Sonntag, 30. August 2015

Wenn das alles ist? - Thomas Mann & Peggy Lee



Jerry Leiber & Mike Stoller, waren eines der größten Songschreiberteams der 50er und 60er Jahre. "Stand by me", "Jailhouse Rock", "Love Potion Nr.9", "On Broadway", "Spanish Harlem", um nur einige zu nennen. Big Mama Thornton, The Drifters, Elvis, Sammy David jr., Ben E. King und Peggy Lee haben ihre Lieder gesungen, auch dies wieder nur eine kleine Auswahl.
Und heute bin ich auf eins ihrer Lieder gestoßen, das ich nicht kannte. "Is that all there is?" oder " Ist das alles?", ein Peggy Lee Hit, aber von John Parish & PJ Harvey gecovert. 

Die Melodie ist trügerisch simpel und der Text basiert auf einer Erzählung von Thomas Mann "Enttäuschung". Mit einem kurz formulierten, aber entscheidenden Unterschied. Thomas Mann endet mit: "Von einem Leben, in dem es keinen Horizont mehr gibt?...  Ich träume davon, und ich erwarte den Tod. Ach, ich kenne ihn bereits so genau, den Tod, diese letzte Enttäuschung! Das ist der Tod, werde ich im letzten Augenblicke zu mir sprechen; nun erlebe ich ihn!"  Im Lied dagegen: "Ist das alles? Wenn das alles ist, meine Freunde, dann laßt uns weitertanzen, laßt uns den Schnaps holen und ein Fest feiern, wenn das alles ist."

Eher meine Variante. 

(Ganz unten findet ihr die Thomas Mann Erzählung, Dank an Gutenberg.de!)


Peggy Lee

PJ Harvey

Der nacherzählte Liedtext geht in etwa so:


Ich erinnere mich, dass unser Haus brannte, als ich ein kleines Mädchen war und an den Gesichtsausdruck meines Vaters, als er mich in seine Arme nahm und durch das brennende Haus auf die Straße rannte. Ich stand zitternd im Schlafanzug und sah die ganze Welt in Flammen. Und als es vorbei war, sagte ich mir: "Ist das alles, was Feuer ist?"

Dann folgt der gesungene Refrain: 

Ist das alles? Ist das alles? 
Wenn das alles ist, meine Freunde, 
dann laßt uns weitertanzen, 
laßt uns den Schnaps holen 
und ein Fest feiern, 
wenn das alles ist.

Und als ich zwölf war, ging mein Vater mit mir in den Zirkus, die größte Show der Welt. Da waren Clowns und Elephanten und Tanzbären. Und eine schöne Dame in rosa Strümpfen flog hoch über unseren Köpfen. Und als ich so saß und dem wundervollen Schauspiel zusah, hatte ich das Gefühl, dass etwas fehlte. Ich weiß nicht was, aber als es vorbei war, sagte ich mir: "Ist das alles, was Zirkus ist?"

Ist das alles? Ist das alles? 
Wenn das alles ist, meine Freunde, 
dann laßt uns weitertanzen, 
laßt uns den Schnaps holen 
und ein Fest feiern, 
wenn das alles ist.

 Dann verliebte ich mich, Hals über Kopf verliebte ich mich in den wunderbarsten Jungen der Welt. Wir machten lange Spaziergänge am Fluß oder schauten uns stundenlang tief in die Augen. Wir waren so sehr verliebt. Dann ging er eines Tages fort und ich dachte, ich würde sterben. Tat ich aber nicht. Und als ich nicht starb, sagte ich zu mir: "Ist das alles, was Liebe ist?"

Ist das alles? Ist das alles? 
Wenn das alles ist, meine Freunde, 
dann laßt uns weitertanzen, 
laßt uns den Schnaps holen 
und ein Fest feiern, 
wenn das alles ist.

Ich weiß, was ihr wahrscheinlich sagt, wenn es das ist, was sie fühlt, warum beendet sie es dann nicht ein für alle Mal? Oh, nein, nicht ich. Ich will diese letzte Enttäuschung nicht zu bald erleben. Weil ich weiß genau, wie ich jetzt vor euch stehe, werde ich, wenn der letzte Moment kommt und ich meinen Letzten Atem atmen werde, zu mir sagen:


Ist das alles? Ist das alles? 
Wenn das alles ist, meine Freunde, 
dann laßt uns weitertanzen, 
laßt uns den Schnaps holen 
und ein Fest feiern, 
wenn das alles ist.



IS THAT ALL THERE IS?
 
SPOKEN:
 I remember when I was a very little girl, our house caught on fire.
I'll never forget the look on my father's face as he gathered me up
in his arms and raced through the burning building out to the pavement.
I stood there shivering in my pajamas and watched the whole world go up in flames.
And when it was all over I said to myself, "Is that all there is to a fire"

SUNG:
Is that all there is, is that all there is
If that's all there is my friends, then let's keep dancing
Let's break out the booze and have a ball
If that's all there is

SPOKEN:
And when I was 12 years old, my father took me to a circus, the greatest show on earth.
There were clowns and elephants and dancing bears.
And a beautiful lady in pink tights flew high above our heads.
And so I sat there watching the marvelous spectacle.
I had the feeling that something was missing.
I don't know what, but when it was over,
I said to myself, "is that all there is to a circus?

SUNG:
Is that all there is, is that all there is
If that's all there is my friends, then let's keep dancing
Let's break out the booze and have a ball
If that's all there is

SPOKEN:
Then I fell in love, head over heels in love, with the most wonderful boy in the world.
We would take long walks by the river or just sit for hours gazing into each other's eyes.
We were so very much in love.
Then one day he went away and I thought I'd die, but I didn't,
and when I didn't I said to myself, "is that all there is to love?"

SUNG:
Is that all there is, is that all there is
If that's all there is my friends, then let's keep dancing

SPOKEN:
I know what you must be saying to yourselves,
if that's the way she feels about it why doesn't she just end it all?
Oh, no, not me. I'm in no hurry for that final disappointment,
for I know just as well as I'm standing here talking to you,
when that final moment comes and I'm breathing my lst breath, I'll be saying to myself

SUNG:
Is that all there is, is that all there is
If that's all there is my friends, then let's keep dancing
Let's break out the booze and have a ball
If that's all there is

THOMAS MANN
ENTTÄUSCHUNG.


Ich gestehe, dass mich die Reden dieses sonderbaren Herrn ganz und gar verwirrten, und ich fürchte, dass ich auch jetzt noch nicht imstande sein werde, sie auf eine Weise zu wiederholen, dass sie andere in ähnlicher Weise berührten, wie an jenem Abend mich selbst. Vielleicht beruhte ihre Wirkung nur auf der befremdlichen Offenheit, mit der ein ganz Unbekannter sie mir äußerte ...  Der Herbstvormittag, an dem mir jener Unbekannte auf der Piazza San Marco zum ersten Male auffiel, liegt nun etwa zwei Monate zurück. Auf dem weiten Platze bewegten sich nur wenige Menschen umher, aber vor dem bunten Wunderbau, dessen üppige und märchenhafte Umrisse und goldene Zierrate sich in entzückender Klarheit von einem zarten, lichtblauen Himmel abhoben, flatterten in leichtem Seewind die Fahnen; grade vor dem Hauptportal hatte sich um ein junges Mädchen, das Mais streute, ein ungeheurer Rudel von Tauben versammelt, während immer mehr noch von allen Seiten herbeischossen ... Ein Anblick von unvergleichlich lichter und festlicher Schönheit.  Da begegnete ich ihm, und ich habe ihn, während ich schreibe, mit außerordentlicher Deutlichkeit vor Augen. Er war kaum mittelgroß und ging schnell und gebückt, während er seinen Stock mit beiden Händen auf dem Rücken hielt. Er trug einen schwarzen, steifen Hut, hellen Sommerüberzieher und dunkelgestreifte Beinkleider. Aus irgendeinem Grunde hielt ich ihn für einen Engländer. Er konnte dreißig Jahre alt sein, vielleicht auch fünfzig. Sein Gesicht, mit etwas dicker Nase und müdeblickenden, grauen Augen, war glattrasiert, und um seinen Mund spielte beständig ein unerklärliches und ein wenig blödes Lächeln. Nur von Zeit zu Zeit blickte er, indem er die Augenbrauen hob, forschend um sich her, sah dann wieder vor sich zu Boden, sprach ein paar Worte mit sich selbst, schüttelte den Kopf und lächelte. So ging er beharrlich den Platz auf und nieder.  Von nun an beobachtete ich ihn täglich, denn er schien sich mit nichts anderem zu beschäftigen, als bei gutem wie bei schlechtem Wetter, vormittags wie nachmittags, dreißig- und fünfzigmal die Piazza auf und ab zu schreiten, immer allein und immer mit dem gleichen seltsamen Gebaren.  An dem Abend, den ich im Sinne habe, hatte eine Militärkapelle konzertiert. Ich saß an einem der kleinen Tische, die das Café Florian weit auf den Platz hinausstellt, und als nach Schluss des Konzertes die Menge, die bis dahin in dichten Strömen hin und wieder gewogt war, sich zu zerstreuen begann, nahm der Unbekannte, auf abwesende Art lächelnd wie stets, an einem neben mir freigewordenen Tische Platz.  Die Zeit verging, rings umher ward es stiller und stiller, und schon standen weit und breit alle Tische leer. Kaum dass hier und da noch ein Mensch vorüberschlenderte; ein majestätischer Friede lagerte über dem Platz, der Himmel hatte sich mit Sternen bedeckt, und über der prachtvoll theatralischen Façade von San Marco stand der halbe Mond.  Ich las, indem ich meinem Nachbar den Rücken zuwandte, in meiner Zeitung und war eben im Begriff, ihn allein zu lassen, als ich mich genötigt sah, mich halb nach ihm umzuwenden; denn während ich bislang nicht einmal das Geräusch einer Bewegung von ihm vernommen hatte, begann er plötzlich zu sprechen.  -- Sie sind zum ersten Mal in Venedig, mein Herr? fragte er in schlechtem Französisch; und als ich mich bemühte, ihm in englischer Sprache zu antworten, fuhr er in dialektfreiem Deutsch zu sprechen fort mit einer leisen und heiseren Stimme, die er oft durch ein Hüsteln aufzufrischen suchte.  -- Sie sehen das alles zum ersten Male? Es erreicht Ihre Erwartungen? -- Übertrifft es sie vielleicht sogar? -- Ah! Sie haben es sich nicht schöner gedacht? -- Das ist wahr? -- Sie sagen das nicht nur, um glücklich und beneidenswert zu erscheinen? -- Ah! -- Er lehnte sich zurück und betrachtete mich mit schnellem Blinzeln und einem ganz unerklärlichen Gesichtsausdruck.  Die Pause, die eintrat, währte lange, und ohne zu wissen, wie dieses seltsame Gespräch fortzusetzen sei, war ich aufs neue im Begriff, mich zu erheben, als er sich hastig vorbeugte.  -- Wissen Sie, mein Herr, was das ist: Enttäuschung? fragte er leise und eindringlich, indem er sich mit beiden Händen auf seinen Stock lehnte. -- Nicht im Kleinen und Einzelnen ein Misslingen, ein Fehlschlagen, sondern die große, die allgemeine Enttäuschung, die Enttäuschung, die alles, das ganze Leben einem bereitet? Sicherlich, Sie kennen sie nicht. Ich aber bin von Jugend auf mit ihr umhergegangen, und sie hat mich einsam, unglücklich und ein wenig wunderlich gemacht, ich leugne es nicht.  Wie könnten Sie mich bereits verstehen, mein Herr? Vielleicht aber werden Sie es, wenn ich Sie bitten darf, mir zwei Minuten lang zuzuhören. Denn wenn es gesagt werden kann, so ist es schnell gesagt ...  Lassen Sie mich erwähnen, dass ich in einer ganz kleinen Stadt aufgewachsen bin in einem Pastorhause, in dessen überreinlichen Räumen ein altmodisch pathetischer Gelehrtenoptimismus herrschte, und in dem man eine eigentümliche Atmosphäre von Kanzelrhetorik einatmete -- von diesen großen Wörtern für Gut und Böse, Schön und Hässlich, die ich so bitterlich hasse, weil sie vielleicht, sie allein an meinem Leiden die Schuld tragen.  Das Leben bestand für mich schlechterdings aus großen Wörtern, denn ich kannte nichts davon als die ungeheuren und wesenlosen Ahnungen, die diese Wörter in mir hervorriefen. Ich erwartete von den Menschen das göttlich Gute und das haarsträubend Teuflische; ich erwartete vom Leben das entzückend Schöne und das Grässliche, und eine Begierde nach alledem erfüllte mich, eine tiefe, angstvolle Sehnsucht nach der weiten Wirklichkeit, nach dem Erlebnis, gleichviel welcher Art, nach dem berauschend herrlichen Glück und dem unsäglich, unnahbar furchtbaren Leiden.  Ich erinnere mich, mein Herr, mit einer traurigen Deutlichkeit der ersten Enttäuschung meines Lebens, und ich bitte Sie, zu bemerken, dass sie keineswegs in dem Fehlschlagen einer schönen Hoffnung bestand, sondern in dem Eintritt eines Unglücks. Ich war beinahe noch ein Kind, als ein nächtlicher Brand in meinem väterlichen Hause entstand. Das Feuer hatte heimlich und tückisch um sich gegriffen, bis an meine Kammertür brannte das ganze kleine Stockwerk, und auch die Treppe war nicht weit entfernt, in Flammen aufzugehen. Ich war der erste, der es bemerkte, und ich weiß, dass ich durch das Haus stürzte, indem ich einmal über das andere den Ruf hervorstieß: »Nun brennt es! Nun brennt es!« Ich entsinne mich dieses Wortes mit großer Genauigkeit, und ich weiß auch, welches Gefühl ihm zu Grunde lag, obgleich es mir damals kaum zum Bewusstsein gekommen sein mag. Dies ist, so empfand ich, eine Feuersbrunst; nun erlebe ich sie! Schlimmer ist es nicht? Das ist das Ganze?...  Gott weiß, dass es keine Kleinigkeit war. Das ganze Haus brannte nieder, wir alle retteten uns mit Mühe aus äußerster Gefahr, und ich selbst trug ganz beträchtliche Verletzungen davon. Auch wäre es unrichtig, zu sagen, dass meine Phantasie den Ereignissen vorgegriffen und mir einen Brand des Elternhauses entsetzlicher ausgemalt hätte. Aber ein vages Ahnen, eine gestaltlose Vorstellung von etwas noch weit Grässlicherem hatte in mir gelebt, und im Vergleich damit erschien die Wirklichkeit mir matt. Die Feuersbrunst war mein erstes großes Erlebnis: eine furchtbare Hoffnung wurde damit enttäuscht.  Fürchten Sie nicht, dass ich fortfahren werde, Ihnen meine Enttäuschungen im einzelnen zu berichten. Ich begnüge mich damit, zu sagen, dass ich mit unglückseligem Eifer meine großartigen Erwartungen vom Leben durch tausend Bücher nährte: durch die Werke der Dichter. Ach, ich habe gelernt, sie zu hassen, diese Dichter, die ihre großen Wörter an alle Wände schreiben und sie mit einer in den Vesuv getauchten Feder am liebsten an die Himmelsdecke malen möchten -- während doch ich nicht umhin kann, jedes große Wort als eine Lüge oder als einen Hohn zu empfinden!  Verzückte Poeten haben mir vorgesungen, die Sprache sei arm, ach, sie sei arm -- oh nein, mein Herr! Die Sprache, dünkt mich, ist reich, ist überschwänglich reich im Vergleich mit der Dürftigkeit und Begrenztheit des Lebens. Der Schmerz hat seine Grenzen: der körperliche in der Ohnmacht, der seelische im Stumpfsinn, -- es ist mit dem Glück nicht anders! Das menschliche Mitteilungsbedürfnis aber hat sich Laute erfunden, die über diese Grenzen hinweglügen.  Liegt es an mir? Läuft nur mir die Wirkung gewisser Wörter auf eine Weise das Rückenmark hinunter, dass sie mir Ahnungen von Erlebnissen erwecken, die es gar nicht gibt?  Ich bin in das berühmte Leben hinausgetreten, voll von dieser Begierde nach einem, einem Erlebnis, das meinen großen Ahnungen entspräche. Gott helfe mir, es ist mir nicht zu teil geworden! Ich bin umhergeschweift, um die gepriesensten Gegenden der Erde zu besuchen, um vor die Kunstwerke hinzutreten, um die die Menschheit mit den größten Wörtern tanzt; ich habe davor gestanden und mir gesagt: Es ist schön. Und doch: Schöner ist es nicht? Das ist das Ganze?  Ich habe keinen Sinn für Tatsächlichkeiten; das sagt vielleicht alles. Irgendwo in der Welt stand ich einmal im Gebirge an einer tiefen, schmalen Schlucht. Die Felsenwände waren nackt und senkrecht, und drunten brauste das Wasser über die Blöcke vorbei. Ich blickte hinab und dachte: Wie, wenn ich stürzte? Aber ich hatte Erfahrung genug, mir zu antworten: Wenn es geschähe, so würde ich im Falle zu mir sprechen: Nun stürzt du hinab, nun ist es Tatsache! Was ist das nun eigentlich? --  Wollen Sie mir glauben, dass ich genug erlebt habe, um ein wenig mitreden zu können? Vor Jahren liebte ich ein Mädchen, ein zartes und holdes Geschöpf, das ich an meiner Hand und unter meinem Schutze gern dahingeführt hätte; sie aber liebte mich nicht, das war kein Wunder, und ein anderer durfte sie schützen ... Gibt es ein Erlebnis, das leidvoller wäre? Gibt es etwas Peinigenderes als diese herbe Drangsal, die mit Wollust grausam vermengt ist? Ich habe manche Nacht mit offenen Augen gelegen, und trauriger, quälender als alles übrige war stets der Gedanke: Dies ist der große Schmerz! Nun erlebe ich ihn! -- Was ist das nun eigentlich? --  Ist es nötig, dass ich Ihnen auch von meinem Glücke spreche? Denn auch das Glück habe ich erlebt, auch das Glück hat mich enttäuscht ... Es ist nicht nötig; denn dies alles sind plumpe Beispiele, die Ihnen nicht klar machen werden, dass es das Leben im ganzen und allgemeinen ist, das Leben in seinem mittelmäßigen, uninteressanten und matten Verlaufe, das mich enttäuscht hat, enttäuscht, enttäuscht.  »Was ist,« schreibt der junge Werther einmal, »der Mensch, der gepriesene Halbgott? Ermangeln ihm nicht eben da die Kräfte, wo er sie am nötigsten braucht? Und wenn er in Freude sich aufschwingt oder in Leiden versinkt, wird er nicht in beiden eben da aufgehalten, eben da zu dem stumpfen, kalten Bewusstsein wieder zurückgebracht, da er sich in der Fülle des Unendlichen zu verlieren sehnte?«  Ich gedenke oft des Tages, an dem ich das Meer zum ersten Male erblickte. Das Meer ist groß, das Meer ist weit, mein Blick schweifte vom Strande hinaus und hoffte, befreit zu sein: dort hinten aber war der Horizont. Warum habe ich einen Horizont? Ich habe vom Leben das Unendliche erwartet.  Vielleicht ist er enger, mein Horizont, als der anderer Menschen? Ich habe gesagt, mir fehle der Sinn für Tatsächlichkeiten, -- habe ich vielleicht zu viel Sinn dafür? Kann ich zu bald nicht mehr? Bin ich zu schnell fertig? Kenne ich Glück und Schmerz nur in den niedrigsten Graden, nur in verdünntem Zustande?  Ich glaube es nicht; und ich glaube den Menschen nicht, ich glaube den wenigsten, die angesichts des Lebens in die großen Wörter der Dichter einstimmen -- es ist Feigheit und Lüge! Haben Sie übrigens bemerkt, mein Herr, dass es Menschen gibt, die so eitel sind und so gierig nach der Hochachtung und dem heimlichen Neide der anderen, dass sie vorgeben, nur die großen Wörter des Glücks erlebt zu haben, nicht aber die des Leidens?  Es ist dunkel, und Sie hören mir kaum noch zu; darum will ich es mir heute noch einmal gestehen, dass auch ich, ich selbst es einst versucht habe, mit diesen Menschen zu lügen, um mich vor mir und den anderen als glücklich hinzustellen. Aber es ist manches Jahr her, dass diese Eitelkeit zusammenbrach, und ich bin einsam, unglücklich und ein wenig wunderlich geworden, ich leugne es nicht.  Es ist meine Lieblingsbeschäftigung, bei Nacht den Sternenhimmel zu betrachten, denn ist das nicht die beste Art, von der Erde und vom Leben abzusehen? Und vielleicht ist es verzeihlich, dass ich es mir dabei angelegen sein lasse, mir meine Ahnungen wenigstens zu wahren? Von einem befreiten Leben zu träumen, in dem die Wirklichkeit in meinen großen Ahnungen ohne den quälenden Rest der Enttäuschung aufgeht? Von einem Leben, in dem es keinen Horizont mehr gibt?...  Ich träume davon, und ich erwarte den Tod. Ach, ich kenne ihn bereits so genau, den Tod, diese letzte Enttäuschung! Das ist der Tod, werde ich im letzten Augenblicke zu mir sprechen; nun erlebe ich ihn! -- _Was ist das nun eigentlich?_ --  Aber es ist kalt geworden auf dem Platze, mein Herr; ich bin imstande, das zu empfinden, hehe! Ich empfehle mich Ihnen aufs allerbeste. Adieu ...

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