Sonntag, 30. November 2014

Jonathan Swift - Sozialkannibalismus


 
Jonathan Swift - geboren am 30. November 1667

Ein sehr kenntnißreicher Amerikaner meiner Bekanntschaft, in London ansäßig, hat mir die Versicherung gegeben, daß ein junges, gesundes, wohlgenährtes Kind vom Alter eines Jahres ein höchst schmackhaftes Nahrungsmittel und eine gesunde Speise bietet, ob geschmort, gebraten, gebacken oder gekocht; und ich zweifle gar nicht, daß es ebenfalls als Fricassée oder Ragout sich wird anwenden lassen. J.S.

Zeichner unbekannt

Fast jeder kennt "Gullivers Reisen" oder, wie der vollständige Titel lautet: "Die Reisen in mehrere weitentfernte Nationen des Lemuel Gulliver", in irgendeiner Form, als Trick- oder Spielfilm, illustriertes Buch oder Hörspiel. Mehr weiß man nicht über diesen Iren Jonathan Swift. Sein Porträt zeigt ein fleischiges Gesicht mit großer Nase und schmalem Mund unter der damals üblichen Perrücke. Er galt als grantig und mißmutig, aber auch als scharfer Beobachter und Kritiker der sozialen, oder besser asozialen Zustände, unter denen die große Masse der Arbeitenden leben mußten. Und er schrieb darüber, ernst und harsch und schwarz-satirisch. 

Der untenstehende Text löste zum Zeitpunkt seiner Erstveröffentlichung, 1729, einen Skandal aus, unter anderem, weil viele es nicht als böse Persiflage, sondern als ernsthaften Vorschlag lasen.

Ein bescheidener Vorschlag
im Sinne von Nationalökonomen,
wie Kinder armer Leute
zum Wohle des Staates
am Besten benutzt werden können.


Spaziergänger in unserer großen Stadt Dublin oder Reisende auf dem Lande müssen leider oft den traurigen Anblick genießen, daß sie die Straßen, Häfen u. s. w. von Bettlerinnen gefüllt sehen, denen drei, vier oder sechs zerlumpte Kinder folgen, um jeden Reisenden mit Almosenbitten zu belästigen. Diese Mütter werden, anstatt daß sie für ihren Lebensunterhalt arbeiten können, gewissermaßen zur Herumstreiferei gezwungen, damit sie Nahrung für ihre hülflosen Kinder erlangen. Letztere aber werden Diebe, sobald sie größer sind, weil ihnen Arbeit fehlt, oder sie nehmen fremde Kriegsdienste, vielleicht zum Schaden Englands, oder verkaufen sich als Taglöhner nach den Kolonien.

Wie ich glaube, sind alle Parteien darüber einstimmig, daß diese ungeheure Zahl von Kindern auf den Armen, auf dem Rücken oder hinter den Fersen ihrer Mütter und oft ihrer Väter, bei den jetzigen beklagenswerthen Zeiten und bei dem Zustande des Königreichs eine Hauptbeschwerde neben vielen andern bildet. Wer also eine zweckmäßige, wohlfeile und leichte Methode ausfindig machen kann, diese Kinder zu gesunden und nützlichen Gliedern des Staates umzubilden, wird sich ein so hohes Verdienst um das Publikum erwerben, daß man ihm mit Recht eine Statue als Retter der Nation aufstellen könnte.

Mein Plan ist weit davon entfernt, sich allein auf die Kinder der Bettler von Profession anwenden zu lassen; er ist von weit größerer Ausdehnung, und wird alle Kinder von gewissem Alter umfassen, deren Eltern zur Ernährung derselben eben so wenig befähigt sind, wie die Bettler in den Straßen.

Was mich betrifft, so habe ich viele Jahre lang diesen höchst wichtigen Gegenstand im Kopfe herumgetrieben und verschiedene Entwürfe von Projektenmachern reiflich erwogen, aber auch immer gefunden, daß Letztere sich in ihren Berechnungen gröblichst täuschten. Allerdings kann ein so eben geworfenes Kind mit Milch ein ganzes Jahr lang, bei wenig anderem Futter, ernährt werden; jene andere Nahrung würde höchstens 2 Schillinge kosten und die Mutter kann dieselben entweder im Abfall aus Küchen, oder durch ihr eigenes rechtmäßiges Gewerbe, durch Betteln, sich zusammenbringen; allein gerade in Alter von einem Jahre werde ich durch meinen Vorschlag für die Kinder in solcher Weise sorgen, daß dieselben anstatt ihren Eltern oder der Armenkasse zur Last zu fallen, oder Nahrung und Kleider ihr ganzes Leben lang zu entbehren, im Gegentheil zur Ernährung und theilweise auch zur Kleidung vieler Tausende beitragen werden.

Noch ein anderer großer Vortheil wird durch meinen Entwurf geboten; es wird nämlich das Abtreiben der Geburten und jenes grauenhafte Verfahren hindern, nach welchem Weiber ihre unehelichen Kinder ermorden. Sie opfern auch die armen unschuldigen Geschöpfe zu häufig, wie ich glaube, nicht um sich die Kosten, sondern um sich die Scham zu ersparen, ein Umstand, der Thränen und Mitleid in der wildesten und unmenschlichsten Brust erregen muß.

Die Seelenzahl in Irland wird jetzt (1722) auf anderthalb Millionen berechnet; unter diesen mag es ungefähr 200,000 Paare geben, wovon die Weiber Kinder werfen oder zur Zucht dienen; von dieser Zahl muß ich wohl 30,000 Paar abziehen, die ihre Kinder selbst ernähren können; ich besorge jedoch, daß die Zahl nicht so beträchtlich sein wird, denn die Noth ist gar zu groß; wird mir dies zugestanden, so bleiben 170,000 Paare zur Zucht übrig. 50,000 will ich auch noch für diejenigen Weiber abziehen, welche das Unglück einer Fehlgeburt erlitten, oder deren Kinder in Zeit eines Jahres durch Zufall oder Krankheit sterben sollten, alsdann würde die Summe der jährlich von armen Eltern geborenen Kinder 120,000 betragen. Nun ist aber die Frage, wie sollen dieselben aufgezogen und versorgt werden? Wie ich schon sagte, ist dies bei den gegenwärtigen schlimmen Zeiten mit den bis jetzt vorgeschlagenen Methoden durchaus unmöglich. Wir können sie weder in den Gewerben noch im Ackerbau beschäftigen; wir bauen keine Häuser (ich meine auf dem Lande), noch machen wir Ländereien urbar; die Kinder können selten einen Lebensunterhalt durch Stehlen sich hin und wieder erwerben, bis sie das sechste Jahr erreichen, ausgenommen, wenn das eine oder andere besondere Anlagen zeigt, ob ich gleich eingestehen muß, daß sie die Anfangsgründe dieses Gewerbes noch früher zu erlernen pflegen; während jener Zeit können sie aber höchstens als Anfänger zur Probe betrachtet werden, denn, wie mir ein sehr angesehener Herr bestimmt erklärte, findet man kaum ein bis zwei Diebe unter sechs Jahren, sogar in demjenigen Theile des Königreichs, welcher den größten Ruhm in der schnellsten Erlernung dieser Kunst erreicht.

Was ferner den Verkauf der Armen nach den Kolonien als Taglöhner betrifft, so haben mir unsere Kaufleute die Versicherung gegeben, daß ein Knabe oder Mädchen unter zehn Jahren keinen guten Handelsartikel bietet. Sogar wenn sie dies Alter erreichen, sind sie nicht über drei Pfund, oder höchstens drei Pfund eine halbe Krone auf der Börse werth; dieser Preis aber kann weder den Eltern noch dem Staate von Nutzen sein, denn sie haben wenigstens das Vierfache an Ernährung und Lumpen gekostet. Deßhalb will ich demüthigst meine eigenen Gedanken vorschlagen, welche, wie ich hoffe, auch nicht dem geringsten Einwurf unterworfen sein werden.

Ein sehr kenntnißreicher Amerikaner meiner Bekanntschaft, in London ansäßig, hat mir die Versicherung gegeben, daß ein junges, gesundes, wohlgenährtes Kind vom Alter eines Jahres ein höchst schmackhaftes Nahrungsmittel und eine gesunde Speise bietet, ob geschmort, gebraten, gebacken oder gekocht; und ich zweifle gar nicht, daß es ebenfalls als Fricassée oder Ragout sich wird anwenden lassen. 





Hogarth Beer Street & Gin Lane 1751

Deßhalb mache ich der Ueberlegung des Publikums den demüthigen Antrag, daß von den schon berechneten 120,000 Kindern 20,000 zur Zucht zurückbehalten werden, wovon ungefähr ein Viertel männlichen Geschlechts sein können; diese Zahl des letzteren ist größer als diejenige, welche wir für Schaf-, Rindvieh- und Schweinezucht bestimmen; da ohnehin diese Kinder selten die Früchte der Ehe sind, ein Umstand, der von den Wilden nicht sehr in Betracht gezogen wird, so kann ein männliches Kind für vier weibliche aufbewahrt werden. Die übrigen 100,000 mögen im Alter eines Jahres den Personen von Stand und Vermögen im Königreiche zum Verkauf angeboten werden; den Müttern muß man hiebei die Anweisung geben, das Kind im letzten Monat reichlich zu säugen, um es fleischig und fett für einen guten Tisch zu machen. Ein Kind kann bei einer Bewirthung von Freunden zwei Gerichte bilden: speist die Familie allein, so wird das Vor- oder Hinterviertel eine gute Schüssel abgeben und, mit Pfeffer und Salz gewürzt, sich noch am vierten Tage, besonders während des Winters, gut kochen lassen.

Ich habe im Durchschnitt berechnet, daß ein neugeborenes Kind 12 Pfund wiegt; in einem Jahre kann dies Gewicht bei gehöriger Säugung sich auf 28 Pfund vermehren.

Allerdings wird diese Speise auf einen ziemlich hohen Preis zu stehen kommen, ist aber desto besser geeignet für die Aristokratie der Grundeigenthümer; da diese schon den größten Theil der Eltern gewissermaßen verspeist haben, scheinen sie auch den besten Anspruch auf die Kinder zu besitzen.

Kinderfleisch wird zu jeder Zeit brauchbar, am meisten aber im März, etwas früher oder später, reichlich vorhanden sein. Denn ein sehr bemerkenswerther Schriftsteller, ein ausgezeichneter französischer Arzt, hat den Beweis geliefert, daß mehr Kinder in römisch-katholischen Ländern neun Monat nach der Fastenzeit, wie in irgend einem anderen Zeitraume geboren waren, da die Fische eine sehr fruchtbarmachende Speise bieten. Ein Jahr nach der Fastenzeit wird der Markt deßhalb mehr als gewöhnlich gefüllt sein, weil die Zahl der katholischen Kinder sich wenigstens wie drei zu eins im Königreich verhält. Somit wird auch noch ein anderer Nebenvortheil hinzukommen, da die Zahl der Katholiken allmälig sich dadurch bei uns vermindern muß.

Die Kosten, ein Bettlerkind zu ernähren (alle Afterpächter, Taglöhner, und sogar vier Fünftheil der Pächter sind hiemit einbegriffen), habe ich schon mit Inbegriff der Lumpen auf 2 Schilling jährlich berechnet. Wie ich glaube, wird kein Gutsbesitzer 10 Schillinge für den Leib eines guten fetten Kindes verweigern, welches, wie ich schon sagte, vier Schüsseln ausgezeichneten, nahrhaften Fleisches bieten wird, wenn er nur einige genauere Freunde oder nur seine Familie beim Mittagessen hat. Eben dadurch wird auch der Grundbesitzer ein gütiger Herr und bei seinen Pächtern populär werden, denn der Mutter bleiben ja 8 Schillinge reiner Nutzen und sie wird zur Arbeit geeignet sein, bis sie ein anderes Kind zur Welt bringt.

Diejenigen, welche etwas sparsam sind (eine Eigenschaft, welche die schlimmen Zeiten, wie ich gestehen muß, erheischen), mögen den geschlachteten Leib noch ohnedem schinden. Wird die Haut künstlich zubereitet, so lassen sich daraus bewundrungswürdige Damenhandschuhe und Sommerstiefeln für feine Herren verfertigen.

Was nun unsere Stadt Dublin betrifft, so ließen sich Fleischbänke zu dem Zweck an den zweckmäßigsten Orten einrichten, und an Schlächtern, dessen können wir fest versichert sein, wird es niemals fehlen. Jedoch möchte ich empfehlen, die Kinder lebendig zu kaufen und sie noch lebenswarm nach der Abschlachtung zuzurichten, wie wir bei dem Braten von Spanferkeln zu verfahren pflegen.

Ein sehr würdiger Mann, ein wahrer Patriot und Freund seines Vaterlandes, dessen Tugenden ich sehr hoch achte, hatte kürzlich die Güte, als wir über meinen Entwurf uns unterhielten, eine höhere Ausbildung desselben mir vorzuschlagen. Er meinte, da viele vornehme Herren dieses Königreichs seit Kurzem ihr Rothwild ausgerottet hätten, so könne der Mangel an Wildpret durch die Leiber von Knaben und Mädchen nicht über 14 und nicht unter 12 Jahren ersetzt werden; eine große Zahl beider Geschlechter sei ja in vielen Grafschaften bereit, Hungers zu sterben, da Arbeit oder Dienst ihnen fehle; die Eltern derselben, wenn am Leben, oder sonst die nächsten Verwandten könnten ja über sie verfügen. Wie sehr ich aber auch gegen einen so ausgezeichneten Freund und einen so hochverdienten Patrioten die schuldigste Achtung hege, so kann ich doch seiner Meinung nicht durchaus beistimmen; denn was jene Personen männlichen Geschlechtes betrifft, so gab mir mein Bekannter aus Amerika nach häufiger Erfahrung die Versicherung, ihr Fleisch sei im Allgemeinen rauh und mager durch häufige Körperbewegung, wie es auch bei unsern Schulknaben der Fall sein wird; der Geschmack ihres Fleisches sei ferner sehr unangenehm, und ihre Mästung würde den Kosten nicht entsprechen. Was aber jene Personen weiblichen Geschlechtes betrifft, so muß ich ihre Benutzung als Speise mit demüthigster Unterthänigkeit für einen dem Publikum zugefügten Verlust halten, weil dieselben alsbald die Vermehrung der Zucht befördern können. Außerdem würden bedenkliche Leute ein solches Verfahren zu tadeln geneigt sein (obgleich wirklich mit vollkommenem Unrecht) weil dasselbe ein wenig an Grausamkeit zu streifen scheint. Bei mir hat dieser Umstand aber stets einen Einwurf gegen irgend ein Projekt gebildet, wie sehr auch dasselbe das allgemeine Beste bezwecken würde.

Damit ich jedoch meinen Freund rechtfertige, muß ich eine Bemerkung von ihm erwähnen. Er gestand mir, jener Gedanke sei ihm durch den berühmten Salmananzor, einen Eingeborenen der Insel Formosa, in den Kopf gekommen. Dieser kam von dort vor ungefähr 20 Jahren nach London und erzählte meinem Freunde im Gespräche, es herrsche in seinem Lande der Brauch, daß der Henker, sobald eine junge Person hingerichtet worden sei, den Leichnam an Personen hohen Standes als auserwählten Leckerbissen verkaufe. Zu seiner Zeit sei der Leib eines fleischigen Mädchens von 15 Jahren, welches wegen eines Versuches, den Kaiser zu vergiften, gekreuzigt wurde, von dem ersten Staatsminister Seiner Kaiserlichen Majestät und von anderen großen Hof-Mandarinen gliederweise vom Galgen zu 500 Kronen erstanden worden. Auch kann ich wirklich nicht läugnen, daß dem Königreiche kein Schaden zugefügt würde, wenn man denselben Gebrauch bei verschiedenen fleischigen Mädchen dieser Stadt anwenden wollte, welche ohne einen Heller im Vermögen zu haben, ihr Haus nicht verlassen können, ohne in einer Portechaise sich austragen zu lassen, die ferner in Schauspielhäusern und in Gesellschaften niemals ohne fremden Putz erscheinen, welchen sie aber auch zu keiner Zeit zu bezahlen pflegen.

Einige Personen von geringem Muth fühlen viel Bekümmerniß über die große Zahl armer Leute, die alt, krank oder schon verstümmelt sind. Deßhalb hat man mich gar oft gebeten, meine Gedanken auf die Mittel und Wege zu richten, wodurch der Nation eine so drückende Last abgenommen werden kann. Ich empfand jedoch in dieser Hinsicht durchaus keine Besorgniß, weil es sehr wohl bekannt ist, daß jene alle Tage durch Kälte und Hunger sterben oder in Schmutz und Ungeziefer verfaulen, und zwar in solcher Schnelle, wie es nur irgend aus vernünftigen Gründen sich erwarten läßt. Was aber die jungen Tagelöhner betrifft, so befinden sich auch diese in demselben hoffnungsvollen Zustande. Sie können keine Arbeit bekommen, und magern somit aus Mangel an Nahrung bis zu solchem Grade ab, daß sie, sobald man sie zufällig zu gewöhnlicher Arbeit miethet, nicht mehr Kräfte besitzen, dieselbe zu vollbringen. So wird glücklicher Weise der Staat und sie selbst von kommendem Uebel befreit.

Ich habe mich in eine zu lange Abschweifung eingelassen, und werde deßhalb zu meinem Hauptgegenstand zurückkehren. Nach meiner Meinung sind die Vortheile des von mir gemachten Vorschlages eben so offenbar und mannigfach, wie auch von der allergrößten Wichtigkeit.

Erstlich, wie ich schon bemerkte, wird derselbe die Zahl der Katholiken sehr vermindern, die uns mit jedem Jahre mehr überlaufen, da von ihnen die hauptsächlichste Zucht der irischen Nation ausgeht. Sie sind ohnedem unsere gefährlichsten Feinde, und bleiben nur in der böswilligen Absicht, Unruhen zu erregen, bei uns zu Hause, indem sie zugleich die Abwesenheit so vieler guten protestantischen Grundbesitzer zu benutzen hoffen, welche ihre Einkünfte außer Landes verzehren, und oft nur deßhalb ihr Vaterland verlassen haben, um der Episkopalkirche die Geschenke gegen ihr Gewissen nicht bezahlen zu müssen.

Zweitens werden die ärmeren Bauern etwas Werthvolles als Eigenthum besitzen, welches gelegentlich in Zeiten der Noth von Gesetzes wegen in Beschlag genommen werden kann, und sie ohnedem in Stand setzt, die Pacht ihrem Gutsherrn zu bezahlen; dies ist aber um so mehr zu berücksichtigen, da ihr Korn und Vieh bereits in Beschlag genommen und Geld ihnen durchaus unbekannt ist.

Drittens wird das Betriebs-Kapital der Nation sich dadurch um 50,000 Pfund jährlich vermehren, da die Ernährung von 100,000 Kindern vom 2ten Jahr an und drüber sich auf nicht weniger als auf 10 Schillinge das Stück berechnen läßt; dabei ist auf den Nutzen noch keine Rücksicht genommen, welcher sich aus der Erfindung eines neuen Gerichtes für die Tafel aller wohlhabenden Herren ergibt, die im Geschmacke Verfeinerung besitzen. Geld wird unter uns um so reichlicher im Umlauf sein, da jener Handelsartikel ausschließlich von unserer Produktion ist.

Viertens werden die Zuchtweiber, abgesehen vom Gewinn der 8 Schillinge für den Verkauf der Kinder, der Last, dieselben nach dem ersten Jahre zu ernähren, entbunden werden.

Fünftens wird diese Nahrung auch den Wirthshäusern viel einbringen. Die Wirthe werden sicherlich so viel Klugheit besitzen, daß sie sich die besten Rezepte, das Gericht vollkommen anzurichten, verschaffen und folglich für ihre Häuser den Besuch aller feinen Herren erlangen, die sich mit Recht auf ihre Kenntniß trefflicher Speisen Etwas zu Gute thun; ein geschickter Koch, welcher es versteht, die Dankbarkeit seiner Gäste zu erregen, wird schon dafür sorgen, das Gericht so theuer, wie sie wünschen, zu bereiten.Sechstens wird dies eine große Ermuthigung zur Ehe bieten, ein Institut, welches alle weisen Völker entweder durch Belohnungen ermuthigt, oder durch Gesetze und Strafen erzwungen haben. Es wird die Sorgfalt und Zärtlichkeit der Mütter gegen ihre Kinder vermehren, sobald Erstere in Betreff des Auskommens ihrer armen Säuglinge auf Lebenszeit versichert sind, welches ihnen gewissermaßen vom Publikum zugleich mit einem jährlichen Profit für sie selbst anstatt der Kosten verschafft wäre. Wir würden bald unter den verheiratheten Weibern einen ehrenwerthen Wetteifer bemerken, welche von ihnen das fetteste Kind auf den Markt liefern könne. Die Männer würden gegen ihre Weiber während der Schwangerschaft dieselbe Zärtlichkeit fühlen, welche sie gegen ihre Stuten, Kühe und Säue empfinden, wenn sie ein Füllen, Kalb oder Ferkel von denselben erwarten, sie würden alsdann ihre Weiber nicht länger prügeln oder stoßen, wie sie es jetzt nur zu häufig gewohnt sind, denn sie müßten alsdann besorgen, ihre Frauen würden frühzeitig niederkommen.

Viele andere Vortheile ließen sich außerdem noch angeben; z. B. viele Tausend Tonnen gesalzenes Rindfleisch blieben uns zur Ausfuhr übrig; eben so verbliebe uns eine Masse von Schweinefleisch, so daß wir in der Kunst, Schinken zu bereiten, größere Fortschritte machen könnten. Denn hierin sind wir wegen der großen Zerstörung der Schweinheerden noch sehr zurück, deren Fleisch auf unsren Tafeln zu häufig gebraucht wird. Schweine aber sind sowohl an Geschmack, wie in guter Beschaffenheit ausgewachsenen, fetten und einjährigen Kindern durchaus nicht zu vergleichen, und ein solches, ganz gebraten, wird sicherlich schon durch das äußere Aussehen bei dem Gastmahle einer Bürgermeisterwahl oder bei andern öffentlichen Festessen eine ausgezeichnete Stelle einnehmen. – Vorausgesetzt, daß tausend Familien in dieser Stadt fortwährend Kunden für Kinderfleisch abgeben, wobei noch außerdem viele andre es gelegentlich bei fröhlichen Zusammenkünften, besonders bei Hochzeiten und Taufen, einkaufen können: – so berechne ich, daß in Dublin ein jährlicher Verbrauch von ungefähr 20,000 Stück Kindern stattfinden wird; die noch übrigen 80,000 werden im andern Königreich, wenn auch zu etwas wohlfeilerem Preise, sich verkaufen lassen.

Ich kann mir keinen Einwurf denken, welcher möglicher Weise sich vorbringen ließe, mit Ausnahme der einzigen Besorgniß, daß die Volkszahl dieses Königreiches dadurch vermindert werden müßte. Die Richtigkeit desselben gestehe ich offen ein; allein darin war zugleich ein Hauptgrund, wie oben bemerkt, geboten, weßhalb ich meinen Plan der Welt im Drucke darbiete. Auch bitte ich den Leser, zu bemerken, daß ich dies mein Hülfsmittel allein auf das Königreich, und für kein andres, welches jemals war, ist, oder wie ich glaube, auf Erden sein wird, berechnet habe. Deßhalb spreche mir auch Niemand von andern Mitteln und Wegen uns zu helfen, z. B. von dem Plane, unseren außer Landes lebenden Grundbesitzern eine Abgabe aufzubürden, oder von den Vorschlägen, weder Kleider noch Hausgeräthe von fremder Produktion zu gebrauchen, alle Materialien und Werkzeuge, die fremden Luxus verbreiten, zu verweisen, die Verschwendung des Stolzes, die Eitelkeit, Faulheit und Spielsucht bei unsern Weibern zu heilen; Sparsamkeit, Klugheit und Mäßigung zu befördern; Vaterlandsliebe zu erwecken, durch deren Mangel wir sogar vor Lappländern und afrikanischen Negern uns auszeichnen; unsere Parteikämpfe und gegenseitige Erbitterung zu unterlassen, und nicht länger wie die Juden zu handeln, welche einander im Augenblick mordeten, als ihre Stadt genommen ward; einige Vorsicht darin zu üben, daß wir unser Vaterland und Gewissen nicht länger für Nichts verkaufen; unsern Gutsbesitzern wenigstens Mitleid mit ihren Pächtern einzuschärfen, und endlich unsre Gewerbsleute ehrlich, fleißig und geschickt zu machen.

Niemand spreche mir von den erwähnten und ähnlichen Hülfsmitteln, bis er Grund zur Hoffnung besitzt, sie wirklich ins Werk zu setzen; ich selbst habe mich früher mit solchen Entwürfen abgegeben, bis ich endlich an dem Erfolg gänzlich verzweifelte und glücklicher Weise auf den dargelegten Gedanken gerieth; derselbe ist durchaus neu, praktisch und solide, verursacht wenig Kosten und geringe Unruhe und wird sogar diejenigen nicht verdrießlich machen, welche unser ganzes Volk ohne den Vorschlag gerne verspeisen möchten.

Uebrigens bin ich nicht so hartnäckig auf meine eigene Meinung versessen, daß ich alle von weisen Männern gemachten Vorschläge verwerfen sollte, welche man in gleicher Weise als unschuldig, wohlfeil, leicht und wirksam erkennen würde. Bevor jedoch irgend etwas Besseres, wie mein Entwurf, vorgebracht wird, bitte ich die Staatsmänner, vorher zwei Dinge zu überlegen: Erstlich, wie sie wohl bei der jetzigen Lage der Dinge Nahrung und Kleider für hunderttausend nutzlose Mäuler und Leiber finden werden. Zweitens, da sich eine runde Million von Geschöpfen menschlicher Gestalt in diesem Königreiche befindet, deren Existenzmittel in ein gemeinsames Kapital zusammengeworfen, eine Schuldenmasse von 2,000,000 geben würde, mit Inbegriff der Bettler von Profession der Bauern und Taglöhner nebst ihren Kindern, die sämmtlich dem Bettlerstande angehören: so bitte ich die Staatsmänner, welchen mein Vorschlag nicht gefällt, und die vielleicht eine Antwort wagen werden, zuvor die Eltern jener letztgenannten Menschen zu fragen, ob sie es nicht heute für ein großes Glück halten würden, wenn man sie als Nahrungsartikel im ersten Jahr und in der angegebenen Weise verkauft, und ihnen dadurch die fortlaufende Reihe von Elend und Unglück, welche sie seitdem ohne Unterbrechung erfahren mußten, erspart hätte, nämlich die Unterdrückung der Gutsherren, die Unmöglichkeit, ihren Pacht ohne Geld und Handel zu bezahlen, die Entbehrung der Lebensmittel, Wohnung, Kleider u. s. w.; endlich auch die unvermeidliche Aussicht, dasselbe oder noch größeres Elend der nachkommenden Zucht auf immer aufzubürden.

Ich gestehe in der Aufrichtigkeit meines Herzens, daß kein persönliches Interesse mich bewogen hat, jene nothwendige Maßregel zu befördern. Mein einziger Beweggrund ist das Wohl meines Vaterlandes, die Vermehrung des Verkehrs, die Versorgung der Kinder, die Erleichterung der Armen und die Erhöhung des Vergnügens für die Reichen. Ich selbst habe keine Kinder, durch die ich einen einzigen Heller mir zu erwerben hoffen könnte, mein jüngstes ist nämlich 9 Jahr alt und meine Frau über die Jahre der Fruchtbarkeit hinaus.


 Oger aus dem Kleinen Däumling Illustrator unbekannt

SWIFTS EPITAPH
übersetzt aus dem Lateinischen
von William Butler Yeats

Swift has sailed into his rest;
Savage indignation there
Cannot lacerate his Breast.
Imitate him if you dare,
World-Besotted Traveler; he
Served human liberty.


Freitag, 28. November 2014

Frankenstein oder der moderne Prometheus


Caliban. 
Ihr lehrtet mich reden, und der ganze Vortheil den ich davon habe, ist dass ich fluchen kann; dass ihr die Pest dafür hättet, dass ihr mich reden gelehrt habt!

William Shakespeare "Der Sturm" 

Im Jahr 1818 verbrachte Mary Shelley nee Godwin eine stürmisch-regnerische, drogengetränkte Nacht in der Villa Diodati am Genfer See im wilden Gespräch über Gott und die Welt und die Versuche von Erasmus Darwin (Großvater von Charles!) tote Materie durch Elektrizität zum Leben zu erwecken. Die anderen Anwesenden waren Percy Bysshe Shelley, Lord Byron, dessen schwangere Exgeliebte Claire Clairmont (Marys Halbschwester) und der Arzt und Schriftsteller John Polidori. 
Aus dieser Zusammenkunft entsprang die Idee für ihren Monster-Roman, den ersten seiner Art: Frankenstein oder der moderne Prometheus.
Irritierenderweise benennt der Titel den Monsterbauer, nicht das Monster. Der Schöpfer, sich von Gott emanzipierend, gottlos und gottgleich, erschafft aus Staub und Dreck Leben, und verstößt es im Schrecken vor dessen Anblick. Das Geschöpf überlebt, allein und ausgestoßen, es lernt, es wächst, es leidet und wird ein "er" und konfrontiert schließlich seinen Erschaffer.


Thou art my father
Thou my author
Thou my being gav'st me;
Whom should I obey but thee,
Whom follow?

Du bist mein Vater
Du bist mein Autor
Du gabst mir mein Sein;
Wem sollte ich gehorchen außer Dir,
Wem folgen? 

Milton Das Verlorene Paradies
Fast ein halbes Hundert Filme wurden nach diesem Roman gedreht und in fast allen schweigt das Geschöpf. Mit Kastenkopf, schlechtvernähten Bruchstellen, hölzernem Gang, Grunzen und Gewalttätigkeit schleppt und schlachtet es sich durch ein Jahrhundert Filmgeschichte.
Nick Dears Adaptation für das National Theatre in London, die von Danny Boyle, unter anderem Regisseur von Trainspotting, Slumdog Millionaire und der Eröffnung der Olympischen Spiele, inszeniert wurde, gibt dem "Monster" Sprache, Gedanken und Gefühle. Es trägt den Hauptteil des Abends. 
Wo liegt den Unterschied von Monster und Mensch?  Und es ist die alte, immer wieder bestürzende Geschichte: wir begegnen einem Anderen mit Angst und Verachtung, und empören uns, wen er uns mit Haß und Drohung antwortet.

Did I request thee, Maker, from my Clay
To mould me Man, did I solicit thee
From darkness to promote me?
 Habe ich Dich, Schöpfer, gebeten aus meinem Lehm
Mich zu formen den Menschen, habe ich Dich aufgefordert
Mich aus der Dunkelheit zu befreien?

Milton Das Verlorene Paradies

Johnny Lee Miller und Benedict Cumberbatch, ja ich bin ein Fan, ja, ja, spielen, allabendlich wechselnd, Meister und Monster. Ich habe Cumberbatch als Professor Frankenstein gesehen. Manisch ehrgeizig, egozentrisch, verklemmt, verstört und rastlos begenet er seinem Geschöpf, dass die nicht einkalkulierte Unverschämtheit besitzt, die Zuneigung seines Erschaffers, seines Vaters zu fordern. 
Miller ist erstaunlich, er schafft es, die komplizierten, philosophischen Texte scheinbar im Moment zu denken, hervorzustoßen. Er ist gefährlich wütend, verlassen und unschuldig.
immer wenn die Zwei aufeinander treffen, war ich gebannt. 
Das Bühnenbild ist toll und die technisch perfekte, fließende Art der Verwandlungen macht mich neidisch. Und was die tausenden Gühbirnen, die den Bühnenhimmel bilden und je nach Szene, Blitz, strahlendes Tageslicht oder artifizielle Kunstbeleuchtung herstellen, gekostet haben müssen! Neid! Diese Installation hat mich sehr an eine Photographie von Jeff Wall "Der unsichtbare Mann erinnert. Großartig.


Aber, immer dieses Aber, wenn die anderen Figuren auftreten, bricht plötzlich das britische Equivalent zum deutschen schlechten Stadttheater aus. Die Kostüme sind neckisch historisch, die Situationen ungelenk, simpel und undynamisch. Und wenn dann auch noch Frauen mal den Mund öffnen dürfen, wird es endgültig provinziell und albern. So dämliche Frauenfiguren habe ich schon lange nicht mehr gesehen. Hübsch wäre noch das lobendste, was mir dazu einfällt.
 

Reiner Kunze - Wortfühlig



©MDR
WORTE

Wort ist Währung
Je wahrer,
desto härter
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      Im Vorspann zu seinem Tagebuch eines Jahres „Am Sonnenhang“ zitiert 
      Reiner Kunze Albert Camus: „Mit vierzig Jahren klagt man nicht mehr laut 
      über das Böse, man kennt es und kämpft gemäß seiner Schuldigkeit. Dann 
      kann man sich dem Schaffen zuwenden, ohne irgend etwas zu vergessen.“ 
      Dem fügt er lakonisch hinzu: „Mit sechzig gilt das doppelt.“ (planet lyrik)
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NATURGEDICHT

Die dinge hören nur, wenn du sie rufst
bei ihrem wahren namen

Getäuscht sein will allein
der mensch

Er täuscht sich
aus der welt hinaus, die dinge

kennen kein verzeihn
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RUDERN ZWEI

Rudern zwei ein Boot, der eine kundig der Sterne,
der andere kundig der Stürme,
wird der eine
führn durch die Sterne,
wird der andere
führn durch die Stürme,
und am ende ganz am Ende
wird das Meer in der Erinnerung blau sein.

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 VON DER INSPIRATION

Nur ein anfänger von engel
fliegt unterhalb der wolken
(noch ist er in sich selbst
nicht weit genug entfernt vom menschen)

Wenn deine stirn ein flügel streift,
ist's einer von ihnen,

und du stehst am anfang
wie er 

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DAS ENDE DER KUNST

Du darfst nicht, sagte die eule zum auerhahn,
du darfst nicht die sonne besingen
Die sonne ist nicht wichtig

Der auerhahn nahm
die sonne aus seinem gedicht

Du bist ein künstler,
sagte die eule zum auerhahn


Und es war schön finster


Donnerstag, 27. November 2014

Antigone - Nachbetrachtung


ANTIGONE
2014
Theater Heilbronn

Bühne & Kostüme Heike Neugebauer



Antigone tanzt!


 Polyneikes & Eteokles, zwei Brüder

 Menoikeus, jüngerer Sohn des Kreon

 Polyneikes soll nicht begraben werden.

 Kreon & Antigone

 Vor der Steinigung

 Friedensfeier mit Leichen

 Theben wird belagert

 Iocaste 
Mutter von:
Eteokles
Polyneikes
Ismene
Antigone
Gattin des Laios
Mutter & Gattin des Ödipus
Schwester des Kreon
 
 Es ist getan.
"Du warst der beste Ratgeber der Stadt, und dann wurdest du König."

Bruder & Schwester


Alle Photos © Theater Heilbronn / Thomas Braun
 

Dienstag, 25. November 2014

Stephen Waddell - Ein wenig traurige bunte Bilder


  "Ich bin Künstler und arbeite momentan als Fotograf. Ich lebe in 
   Vancouver, und meine Bilder sind hauptsächlich figurativ."

   Ich folge heute hier einer Empfehlung von Jeff Wall, einem ebenfalls ganz 

   eigen- und einzigartigen Photographen. Er schreibt: Stephen Waddell 
   arbeitet seit mehr als 15 Jahren als Maler und Photograph. Er wurde 1968 
   geboren, lebt in Vancouver und hatte unzählige Ausstellungen und er hat 
   Bewunderer unter äußerst wählerischen Sammlern. Trotzdem ist er nicht 
   wirklich bekannt. Er wird oft in wichtigen Ausstellungen, die gegenwärtige 
   Trends oder Formen oder Entwicklungen der Photographie zeigen, nicht 
   einbezogen, und er bleibt unterschätzt.


Mädchen auf einer Treppe 2001
Arbutus Corridor - Bahnlinie in Vancouver 
   
   Aus einem Interview der Baloise Group mit Stephen Waddell
   Was denken Sie über Kunstpreise, wie den Baloise Art Prize?
  

   Meiner Meinung nach ist alles,was einem Künstler das Gefühl gibt, unterstützt 
   und ernst genommen zu werden und alles was ihn vorantreibt, eine 
   grossartige Idee, denn es ist nicht einfach, ein Künstler zu sein. Bisweilen 
   gibt es Institutionen und Stiftungen, die Künstler unterstützen und ihnen so 
   Mut machen, nicht aufzuhören. Das gibt ihnen das Gefühl, ein Publikum zu 
   haben. Finanzielle Unterstützung und Aufmerksamkeit sind gleichwohl wichtig 
   – man braucht Geld, um zu überleben und man braucht Aufmerksamkeit, um 
   nicht das Gefühl zu haben, man verliere den Bezug zur realen Welt.

 Termini - Bahnhof in Rom


 Frau an einem Tisch

Arthur Rimbaud
Vokale

A schwarz E weiß I rot U grün O blau - vokale
Einst werd ich euren dunklen ursprung offenbaren:
A: schwarzer samtiger panzer dichter mückenscharen
Die über grausem stanke schwirren · schattentale. 


E: helligkeit von dämpfen und gespannten leinen ·
Speer stolzer gletscher · blanker fürsten · wehn von dolden.
I: purpurn ausgespienes blut gelach der Holden
Im zorn und in der trunkenheit der peinen. 


U: räder · grünlicher gewässer göttlich kreisen
Ruh herdenübersäter weiden · ruh der weisen
Auf deren stirne schwarzkunst drückt das mal.


O: seltsames gezisch erhabener posaunen ·
Einöden durch die erd- und himmelsgeister raunen.
Omega - ihrer augen veilchenblauer strahl.


Übersetzt von Stefan George

ALLE PHOTOGRAPHIEN © Stephen Waddell


Montag, 24. November 2014

Namenlose Trauer, unsagbare Erleichterung - Ralph Giordano zur Sterbehilfe


»Namenlose Trauer, unsagbare Erleichterung«

Ralph Giordano über den Tod seiner Frau Helga, die Autonomie über das eigene Leben und die Verlogenheit der Debatte um ärztlich assistierten Suizid

20.11.2014 – von Ralph GiordanoRalph Giordano


Ralph Giordano

© dpa

August 1944, Johannisbollwerk, Dependance der Gestapo-Leitstelle Hamburg. Die beiden Herren, die mich hierhergebracht haben, entledigen sich wortlos ihrer Ledermäntel. Dann trifft mich der erste Schlag in die Magengrube. Ich falle vom Stuhl und bleibe auf der Erde liegen, punktuell getroffen, aber mit Wirkung auf den ganzen Körper. Ich werde hochgerissen und weiter geschlagen, wahllos, eine Art boxerisches Trommelfeuer, das den Schmerz verstreut, über die ganze Hautfläche bis hinein in jede Pore, ohne dass eine Schmerzmilderung eintritt.

Die beiden Gestapomänner, beide um die 40 herum, verrichten ihr Werk routiniert. Sie dreschen auf mich ein, machen eine Pause, schlagen weiter und – reden dabei von etwas ganz anderem. Sie sprechen von Tomatenstauden, die sie auf ihren Balkons hegen und pflegen, über ihre Düngung und eine spezielle Sorte, die besonders fest ist.

»Rassenschande« Das Codewort für meine Verhaftung: »Rassenschande«. Noch kriege ich mit, was sie da absondern, noch erfasse ich, was da passiert, aber langsam verschwimmt die Wirklichkeit. Hier findet etwas Elementares statt: die summarische Entwürdigung des Ichs zwischen den Polen Gewalt und Wehrlosigkeit. Eine neue Dimension des Zugriffs auf die eigene Person, überflutet von der grauenhaften Vorstellung, im gesamten Kosmos mit diesen beiden teilnahmslosen Ungeheuern allein zu sein. Was in einem Wirbel zwischen Bewusstsein und Bewusstlosigkeit auf eine rauschhafte, schmerzgeborene Wunschvorstellung zusteuert, die Endformel eines utopischen Glücks:

»Wäre ich doch nie geboren worden, nie geboren, nie.« Unheimlich, wie dieser Satz da plötzlich gleichsam gemeißelt vor meinem inneren Auge stand – und dort stehenblieb, bis heute, 70 Jahre danach ... Hier war der innerste Kreis des Individuums angetastet worden. In seinem berühmten Traktat Die Tortur schrieb Jean Améry: »Mit dem ersten Schlag der Polizeifaust, der Faust des Folterers, gegen den es keine Wehr geben kann, endigt ein Teil unseres Lebens und ist niemals wieder zu erwecken.«

Ja! – Ich kann es bestätigen. Ich war dem Tod nicht nur einmal nahe, aber hier war ich ihm am nächsten. Doch wer seine Nähe gespürt hat, der kann gleichzeitig noch etwas anderes beglaubigen: die Erkenntnis, dass es nichts Kostbareres, nichts Großartigeres, nichts Schützenswürdigeres gibt als das Leben, der allerhöchste Wert – das Leben!

Odyssee Deshalb habe ich Ihnen die brachiale Ouvertüre meiner Dankesrede zugemutet. Erst vor diesem elementaren Hintergrund wird erkennbar, wie grausam es sein muss, mitzuhelfen, Leben zu beenden, wenn es keinen anderen Ausweg gibt. Was umso grausamer ist, wenn es sich dabei um den geliebtesten Menschen handelt.

Davon will ich hier sprechen – vom Leben und Sterben meiner Frau Helga Giordano. Sie war das Glück und der Reichtum meines Lebens, über 40 Jahre hin, nachdem wir uns bald nach der Befreiung kennengelernt hatten, im August 1945. Alles, was in mir gut ist – und da ist keineswegs alles gut, wie in jedem von uns –, all das hat sie mobilisiert. Egal, ob nach langer oder kurzer Trennung, bei ihrem Anblick wurde die Welt licht – eine wunderbare Erfahrung, die ich ihr verdankte.

Sie war zehn Jahre älter als ich, eine Dekade, die keine andere Wirkung hatte, als die Bindung umso unverbrüchlicher zu machen. Ihr Lieblingslied war »Mr. Sandman«, ihre Lieblingssendung (wie die meine) der britische Dauerbrenner Der Doktor und das liebe Vieh. Sie aß gern und hatte eine unnachahmliche Fertigkeit, ihre Korpulenz zu ironisieren. Das Gesicht war so wunderbar geblieben wie am ersten Tage unserer Begegnung. Ein Dasein ohne sie war nicht vorstellbar.

Im März 1981 dann die Diagnose – Krebs. Gefolgt von dreidreiviertel Jahren zwischen Hoffen und Bangen. Mal kletterten, mal sanken die Werte bei den regelmäßigen Messungen. Bis sie immer höher stiegen, die Metastasen das Hirn erreichten und der Griff an den Kopf mit schmerzverzerrtem Gesicht immer häufiger wurde. Wie in den schlimmsten Zeiten der Verfolgung hatte ich nur einen Wunsch: aus einem schrecklichen Traum zu erwachen.

Hilfe Im November 1984 dann die Gewissheit, das sichere Ende – nur noch wenige Wochen, vielleicht nur Tage –, was vor ihr verborgen gehalten werden musste. Ich kenne keine Situation, die schwerer zu ertragen wäre als diese. Es sei denn meine ebenso flehentlichen wie vergeblichen Bittgänge bei Ärzten, zur Erlösung beizutragen. Selten habe ich mich so allein gefühlt wie bei dieser vergeblichen Odyssee um aktive Sterbehilfe. Fündig wurde ich dann aber doch – damals ein hochvermintes Gelände.

Meine Frau stirbt am 9. Dezember 1984, mit 71 Jahren und in ihrem Bett – durch einen »Eingriff«, den ich mitvorbereitet und gebilligt, von Grund auf gebilligt hatte. Sie geht human aus dem Leben – mit aktiver Sterbehilfe, in einer Situation, an der es nichts zu deuteln gab: Das Allerschlimmste, das Unschilderbare, das Sterben in der Schmerzapokalypse, für die es keine Worte gibt, war ihr erspart geblieben. Der »Helfer« hatte sich nach Recht und Gesetz schuldig gemacht. Ich habe es »Erlösung« genannt, für die es keine Alternative gab.

Was da in seiner Gleichzeitigkeit geschieht, übersteigt eigentlich die Kräfte einer Person: namenlose Trauer um den Tod des geliebtesten Menschen, neben der unsagbaren Erleichterung über die Erlösung. Obwohl ein wortgewohnter Mann, versagt mir an dieser Stelle die Feder.

Wenn ich im Waldteil des Elmshorner Friedhofs vor das Grab trete, vor den großen Stein, auf dem einst auch meine Annalen eingeschlagen sein werden, dann weine ich, wie bei der Bestattung vor 30 Jahren schon. Es ist der Überlebende, der den Preis für ein tiefes Gefühl zahlen muss.

Autonomie Über diesem Sterben lag lange Schweigen, bis ich es nach mehr als 20 Jahren brach. Das aber erst, nachdem die fundamentalistischen Gegner jedweder Sterbehilfe öffentlich das große Wort ergriffen und sich dabei nicht entblödet hatten, die Befürworter »Mörder« und »Faschisten« zu schimpfen, mich eingeschlossen. Wissen diese Leute eigentlich, was sie da tun und wovon sie sprechen? Haben sie eine Vorstellung von dem Druck, der da waltet und der sich in mir bis heute noch nicht völlig verflüchtigt hat? Mithelfen, den Menschen zu töten, der das Kostbarste war, das man hatte?

Ich erkläre hier, dass ich dem »Helfer« dankbar war und dankbar bleiben werde, so lange ich lebe. Und dass ich ihn vielleicht eines Tages fragen werde, ob er nicht mit meinem Einverständnis auch an mich Hand anlegen werde, welche Motive mich dann dazu auch immer leiten mögen. Die Autonomie über mein Leben und Sterben werde ich mir jedenfalls von niemandem nehmen lassen. Ihm würde ich mich auch anvertrauen, wenn mir die eigene Fähigkeit zum letzten Schritt genommen wäre.

Natürlich, wenn es um Leben und Tod geht, schließt sich jede Leichtfertigkeit und Oberflächlichkeit aus. Natürlich flammt bei uns sofort die Schreckensvokabel »Euthanasie« auf, wenn es um Sterbehilfe geht. Aber da ich in der Bundesrepublik keinerlei Nähe zu diesem staatlich angeordneten NS-Massenverbrechen sehe, empört mich dessen Instrumentalisierung, ruft mich der offene Missbrauch auf den Plan, macht mich die Nivellierung von heutiger Sterbehilfe mit der »Tötung unwerten Lebens unterm Hakenkreuz« fassungslos.

Natürlich sind andere Meinungen als die eigene zu achten, solange sie nicht ins Kriminelle verfallen. Aber ich verspüre in mir eine wachsende Abneigung gegen Polemik im öffentlichen Diskurs über Sterbehilfe. Was selbstverständlich Kritik nicht ausschließen oder auch nur einengen soll.

Gerüchte Mich irritieren zum Beispiel ideologische Plattitüden, ebenso wie die Berufung auf »Gottes Willen« oder die »Heiligkeit des Lebens«, unbeeindruckt davon, in welch erbarmungswürdiger Verfassung die Leidenden sich befinden. Auch befremdet es mich, wenn Verweigerer jedweder Sterbehilfe so tun, als ob die Folge einer Legalisierung in allererster Linie gierigen Enkeln und Erben zugutekommen würde. Selbstverständlich kann es solche Fälle geben, wer leugnet das?

Aber sie ins Exemplarische zu erhöhen und damit Fortschritte auf dem Gebiet der Sterbehilfe zu verzögern oder sie gar zu verhindern, das bleibt dann doch wohl mehr als fragwürdig. Überhaupt – warum wird auch auf diesem Gebiet zuerst wieder an potenzielle Täter von morgen gedacht und nicht an die realen Opfer eines grausamen Sterbens, wie es Tag um Tag mitten unter uns weiter stattfindet? Was schließlich ist wahr an den beunruhigenden Gerüchten, dass von manchen Medizinern das Sterben eines Patienten als persönliche Niederlage aufgefasst wird? Und was stimmt davon, dass andere Ärzte durchaus Sterbehilfe in ihrer letzten Konsequenz leisten möchten, es jedoch infolge der hiesigen Rechtsunsicherheit nicht wagen?

Bleibt nur zu hoffen, dass auf diesem in Deutschland so ungut aufgeschobenen Gebiet dennoch manches von humaner Hand geschieht, was Menschen vor ihrem letzten Atemzug die allergrößte Qual ersparen hilft. Es gibt keine pauschale oder generalisierende Sterbehilfe, und es kann sie nicht geben. Worauf es ankommt, ist der Einzelfall. Zum Beispiel auf den der Hanne P., eine Frau in meinem Alter, und eine Telefonfreundschaft über 20 Jahre hin, eine vokale Korrespondenz über alles, was das Leben so bietet, mit wachsender Vertrautheit, bis hinein in ein Stadium der Schmerzen und der Schwäche, die das Dasein fraglich machten. Ich wurde Zeuge, wie die Flamme langsam erlosch, der Wunsch nach Erlösung immer stärker wurde. Er wird erhört – Hanne P. stirbt human.

Freitod Nun verleiht mir die Deutsche Gesellschaft für humanes Sterben den Arthur-Koestler-Sonderpreis 2014 – für mein Lebenswerk, wie es heißt. Ich bedanke mich dafür, sehr angetan, dass die Auszeichnung den Namen des großen britischen Schriftstellers, Journalisten und Menschenrechtlers trägt, Autor des weltberühmten Buches Sonnenfinsternis, dieser Abrechnung mit den mörderischen Ismen des 20. Jahrhunderts »Nationalsozialismus, Faschismus, Stalinismus«. (…)

Koestlers Freitod am 1. Mai 1983 in London überraschte nur den, der nichts ahnte von den inneren Dämonen, von denen diese Generation heimgesucht und mancher auch überwältigt wurde. Darunter Jean Améry, Primo Levi, Paul Celan und viele andere, die unbekannt geblieben sind. Ich kenne die Etappen bis hin zu dieser Entscheidung und respektiere ihre Qualen und ihre Motive. Sehr fern von ihnen war keiner, der die grausamen Ismen des 20. und 21. Jahrhunderts am eigenen Leibe zu spüren bekam. (…)

Auszug aus der Dankesrede des Autors zur Verleihung des Arthur-Koestler-Sonderpreises 2014 der Deutschen Gesellschaft für Humanes Sterben am 14. November in Berlin

Freitag, 21. November 2014

20.11.1906 - Uraufführung - Frühlingserwachen


FRÜHLINGSERWACHEN. Meine erste Rolle überhaupt, die Ilse, 1974 am Berliner Ensemble. ich war fünfzehn, Schülerin und so frei, wie danach lange nicht mehr. Die Regie führten B.K. Tragelehn und Einar Schleef und ich war die älteste der jugendlichen Laiendarsteller.
Dann Frühlingserwachen als Hörspiel, jetzt als Wendla, mit Frank Lienert nächtens in der Nalepastrasse im Unmassen von Tonbändern hockend, die das Heugeräusch erzeugen sollten. 
Und 1996 im ersten Jahr von Wolfgang Engels Intendanz als meine erste Regie für eine große Bühne, wieder Frühlingserwachen.
Ich liebe dieses Stück.

20.11.1906

Unter der Regie von Max Reinhardt findet an den Berliner Kammerspielen die Uraufführung von Frank Wedekinds Drama  Frühlings Erwachen statt.

ERSTE LIEBE


Sechste Szene: Bergmanns Garten im Morgensonnenglanz.

Wendla
Warum hast du dich aus der Stube geschlichen? – Veilchen suchen! – Weil mich Mutter lächeln sieht. – Warum bringst du auch die Lippen nicht mehr zusammen? – Ich weiß nicht. – Ich weiß es ja nicht, ich finde nicht Worte...
Der Weg ist wie ein Pelüscheteppich – kein Steinchen, kein Dorn. – Meine Füße berühren den Boden nicht... Oh, wie ich die Nacht geschlummert habe!
Hier standen sie. – Mir wird ernsthaft wie einer Nonne beim Abendmahl. – Süße Veilchen! – Ruhig, Mütterchen. Ich will mein Bußgewand anziehn. – Ach Gott, wenn jemand käme, dem ich um den Hals fallen und erzählen könnte!

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Ein Hauch schwebt über diesem Werk eines Leichtsinnigen, Torkelnden, Schludernden; ein Hauch, der die Grundmauern des Daseins anweht; Faustulus und Gretelchen; es sind kleine Faustusse der Pubertät, die hier erobern und schuldig werden und dennoch schuldlos untergehen...
Skurile und lyrische Vettern und Basen sind alle der dunklen, dahingegangenen Hedwig Ekdal; Hedwig sollte nur ein Tier schlachten, eine Wildente, um einen Vater zu retten ... Bei Wedekind, der in mattbunten Farben das Dasein zeichnet, wird kein ethisches Opfer gebracht, nur das ungewollte des eigenen Lebens um des grünen, schwärenden, geheimnisvollen Sinnendranges willen.


Alfred Kerr: "Frühlings Erwachen". Der Tag, Berlin, 23.11.1906 

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Wendla

Sieh die taufrische Maid,
Erst eben erblüht;
Durch ihr knappkurzes Kleid
Der Morgenwind zieht.

Wie schreitet sie rüstig,
Jubiliert und frohlockt,
Und ahnt nicht, wer listig
Unterm Taxusbusch hockt.

Der allerfrechste Weidmann
Im ganzen Revier,
Er tut ihr ein Leid an
In frevler Jagdbegier.

In einem langen Kleide
Geht sie nun bald einher,
Sinnt vergangener Zeiten
Und jubelt nicht mehr.
Frank Wedekind

Sonntag, 16. November 2014

Tatort, Polizeiruf & solcherlei Dinge


Was ist das bloß? 
Über Wochen, gar Monate sehe ich nahezu gar kein Fernsehen. Serien & Filme auf DVD und ganz reale Kinobesuche sättigen meinen audiophilen Hunger, ohne mich zu zwingen, in zunehmend kürzeren Zeitabständen idiotische und schlecht gemachte Werbungsclips ertragen zu müssen. Ich kann gucken, wann ich will und was ich will. 
Aber die Theaterwohnungen ohne Wlan/Wifi, also ohne die Möglichkeit des Streamens, aber auch die schöne Erschöpfung durch die Proben und, nicht zu vergessen, die Anwesenheit eines Fernsehapparates, verführen mich zum Betrachten des Angebotes des Deutschen Fernsehens.

 
Es ist Sonntag 15 Minuten nach 8, und folglich läuft ein Tatort/Polizeiruf im Ersten Programm. Öffentlich rechtlich, werbefrei und also durch staatlich verordnete Gebühren hochsubventioniert, ich kann Wagemut und Opulenz erwarten, aber begegne geballter Ödnis und depressivem Sozialkitsch. 
Ja, ich weiß, es gibt Ausnahmen. ABER. Aber, warum sind fast alle Kommissare verärgert, traurig, verklemmt und betrübt? Und warum macht diese Traurigkeit sie besonders langsam, geschlechtslos und mittelgrau? 
Sie könnten rechtslastig sein, oder ehrgeizige Immigranten, die sich durchsetzen müssen, sie könnten sich selbst durch übermäßiges Beachten bürokratischer Regeln außer Kraft setzen, sich nach Lynchjustiz sehnen oder eigene Mordphantasien im Namen des Gesetzes unterdrücken.
Warum machen sie nie böse Witze?
In meiner Zeit als Krankenschwester hat mich mein morbider und tiefschwarzer Humor, als Reaktion auf den täglichen Umgang mit dem Sterben, erst erschreckt, aber dann war ich froh, dass ich ein Ventil für all das Leid, das ich täglich erlebte, hatte.
Im Deutschen Fernsehen wird gelitten. Es wird erlitten. Nicht überraschend intelligent ermittelt, sturzbetrunken versagt oder verbohrt danebengetroffen. Nein, diese Kommissare versinken unter der Last der Not, der sie begegnen. Sie leben nicht, sie ertragen. Der Mensch hat überlebt, weil er sich anpasst, aber deutsche Fernsehkomissare begenen der Welt, als wären sie völlig geplättet und überrascht, weil sie so schlecht ist.
Nina Kunzendorf hatte schon durch ihre geschmacklosen-sexy Kostüme bei mir mehr als einen Stein im Brett.
Und deshalb gibt es in meinem Hirn eine Sammlung von "ersten zehn Minuten" deutscher Kriminalfilme, die restliche Sendezeit habe ich CSI oder ein ähnliches amerikanisches Machwerk geguckt, wo sie wußten, dass sie mich unterhalten sollen, weil ich schon weiß, dass die Welt kein Zuckerschlecken ist.
Aber es gibt Ausnahmen!

Regen mal anders - Bertolt Brecht



Der, den ich liebe
Hat mir gesagt
Daß er mich braucht.
Darum
Gebe ich auf mich acht
Sehe auf meinen Weg und
Fürchte mich vor jedem Regentropfen
Daß er mich erschlagen könnte. 


Bertolt Brecht
 

Ein Regentropfen!

Wie schnell ist ein Regentropfen?

Die Fallgeschwindigkeit eines Tropfens in Metern pro Sekunde 
ist gleich dem doppelten Tropfendurchmesser in Millimetern.
Bei einem Wolkenbruch prasseln vier Millimeter große Tröpfchen
mit einer Geschwindigkeit von acht m/s (= 29 km/h) auf die Erde.
http://www.gutefrage.net

Verachtet die klein scheinende Kraft nicht;
der Regentropfen, der von der Rinne fällt, 
durchlöchert den Felsen.
 
Pestalozzi