Ersatzdienstes vorsehen muß, die in keinem Zusammenhang mit den Verbänden der Streitkräfte und des Bundesgrenzschutzes steht.
(3) Wehrpflichtige, die nicht zu einem Dienst nach Absatz 1 oder 2 herangezogen sind, können im Verteidigungsfalle durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes zu zivilen Dienstleistungen für Zwecke der Verteidigung einschließlich des Schutzes der Zivilbevölkerung in Arbeitsverhältnisse verpflichtet werden; Verpflichtungen in öffentlich-rechtliche Dienstverhältnisse sind nur zur Wahrnehmung polizeilicher Aufgaben oder solcher hoheitlichen Aufgaben der öffentlichen Verwaltung, die nur in einem öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis erfüllt werden können, zulässig. Arbeitsverhältnisse nach Satz 1 können bei den Streitkräften, im Bereich ihrer Versorgung sowie bei der öffentlichen Verwaltung begründet werden; Verpflichtungen in Arbeitsverhältnisse im Bereiche der Versorgung der Zivilbevölkerung sind nur zulässig, um ihren lebensnotwendigen Bedarf zu decken oder ihren Schutz sicherzustellen.
(4) Kann im Verteidigungsfalle der Bedarf an zivilen Dienstleistungen im zivilen Sanitäts- und Heilwesen sowie in der ortsfesten militärischen Lazarettorganisation nicht auf freiwilliger Grundlage gedeckt werden, so können Frauen vom vollendeten achtzehnten bis zum vollendeten fünfundfünfzigsten Lebensjahr durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes zu derartigen Dienstleistungen herangezogen werden. Sie dürfen auf keinen Fall zum Dienst mit der Waffe verpflichtet werden.
(5) Für die Zeit vor dem Verteidigungsfalle können Verpflichtungen nach Absatz 3 nur nach Maßgabe des Artikels 80a Abs. 1 begründet werden. Zur Vorbereitung auf Dienstleistungen nach Absatz 3, für die besondere Kenntnisse oder Fertigkeiten erforderlich sind, kann durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes die Teilnahme an Ausbildungsveranstaltungen zur Pflicht gemacht werden. Satz 1 findet insoweit keine Anwendung.
(6) Kann im Verteidigungsfalle der Bedarf an Arbeitskräften für die in Absatz 3 Satz 2 genannten Bereiche auf freiwilliger Grundlage nicht gedeckt werden, so kann zur Sicherung dieses Bedarfs die Freiheit der Deutschen, die Ausübung eines Berufs oder den Arbeitsplatz aufzugeben, durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes eingeschränkt werden. Vor Eintritt des Verteidigungsfalles gilt Absatz 5 Satz 1 entsprechend.

Artikel 13

(1) Die Wohnung ist unverletzlich.
(2) Durchsuchungen dürfen nur durch den Richter, bei Gefahr im Verzuge auch durch die in den Gesetzen vorgesehenen anderen Organe angeordnet und nur in der dort vorgeschriebenen Form durchgeführt werden.
(3) Begründen bestimmte Tatsachen den Verdacht, daß jemand eine durch Gesetz einzeln bestimmte besonders schwere Straftat begangen hat, so dürfen zur Verfolgung der Tat auf Grund richterlicher Anordnung technische Mittel zur akustischen Überwachung von Wohnungen, in denen der Beschuldigte sich vermutlich aufhält, eingesetzt werden, wenn die Erforschung des Sachverhalts auf andere Weise unverhältnismäßig erschwert oder aussichtslos wäre. Die Maßnahme ist zu befristen. Die Anordnung erfolgt durch einen mit drei Richtern besetzten Spruchkörper. Bei Gefahr im Verzuge kann sie auch durch einen einzelnen Richter getroffen werden.
(4) Zur Abwehr dringender Gefahren für die öffentliche Sicherheit, insbesondere einer gemeinen Gefahr oder einer Lebensgefahr, dürfen technische Mittel zur Überwachung von Wohnungen nur auf Grund richterlicher Anordnung eingesetzt werden. Bei Gefahr im Verzuge kann die Maßnahme auch durch eine andere gesetzlich bestimmte Stelle angeordnet werden; eine richterliche Entscheidung ist unverzüglich nachzuholen.
(5) Sind technische Mittel ausschließlich zum Schutze der bei einem Einsatz in Wohnungen tätigen Personen vorgesehen, kann die Maßnahme durch eine gesetzlich bestimmte Stelle angeordnet werden. Eine anderweitige Verwertung der hierbei erlangten Erkenntnisse ist nur zum Zwecke der Strafverfolgung oder der Gefahrenabwehr und nur zulässig, wenn zuvor die Rechtmäßigkeit der Maßnahme richterlich festgestellt ist; bei Gefahr im Verzuge ist die richterliche Entscheidung unverzüglich nachzuholen.
(6) Die Bundesregierung unterrichtet den Bundestag jährlich über den nach Absatz 3 sowie über den im Zuständigkeitsbereich des Bundes nach Absatz 4 und, soweit richterlich überprüfungsbedürftig, nach Absatz 5 erfolgten Einsatz technischer Mittel. Ein vom Bundestag gewähltes Gremium übt auf der Grundlage dieses Berichts die parlamentarische Kontrolle aus. Die Länder gewährleisten eine gleichwertige parlamentarische Kontrolle.
(7) Eingriffe und Beschränkungen dürfen im übrigen nur zur Abwehr einer gemeinen Gefahr oder einer Lebensgefahr für einzelne Personen, auf Grund eines Gesetzes auch zur Verhütung dringender Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung, insbesondere zur Behebung der Raumnot, zur Bekämpfung von Seuchengefahr oder zum Schutze gefährdeter Jugendlicher vorgenommen werden.

Artikel 14

(1) Das Eigentum und das Erbrecht werden gewährleistet. Inhalt und Schranken werden durch die Gesetze bestimmt.
(2) Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen.
(3) Eine Enteignung ist nur zum Wohle der Allgemeinheit zulässig. Sie darf nur durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes erfolgen, das Art und Ausmaß der Entschädigung regelt. Die Entschädigung ist unter gerechter Abwägung der Interessen der Allgemeinheit und der Beteiligten zu bestimmen. Wegen der Höhe der Entschädigung steht im Streitfalle der Rechtsweg vor den ordentlichen Gerichten offen.

Artikel 15

Grund und Boden, Naturschätze und Produktionsmittel können zum Zwecke der Vergesellschaftung durch ein Gesetz, das Art und Ausmaß der Entschädigung regelt, in Gemeineigentum oder in andere Formen der Gemeinwirtschaft überführt werden. Für die Entschädigung gilt Artikel 14 Abs. 3 Satz 3 und 4 entsprechend.

Artikel 16

(1) Die deutsche Staatsangehörigkeit darf nicht entzogen werden. Der Verlust der Staatsangehörigkeit darf nur auf Grund eines Gesetzes und gegen den Willen des Betroffenen nur dann eintreten, wenn der Betroffene dadurch nicht staatenlos wird.
(2) Kein Deutscher darf an das Ausland ausgeliefert werden. Durch Gesetz kann eine abweichende Regelung für Auslieferungen an einen Mitgliedstaat der Europäischen Union oder an einen internationalen Gerichtshof getroffen werden, soweit rechtsstaatliche Grundsätze gewahrt sind.

Artikel 16a

(1) Politisch Verfolgte genießen Asylrecht.
(2) Auf Absatz 1 kann sich nicht berufen, wer aus einem Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaften oder aus einem anderen Drittstaat einreist, in dem die Anwendung des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge und der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten sichergestellt ist. Die Staaten außerhalb der Europäischen Gemeinschaften, auf die die Voraussetzungen des Satzes 1 zutreffen, werden durch Gesetz, das der Zustimmung des Bundesrates bedarf, bestimmt. In den Fällen des Satzes 1 können aufenthaltsbeendende Maßnahmen unabhängig von einem hiergegen eingelegten Rechtsbehelf vollzogen werden.
(3) Durch Gesetz, das der Zustimmung des Bundesrates bedarf, können Staaten bestimmt werden, bei denen auf Grund der Rechtslage, der Rechtsanwendung und der allgemeinen politischen Verhältnisse gewährleistet erscheint, daß dort weder politische Verfolgung noch unmenschliche oder erniedrigende Bestrafung oder Behandlung stattfindet. Es wird vermutet, daß ein Ausländer aus einem solchen Staat nicht verfolgt wird, solange er nicht Tatsachen vorträgt, die die Annahme begründen, daß er entgegen dieser Vermutung politisch verfolgt wird.
(4) Die Vollziehung aufenthaltsbeendender Maßnahmen wird in den Fällen des Absatzes 3 und in anderen Fällen, die offensichtlich unbegründet sind oder als offensichtlich unbegründet gelten, durch das Gericht nur ausgesetzt, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Maßnahme bestehen; der Prüfungsumfang kann eingeschränkt werden und verspätetes Vorbringen unberücksichtigt bleiben. Das Nähere ist durch Gesetz zu bestimmen.
(5) Die Absätze 1 bis 4 stehen völkerrechtlichen Verträgen von Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaften untereinander und mit dritten Staaten nicht entgegen, die unter Beachtung der Verpflichtungen aus dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge und der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, deren Anwendung in den Vertragsstaaten sichergestellt sein muß, Zuständigkeitsregelungen für die Prüfung von Asylbegehren einschließlich der gegenseitigen Anerkennung von Asylentscheidungen treffen.

Artikel 17

Jedermann hat das Recht, sich einzeln oder in Gemeinschaft mit anderen schriftlich mit Bitten oder Beschwerden an die zuständigen Stellen und an die Volksvertretung zu wenden.

Artikel 17a

(1) Gesetze über Wehrdienst und Ersatzdienst können bestimmen, daß für die Angehörigen der Streitkräfte und des Ersatzdienstes während der Zeit des Wehr- oder Ersatzdienstes das Grundrecht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten (Artikel 5 Abs. 1 Satz 1 erster Halbsatz), das Grundrecht der Versammlungsfreiheit (Artikel 8) und das Petitionsrecht (Artikel 17), soweit es das Recht gewährt, Bitten oder Beschwerden in Gemeinschaft mit anderen vorzubringen, eingeschränkt werden.
(2) Gesetze, die der Verteidigung einschließlich des Schutzes der Zivilbevölkerung dienen, können bestimmen, daß die Grundrechte der Freizügigkeit (Artikel 11) und der Unverletzlichkeit der Wohnung (Artikel 13) eingeschränkt werden.

Artikel 18

Wer die Freiheit der Meinungsäußerung, insbesondere die Pressefreiheit (Artikel 5 Abs. 1), die Lehrfreiheit (Artikel 5 Abs. 3), die Versammlungsfreiheit (Artikel 8), die Vereinigungsfreiheit (Artikel 9), das Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis (Artikel 10), das Eigentum (Artikel 14) oder das Asylrecht (Artikel 16a) zum Kampfe gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung mißbraucht, verwirkt diese Grundrechte. Die Verwirkung und ihr Ausmaß werden durch das Bundesverfassungsgericht ausgesprochen.

Artikel 19

(1) Soweit nach diesem Grundgesetz ein Grundrecht durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes eingeschränkt werden kann, muß das Gesetz allgemein und nicht nur für den Einzelfall gelten. Außerdem muß das Gesetz das Grundrecht unter Angabe des Artikels nennen.
(2) In keinem Falle darf ein Grundrecht in seinem Wesensgehalt angetastet werden.
(3) Die Grundrechte gelten auch für inländische juristische Personen, soweit sie ihrem Wesen nach auf diese anwendbar sind.
(4) Wird jemand durch die öffentliche Gewalt in seinen Rechten verletzt, so steht ihm der Rechtsweg offen. Soweit eine andere Zuständigkeit nicht begründet ist, ist der ordentliche Rechtsweg gegeben. Artikel 10 Abs. 2 Satz 2 bleibt unberührt.

Fremdenfeindlichkeit in Berlin: Mann uriniert in S-Bahn auf Kinder

  Seit Stunden diskutiert eine Gruppe kluger und nur sehr gelegentlich unsachlicher Facebook-Freunde über das Thema - Flüchtlinge - und obwohl sie informiert, schlau und nachdenklich sind, hat das Gespräch einen Grundton von angstvoller Hilflosigkeit. Und es schwingt die Besorgnis mit, dass sie ganz persönlich der Konfrontation mit der Realität des Problems trotz aller aufrichtiger Offenheit und Akzeptanz nicht gewachsen sein könnten. Mir geht es ebenso. 

Die Hälfte meiner Familie hat das Dritte Reich überlebt, weil Menschen, die wir heute manchmal so eilfertig "Gutmenschen" nennen, ihnen ihr Haus, ihr Herz, ihren Brotkorb geöffnet haben. Sie waren Flüchtlinge, Asylsuchende, Habenichtse. 

Einige meiner liebsten Freunde sind von Ost nach West geflohen, bedroht in ihrem innersten Wesen, wenn schon nicht in ihrer körperlichen Existenz. Sie sind aufgenommen worden.

Ich gucke Nachrichten, da rennen, stürzen, krabbeln Flüchtlinge an der mazedonischen Grenze mit ziemlich kleinen Rucksäcken, ihrer gesamten Habe, auf dem Rücken und noch kleineren Kindern auf dem Arm über eine Grenze. Fort von etwas Schlimmem, in der Hoffnung auf etwas Besseres. Es wird geschossen. Wie kann ich, die ich es gern bequem habe und mich nur schwer von überflüssigem Scheiß trennen kann, in irgendwelcher Form über sie urteilen? 

Aber, wie werden wir, die Schon-Hier-Seienden und die Ankommenden miteinander leben?
Feindlich? Neidisch? Mißtrauisch? Auf jeden Fall wird es anders werden, als es jetzt ist. Das macht Angst. 

Deutschland ist heute noch ein primär weißes christlich geprägtes Land. Das wird nicht so bleiben. Multikulturalismus, welch ein Begriff, ist, soweit ich das sehe, eher blauäugige Vision, als Tatsache. Was ist die zukünftige Realität?

 -------------------------------------------------------

„Auf der Flucht vor dem Anstreicher nach den Staaten / Merkten wir plötzlich, daß unser kleines Schiff stillag. / Eine ganze Nacht und einen ganzen Tag / Lag es auf der Höhe von Luzon im Chinesischen Meer. / Einige sagten, eines Taifuns wegen, der im Norden tobte / Andere befürchteten deutsche Piratenschiffe. / Alle / Zogen den Taifun den Deutschen vor.“
b.b.
 
-------------------------------------------------------

Fremdenfeindlichkeit in Berlin: Mann uriniert in S-Bahn auf Kinder



-------------------------------------------------------

Ein nachdenklicher Zwischenruf eines ehemaligen Asylrichters: Vorboten einer neuzeitlichen Völkerwanderung Von Peter Vonnahme


ANATOMIE TITUS
Von Heiner Müller

AARON:
GRAS SPRENGT DEN STEIN DIE WÄNDE TREIBEN BLÜTEN
DIE FUNDAMENTE SCHWITZEN SKLAVENBLUT
RAUBKATZENATEM WEHT I
M PARLAMENT
MIT HEISSER WOLKE MIT GESTANK VON AAS
HYÄNENSCHATTEN STREICHT UND GEIERFLUG
DURCH DIE ALLEEN UND FLECKT DIE SIEGESSÄULEN
DIE PANTHER SPRINGEN LAUTLOS DURCH DIE BANKEN
ALLES WIRD UFER WARTET AUF DAS MEER
IM SCHLAMM DER KANALISATION TROMPETEN
DIE TOTEN ELEFANTEN HANNIBALS
DIE SPÄHER ATTILAS GEHN ALS TOURISTEN
DURCH DIE MUSEEN UND BEISSEN IN DEN MARMOR
MESSEN DIE KIRCHEN AUS FÜR PFERDESTÄLLE
UND SCHWEIFEN GIERIG DURCH DEN SUPERMARKT
DEN RAUB DER KOLONIEN DEN ÜBERS JAHR
DIE HUFE IHRER PFERDE KÜSSEN WERDEN
HEIMHOLEND IN DAS NICHTS DIE ERSTE WELT 


https://www.youtube.com/watch?v=1Zuxig9HLnY&feature=youtu.be 

Mittwoch, 19. August 2015

Nachtrag zu: Die Straße, die man nicht geht - Robert Frost


Der Vollstädigkeit halber - heute gefunden, noch eine Übersetzung von Lars Vollert:

Der nicht genommene Weg

Zwei Wege trennten sich im gelben Wald,
und weil ich leider nicht auf beiden gehn
und Einer bleiben konnte, stand ich lang
und sah, so weit es ging, dem einen nach
bis dort, wo in der Dickung er verschwand.

Ich nahm den andern dann, auch der war schön
und hatte wohl noch eher Anspruch drauf:
Er war voll Gras und wollt begangen sein.
Was das betraf, so schiens's, dass beide schon
vom Wandern ähnlich ausgetreten waren,

und beide lagen an dem Morgen gleich
in Laub, das noch nicht schwarz von Tritten war.
Ich ließ den ersten für ein andermal!
Wiewohl: Ein Weg führt in den nächsten Weg;
ich hatte Zweifel je zurückzukehren.

Mit Seufzen sprech ich sicher einst davon
nach langer, langer Zeit und irgendwo:
Zwei Wege trennten sich im Wald, und ich -
ich nahm den Weg, der kaum begangen war,
das hat den ganzen Unterschied gemacht.

Dienstag, 18. August 2015

Eloge auf das Internet


Da fällt mir ein, dass ich im nächsten Jahr "Diener zweier Herren" machen werde und gern nochmal die uralte Übersetzung von Justus Heinrich Saal lesen würde. Nur liegt die als verblasste Ormigkopie, violet auf gelblichem Papier, im Container in Rostock inmitten meiner Möbel. Also auf ins Internet. Saal, Goldoni ergibt auf Google wenig, zeno.org, Gutenberg - nix. Auf ZVAB, der Antiquariatseite, ein Treffer, "Des Herrn Carl Goldoni Sämmtliche Lustspiele; mit Kupfern, Neunter Theil, Mit Churfürstl. Sächß. gnädigstem Privilegio. Leipzig, Gedruckt und zu binden bey Zacharias Heinrich Eisfeld, 1771" für nur 157 Euro. Nö. Aber jetzt weiß ich wenigstens nach was genau ich suchen muß. Freundin anrufen, mich beraten lassen. Auf google.book.com kann man ein Faksimile online lesen, aber nicht drucken. Aber in der Bayrischen Staatsbibliothek gibt es die Möglichkeit eine pdf Datei runterzuladen und die kann man drucken. Juchuh!

Ist das nicht großartig? Ein 244 Jahre altes Buch, eingescannt, ins Netz gesetzt und zugänglich für jeden, ohne Reise, ohne Bürokratie, für den Preis von Papier und Druckertinte.
Letztens habe ich ein Soldatenlied über die Schlacht von Agincourt gesucht und - gefunden.
Übersetzungvarianten von Gedichten? Wißt ihr wie viele Menschen sich hinsetzen und Poesiebearbeitungen für ihre Blogs eigenhändig tippen? Viele.
Wörterbücher, Lexika, Historiensammlungen. Alles da. Fachleute für Kosmologie, TED-talks zu praktisch jedem interessant und idiotischen Thema, Claude Monet 1915 beim Malen am Seerosenteich gefilmt!
https://www.youtube.com/watch?v=BJE4QUNgaeg

Buster Keatons Filme vollständig auf youtube. Und Vimeo gibt es auch noch. Und...

Pierer's Universal-Lexikon« in 19 Bänden 4. Auflage von 1857 und 1865
Seiner Hoheit Dem gnädigsten Herzog und Herrn Ernst, regierendem Herzog von Sachsen-Altenburg meinem gnädigsten Fürsten und Herrn, in tiefster Ehrfurcht und Unterthänigkeit gewidmet von Eugen Pierer.
Der Link zum Text über die Runkelrübe:

Hier kann man sowjetische, bzw. russische Filme gucken

https://www.youtube.com/user/mosfilm#p/f/28/JYEfJhkPK7o

Und da ist das Archiv der BBC
http://www.bbc.co.uk/archive/

Alles legal! Natürlich gibt es auch anderes. Aber... Und dann gibt es auch eine Menge Müll. Und gefährliche Ablenkung. Und unterhaltsame.

Die Straße, die man nicht geht - Robert Frost

 
Poetry is what gets lost in translation.
Poesie ist, was in der Übersetzung verloren geht.
 
In Amerika ist dies eines der Gedichte, die zu Kalenderweisheiten herunterzitiert worden sind. Großmutter an Enkel, Vater zu Sohn, Poesiealbenkitsch. Schön ist es aber trotzdem. Zwei der Übersetzer haben sich gegen die Reime zu Gunsten der Worte entschieden. Ein Titel gibt schon eine Entscheidung vor, was schade ist, denn das "Was wäre wenn..." braucht Unsicherheit.
 
  
 
THE ROAD NOT TAKEN

Two roads diverged in a yellow wood,
And sorry I could not travel both
And be one traveler, long I stood
And looked down one as far as I could
To where it bent in the undergrowth;

Then took the other, as just as fair,
And having perhaps the better claim,
Because it was grassy and wanted wear;
Though as for that the passing there
Had worn them really about the same,

And both that morning equally lay
In leaves no step had trodden black.
Oh, I kept the first for another day!
Yet knowing how way leads on to way,
I doubted if I should ever come back.

I shall be telling this with a sigh
Somewhere ages and ages hence:
Two roads diverged in a wood, and I –
I took the one less traveled by,
And that has made all the difference.

 
DER UNBEGANGENE WEG

In einem gelben Wald, da lief die Straße auseinander,
und ich, betrübt, daß ich, ein Wandrer bleibend, nicht
die beiden Wege gehen konnte, stand
und sah dem einen nach so weit es ging:
bis dorthin, wo er sich im Unterholz verlor.

Und schlug den andern ein, nicht minder schön als jener,
und schritt damit auf dem vielleicht, der höher galt,
denn er war grasig und er wollt begangen sein,
obgleich, was dies betraf, die dort zu gehen pflegten,
sie beide, den und jenen, gleich begangen hatten.

Und beide lagen sie an jenem Morgen gleicherweise
voll Laubes, das kein Schritt noch schwarzgetreten hatte.
Oh, für ein andermal hob ich mir jenen ersten auf!
Doch wissend, wie’s mit Wegen ist, wie Weg zu Weg führt,
erschien mir zweifelhaft, daß ich je wiederkommen würde.

Dies alles sage ich, mit einem Ach darin, dereinst
und irgendwo nach Jahr und Jahr und Jahr:
Im Wald, da war ein Weg, der Weg lief auseinander,
und ich – ich schlug den einen ein, den weniger begangnen,
und dieses war der ganze Unterschied.
 
Übersetzung von Paul Celan


Was wäre, wenn jede unserer Entscheidungen und alle die, die auch möglich gewesen wären, in unzählig vielen Universen nebeneinander existierten?
 
 
 
DIE VERPASSTE STRASSE

Zwei Straßen gingen ab im gelben Wald,
Und leider konnte ich nicht beide reisen,
Da ich nur einer war; ich stand noch lang
Und sah noch nach, so weit es ging, der einen
Bis sie im Unterholz verschwand;

Und nahm die andre, grad so schön gelegen,
Die vielleicht einen bessern Weg versprach,
Denn grasbewachsen kam sie mir entgegen;
Jedoch, so weit es den Verkehr betraf,
So schienen beide gleichsam ausgetreten,

An jenem Morgen lagen beide da
Mit frischen Blättern, noch nicht schwarz getreten.
Hob mir die eine auf für’n andern Tag!
Doch wusste ich, wie’s meist so geht mit Wegen,
Ob ich je wiederkäm, war zweifelhaft.

Es könnte sein, dass ich dies seufzend sag,
Wenn Jahre und Jahrzehnte fortgeschritten:
Zwei Straßen gingen ab im Wald, und da –
Wählt‘ ich jene, die nicht oft beschritten,
Und das hat allen Unterschied gemacht.

 Übersetzung von Eric Boerner


DER NICHTGEGANGENE WEG
 
Zwei Wege trennten sich im fahlen Wald
und, weil ich nicht auf beiden konnte gehn
und einer bleiben, macht’ ich lange Halt
und schaute auf des einen Wegs Gestalt,
soweit ich durch die Büsche konnte sehn.

Ging dann den andern – der, genauso schön,
den grösser’n Anspruch hatte auf Gebrauch,
denn Gras wuchs drauf und brauchte Drübergehn –
obgleich die Wand’rer, muss ich schon gestehn,
gebrauchten einen wie den andern auch.

Sie lagen vor mir, beide gleich, zuhauf
mit Blättern, die kein Tritt noch aufgestört.
Ich hob mir einen Weg für später auf!
Doch Wege führ’n zu and’rer Wege Lauf:
Ich wußte wohl, dass keiner wiederkehrt.

Und seufzend werd’ ich einmal sicherlich
es dort erzählen, wo die Zeit verweht:
Zwei Waldeswege trennten sich und ich –
ich ging und wählt’ den stilleren für mich –
und das hat all mein Leben umgedreht. 

Übersetzung von Walter A. Aue


Happiness makes up in height for what it lacks in length. 
 Glück macht durch Höhe wett, was ihm an Länge fehlt.