Montag, 2. Dezember 2013

Dulce et Decorum est



Süß und ehrenvoll ist's, für’s Vaterland zu sterben.


Gasangriff

Dulce et Decorum est

Zusammengekrümmt wie alte Bettler unter Säcken,
X-beinig, hustend wie alte Weiber, fluchten wir durch Schlamm,
Bis wir uns von den geisternden Flammen abwandten
Und begannen unserer fernen Ruhe entgegen zu trotten.
Männer marschierten schlafend. Viele hatten ihre Stiefel verloren
Doch hinkten weiter, blutbeschuht. Alle lahmten, alle blind,
Trunken an Erschöpfung, taub selbst für das Gejohle
Der enttäuschten Granaten, die hinten fielen.


GAS! Gas! Schnell, Jungs! - ein ekstatisches Gefummel,
Die plumpen Helme noch rechtzeitig aufsetzen.
Aber irgendjemand schrie noch auf und taumelte
  Und zappelte wie ein Mensch in Feuer oder Ätzkalk.
Undeutlich, durch die beschlagene Scheibe und dickes grünes Licht
Wie in einem grünen Meer, sah ich ihn ertrinken.

In all meinen Träumen, vor meinem hilflosen Blick,
Stürzt er auf mich ein, flackernd, würgend, ertrinkend.

Wenn auch du in erstickenden Träumen liefest
Hinter dem Wagen her, in den wir ihn warfen,
Und die weißen Augen sich in seinem Gesicht winden sähest,
In seinem hängenden Gesicht, wie das eines Teufels, müde der Sünde;
Wenn du hören könntest, bei jedem Stoß, das Blut,
Gurgelnd aus seinen schaum-verdorbenen Lungen,
Ekelerregend wie Krebs, bitter wie das Wiederkäuen
Von Auswurf, unheilbare Wunden auf unschuldigen Zungen,--
Mein Freund, du erzähltest
nicht mit solch hoher Lust
Kindern, dürstend nach verzweifeltem Ruhmesglanz,
Die alte Lüge: Dulce et decorum est
Pro patria mori.

Wilfried Owen
Wilfred Owen fiel mit 25 Jahren am 4. November 1918, genau eine Woche vor Kriegsende, bei Kämpfen am Canal de la Sambre à l’Oise, nahe der französischen Ortschaft Joncourt im Département Aisne. 
Postum wurde ihm das Military Cross für Tapferkeit vor dem Feind verliehen.

Kenneth Branagh spricht das Gedicht:


Gasmasken-Drill während des Ersten Weltkrieges

Dulce et Decorum est


Bent double, like old beggars under sacks,
Knock-kneed, coughing like hags, we cursed through sludge,
Till on the haunting flares we turned our backs
And towards our distant rest began to trudge.
Men marched asleep. Many had lost their boots
But limped on, blood-shod. All went lame; all blind;
Drunk with fatigue; deaf even to the hoots
Of disappointed shells that dropped behind.


GAS! Gas! Quick, boys!-- An ecstasy of fumbling,
Fitting the clumsy helmets just in time;
But someone still was yelling out and stumbling
And floundering like a man in fire or lime.--
Dim, through the misty panes and thick green light
As under a green sea, I saw him drowning.


In all my dreams, before my helpless sight,
He plunges at me, guttering, choking, drowning.


If in some smothering dreams you too could pace
Behind the wagon that we flung him in,
And watch the white eyes writhing in his face,
His hanging face, like a devil's sick of sin;
If you could hear, at every jolt, the blood
Come gargling from the froth-corrupted lungs,
Obscene as cancer, bitter as the cud
Of vile, incurable sores on innocent tongues,--
My friend, you would not tell with such high zest
To children ardent for some desperate glory,
The old Lie: Dulce et decorum est
Pro patria mori.




Sonntag, 1. Dezember 2013

1. Advent: Das fluktuierende Selbstbewusstsein des Freischaffenden


  Wie fast jeder mir bekannte Freischaffende gleite, stolpere 

  und tanze ich mit übermütigem, nichtzugenauhinschauenwollendem 
  Selbstbewusstsein auf dem dünnen Eis der Angst vor der 
  Arbeitslosigkeit, gelegentliche Schlitterattacken inbegriffen.
  Jetzt geht es gut, sehr gut, aber weiß ich, wie lange es noch  

  so gehen wird?
  Die mythische Gegenwart des nichtklingelnden Telephons oder des 
  nicht das erhoffte Angebot enthaltenden, spamgeplagten 
  Emailordners ist schnöder Alltag. Heute bin ich König der
  Stadttheaterwelt, und morgen nurmehr Narr oder Hofschranze im 
  häßlichen grünen Satinsnzug mit bunter Schärpe, verschämt auf 
  fremden Premierenfeiern lungernd mit besorgten suchenden Augen 
  und zu raschem munterem Lächeln. 
  Wenn ich also sagen kann, dass ich bis Sommer 2015 nahezu
  ausgebucht bin, dann ist dies das geschriebene Äquivalent eines 

  gejubelten und gehüpften Juchuhs!
  Ich liebe meine Arbeit und ich meine das oft mißbrauchte Wort 

  lieben hier in seinem vollen, umfassenden, herztiefen Sinn.
  Wiki schreibt lakonisch: "Liebe ist im Allgemeinen die 

  Bezeichnung für die stärkste Zuneigung und Wertschätzung,die      
  ein Mensch einem anderen entgegen zu bringen in der Lage ist. Der 
  Erwiederung bedarf sie nicht." Aber ohne Erwiderung ist das Leben
  eine Qual. Ich liebe meine Arbeit, aber liebt sie mich, oder 

  lieben mich wenigstens die "Arbeitgeber"? All you need is ...!
  Ich bin glücklicher Besitzer eines Privatlebens, aber meine 
  Arbeit ist wichtiger Teil von mir, und auf verflixte und   
  ganz und gar unästhetische Weise auch bestimmender Faktor meines 
  Kontostandes. Normale Absurdität: man tut etwas über Jahrzehnte   
  immer auf Anfrage, immer in direkter Verwicklung mit dem Angebot-
  und-Nachfrage Axiom. Der Markt ist konkret und eindeutig stets 
  gegenwärtig. Die Lorbeeren auf denen man sich ausruhen könnte,
  sind nur geleast. It keeps you on your toes! Aber es ist auch
  anstrengend, Teil des mittleren Marktes zu dein - nicht wirklich 
  gefährdet, aber auch nie auf längere Zeit gebettet. Andererseits:
  In nächster Zeit: Shakespeares Könige, Lear, Hamlet, eine Oper,
  Virginia Woolf - keiner weiß was folgt, und es nicht zu wissen, 
  ist auch wunderbar, weil es könnte ja etwas völlig  Neues,
  Überrraschendes sein.
    
 © Benjamin Thompson

  Ein lyrisch verbrämtes Danke an die, die mir geholfen haben, 

  eine recht lange Liste von hilfreichen Menschen, die nicht 
  veröffentlicht werden wird und ein Gruß zum Ersten Advent!

Vom Glück 

Wer entkommen will, braucht Glück
Ohne Glück
Rettet sich keiner vor der Kälte 
Vor dem Hunger oder gar vor Menschen. 

Glück ist Hilfe

Ich habe viel Glück gehabt. Deshalb
Bin ich noch da. 
Aber in die Zukunft schauend, erkenne ich schaudernd
Wieviel Glück ich noch brauche. 

Glück ist Hilfe. 

Stark ist, wer Glück hat. 
Ein guter Kämpfer und ein weiser Lehrer 
Ist einer mit Glück. 

Glück ist Hilfe 
 
Bertolt Brecht

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Das moderne Prekariat an deutschen Bühnen

 Arte Journal

"Es gibt Statistiken, dass ein Schauspieler, im Durchschnitt,
10 000 Euro im Jahr verdient."
http://www.arte.tv/de/das-moderne-prekariat-an-deutschen-buehnen/7716928,CmC=7717178.html


Samstag, 30. November 2013

Ältere nackte Frau in der Bibliothek



jeff wall, the giant, 1992, transparency, light box

Morgen ist Erster Advent





ADVENT



Es treibt der Wind im Winterwalde
die Flockenherde wie ein Hirt
und manche Tanne ahnt wie balde
sie fromm und lichterheilig wird.
Und lauscht hinaus: den weißen Wegen
streckt sie die Zweige hin - bereit
und wehrt dem Wind und wächst entgegen
der einen Nacht der Herrlichkeit.

Rainer Maria Rilke

Freitag, 29. November 2013

Chanukka sameach!



Chanukka 2013

Das Channukah-Fest findet vom 25. Kislev bis zum zweiten Tag des Tevet 5774 bei uns, vom 28. November bis zum 5. Dezember 2013 in der anderen Welt statt. 

"Six eons for going in and coming out, for war and peace. The seventh eon is entirely Shabbat and rest for life everlasting"
"Sechs Zeitalter fürs Hineingehen und Herauskommen, für Krieg und Frieden. Das Siebente ist nur für den Shabbat und der Rest für das Ewige Leben."

Das Anus Mundi (Das Jahr der Welt oder das Jahr seit dem die Welt besteht) 5774 begann bei Sonnenuntergang am 4. September 2013 and endet am 24. September 2014.

Übrigens sollte der Messias unbedingt vor dem Jahr 2230 (6000) erscheinen!


Chanukkah, auf deutsch: Weihung, Einweihung; auch: Hanukkah oder Lichterfest ist ein acht Tage dauerndes, jährlich gefeiertes jüdisches Fest zum Gedenken an die Wiedereinweihung des zweiten Tempels in Jerusalem im Jahr 164 v. Chr (AM 3597). Es beginnt jeweils am 25. Tag des Monats Kislew (November/Dezember in der Welt).


Am 25. Kislew beginnen wir das achttägige Chanukah oder Weihefest zur Erinnerung an die Siege der Makkabäer über Antiochus Epiphanes, den König von Syrien. Antiochus hatte versucht, die Juden zum Götzendienst zu zwingen und sie zum Abfall von der Verehrung des wahren G-ttes zu nötigen. Die Juden, von den Makkabäern geführt, leisteten Widerstand und ausgerüstet mit dem Glauben an G-tt, errangen sie den Sieg über große feindliche Heer. Der Tempel, der von heidnischen Soldaten verunreinigt war, wurde wieder gesäubert und der G-ttesdienst wiederhergestellt. Für die ewige Lampe (Ner Tamid) fehlte es an reinem von Heiden nicht berührtem Öle. Nur ein kleines Fläschchen wurde vorgefunden, das, wie man glaubte, nur eine Nacht ausreichen würde; aber es genügte acht Tage; inzwischen konnte man sich frisches Öl verschaffen. (Rabbiner Michael Friedländer - Die Jüdische Religion) 

Die Rabbiner Yehuda Teichtal und Shmuel Segal segnen Europas größtem achtarmigen Chanukka-Leuchter am Pariser Platz.
Foto: dpa

Ein Rezept für Latkes

An Chanukka isst man vor allem Speisen, die in Öl gebraten werden.
Zum Beispiel Latkes, das sind Kartoffelpuffer.

Für 6 - 8 Personen

6 mittelgroße Kartoffeln, geschält
1 Zwiebel
2 Eier, verquirlt
60g feines Matzemehl oder Mehl
1 TL Salz
1 Prise gemahlener Pfeffer
Pflanzenöl zum Frittieren
Als Beilage: Apfelmus oder Sauerrahm

Kartoffeln und Zwiebeln fein raspeln. In einem Sieb abtropfen lassen und so viel Flüssigkeit wie möglich herauspressen. In eine große Schüssel geben und die übrigen Zutaten, außer dem Öl und den Beilagen, unterrühren. (Dabei so schnell wie möglich arbeiten, damit die Kartoffeln nicht braun werden.) In einer großen, schweren Bratpfanne etwa 2,5 cm Öl oder soviel, dass die Pfannkuchen bedeckt sind, bei mittlerer bis starker Hitze erwärmen. Den Teig esslöffelweise in das heiße Öl geben und 2 Minuten frittieren, bis die Unterseite gebräunt ist. Wenden und noch 1 - 2 Minute frittieren, bis auch die andere Seite braun ist. Auf eine Servierplatte legen und bei 150° im Backofen warm halten. Auf diese Weise den gesamten Teig verarbeiten, eventuell etwas Öl nachfüllen. Sofort mit Apfelmus oder Sauerrahm servieren.

(Aus: Elizabeth Wolf Cohen: Jüdische Küche. 100 authentische Rezepte. Könemann Verlag, Köln 1995)

Donnerstag, 28. November 2013

PAUL CADMUS & MASCHA KALEKO in NEW YORK


        Paul Cadmus

        * 17. Dezember 1904 in New York City; † 12. Dezember 1999 in Weston, Connecticut 

        war ein US-amerikanischer Maler.
        Ein Künstler. Ein schwuler Künstler. Ein Künstler.



Greenwich Village Cafeteria
1934. Oil on canvas.
The Museum of Modern Art, New York
 Extended loan from United States Public Works of Art Project.
       
       Man beachte die Hand, bzw. den Handschuh mittig auf dem Boden, den einladenden
       Blick des Herrenmit lackierten Fingernägeln rechts, der gerade auf die Toilette geht,
       den Mann mit grünem Hut und deutlicher Erregung, den unauffälligen Mann, der
       links einer Frau etwas ins Ohr flüstert und so viele wilde Beine und auch viele gelbe
       Kleiderhaken. 



Eine Rent-Party oder House-Rent-Party war eine soziale Veranstaltungsform des Jazz
in den 1920er Jahren im New Yorker Stadtteil Harlem, in Chicago und anderen Städten.
Hintergrund solcher Haus-Partys war die ökonomische Situation vieler afroamerikanischer Familien. Die Mieten waren trotz häufig überbelegter Wohnungen überteuert. Eine Möglichkeit, das Geld für die Miete zu beschaffen, war die rent party, ein Ausdruck der zuerst um 1920 aufkam. Man sparte, um ein Klavier anzuschaffen und stellte dann einen Musiker, meist einen Pianisten oder eine Band ein und lud Freunde, Bekannte und Nachbarn zu sich ein. Wer zu diesen Partys kam, musste Eintritt zahlen – dieses Geld
erhielt dann der Musiker oder diese ließen „den Hut herumgehen“ . (Wiki)

 Bar Italia 1953
Smithsonian American Art Museum

Manikins, 1951
Courtesy DC Moore Gallery, NYC



Momentaufnahmen eines Zeitgenossen

Wenn unsereins „se längvitsch“ spricht,
so geht er wie auf Eiern.
Der Satzbau wackelt, und die „grammar“ hinkt.
Und wenn uns etwa ein „ti-ehtsch“ gelingt,
das ist ein Grund zum Feiern.

Nicht so der Herr, den ich im Auge habe.
Oder besser gesagt: uffm Kieker.
Dem ist alles Emigrantische fremd.
Er ist der geborene Inglisch-Spieker.
Der Forrenlängvitsch-Göttin Auserkorner.
Kommt es drauf an, so spricht der Mann
selbst Esperanto wie ein Eingeborner.

Befreit vom Zwang, gebüldet zu parlieren,
im engen Kreis, wo man einander kennt,
fährt diese Ausgeburt an Sprachtalent
des „Königs Englisch“ hoch zu Roß spazieren,
in seinem Oxford-(second hand) Akzent.

Se pörfekt Lord. Ich kenn ihn noch aus Sachsen.
Da sprach er auch des „Geenigs“ ABC.
Wie war das heimatliche weiche B
in Leibzich ihm zurzeit ans Herz gewachsen!
Den Untertanenstolz aus königstreuen Tagen
hat er auf achtundvierzig Staaten übertragen.
Der kroch in Preußen schon auf allen vieren.
Hier sinds die angelsächsischen Manieren.

Wer mit den Wölfen heult, der heult mit allen Tieren.
 
Mascha Kaléko
1945
 
 

Dienstag, 26. November 2013

"Es gab keinen Schießbefehl, sondern nur Waffengebrauchsbestimmungen."



Christa Wolf übersetzt Utopie, den Nicht-Ort mit Kein Ort Nirgends.
Prinzip Hoffnung

Genagelt
ans Kreuz der Vergangenheit
Jede Bewegung
treibt
die Nägel
ins Fleisch.
Christa Wolf

Zehn Studenten und ich haben heute, nachdem wir vorige Woche "Die Maßnahme" von Brecht und "Mauser" von Müller gelesen haben, einen Intensivkurs zur deutschen und russischen Geschichte 1905 bis 1939
absolviert. Dabei haben wir Wikipedia links liegen lassen und  Quellenstudium und Quellenvergleich betrieben. Wozu das Internet nicht alles gut ist!

Und jetzt versuche ich mir vorzustellen, wie wir, zehn sehr junge Leute und ich, keineswegs jung, von dem Riss zwischen Hoffnung und Morden, zwischen bitterer Not, die Revolte verlangt und ihrer Konsequenz, die Menschlichkeit verunmöglicht, erzählen können. Irgendwo innerhalb dieses Risses liegt wohl der magische Nicht-Ort, immer erträumt, nie von niemandem betreten.

Ich will es wissen jetzt und hier. Ich frage

...
Mit meinem letzten Atem jetzt und hier

Frage ich die Revolution nach dem Menschen.


Heiner Müller Mauser

Zitate von Margot Honecker aus der Dokumentation:

Der Sturz – Honeckers Ende


„Unsere Zeit ist eine kämpferische Zeit, sie braucht eine Jugend, die kämpfen kann, die den Sozialismus stärken hilft, die für ihn eintritt, die ihn verteidigt mit Wort und Tat, wenn nötig mit der Waffe in der Hand.“

„Es wurden Fehler in der Geschichte gemacht, die muss man bedauern, die kann man nicht nur bedauern, die muss man bedauern, aber ähäh, die von uns verlangen das wir uns dafür entschuldigen, die sollen sich erstmal dafür entschuldigen das über Jahrhunderte die Menschheit ausgebeutet wird, in Kriege gestürzt wird ähäh und die Menschheit heute noch ausgebeutet wird und bombardiert wird, sollen sie sich doch dafür entschuldigen. Warum suchen sie immer in unserer Geschichte einen Grund für Entschuldigung. Dafür haben wir uns nicht zu entschuldigen, die haben sich zu entschuldigen.“

„Ich bin auch immer mehr der Meinung, dass wir da ein Korn in die Erde gelegt haben, da wird der Samen aufgehen, es war nicht umsonst das die DDR existiert hat, man wird darauf zurückkommen. Vor allem auch in Deutschland eines Tages, wird man die Erfahrungen, die bei der revolutionären Umwälzung von einer Gesellschaft in die andere Gesellschaft gemacht werden, wird man aufgreifen.“

„Alles das, was wir geschafft haben, was wir geschaffen haben in 40 Jahren, ist nicht weg zu leugnen. Das bleibt nicht nur in Erinnerung, sondern es gibt junge Leute, die sich darauf besinnen und sagen, wir müssen eine andere Gesellschaft machen. Wie war das damals? Und viele fragen wie war das."

„Es gibt keinen Schießbefehl, sondern nur Waffengebrauchsbestimmungen. Und die unterscheiden sich nicht von den Waffengebrauchsbestimmungen anderer Länder.

Es lässt einen nicht ruhig, wenn ein junger Mensch ähäh auf diese Weise ums Leben kommt, denn das brauchte ja nicht sein. Der brauchte ja nicht über die Mauer zu klettern. Diese Dummheit mit dem Leben zu bezahlen, das ist schon bitter. Vor allen Dingen auch für die Mütter, die das betrifft.“

„Ich glaube langsam geht das den Leuten auch auf die Nerven, dass die immer wieder mit diesen alten Geschichten kommen. Das man so undifferenziert und so auf Goebbels-Manier eigentlich nicht argumentieren kann. Diese ganze Diskussion um die anders denkenden, also ich bin schon dafür und das man sich mit solchen Problemen befasst, aber es gab in der DDR auch Feinde. Also man kann doch nicht so tun, dass nach 40 Jahren Sozialismus alle überzeugt sind vom Sozialismus und das wir keine Feinde mehr hätten. Das ist der größte Quatsch, ne? Weshalb es ja schließlich auch ne Staatssicherheit gibt.“

„Erstmal ähäh lügen heute viele was zusammen warum sie politisch verfolgt wurden. Das es politische Gegner in der DDR gab und das Leute die dem Sozialismus geschadet haben der Wirtschaft die dem Volk gehörte. Das die Prozesse bekommen haben und das auch welche eingesperrt wurden, na sicher das gab`s alles. Das ist doch normal. Und dafür muss sich doch heute keiner entschuldigen, auch nicht der Staatsanwalt und der Richter, der ein gerechtes, richtiges Urteil im Namen des Volkes gesprochen hat.“

„Naja es gab Kriminelle, die sich heute als politische ähäh ähäh Opfer ausgeben, ne ganze Menge. Die kriminell gewesen sind, geben sich heute als politische Opfer aus. „Also die politischen Opfer, die wenn die antreten müssten, dass wären sicher sehr wenige die sich als „Opfer“ bezeichnen könnten."

 


Um es einmal ganz deutlich und grob auszusprechen, diese alte böse Frau ist eine stalinistische Votze. Dieses Wort verwende ich sonst nie, nie. Aber hier stimmt es, passt es, sitzt es. 
 
 

 Lenin spricht vor Soldaten der Roten Armee während der Revolution
Kamenev und Trotzki, im ersten Bild noch sichtbar, sind in der zweiten Version verschwunden.
 
Wozu das Töten und wozu das Sterben

Wenn der Preis der Revolution die Revolution ist

Die zu Befreienden der Preis der Freiheit.


Heiner Müller Mauser


Sonntag, 24. November 2013

Die Theaterwohnung 4 - Ganz allgemein und auch nicht.


Vor zehn Tagen noch ein Souterrain in Bremen in halbrenoviertem Zustand mit vier Meter Glasfront ohne Vorhänge, heute eine Pension in Rostock, ungewöhnlich gemütlich, für alle möglichen und einige unmögliche Bedürfnisse ist vorgesorgt, nur ein gewisser Hang zur Überdekorierung wäre vielleicht zu bemängeln. 

Zwischendurch zu Hause. 

Zu Hause, in dem Haus, das ich als das meinige bezeichne. Heimat in Architektur gebunden.

Warum spielt es eine Rolle, ob ich einen Lichtschalter im Dunkeln finden kann? Was macht ein Zuhause zu einem Ort an, oder besser, in dem ich mich zu Hause fühle? Die meisten Menschen lasssen sich irgendwann nieder, sie verbinden sich und ihre Lieben mit einem Ort und gehen von ihm aus hinaus in die Welt. Dies ist in meinem, freiwillig gewählten, Beruf nicht möglich, meine Möbel, zum Beispiel, lagern seid fünf Jahren in einem Container.
Also finde ich mich circa alle acht Wochen mit einer neuen Umgebung zurecht. Mal ist es schön, mal nicht, mal neigt sich das Bett meinen Bedürfnissen entgegen, mal ist es ein überweicher, durchgelegener Ort der Schlafqual. Die Farben wurden von mir unbekannten Menschen ausgewählt, wie auch die Formen. Dänemark und die Designer dänischer Massivholzmöbel bestimmen mein ästhetisches Sein weit mehr, als ich es wünsche und IKEA und der OTTO-Katalog, achja und Rattan in allen Verbiegungen. 

Ich schlafe mich sozusagen durch die Geschichte der deutschen Innendekoration.
Da ist das Zimmer der alten Dame in schwerem Gelsenkirchener Barock aus dem Möbelkatalog des Jahres 1965, oder die verschiedensten Theaterzimmer, die, da Theater stets finanziell klamm sind, dies durch ihre in langen Jahren ehrenvoll erworbene Abgewetztheit und eine bescheidene Neigung zu fleckenunempfindlichem Beigebraun illustrieren. Oder Wohngemeinschaftszimmer möbliert mit allem, was noch übrig war und sonst keiner wollte.
Manche Räume sind mit den ungelesenen Buchcluberwerbungen vieler Jahrzehnte ausgestattet, manche haben nicht mal eine Nachttischlampe. Theaterplakate sind beliebte Wandverzierung, auch um Flecken abzudecken. Entkalker für Wasserkocher ist
immer in meinem Gepäck, genau wie die Kaffeetasse, die die für mein morgenmuffliges Gehirn nötige Menge Kaffee aufnehmen kann. 
Vielleicht nur für die weiblichen Leser verständlich: man lebt sieben Wochen mit den Klamotten, die man, meist in Hast gepackt hat und deren Inhalt in keiner Weise, auf wetterliche Stimmung, Selbstempfinden oder Tageslaune reagieren kann.
In der ersten Woche wache ich manchmal auf und versuche mich zu erinnern, wo diesmal das Badezimmer ist. 
Aber dann finde ich ein Cafe mit gutem Macchiato, einen Bäcker mit knusprigen Brötchen, eine tolle Pizzeria, einen kleinen Buchladen und, wenn dann die Proben Vergnügen machen, aufregend sind und produktiv - dann geht's irgendwiem meist sogar gut - bis zur nächsten Überraschung oder, um es politisch unkorrekt zu formulieren: "Lustig ist das Zigeunerleben!"

Beispiel für Gelsenkirchener Barocck mit Deko

Freitag, 22. November 2013

Mann, der eine Leiche auf den Schultern trägt


Luca Signorelli aus Cortona
Geboren 1445
Gestorben am 16. Oktober 1523

Mann, der eine Leiche auf den Schultern trägt

Vasari schrieb etwas übertreibend:
Luca Signorelli, ein ausgezeichneter Maler....in den Arbeiten, die er in der Malerei schuf, zeigte er die wahre Methode wie man Nackte  darstellt und wie es scheinen kann, obwohl nur durch Kunstfertigkeit und Anstrengung, als wären sie lebendig.

 an excellent painter... in the works that he executed in painting he showed the true method of making nudes, and how they can be caused, although only with art and difficulty, to appear alive.

Wandmalerei in der San Brizio Kapelle im Dom von Orvieto, 1499-1502
Die Verdammten werden in die Hölle verbannt 




 


Zwei nackte junge Männer tragen einen nackten jungen Mann 
und ein angezogenes Mädchen


Selbstporträt mit Vitelozzo Vitelli
Detail aus einem größeren Gemälde
 

Theater hat auch einen Mangel an Zynismus (manchmal)


Letztens auf einer Probe in Bremen:
Eine Schauspielerin probiert König Heinrich den Fünften, das Stück über das ultimative manipulative Macho-Arschloch. Großer König, größerer Krieger, bis heute strahlendes Heldenbild des britischen Nationalstolzes. Shakespeare läßt ihn uns in Heinrich IV. kennenlernen, als jungen unzufriedenen Mann mit Vaterhass, der dann, in Heinrich V., nach gewonnener Schlacht um Agincourt, um die Tochter des besiegten französischen Königs wirbt.
"Wenn du einen Burschen von solcher Gemütsart lieben kannst, wenn du so einen möchtest, dann nimmst mich; und nimmst mich, nimmst einen Soldaten; und nimmst einen Soldaten, nimmst einen König."
oder

"Das ist nicht möglich, dass du den Feind von Frankreich liebst, Cathi-Kätchen: aber indem Sie mich lieben, sollten Sie den Freund von Frankreich lieben; denn ich liebe Frankreich so sehr, dass ich kein einziges Dorf davon hergeben will; ich will das alles ganz für mich"
oder
"Sollten denn nicht wir beide, du und ich, mit vereinten Kräften, einen Jungen zustande bringen, halb französisch, halb englisch, der mal nach Konstantinopel geht und den Türken am Bart packt? Sollten wir nicht?" 

Der triumphierende König führt die Besiegte seinen erschöpften Leuten vor, amüsiert seine Truppen mit bösartigen Bonmots, der Super-Mann unter soldatischen Männern. Comedy, Kabarett für die Truppen.
Sehr witzig und sehr ekelhaft. Die Schauspielerin machte das ganz wunderbar, beendete die Szene, schüttelte sich und sagte: "Igitt! Widerlich! Fühlt sich scheußlich an. Aber es stimmt wohl, da müssen wir es wohl so machen."

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Heute auf einer Probe in Rostock:
Zehn Studenten, des zweiten Studienjahrs, lesen Heiner Müller. Für die meisten ist es das erste Mal. "Mauser" ist ein harter Brocken, geschrieben als radikale und verzweifelte Antwort auf Brechts "Maßnahme", ja, auf die Verkrüppelung jedweder Utopie, den unauslöschbaren Makel des 20. Jahrhunderts, zwingt der Text Unerträgliches in stahlharte und fast unerträglich schöne Sprache. 

„Wozu das Töten und wozu das Sterben
Wenn der Preis der Revolution die Revolution ist
Die zu Befreienden der Preis der Freiheit.“

Wird das Töten aufhören, wenn die Revolution gesiegt hat.
Wird die Revolution siegen. 

Wie lange noch“

Geboren zwischen 1986 und 1994, ist der kalte Krieg der Systeme für sie, die wir die Jugend nennen, nur mehr ein vager Mythos. Stalin? Arbeitslager? Säuberungen? (Was für ein Begriff!) Und sie lesen, stocken, lesen wieder, stammeln, "Oh, mein Gott", grinsen, zittern, ächzen (der Text ist kompliziert), staunen, erschrecken, begreifen. Empörung, Erschrecken und Begeisterung über solche Konsequenz im Durchdenken eines Gedankens halten sich die Waage. Was für ein harter Ritt! Sie machen eine Erfahrung. Sie erleben etwas mit all ihren Sinnen. Theater kann ohne Zustimmung auskommen. Es kann uns erregt, bestürzt und fragend entlassen. 
Ich habe mich heute sehr verantwortlich gefühlt. 


Edvard Munch Der Schrei 1910
© The Munch Museum/The Munch Ellingsen Group/VBK