Samstag, 29. August 2015

"Der Kirschgarten" im Brandenburgischen


 "Es ist kein Drama geworden, sondern eine Komödie, stellenweise sogar eine Farce" A.T.

Da hat mich mitten im dörflich-unaufgeregten, laß-alles-hängen Urlaub auf einem nahezu magisch-erholsamem Reiterhof das Theater erwischt. 
Unzählige Menschen dörfliche, zugereiste und pendelnde, investieren ungeheure Mengen Zeit und Kraft und Phantasie für kein bis ganz wenig Geld, um in einer alten Scheune Theater zu ermöglichen. Dorfbewohnerinnen schenken aus, Berliner Künstler verkaufen Eintrittskarten (Horst Vogelgesang), Polotrainer braten Würste, IT-Experten fahren das Licht, berentete Kostümassisstentinnen nähen und entwerfen Kostüme (Barbara Schiffner), anderswo gutbezahlte Schauspieler stellen ihr Talent zur Verfügung. Kinder wuseln herum. Brandenburger Bürger haben sich in Schale geworfen, um dem Ereignis beizuwohnen, leider zwingt der fiese Nieselregen zur Abdeckung der sorgfältigen Kreationen durch Nylonanoraks. Aber egal. 
Initiatorin all dieser Aktivitäten ist eine Schwäbin, eine Kostüm-und Bühnenbildnerin, eine Poloreiterin, eine Mutter, eine brillante Köchin, ein Energiebündel, eine, die Leute begeistern kann. Katja Lebelt.

Fanny Staffa hat eine kluge, knappe, klare und witzige Fassung des "Kirschgartens" von Anton Tschechow für drei Schauspieler, eine Frau und zwei Männer vorgegeben und ihre drei Spieler, Cornelia Heyse, Jannek Petri und Fabian Oehl danken es ihr mit Spielfreude und spielerischer Intelligenz. 

Ich hab das Stück oft gesehen und meist waren die parteilichen Entscheidungen schnell gefallen und  fielen meist sie zu Gunsten der romantischen, den Kirschgarten als Metapher liebenden Gutsbesitzer aus. Sentimentale Regisseure trafen auf scheinbar verwandte Seelen. Sie sind lebensunfähig, verschwenderisch und arrogant, aber eben auch rührend, gefühlig und bemitleidenswert. 

 
An diesem Abend, in dieser Inszenierung wird Lopachin zum heutigen tragischen Anti-Helden. Er ist nicht vom Schicksal verdammt, der Zeit überholt. Er ist Bauer, Sohn eines Bauern, Enkel eines Leibeigenen. Er weiß, wie die neue Zeit funktioniert und versucht verzweifelt und vergeblich, die die er immer noch, gegen alle eigene Interessen, bewundert, zu retten. Sie aber sind nicht rettbar. Und er muß unausweichlich zum Monster der NEUEN ZEIT werden, der den Garten abholzen wird. 

Janek Petri ist erstaunlich. Geduldig verharrt er so lang wie möglich in der Haltung des naiven, bewundernden, nahezu servilen Helfers. Nur ist er reich, sehr reich. Und wenn er begreift, das er seine kindliche sentimentalen Vorstellungen nicht aufrecht erhalten kann, dann, erst dann, wird er zum Zerstörer, zum Zerstörer, um den Neuaufbau, die Siedlung der Sommerfrischler aufzubauen. "Und jetzt die Kreissäge!" sind seine letzten Worte.

Lopachin, der liebende Retter, wird zum manischen Erneuerer. Liebe, unerwiedert, gebiert einen Albtraum.

"Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben", soll Gorbatschow gesagt haben, und er hatte wohl Recht.

LehnschulzenHofbühne Viesen e.V.
Viesener Dorfstraße 45, 14789 Rosenau OT Viesen, Deutschland 

Kolumne: Als ich noch ein Zuschauer war – Wolfgang Behrens über die Fallen des Sommertheaters und den grenzenlosen Masochismus des Publikums

http://nachtkritik.de/index.php?option=com_content&view=article&id=11345:kolumne-als-ich-noch-ein-zuschauer-war-wolfgang-behrens-ueber-das-zweifelhafte-vergnuegen-des-sommertheaters-und-den-masochismus-des-publikums&catid=1503:kolumne-wolfgang-behrens&Itemid=1

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen