Der S-Bahnhof Friedrichstrasse
Warum ich Gedichte liebe.
Warum?
Weil ich einst Kinderreime gelernt habe.
Geleiert, gemurmelt,
gebrüllt und gebetet.
Bei der Gummihopse,
beim Abnehmen (das ist Gummihopse mit den Händen)
beim Hüpfen,
Rennen,
Verstecken,
bei Himmel & Hölle
& beim Abklatschen.
Kindergarten, Vorschule, Schule. Schulschluß.
Danach nix wie raus.
Auf die Strasse.
Mitten in Berlin Mitte.
(Der östlichen Mitte zumindestens.)
Kein Spielplatz weit und breit.
Aber Hinterhöfe und leere Plätze und der Monbi (Monbijou-Park).
Ich habe eigentlich in der Spree schwimmen gelernt.
Ich kann heute noch ziemlich schnell schwimmen.
Wir mußten schneller sein als die Boote der "Grenzer".
Die mutigen Jungs sind sogar vom Bodemuseum aus in das Dreckwasser gesprungen.
Wahrscheinlich bin ich deshalb frei von jedweder Allergie.
Mein Vergiftungsniveau ist einfach zu hoch.
Einerseits der Terror der sozialistischen Schule.
Stillsitzen.
Melden nur mittels Heben des rechten Unterarms in gerader Linie zum angewinkelten linken Arm.
Eine unmögliche Forderung, wenn alles in mir nach Bewegung verlangte.
Aber mein gutes Kurzzeitgedächtnis verkürzte die Hausaufgabenzeit.
Raus.
Raus.
Buddelkasten im Hinterhof.
Schweineschaukel an der Teppichstange.
(Erinnert sich noch jemand an diese geflochtenen Teppichschlaggeräte?)
Meine Freunde waren aus einer kinderreichen Familie.
Am Samstag wurde durchgebadet.
Erst der Vater.
Dann, ein wenig heißes Wasser dazu, die Mutter.
Undsoweiter.
Alle acht Kinder.
Beim letzten war das Wasser schwarz.
Frau Göhrler wohnte im fünften Stock und hatte weder Wasser noch Klo.
Beides war in einem Häuschen dort im Hof.
Ihre Manieren entstammten einer vergangenen Zeit.
Ebenso ihre Kleidung.
Aber zum Pinkeln mußte sie fünf Stockwerke über die hintere Treppe.
Die hintere Treppe.
Ein Mysterium.
Warum gab es sie?
Wir hatten eine Haushälterin, Gerda, meine Zweitmutter.
Meine andere Mutter war oft im Krankenhaus.
Minna nahm immer die hintere Treppe.
Geboren in einem Dorf im Anhaltinischen.
Schule nur bis sie dreizehn war.
Der Verlobte gefallen im großen Krieg.
Ihre Katze hieß Muschi.
Sie hat viele Bücher gelesen.
Und ist gestorben, bevor sie ihren Traum von einer Rhein-Schiffsreise realisieren konnte.
Gerda Niemeyer.
Genannt Minna, weil ich, als Kleinkind, ihren Namen nicht aussprechen konnte.
Meine liebste unverwandte Verwandte.
Berlin, meine Stadt, war immer bevölkert von Zugereisten.
Schusti aus Schlesien, Gerda aus Sachsen-Anhalt, meine Mutter aus Amerika und mein Vater aus dem zerbombten Magdeburg.
Berlin.
Meine Stadt, vollgestopft mt halberinnerten Geschehnissen.
Die aus der Vorkriegszeit übrig gebliebene Hure auf der Auguststrasse, die Freier nur noch für ein geselliges Frühstück mit nach Hause nahm.
Wände voller Einschüsse.
Räume, die nur durch ihre übriggebliebenen Wände an ihre Existenz erinnerten.
Diese Stadt ist weg.
Renoviert.
Saniert.
Es ist gut so.
Aber trotzdem bin ich voll von Erinnerungen.
Ich bin alt.
Und doch jung, weil ich froh bin über die Veränderungen, selbst die blöden.
Ene mene mopel,
wer frisst Popel,
süß und saftig,
eine Mark und achtzig,
eine Mark und zehn
und du darfst gehn.
Auf einem Baum ein Kuckuck
simsalabim, bamba,
saladu, saladim:
Auf einem Baum ein Kuckuck saß.
Da kam ein junger Jägers-
simsalabim, bamba,
saladu, saladim:
Da kam ein junger Jägersmann.
Der schoß den armen Kuckuck,
simsalabim, bamba,
saladu, saladim:
Der schoß den armen Kuckuck tot.
Und als ein Jahr vergangen,
simsalabim, bamba,
saladu, saladim:
Und als ein Jahr vergangen war.
Da war der Kuckuck wieder,
simsalabim, bamba,
saladu, saladim:
Da war der Kuckuck wieder da.
Da freuten sich die Leute,
simsalabim, bamba,
saladu, saladim:
Da freuten sich die Leute sehr.
Backe, backe, Kuchen,
der Bäcker hat gerufen!
Wer will guten Kuchen backen,
der muss haben sieben Sachen:
Eier und Schmalz, Butter und Salz,
Milch und Mehl, Safran macht den Kuchen gehl!
Schieb, schieb in’n Ofen ‘nein.
Das ist der Daumen,
der schüttelt die Pflaumen,
der hebt sie auf,
der trägt sie nach Haus,
der kleine Schelm isst sie alle auf.
Hoppe, hoppe, Reiter,
wenn er fällt dann schreit er.
Fällt er in den Graben,
fressen ihn die Raben.
Fällt er in die Hecken,
fressen ihn die Schnecken.
Fällt er in den Sumpf, macht der Reiter: plumps!