Samstag, 15. Februar 2014

Wieder was, das ich nicht über meine Familie wusste!

          


                      Frankfurter Allgemeine Zeitung, 17.05.2000, Nr. 114, S. BS2


Was man bei Helene Weigel vergessen hat: 
Die 68er-Courage

Von JOCHEN STAADT

Neue Biographie poliert einen blinden Fleck
Zu ihrem hundertsten Geburtstag erhielt Helene Weigel in der vergangenen Woche einen Strauß feuilletonistischer Elogen erster Güte. Es waren vor allem ostdeutsche Federn, die sich mit Würdigungen der bedeutendsten aller Brecht-Frauen schmückten. Dabei fällt auf, dass dem kollektiven DDR-Gedächtnis ein wichtiges Ereignis gänzlich abhanden gekommen ist. Da, wo das Historiengemälde des zwanzigsten Jahrhunderts das Jahr 1968 abbildet, prangt in den Weigel-Geburtstag-Erinnerungen ein blinder Fleck. Im Berliner Ensemble schieden sich aber gerade nach dem 21. August 1968 wegen der politischen Auseinandersetzungen um die Zerschlagung des Prager Frühlings die Geister. Helene Weigel missbilligte den Einmarsch des Warschauer Paktes in die reformsozialistische Tschechoslowakei.

Die Querelen zwischen Helene Weigel und der SED hatten sich bis dahin vor allem um die Veröffentlichung der Brecht-Werke in der DDR gedreht. Helene Weigel beharrte darauf, dass Brechts Texte entweder ganz oder gar nicht zu erscheinen hatten. Die Streichung "problematischer Stellen" ließ sie nicht zu. Als das Politbüromitglied Kurt Hager sie in dieser Sache um ein Gespräch bat, erhielt er eine brüske Absage. Sie ließ ihn grüßen und erklärte seinem Abgesandten: "Es gilt die alte und ewige Abmachung, die von Brecht kommt: Alles erscheint möglichst gleichzeitig hier und im Westen. Verspätungen entstehen mitunter, aber dann sind das hiesige Schwierigkeiten." So kam es, dass bis 1968 mit Helene Weigels aktiver Unterstützung bei Suhrkamp bereits 39 Brecht-Bände der Werkausgabe erschienen waren, während man im ostdeutschen Aufbau-Verlag bei Band 28 verharrte. Besonders verübelten die SED-Kulturfunktionäre Brechts Witwe, dass sie den "republikflüchtigen Uwe Johnson" - wie Manfred Wekwerth damals schrieb - als Herausgeber für das "Buch der Wendungen" eingesetzt hatte. Wekwerth, der 1968 Chefregisseur des Berliner Ensembles war und sich selbst für den "Fortführer des Werkes Brechts auf dem Theater" hielt, kritisierte immer wieder, dass sogar "bei uns" versucht werde, "Brecht des sozialistischen Realismus zu entkleiden, seine politischen Absichten umzubiegen und ihn zum Gegenstand formaler, leerer, modernistischer, also bürgerlicher Darstellungen zu machen".

Als sich Helene Weigel 1968 weigerte, als Kultur-Marketenderin an dem ideologischen Feldzug gegen den Prager Frühling teilzunehmen, eskalierten die Auseinandersetzungen mit Wekwerth. Als "Theatertragödie" wird das in einer aktuellen Weigel-Biographie von Sabine Kebir abgebucht. Die Autorin behandelt die Hintergründe des 68er-Konflikts am Berliner Ensemble nicht und lässt Wekwerth ungeschoren.

Wekwerth kommt nicht zum Zug

Ausweislich seiner Briefe an die Kulturbürokratie des SED-Zentralkomitees fungierte Wekwerth aber seinerzeit neben seiner Funktion als Chefregisseur auch als Chefintrigant am Schiffbauerdamm. Er wollte den Einfluss der Prinzipalin zurückdrängen und meinte, mit dem Großreinemachen nach der CSSR-Intervention sei seine Stunde gekommen. Unterstützung erhielt er von Arno Hochmuth, dem Abteilungsleiter für Kultur im SED-Zentralkomitee. Hochmuth forderte den damaligen Kulturminister Klaus Gysi auf, er möge die Prinzipalin überreden, Wekwerth die künstlerische Leitung des Ensembles zu übertragen. Sonst drohe die Gefahr, dass "die Gruppe Karge/Langhoff die künstlerische Macht übernehmen" wird. Aber Helene Weigel hatte andere Pläne.

Wekwerth kam nicht zum Zuge. Im Dezember 1968 beschwerte er sich deswegen bei dem Berliner SED-Chef Paul Verner, der zugleich Mitglied des Politbüros war. Wekwerth denunzierte in seinem Schreiben die von Matthias Langhoff, Manfred Karge und Hilmar Thate geplante Aufführung von "Sieben gegen Theben" als "revisionistisch". Das Regiekonzept der Inszenierung bilde eine Plattform "für oppositionelles Verhalten der Gruppe Langhoff, Karge und Thate". Helene Weigel lasse entgegen dem Willen der Parteileitung die Proben für das Stück weiterlaufen. Außerdem beharre sie "auf ihrer generellen Kritik des Einmarsches in die CSSR und ihrem Nichtakzeptieren der Urteile gegen Jugendliche, die öffentlich gegen diesen Einmarsch auftraten". Thomas Brasch, der sich unter den Verurteilten befand, hatte wegen eines Flugblattes gegen die CSSR-Okkupation eine Freiheitsstrafe von 27 Monaten erhalten. Helene Weigel sorgte dafür, dass Brasch bald nach seiner vorzeitigen Entlassung im Brecht-Archiv arbeiten durfte.

Schwächen eliminieren

In Abstimmung mit den SED-Zensurfunktionären bemühte sich Wekwerth unterdessen um politische Korrektheit im Brecht-Ensemble. In einem ausführlichen Lagebericht informierte er die SED-Bezirksleitung über den Stand der Auseinandersetzungen am Schiffbauerdamm: "Wir hatten im Bericht der letzten Wahlversammlung einen konzeptionell wichtigen Punkt: Besonders nach den Ereignissen in der CSSR (aber auch in Hinblick auf unsere Entwicklung des gesellschaftlichen Systems des Sozialismus bei uns) sollte man vorwiegend solche Brecht-Stücke spielen, die den politisch reifen Brecht ausweisen. Kurz: die bei aller Dialektik der Fabelführung politisch eindeutige Schlußfolgerungen zulassen. Andernfalls besteht die Gefahr, daß Mehrdeutigkeiten, kommend aus anderen Situationen des Klassenkampfes, bei uns falsche Anhänger finden, die Brecht auf eine falsche Fahne schreiben. Das sind Probleme des Anarchismus, des nicht klassenmäßigen Herangehens an Fragen der Demokratie, der Macht, der Führung, des demokratischen Zentralismus, der ,Dritten Welt' usw."

Wekwerth wandte sich gegen eine von Helene Weigel angeregte Turandot-Inszenierung. Das Stück enthalte "geniale Szenen, aber stelle die Frage der Intellektuellen (und der ,Tui'-Funktionäre), des ,Weißwaschens' (also Rechtfertigens)". Diese Schwächen könne "nur eine gründliche Bearbeitung eliminieren. Ich sagte vor einem Jahr die Inszenierung ab (. . .). Helli Weigel kümmert sich natürlich nicht um solche politischen Überlegungen. Sie erhofft sich mit einer ,Turandot'-Inszenierung nur Sensation, zumal, wenn sie Benno Besson macht. Benno weiß das. Er weiß auch, daß Helli das gegen mich und meine Arbeit richten will: wir brauchen ihn nicht mehr - Brecht geht immer! 
(. . .) Ich kenn die Dame wie eine Ehefrau. Ich weiß, welche Absichten sie mit Unschuldsmiene durchsetzen will: keine guten!"

Am Ende hat Helene Weigel eine ihrer guten Absichten schließlich doch durchgesetzt. Wekwerth verließ 1969 das Berliner Ensemble. Er wurde dort erst 1977 wieder gebraucht, als Stellvertreter der Macht. Die SED machte ihn nach den Protesten gegen die Ausbürgerung Biermanns zum Intendanten, um am Schiffbauerdamm für Ordnung zu sorgen - eine andere Ordnung allerdings, als sie dort unter Helene Weigel geherrscht hatte.

JOCHEN STAADT

1 Kommentar:

  1. Auch interessant:

    Helene Weigel war die Einzige, die zu einer Zeit aus der SED ausgetreten ist, als das völlig undenkbar war ( lt. Erinnerungen von Walter Janka 1956 auf Drängen Brechts).

    Die Möglichkeit zum Parteiaustritt war in den SED-Statuten zwischen 1954 und 1976 nicht vorgesehen. Mitgliedschaft war lebenslänglich oder endete durch Rausschmiss, was im Statut "Streichung" hieß und mindestens das Karrierenende bedeutete.

    ( mit Grüßen an Johanna von Robert)


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