Dienstag, 18. Februar 2014

Tuccia, die Verschleierte


TUCCIA, DIE VERSCHLEIERTE

Geschaffen von Antonio Coradino

Tuccia war Vestalin, eine der jungfräuliche Priesterin der Vesta, Göttin des Herdes, des Heimes und so der ganzen Stadt Rom. Gegen sie wurden 
fälschliche Anschuldigungen erhoben, sie hätte ihre Reinheit nicht bewahrt, 
was unweigerlich zum Tode durch Verhungern und Verdursten in einem verschlossenen Verließ geführt hätte. Die Unkeuschheit einer Vestalin gefährdete den Frieden und die Sicherheit der Stadt und mußte deshalb hart bestraft werden. Allerdings wurde in politisch ungünstigen Zeiten, manchmal einfach eine Vestalin angeklagt, um einen vorgeschobenen Grund für militärische Niederlagen oder wirtschaftliche Probleme zu liefern, die Technik des Sündenbockes ist schon sehr alt, wie man sieht.
Um die Intaktheit ihrer Jungfernhaut zu beweisen, trug Tuccia Wasser in einem
geflochtenen Korb (Sieb) vom Tiber in die Stadt, ohne einen Tropfen zu verschütten und rettete so ihr Leben.
Ob der sich anschmiegende Schleier allerdings deshalb wie feucht wirkt, weil sie sich im Jubel anschließend das Wasser über den Kopf gegossen hat oder einfach nur, weil es so wunderschön und verlockend aussieht, mag ich nicht zu sagen.




 
©Sailko









Geschaffen um 1773, sie steht im Palazzo Barberini in Rom.

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Die jungfräuliche Elizabeth I. mit einem Sieb
George Gower 1579 
 
DIE VESTALIN

In den stillen Tempel lärmend
Bricht das Volk, empört in Wut:
»Auf und schleppt sie vor den Prätor,
Tilgt die Schuld in ihrem Blut,
Denn kein Rauch steigt mehr zum Himmel,
Und erloschen liegt die Glut.
Priesterin, wo war dein Eifer,
Priesterin, wo war dein Herz?
Träumtest du der Liebe Träume,
Pflogest du der Liebe Scherz?
Sucht den Buhlen und zerfleischt ihn
Glied für Glied mit scharfem Erz.
Doch sie selbst scharrt in die Erde
Lebend ein mit ihrer Schmach.«
Also tobt die blinde Menge,
Von den Säulen schallt es nach.
Doch erwacht aus tiefem Schweigen
Trauervoll die Jungfrau sprach:
»Wehe, rohe Männer, wehe,
Die ihr scheulos, wild, im Streit,
Auf den Lippen Zorn und Flüche,
In dies Haus getreten seid:
Nicht die Priesterin, ihr selber
Habt das Heiligtum entweiht.«
»Heuchlerin, da sieh die Asche!
Sprich, was löschte diese Glut?«
»Unauslöschlich lodert Vestas
Herd in meines Herzens Hut:
Und was diese Brände löschte, –
Das war meiner Tränen Flut.«
»Tränen? was hast du zu weinen,
Du der Göttin Dienerin?«
»Vor drei Tagen sank bei Cannä
Romas Ruhm und Macht dahin,
Und als Priesterin ich worden,
Blieb ich dennoch Römerin.«
»Nicht um Rom, um einen Buhlen,
Der gefallen, weint sie wohl:
Auf! ergreift sie, sie soll sterben,
Schleift sie fort aufs Kapitol.«
Doch die Priesterin umklammert
Fest der Göttin Steinsymbol:
»Höre mich, du große Göttin,
Die du reiner dort nicht thronst
In den Hallen des Olympos,
Als du mir im Herzen wohnst,
Die du schrecklich strafst den Frevel,
Wunderbar die Unschuld lohnst:
Höre mich, die alle Feuer
Mit dem heil'gen Atem schürt:
Bin ich rein an Leib und Seele,
Wie der Priesterin gebührt, –
Auf, entzünde diese Kohlen,
Wie sie meine Hand berührt.«
Spricht's, und auf die schwarzen Brände
Legt sie leis die weiße Hand: –
Und ein Donnerschlag erdröhnet,
Licht umflutet ihr Gewand,
Und empor vom Opferherde
Lodert goldig heller Brand.
Auf die Kniee stürzt die Menge:
Doch die hohe Jungfrau spricht:
»Wenn der Unschuld hier auf Erden
Jeder letzte Schutz gebricht,
Mutig greift sie in den Himmel,
Holt herunter sein Gericht.«

Felix Dahn

Überdosis Rom - überall zuviel



"Anderer Orten muß man das Bedeutende aufsuchen, hier werden wir davon überdrängt und überfüllt. Wie man geht und steht, zeigt sich ein landschaftliches Bild aller Art und Weise, Paläste und Ruinen, Gärten und Wildnis, Fernen und Engen, Häuschen, Ställe, Triumphbögen und Säulen, oft alles zusammen so nah, daß es auf ein Blatt gebracht werden könnte. Man müßte mit tausend Griffeln schreiben, was soll hier eine Feder! und dann ist man abends müde und erschöpft vom Schauen und Staunen." 
Goethe in Rom, 7. November 1786


Ein kleiner, unbedeutender Platz nahe des Campo de Fiori: eine angebröckelte Kirche namens Santa Barbara alla Regola, Zunftkirche der römischen Buchhändler, der Innenraum im üblichsten Barock dekoriert, nur dass hier im Überschwang mindestens fünf verschiedene Marmorarten verbaut wurden, die die kleine Kapelle wie das Badezimmer eines gerade erst zu Geld gekommenen Oligarchen einer der kleineren ehemaligen Sowjetrepuliken wirken lassen. Davor stand hier seit dem 11. Jahrhundert schon eine andere Kirche, die wiederum auf den Resten des Theaters des Pompeius errichtet worden war, das im Jahre 55 vor der Zeitenwende eröffnet wurde und etwa 10.000 Zuschauer fasste.
Rechts und links der Kirche Wohnhäuser, unseres fast 500 Jahre alt, andere jüngeren Datums, vielleicht gerade mal 200 Jahre. Daran vorbei wälzt sich ein nicht zur Ruhe kommen wollender Strom von Römern und Touristen, intensivst verwickelt in ihre Zeit und ihre Sorgen.



Was genau ist Geschichte? Wir leben in ihr? Wo leben wir in ihr? Wie sehr sind wir in sie verwickelt? Wie sehr ist sie Teil von uns, bestimmt uns?

Hier liegen überall verschiedenste Zeiten über-, ineinander. "Wann?" ist eine Frage, die sich an diesem Ort nicht leicht beantworten läßt. In die Seitenwand eines mittelalterlichen Wohnhauses sind zwei dorische Säulen beiläufig eingebaut, die Reste einer römischen Therme bilden die Front einer Kirche aus dem 15. Jahrhundert , das um 120 n. Chr. fertiggestellte Pantheon, einst ein dem Kaiser Augustus gewidmeter römischer Tempel, ist seit nunmehr eintausenvierhundert Jahren eine christliche Kirche zu Ehren der Mutter des Sohnes des einzigen Gottes einer ganz anderen Religion. 

Die Piazza de San Ignazius, auf der einen Seite ein elegantes, zierliches und verspieltes Rokoko-Ensemble, an einen sich wellenden Theatervorhang erinnernd, das geradezu darum bittet, dass man Goldoni darinnen spielt. Direkt gegenüber, die Kirche des Heiligen Ignatius, Gründer der Jesuiten, weißgrau, schwer und bedrohlich. Sie sollte eigentlich eine Kuppel bekommen, aber als es dazu nicht reichte, hat der jesuitische Freskenmaler die Decke perspektivisch so gestaltet, dass man denken könnte, es gäbe eine Kuppel.

Ignatius de Loyola:
Wer immer in unsrer Gesellschaft, die wir nach dem Namen Jesu benannt wissen möchten, unter der Fahne des Kreuzes für Gott streiten und allein dem Herrn und seinem Stellvertreter auf Erden, dem römischen Papste, dienen will, der soll sich nach dem feierlichen Gelübde ewiger Keuschheit folgendes vor Augen halten: Er ist Mitglied einer Gesellschaft, die hauptsächlich zu dem Zweck gegründet wurde, auf den Fortschritt der Seelen in christlichem Leben und christlicher Lehre und auf die Verbreitung des Glaubens durch öffentliche Predigten und Verwaltung des Wortes Gottes, durch geistliche Übungen und Werke der Liebe und namentlich durch Unterweisung der Kinder und Ungebildeten im Christentum sowie auf die geistliche Tröstung der Christgläubigen durch Beichthören auszugehen ...
Formula Instituti
http://www.philos-website.de/index_g.htm?autoren/ignatius%20von%20loyola_g.htm~main2

Carlo Goldoni:
Es lebe die Schokolade und der, der sie erfunden hat.
 


Hier (in Rom) ist alles schon immer und grade eben jetzt. 
Und in den zahlreichen Souvenirläden strahlt der neue "bescheidene" Papst auf kitschigem Nippes jeder vorstellbaren Form. 
Alle Wege führen nach Rom. Alle Wege kommen also von Rom?

Was macht, wenn es denn existiert, unser kollektives Gedächtnis aus?
http://de.wikipedia.org/wiki/Kollektives_Ged%C3%A4chtnis

http://www.uni-konstanz.de/FuF/Philo/Geschichte/Tutorium/Themenkomplexe/Grundlagen/Was_ist_Geschichte/Kollektivitat/kollektivitat.html 

"Wenn man so eine Existenz ansieht, die zweitausend Jahre und darüber alt ist, durch den Wechsel der Zeiten so mannigfaltig und vom Grund aus verändert, und doch noch derselbe Boden, derselbe Berg, ja oft dieselbe Säule und Mauer, und im Volke noch die Spuren des lateinischen Charakters, so wird man ein Mitgenosse der großen Ratschlüsse des Schicksals, und so wird es dem Betrachter von Anfang schwer zu entwickeln, wie Rom auf Rom folgt, und nicht allein das neue auf das alte, sondern die verschiedenen Epochen des alten und neuen selbst aufeinander."
Goethe, aus seiner "ltalienischen Reise", erschienen 1816-17
 

Samstag, 15. Februar 2014

Wieder was, das ich nicht über meine Familie wusste!

          


                      Frankfurter Allgemeine Zeitung, 17.05.2000, Nr. 114, S. BS2


Was man bei Helene Weigel vergessen hat: 
Die 68er-Courage

Von JOCHEN STAADT

Neue Biographie poliert einen blinden Fleck
Zu ihrem hundertsten Geburtstag erhielt Helene Weigel in der vergangenen Woche einen Strauß feuilletonistischer Elogen erster Güte. Es waren vor allem ostdeutsche Federn, die sich mit Würdigungen der bedeutendsten aller Brecht-Frauen schmückten. Dabei fällt auf, dass dem kollektiven DDR-Gedächtnis ein wichtiges Ereignis gänzlich abhanden gekommen ist. Da, wo das Historiengemälde des zwanzigsten Jahrhunderts das Jahr 1968 abbildet, prangt in den Weigel-Geburtstag-Erinnerungen ein blinder Fleck. Im Berliner Ensemble schieden sich aber gerade nach dem 21. August 1968 wegen der politischen Auseinandersetzungen um die Zerschlagung des Prager Frühlings die Geister. Helene Weigel missbilligte den Einmarsch des Warschauer Paktes in die reformsozialistische Tschechoslowakei.

Die Querelen zwischen Helene Weigel und der SED hatten sich bis dahin vor allem um die Veröffentlichung der Brecht-Werke in der DDR gedreht. Helene Weigel beharrte darauf, dass Brechts Texte entweder ganz oder gar nicht zu erscheinen hatten. Die Streichung "problematischer Stellen" ließ sie nicht zu. Als das Politbüromitglied Kurt Hager sie in dieser Sache um ein Gespräch bat, erhielt er eine brüske Absage. Sie ließ ihn grüßen und erklärte seinem Abgesandten: "Es gilt die alte und ewige Abmachung, die von Brecht kommt: Alles erscheint möglichst gleichzeitig hier und im Westen. Verspätungen entstehen mitunter, aber dann sind das hiesige Schwierigkeiten." So kam es, dass bis 1968 mit Helene Weigels aktiver Unterstützung bei Suhrkamp bereits 39 Brecht-Bände der Werkausgabe erschienen waren, während man im ostdeutschen Aufbau-Verlag bei Band 28 verharrte. Besonders verübelten die SED-Kulturfunktionäre Brechts Witwe, dass sie den "republikflüchtigen Uwe Johnson" - wie Manfred Wekwerth damals schrieb - als Herausgeber für das "Buch der Wendungen" eingesetzt hatte. Wekwerth, der 1968 Chefregisseur des Berliner Ensembles war und sich selbst für den "Fortführer des Werkes Brechts auf dem Theater" hielt, kritisierte immer wieder, dass sogar "bei uns" versucht werde, "Brecht des sozialistischen Realismus zu entkleiden, seine politischen Absichten umzubiegen und ihn zum Gegenstand formaler, leerer, modernistischer, also bürgerlicher Darstellungen zu machen".

Als sich Helene Weigel 1968 weigerte, als Kultur-Marketenderin an dem ideologischen Feldzug gegen den Prager Frühling teilzunehmen, eskalierten die Auseinandersetzungen mit Wekwerth. Als "Theatertragödie" wird das in einer aktuellen Weigel-Biographie von Sabine Kebir abgebucht. Die Autorin behandelt die Hintergründe des 68er-Konflikts am Berliner Ensemble nicht und lässt Wekwerth ungeschoren.

Wekwerth kommt nicht zum Zug

Ausweislich seiner Briefe an die Kulturbürokratie des SED-Zentralkomitees fungierte Wekwerth aber seinerzeit neben seiner Funktion als Chefregisseur auch als Chefintrigant am Schiffbauerdamm. Er wollte den Einfluss der Prinzipalin zurückdrängen und meinte, mit dem Großreinemachen nach der CSSR-Intervention sei seine Stunde gekommen. Unterstützung erhielt er von Arno Hochmuth, dem Abteilungsleiter für Kultur im SED-Zentralkomitee. Hochmuth forderte den damaligen Kulturminister Klaus Gysi auf, er möge die Prinzipalin überreden, Wekwerth die künstlerische Leitung des Ensembles zu übertragen. Sonst drohe die Gefahr, dass "die Gruppe Karge/Langhoff die künstlerische Macht übernehmen" wird. Aber Helene Weigel hatte andere Pläne.

Wekwerth kam nicht zum Zuge. Im Dezember 1968 beschwerte er sich deswegen bei dem Berliner SED-Chef Paul Verner, der zugleich Mitglied des Politbüros war. Wekwerth denunzierte in seinem Schreiben die von Matthias Langhoff, Manfred Karge und Hilmar Thate geplante Aufführung von "Sieben gegen Theben" als "revisionistisch". Das Regiekonzept der Inszenierung bilde eine Plattform "für oppositionelles Verhalten der Gruppe Langhoff, Karge und Thate". Helene Weigel lasse entgegen dem Willen der Parteileitung die Proben für das Stück weiterlaufen. Außerdem beharre sie "auf ihrer generellen Kritik des Einmarsches in die CSSR und ihrem Nichtakzeptieren der Urteile gegen Jugendliche, die öffentlich gegen diesen Einmarsch auftraten". Thomas Brasch, der sich unter den Verurteilten befand, hatte wegen eines Flugblattes gegen die CSSR-Okkupation eine Freiheitsstrafe von 27 Monaten erhalten. Helene Weigel sorgte dafür, dass Brasch bald nach seiner vorzeitigen Entlassung im Brecht-Archiv arbeiten durfte.

Schwächen eliminieren

In Abstimmung mit den SED-Zensurfunktionären bemühte sich Wekwerth unterdessen um politische Korrektheit im Brecht-Ensemble. In einem ausführlichen Lagebericht informierte er die SED-Bezirksleitung über den Stand der Auseinandersetzungen am Schiffbauerdamm: "Wir hatten im Bericht der letzten Wahlversammlung einen konzeptionell wichtigen Punkt: Besonders nach den Ereignissen in der CSSR (aber auch in Hinblick auf unsere Entwicklung des gesellschaftlichen Systems des Sozialismus bei uns) sollte man vorwiegend solche Brecht-Stücke spielen, die den politisch reifen Brecht ausweisen. Kurz: die bei aller Dialektik der Fabelführung politisch eindeutige Schlußfolgerungen zulassen. Andernfalls besteht die Gefahr, daß Mehrdeutigkeiten, kommend aus anderen Situationen des Klassenkampfes, bei uns falsche Anhänger finden, die Brecht auf eine falsche Fahne schreiben. Das sind Probleme des Anarchismus, des nicht klassenmäßigen Herangehens an Fragen der Demokratie, der Macht, der Führung, des demokratischen Zentralismus, der ,Dritten Welt' usw."

Wekwerth wandte sich gegen eine von Helene Weigel angeregte Turandot-Inszenierung. Das Stück enthalte "geniale Szenen, aber stelle die Frage der Intellektuellen (und der ,Tui'-Funktionäre), des ,Weißwaschens' (also Rechtfertigens)". Diese Schwächen könne "nur eine gründliche Bearbeitung eliminieren. Ich sagte vor einem Jahr die Inszenierung ab (. . .). Helli Weigel kümmert sich natürlich nicht um solche politischen Überlegungen. Sie erhofft sich mit einer ,Turandot'-Inszenierung nur Sensation, zumal, wenn sie Benno Besson macht. Benno weiß das. Er weiß auch, daß Helli das gegen mich und meine Arbeit richten will: wir brauchen ihn nicht mehr - Brecht geht immer! 
(. . .) Ich kenn die Dame wie eine Ehefrau. Ich weiß, welche Absichten sie mit Unschuldsmiene durchsetzen will: keine guten!"

Am Ende hat Helene Weigel eine ihrer guten Absichten schließlich doch durchgesetzt. Wekwerth verließ 1969 das Berliner Ensemble. Er wurde dort erst 1977 wieder gebraucht, als Stellvertreter der Macht. Die SED machte ihn nach den Protesten gegen die Ausbürgerung Biermanns zum Intendanten, um am Schiffbauerdamm für Ordnung zu sorgen - eine andere Ordnung allerdings, als sie dort unter Helene Weigel geherrscht hatte.

JOCHEN STAADT

Freitag, 14. Februar 2014

VALENTINSTAG




Du bist mein Stern, bist für mich der Sonnenschein! Ob nah, ob fern – ich werde immer bei Dir sein!
I
n meinem kleinen Herz bist Du für immer drin! Drum denk ich an Dich, auch zu St. Valentin!
Liebe ist das wunderbare Gefühl, nach den Sternen greifen zu können, ohne sich dabei auf Zehenspitzen stellen zu müssen.
Kann’s kaum fassen, wie gut wir zusammenpassen. Danke, dass du mich so glücklich machst. Schönen Valentinstag!
Die schönsten Blumen für die schönste Frau auf diesem Planeten. Alles Liebe zum Valentinstag!


Männer rennen in panischer letzter-Minute-Hatz zum nächstliegenden Blumenhändler, Frauen fühlen sich verpflichtet, ihre Blumen nicht selbst zu kaufen und sich bodenlos enttäuscht zu geben, wenn am Abend kein verflixtes Bukett auftaucht, Karten mit Sprüchen, die jedem der Liebenden unter normalen Umständen den Magen umdrehen würden, werden mit angestrengt beseeligtem Lächeln verschenkt und entgegengenommen, Nippes- & Konfektgeschenke dergleichen. Der Tag der Liebenden als Tag der gegenseitigen Versicherung, ja, ich liebe Dich und ich kann es beweisen, gerade heute, weil es heute alle tun.

Dabei ist der Tag der Liebe eine äußerst unordentliche Konstruktion.

Der Valentinstag: eine Göttin der Liebesleidenschaft, ein lustfeindlicher Papst, zwei oder mehr Heilige Valentine, die für den Feiertag zuständig sein sollen, die monetären Interessen der Blumenbelieferungsindustrie, nicht zu unterschlagen, unsere verqueren Vorstellungen von den Äußerungsformen der wahren Liebe und, wie um dies alles zu verhohnepiepeln, noch das Valentine's Day Massaker der Mafia. Was für ein Tag!


In Rom wurde am 14. oder 15. Februar Juno, die Beschützerin von Ehe und Familie mit Blumenopfern beschenkt, schon komisch, wenn man daran denkt, wie es in ihrer eigenen Ehe zugangen ist. Als Juno Februata wurde sie als Göttin der Leidenschaft und erotischen Liebe verehrt und im Februar, dem letzten Monat des römischen Jahres, dem Monat der Reinigung, wurden ihr zu Ehren orgiastische Feste gefeiert. Papst Galesius beendete diese lüsternen, heidnischen Festlichkeiten, indem er 496 n.Chr. kurzerhand den Valentinstag erfand.

War es Valentin von Viterbo, auf den der Name zurückgeht? Über ihn ist wenig bekannt, außer dass er unter Kaiser Maximilian den Märtyrertod gestorben ist, "gemäß seiner Passio".
Passio, laut Wiki:
Leidenschaft ist eine das Gemüt völlig ergreifende Emotion. Sie umfasst Formen der Liebe und des Hasses, wird aber auch für religiösen, moralischen oder politischen Enthusiasmus benutzt und beschreibt die intensive Verfolgung von Zielen von beispielsweise Kunstliebhabern, Sammlern oder von Tierfreunden. Im ursprünglichen Sinn schwingt der Beilaut von etwas Zerstörerischem oder Leiden Schaffendem mit.


Oder war es Valentin von Terni?
Die Überlieferung unterscheidet und vermischt zugleich zwischen einem Valentin von Terni und einem Valentin von Rom. Womöglich handelt es sich aber auch um ein und dieselbe Person.


Es wird behauptet, in Rom wurden die Soldaten knapp, verheiratete Männer durften aber nicht eingezogen werden, also verbot Kaiser Claudius II. kurzerhand jungen Männern die Eheschließung. Valentin von Rom oder der von Terni traute sie trotzdem, gegen das Gebot des Kaisers und natürlich nach christlichem Ritus und schenkte ihnen "Blumen aus dem eigenen Garten". Dem Kaiser mißfiel dies und er ließ Valentin am 14. Februar 269 oder 268 hinrichten.
Oder:
Er soll in Rom durch eine Krankenheilung viele Leute für den christlichen Glauben gewonnen haben. Dies brachte ihm eine Anklage vor Gericht und um das Jahr 268 den Märtyrertod durch Enthauptung. 
Die romantisierte Version, läßt ihn die Tochter seines Gefängniswärters von einer schlimmen Krankheit heilen und ihr zum Abschied eine Karte mit "Dein Valentin!" hinterlassen.
Und weil Valentin fast wie Fall nit hin (fall nicht hin) klingt, wurde er der Patron der Epilepsie-Kranken. Gilt sicher nur für deutschsprechende Gläubige.

Oder war es doch Valentin von Rätien?


Chaucer schrieb 1383 das Gedicht "Parlament der Vögel" für eine Valentinstagsfeier Richard II., in dem Gedicht sammeln sich die Vögel an diesem Tag um die Göttin der Natur, damit jeder einen Partner findet. Englische Jugendliche nutzten den 14. Februar also seit dem 15. Jahrhundert  als Kontaktbörsentag.

Der Valentinstag krepelte über Jahrhunderte friedlich und anspruchslos vor sich hin, bis kurz nach Ende des Zweiten Weltkrieges die Blumenhändler ihn griffen, anmalten, aufbauschten und den nichtsahnenden Leuten als Zwangsliebesakt unterjubelten.

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Das Valentinstagsmassaker war die Erschießung von sieben Gangstern in einer Garage auf der Clark Street am 14. Februar 1929, mit Maschinengewehren, man könnte es Overkill nennen, als Teil einer Auseinandersetzung zwischen Chicagoer Mafiabanden. Brecht hat es im Arturo Ui für die Ermordung Romas zitiert. Und Manche Mögens Heiss bezieht sich wohl auch darauf.


Vielleicht der beste Spruch zum Valentinstag: Nobody's perfect!

Und als Gegengeschmack zum süßlichen Grundton des heutigen Tages:

Der Brief


Aus einer Komödie von Karl Valentin

HERR GEIER sitzt mit seiner Gattin beim Morgenkaffee, schimpft und tobt, weil er sich gestern abend am Stammtisch über seinen besten Freund fürchterlich geärgert hat. Zur Frau. Dem schreib ich aber jetzt einen Brief! – Haben wir Briefbögen zu Hause? – Hole einen – auch die Tinte und Federhalter!
FRAU GEIER Also, was soll ich schreiben?
MANN Datum: den soundsovielten ...
FRAU Also, ich schreib: „Sehr geehrter Herr“
MANN Nix geehrter Herr, geehrter weglassen ...
FRAU Na hoaßt’s ja bloß „Sehr Herr“
MANN Dös is wurscht – Schreib jetzt: „Es ist schon kaum unglaublich, daß Sie sich erdreisteten, einen Freund, wie wir zu Ihnen sind, vielmehr waren, in so einer unverschä...“, na, so können wir net schreib’n – nimm an neuen Briefbogen!
FRAU Dieselbe Überschrift?
MANN Ja – schreib: „Wenn Sie mir binnen – wenn Sie mir binnen –“, hast du’s geschrieb’n?
FRAU Ja –
MANN Na – so können wir auch net schreib’n, „binnen“ ist eine ganz alte Schreibart. – Nimm an neuen Briefbogen! – Hast’n? Schreib: Nix, gar keine Überschrift. – „Hinsichtlich Ihres gegen uns erzeugten Benehmens Ihrerseits, wo es sich um Familieneinmischungsdifferenzen handelte – handelten, werden Sie zukünftigerseits gegenseitiges Erachtens – Intrigen ignoriert –, keinesfalls –“, na, da kennt er sich net aus – nimm an neuen Briefbogen! –
FRAU Ja mei, mir ham fei bloß mehr a paar Dutzend Briefbogen daheim.
MANN Die reichen schon – schreib! „Glauben denn Sie, Sie hundsgemeiner Sauhund, daß Sie...“
FRAU Um Himmels willen, Lorenz, so dürfen wir ihm net schreib’n, der verklagt dich ja sofort wegen Beleidigung!
MANN Stimmt – ja – dös is etwas zu derb – nimm an neuen Briefbogen!
FRAU Dös is jetzt schon der 5. Briefbogen, den mir wegen dem Dreckkerl verpatzt ham –
MANN No, no, no, Babette tu dich etwas mäßigen in deinen Ausdrücken, schließlich sind wir ja bessere Leute! – Wir müssen ihm so schreiben, daß er sich sagt: nach dem Brief nach zu schließen, können das keine gewöhnlichen Menschen sein.
FRAU Ja – ganz richtig! Schöne Zeilen sollen wir ihm servieren, denn schließlich war er ja doch dein ehemaliger Freund, und du hast schon schöne Stunden mit ihm verlebt.
MANN in weinerlichem Ton. Ja, o mei, da derf i gar net dran denken, da könnt i glei weinen ...
FRAU Na, na, Lorenz, vergiß dich nicht!!!
MANN Schreib: „Mein lieber, guter, alter Freund! Die Wunde, die mir das so jäh zerrissene Freundschaftsband, welches sich einst um uns geschlungen hat, verursacht hat, blutet heute noch. Auch Du, lieber alter Freund, wirst es nie vergessen, als wir in lauer Sommernacht im Hofbräuhauskeller unter duftenden Kastanienbäumen unsere Maßen schlürften und wir dann in der Sternennacht schwer beladen, aber selig heimtorkelten. Ein Strauß himmelblauer Vergißmeinnicht soll das Zeichen unserer Freundschaft wieder ...“ Halt, halt, halt, na, na, nix, ja dös war ja der reinste Liebesbrief! –
FRAU Ja, dös hab ich mir auch grad denkt!
MANN Zerreiß sofort den Schmarrn!
FRAU zerreißt den Brief. Jetzt wird’s aber bald Zeit, daß du dich entschließt, was wir ihm eigentlich schreib’n. Ich hab ja noch a andere Arbeit auch.
MANN Jetzt weiß ich, was ich ihm schreib: – kurz und bündig! Nimm an neuen Briefbogen und schreib: „Geehrter Herr! Ich beschließe nun mein Schreiben und erachte die ganze Angelegenheit für erledigt. Hochachtungsvoll! Lorenz und Babette Geier.“

Alles kursiv gedruckte sind Zitate von meiner Freundin WIKI!

http://artedea.net/februata/

http://www.zeit.de/2004/08/A-Valentin_n

Donnerstag, 13. Februar 2014

Zwischendurch


Dies ist eine Eule. 
Sie scheint eine Frage stellen zu wollen.
Welche?



Picasso mit Eule

Picasso Eule

Picasso Eule 1952

 Oder so

Ernst Jandl: Eulen

 
bist eulen?
ja
bin eulen
ja ja
sehr eulen
-
bist auch eulen?
ja
bin auch eulen
sehr eulen
ja ja
-
will aber nicht mehr eulen sein
bin schon zu lang eulen gewesen
will auch nicht mehr eulen sein
bin schon zu lang eulen gewesen
ja
mit dir da
mit dir da auch
bin nicht mehr eulen ja
bin nicht mehr eulen auch
ja ja
ja ja auch
doch wer einmal eulen war
der wird eulen bleiben immer
ja
ja ja

Dienstag, 11. Februar 2014

Robert Lepage - Triptyque - Berlinale 2014


Robert Lepage ist, natürlich nur meiner begrenzten Kenntnis nach, das Feinste, was Kanada an innovativem Theater zu bieten hat. Er ist Autor, Schauspieler & Regisseur und, wie es scheint, auch Filmregisseur. Und ein ganz zauberhafter Mensch.

Der Film beginnt mit einem langsamen Schwenk über die Decke der Sixtinischen Kapelle, Gott reicht Adam die Hand oder nur den Finger, und ist umgeben von Engeln und Frauen. Ihn umreißt eine merkwürdige wellenförmige Einrahmung, geformt durch die ihn begleitenden Figuren, von der einige Forscher meinen, sie stelle den Umriß des menschlichen Gehirnes dar.



Am Anfang war das Hirn? Ich kann denken, Wörter finden, also benenne ich die Welt? Ist das Ding sein Name? Bin ich Gott? Bin ich die Welt? Meine Welt?

Triptyque oder verdeutscht Triptychon hat Lepage zusammen mit Pedro Pires aus seinem neunstündigen Theaterabend Lip Sync (Trailer) entwickelt, den ich leider nicht gesehen habe, von dem aber meine sehr ungeduldige kanadisch-bayrische Freundin sagt, dass er sie keine Minute gelangweilt hat. Sie hat den Abend übrigens fünf Mal angeschaut.

Der Film hat diese magische Faszination nur streckenweise, zwischendurch wird er behäbig, vorhersehbar, öde, und spielerisch, besonders in einem Fall, nahezu dilettantisch. 

Der eine Fall ist ein deutscher Schauspieler und ich kann nicht sagen, ob er einfach eher bühnentauglich ist und nur die invasive Kamera ihn hölzern und simpel wirken läßt, oder ob es die Rolle ist, oder ob sich Lepage für Männerfiguren nicht so interessiert, oder ob der Schauspieler einfach ...

Verrückt, auf der Bühne ist Lepage ein Zauberer. Wenn er Strawinskys Der Kaiser und die Nachtigall im zum See gefluteten Orchestergraben der Torontoer Oper von wunderbar singenden Sängern, die gleichzeitig auch noch leichthändig hochkomplizierte Puppen führen, vor die staunenden Augen der überraschten Operngänger bringt. Oder wenn im Blauen Drachen alle alten und neuen Tricks der guten Tante Theater ausbeutet, um uns sinnlich, die Komplikationen des vielbeschworenen Multikulturalismus (was für ein Biest von Wort) erfahren zu lassen. 
Im Film aber verwandelt er sich in einen konservativen braven Bildererzähler, der uns jede neue Stadt mit den üblichen, oftgesehenen, unwahren, stimmungsvollen Bildern anpreist und dafür sorgt, dass wir nie im Unklaren bleiben dürfen. 
Nur manchmal bricht das Theatertier durch und eine Frau, die nach einer Gehirnoperation ihre Sprache nahezu verloren hat, singt verzeifelt und wunderschön in ein Krankenhaus-Mikrophon, beklatscht von einer einsamen übermüdeten Krankenschwester. 

 Frédérike Bédard

Welt - Leben - Bilder - Klang - Gehirn - Worte - Wörter
Die Frau, Frédérike Bédard (Das wunderbare Zentrum dieses Films!), wird sich von dem chirurgischen Eingriff erholen, spricht wieder. Aber ihr Gedächtnis hat Lücken. Wie klang die Stimme ihres Vaters? Unzählige Versuche alte tonlose Super-Acht-Familien-Filme, die eine gehörlose Lippenleserin "übersetzt" hat, mit Synchronsprechern aller Art zum Klingen zu bringen, mißlingen. Schließlich spricht sie selbst den Text, ein Toningeneur verändert die Stimmlage, sie erinnert sich wieder. "Die Stimme Deines Vaters ist in Deiner Stimme."

Lip Sync ist die Abkürzung für Lip Synchronisation und bezeichnet lippensynchronen Ton bei Filmen. Früher wurden Dialoge zum Teil in der Nachbearbeitungsphase von Filmen im Studio erneut aufgenommen, um sie den Bildern anzupassen. Auch bei Animationsfilmen muss darauf geachtet werden, dass sich die Lippen realistisch und synchron zu den gesprochenen Wörtern bewegen.
http://www.bluray-disc.de/lexikon/lip-sync 




Montag, 10. Februar 2014

Eine 67 jährige singt Lieder - Patti Smith 2014


"Jesus ist für irgendjemandes Sünden gestorben, aber nicht für meine"

Jesus died for somebody's sins, but not mine"  
Cover version of Them's "Gloria"

Patricia Lee "Patti" Smith geboren am 30. Dezember 1946 hat heute in Augsburg, der schwäbischen Enklave Bayerns, ein Konzert gegeben. 

20.00 Uhr: Eine ältere Frau betritt die Bühne begleitet von drei Musikern, einem Gitarristen mittleren Alters mit Anglermütze, kariertem Hemd und grauer Stoffhose und nahezu bewegungslosen Beinen, einem jungen Schlagzeuger mit Barockfrisur, die wie eine abstruse Mütze auf seinem kindlichen Körper thront und einem Gitarristen  & Pianisten & Background-Sänger, der wirkt wie jeder Rockmusiker, der jemals in einer Band der Mann für alles war, also ganz in schwarz gekleidet. Es gibt keine Lichteffekte, kein Bühnenbild, die Kostümierung reicht von bizarr (Frisur des Trommlers) bis erwartungsgemäß (Patti trägt Jeans, weißes Hemd und schwarzes Jacket, wie scheinbar schon immer).


Damals © Robert Mapplethorpe

Nichts Aufregendes, nichts Schickes wird geboten. Man befürchtet einem lahmen Retro - wir waren einmal Punk-Avantgarde, aber das ist lange her - Abend beiwohnen zu müssen und es beginnt auch wie befürchtet, vorsichtig, abgezirkelt, unendlich oft wiederholt. Aber dann! Aber dann!
Welch Spaß, welch entspannter Genuß, wie cool.

Wiki sagt: Cool - Der Begriff wird ... zur saloppen Bezeichnung einer besonders gelassenen oder lässigen, nonchalanten, kühlen, souveränen, kontrollierten und nicht nervösen Geisteshaltung oder Stimmung genutzt (vergleiche: Kühl bleiben, kühler Kopf im Sinne von „ruhig bleiben“).

Da steht eine Frau, die dies schon lange macht und immer noch gern, aber ohne Druck, ohne etwas beweisen zu müssen, eine erwachsene Frau, die ein langes Leben gelebt hat und immer noch gern singt. Sie singt über Dinge, die sie kennt und die ihr wichtig sind und, die sie meint. Ihre Stimme klingt voller, runder, musikalischer als früher. Manchmal versingt sie sich. So what. Ich singe jetzt, in diesem Moment, da kann auch mal was daneben gehen. Ich singe jetzt für euch. Sie singt über frisch verstorbene Freunde und frisch geborene Enkelkinder. Beides mit Klarheit, Wärme und Sorge.

Michael Stipe (REM) hat als Abiturient eines von Patti Smiths Alben gekauft und gesagt: " Es hat meine Glieder abgerissen und sie wieder zusammengesetzt, aber in einer völlig neuen Anordnung."


Und jetzt © Kai Juennermann


Gegen Ende des Abends stand ganz nah bei mir der Oberbürgermeister von Augsburg und wiegte sich rhythmisch und sang beseelt: " Power to the people!", übersetzt: Alle Macht dem Volk!" und vielleicht hat er es für diesen einen Moment gar geglaubt.


Samstag, 8. Februar 2014

Olympia für Idioten?


IDIOTEN

Die Olympischen Spiele sind eine gigantische Wirtschaftsunternehmung und sie werden von jedem Land, das sie ausrichtet sommers wie winters als Werbeveranstaltung gebraucht, oft mißbraucht. Das ist klar, bedauerlich, aber ein Fakt. Wenn man an die Spiele 1936, an den Ausschluß von Tommie Smith und John Carlos von den Olympischen Spielen 1968 oder an den Teil-Boykott der Moskauer Spiele 1980 denkt, wird überdeutlich, wie komplex und widersprüchlich der Umgang mit dem politischen Aspekt dieser, als völkerverbindend angepriesenen Veranstaltung, schon seit ihrer Gründung war. 
 
Seit Monaten bedienen sich in den Diskussionen über das Für und Wider der diesjährigen olympischen Winterspiele in Sotschi nun Vertreter aller Seiten einer dermaßen pseudo-naiven und Platitüden-gefüllten Sprache, dass ich schreien könnte. 
Die dreisten Äußerungen der russischen Politiker sind erwartungsgemäß ebenso verharmlosend wie arrogant-aggressiv, das IOC spielt runter und faselt von Neutralität, die Sponsoren schweigen und verdienen, aber was mich ebenso irritiert, sind die hysterisch-kindlichen oder schlicht politisch ahnungslosen Argumente vieler derer, die sich kritisch zu den Spielen äußern. 
"Putins Reich des Bösen", was für ein dummer unhistorischer Unsinn.
Oder ich lese, man soll nicht fernsehgucken, um es den Sponsoren zu zeigen. Super Idee! Ich sehe vor meinem inneren Auge die Chefetage von Coca Cola sich schluchzend in den Armen liegend und einander die Haare raufen.  Da wir über Staaten und Nationen geredet, als wären sie unartige Kinder, die man nun mit strengem Blick und fester Hand zur Räson bringen müsse.
Ein Boykott der Spiele wird gefordert. In einer globalisierten Welt ist aber doch, der nicht mehr verhinderbare Kontakt zwischen ihren Bewohnern, der größte Vorzug, oder? Nicht einmal die mörderische Clique der Herrscher über Nord-Korea kann unbeobachtet ihre Untaten begehen. Und das ist doch gut? 
Ich weiß es nicht, aber wird Putins erhoffter Prestige-Gewinn größer sein, als die kritische Aufmerksamkeit, die viele Bereiche des heutigen Russlands durch die Angereisten und die Berichterstattung der Medien bekommen? 
In meiner Erinnerung bleiben die in der DDR stattgefundenen Weltfestspiele 1973 ein Moment des Aufatmens, der Ahnung von freierem Miteinander. Wird das nicht auch in Sotschi so sein?
Diese Spiele sind Teil der Welt in der wir leben und wo gibt es kritischen Diskurs, ernsthafte Auseinandersetzung darüber, wie wir uns politisch nützlich in ihr verhalten könnten? Wie könnte ein solcher Diskurs aussehen? Täglich schwimmen Massen von Petitionen, Protestaufrufe, Spendenaufrufe durch das Netz an mir vorbei, für oder gegen fast alles. Vieles gut gemeint, weniges wirksam. Nichts tun geht auch nicht. Also was? Werden wir mehr und mehr zu Idioten, die sich entweder ins scheinbar Private zurückziehen oder in kleinen, heftigen, hauptsächlich das eigene Ego polsternden Protestaktionen Dampf ablassen?

Das Wort leitet sich vom griechischen ἰδιώτης (idiotes) her, das wertfrei bis heute in etwa „Privatperson“ bedeutet. Es bezeichnete in der Polis Personen, die sich aus öffentlichen-politischen Angelegenheiten heraushielten und keine Ämter wahrnahmen, auch wenn ihnen das möglich war. (Wiki)

Auf die Wortherkunft bin ich in einem Artikel über die Olympischen Spiele 2014 in der "Welt" gestossen, der "Dimension der Maßlosigkeit ist atemberaubend" hieß! Danke an Ian Buruma!

Ein Idiot, wer denkt, er könnte sich raushalten, aber auch der, der glaubt allgemeines Moralisieren sei schon politisches Denken. Wie kann ich kein Idiot sein?



Zitate zu Olympia 2014:

Head and Shoulders offizielles Shampoo der deutschen Olympiamannschaft!

"Das sind völlig verschiedene Dinge: das Verbot von bestimmten Beziehungen oder von Propaganda dieser Beziehungen."
"Wir verbieten nichts, und wir sperren niemanden ein. Deshalb können Sie ruhig und entspannt sein, aber lassen Sie bitte die Kinder in Ruhe." 
Putin vor circa drei Wochen in einem Gespräch mit Olympia-Helfern

„Die Spiele sind für die Athleten da und den Sport. Die Athleten sollten von den Politikern unterstützt werden.“ IOC-Präsident Bach in der FAZ
Und nach dem Ende der 125. IOC-Vollversammlung in Buenos Aires."Wir müssen uns klar machen, was das IOC tun kann, wofür wir da sind und was wir nicht machen können. Das IOC kann nicht unpolitisch sein"...  "Wir müssen erkennen, dass Olympische Spiele politische Auswirkungen haben, aber um unsere Rolle zu erfüllen, müssen wir politisch neutral sein."

Bei der Eröffnungsveranstaltung, Boykott bei Ring fünf. © REUTERS
Das, finde ich, ist eine klar & unhysterisch formulierte Protestschrift!
http://www.open-your-mouth.eu/petition.html 

Und dies ist ein hochinteressanter Film über die drei Jahre seitdem Sotschi den Zuschlag für die Spiele bekam:
http://www.daserste.de/information/wissen-kultur/ttt/sendung/br/2014/sotschi-projekt-olympische-spiele-100.html 

Donnerstag, 6. Februar 2014

DiCaprio - The Wolf of Wall Street - eine sehr lange Szene


Der Film beginnt mit Zwergewerfen und es wird nur schlimmer.

Man stelle sich in einem deutschen Film eine zwanzig Minuten währende Szene vor, in der der "Held" durch Drogen in einen Zustand spastischer Lähmung versetzt, versucht nach Hause zu kommen, um einen Freund davon abzuhalten, kriminelle Geldgeschäfte über ein abgehörtes Telephon auszuplappern. Auf der Tonspur viel Ächzen, Krächzen und Stöhnen und eine, wie sich später herausstellt, total verlogene Kommentartorenstimme.

Zwanzig Minuten habe ich in einer Mischung von Faszination, Ekel, hysterischem Blubberkichern und tiefer Verehrung Leonardo DiCaprio dabei zugesehen, wie er, das Arsenal der großen Stummfilmkomiker höchst graziös benutzend, sabbernd, schielend und schiefverkrampft über den Boden kriecht, eine Treppe herunterrollt, sich bemüht eine Autotür zu öffnen, dann Auto fährt, versucht besagtem Freund das Telefon zu entreissen, sich in der Telephonschnur verheddert und schlußendlich eben diesen Freund vorm Ersticken rettet.

Kino, großes Kino und ebenso große Schauspielkunst. 

DiCaprio hat ein Gesicht, wie ein gealtertes Baby oder wie eines dieser bleichen Teigröllchen, die man zu Brötchen aufbacken kann. Dieses Gesicht ist fähig sich zu verknittern, zu ballen, zu reißen und es kann bis zur Unerträglichkeit ausdruckslos sein. 
Er nutzt, benutzt, gebraucht es wie ein Hochleistungsinstrument. Manchmal spielen sich in diesem Gesicht Umbrüche statt, wie in imaginierten Zeitrafferaufnahmen von der Entstehung der Erde. Kontinente entstehen, werden abgetragen, Vulkane brechen aus, schaffen neues Land, das zerstörende Meer bricht ein....

Ich mag ihn nicht mögen, aber ich muß.

 
Er ist furchtlos in der Absolutheit seines Spiels. Wenn es menschlich ist, muß es darstellbar sein.

Meinen grundsätzlichen Zweifeln an der Menschlichkeit des Menschen als Gruppenzugehörigem hat der Film zu gut getan.