Freitag, 2. August 2013

O sag mir die Wahrheit über Liebe



O Sag Mir Die Wahrheit Über Liebe

Manch einer sagt, Liebe sei kindisch,
Mancher sagt, sie sei federleicht,
Für manchen dreht sie die Welt im Kreis,
manch andrer findet's zu seicht,
Ich fragt' den Mann von nebenan,
Ob er es etwa wüßte,
Sein Weib, sie sah mich finster an,
sagt', daß er passen müßte.

Sieht sie aus wie ein Streifenpyjama,
Oder wie ein Schinken vom scheckigen Rind?
Riecht sie vielleicht wie ein Lama,
Oder doch mehr nach Zucker und Zimt?

Fasst sie sich an wie die Blätter von Hecken,
Oder weicher als Daunen noch?
Ist sie scharf oder rund an den Ecken?
Die Wahrheit, so sag sie mir doch.

In schlauen Büchern kommt sie vor
Umwoben wie eine Fee,
Man redet darüber, das ist bekannt,
Auf Luxusdampfern auf See;
Selbstmörder haben sie erwähnt
Ganz sicher unter Tränen
Manch einer kritzelt gar von ihr
Auf Eisenbahnfahrplänen.

Heult sie wie hungrige Fellachen,
Tönt sie wie ein Korpsoffizier?
Kann jemand den Klang nachmachen
Mit Säge oder Steinway-Klavier?

Tanzt sie auf Partys den Reigen?
Liebt sie's klassisch, aus jeder Epoch?
Wird sie auf Wunsch auch mal schweigen?
Die Wahrheit, so sag sie mir doch.

Ich suchte sie im Sommerhaus,
Doch war sie niemals dort,
Vergebens an der Themse auch,
Und manchem andren Ort,

Ich hörte nicht der Drossel Ruf
Noch Ansichten der Katze;
Ich fand sie nicht im Hühnerhof
Noch unter der Matratze.

Schneidet sie vielleicht gern Grimassen?
Wird ihr schlecht, wenn sie schaukelt einher?
Kann sie's Wetten auf Pferde nicht lassen?
Oder liebt sie die Geigen vielmehr?
Denkt sie dran, Geld zu machen?
Ist ihr die Heimat ein Joch?
Ist sie vulgär oder lässt sie uns lachen?
Die Wahrheit, so sag sie mir doch.

Wenn sie kommt, kommt sie dann ohne Tarnung?
Ist sie wie andre zu sehen?
Klopft sie dann an ohne Warnung,
Tritt mir im Bus auf die Zeh'n?
Wird sie kommen wie plötzlicher Regen?
Trägt sie ihr Haupt tief oder hoch?
Werd ich deshalb auf einmal verwegen?

Die Wahrheit, so sag sie mir doch.

Den Übersetzer habe ich leider nicht finden können.


Die Pfützenspringerin 1934


O Tell Me The Truth About Love

Some say that love's a little boy,
And some say it's a bird,
Some say it makes the world go round,
And some say that's absurd,
And when I asked the man next-door,
Who looked as if he knew,
His wife got very cross indeed,
And said it wouldn't do.

Does it look like a pair of pajamas,
Or the ham in a temperance hotel?
Does it's odour remind one of llamas,
Or has it a comforting smell?
Is it prickly to touch as a hedge is,
Or soft as eiderdown fluff?
Is it sharp or quite smooth at the edges?
O tell me the truth about love.

Our history books refer to it
In cryptic little notes,
It's quite a common topic on
The Transatlantic boats;
I've found the subject mentioned in
Accounts of suicides,
And even seen it scribbled on
The backs of railway-guides.

Does it howl like a hungry Alsatian,
Or boom like a military band?
Could one give a first-rate imitation
On a saw or a Steinway Grand?
Is its singing at parties a riot?
Does it only like Classical stuff?
Will it stop when one wants to be quiet?
O tell me the truth about love.

I looked inside the summer-house;
it wasn't ever there:
I tried the Thames at Maidenhead,
And Brighton's bracing air.
I don't know what the blackbird sang,
Or what the tulip said;
But it wasn't in the chicken-run,
Or underneath the bed.

Can it pull extraordinary faces?
Is it usually sick on a swing?
Does it spend all it's time at the races,
Or fiddling with pieces of string?
Has it views of it's own about money?
Does it think Patriotism enough?
Are its stories vulgar but funny?
O tell me the truth about love.

When it comes, will it come without warning
Just as I'm picking my nose?
Will it knock on my door in the morning,
Or tread in the bus on my shoes?
Will it come like a change in the weather?
Will its greeting be courteous or rough?
Will it alter my life altogether?
O tell me the truth about love.

W.H. Auden

Januar 1938


Tibor von Halmay & Vera Mahlke ca. 1931


Sag Mir Die Wahrheit Über Die Liebe

Man sagt, die Liebe sei ein Kind,
Man sagt, dass sie oft gurrt,
Man sagt, sie dreht die Welt herum,
Und dann, das sei absurd.
Als ich den Nachbarn fragen ging,
Der tat, als wüsste er,
Da wurde seine Frau sehr bös
Und sagte: viel zu schwer!
Sieht sie aus wie die schönen Pyjamas,
Oder eher wie Schinken im Saft?
Riecht sie streng wie eins von den Lamas,
Oder duftet sie voller Kraft?
Ist sie kratzig wie Gartenhecken,
Oder weich wie der Flaum einer Gans?
Ist sie scharf oder weich an den Ecken?
O Liebe kennt niemand so ganz.
Die Bücher berichten nur wenig
Und wirklich nicht sehr klar,
Doch immerzu ist sie ein Thema
Auf Dampfern an der Bar;
Ich fand sie auch als häufigen Grund
Für Tod und Suizid,
Auf Zugfahrplänen sah ich sie
Erwähnt in einem Lied.
Heult sie nachts wie ein Wolf nur aus Laune
oder dröhnt sie wie eine Band?
Spielt sie jemand auf einer Posaune
Oder auf einem Steinway Grand?
Ist ihr Vortrag auf Partys lebendig?
Mag sie eher den klassischen Tanz?
Ist sie leise und zeigt sich verständig?
O Liebe kennt niemand so ganz.
Ich schaute nach im Sommerhaus
Und auch bei Vaters Gruft:
Ich prüfte die Themse bei Maidenhead
Und Brighton’s frische Luft.
Ich weiß nicht, was die Amsel sang,
die Tulpe sprach kokett,
Doch war sie nicht im Hühnerstall
Und auch nicht unterm Bett.
Zieht sie manchmal verrückteste Fratzen?
Macht das Schaukeln sie schwindlig im Kopf?
Liebt sie Rennen nur, um dort zu schwatzen
Oder kratzt sie sich ständig am Schopf?
Denkt sie nach über Kapitalismus?
Bietet Heimat für sie Stimulanz?
Ist sie selbstlos oder voller Narzissmus?
O Liebe kennt niemand so ganz.
Wenn sie kommt, tritt sie auf mit Allüren?
Ist sie so wie ich sie mir vorstellen muss?
Klopft sie morgens an all meine Türen
Oder tritt sie mir im Bus auf den Fuß?
Wird das Wetter von ihr wahrgenommen?
Wird sie freundlich sein voll Larmoyanz?
Wird mein Leben durch sie erst vollkommen?
O Liebe kennt niemand so ganz.


© Ulrich Kusenberg

Lunabad Berlin 1930

Alle Photographien:
 © Estate of Joan Munkacsi 
Courtesy International Center of Photography


Mittwoch, 31. Juli 2013

Der Bundestag zum Spielen



In Vorbereitung auf die Wahl im September, hier eine Möglichkeit, den jetzigen Bundestag besser kennenzulernen.

http://www.spiegel.de/flash/flash-22868.html

Der Deutsche Bundestag ist die erste Kammer des Parlaments der Bundesrepublik Deutschland mit Sitz im Reichstagsgebäude in Berlin. Er wird im politischen System als einziges Verfassungsorgan des Bundes direkt vom Staatsvolk gewählt (Art. 20 Abs. 2 Satz 2 GG i. V. m. Art. 38 GG). Die gesetzliche (§ 1 Abs. 1 Satz 1 BWahlG) Anzahl seiner Mitglieder beträgt 598. Die tatsächliche Anzahl ist aufgrund von Überhangmandaten meist höher. (Wiki)

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Jakob Maria Mierscheid (* 1. März 1933 in Morbach, Rheinland-Pfalz) ist ein fiktiver deutscher Politiker (SPD) und seit 1979 Mitglied des Deutschen Bundestages. 


http://de.wikipedia.org/wiki/Jakob_M._Mierscheid 

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GRUNDGESETZ DER BUNDESREPUBLIK DEUTSCHLAND

Art 20  

(1) Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat.(2) Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt.(3) Die Gesetzgebung ist an die verfassungsmäßige Ordnung, die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung sind an Gesetz und Recht gebunden.
(4) Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist.
 

Art 38

(1) Die Abgeordneten des Deutschen Bundestages werden in allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher und geheimer Wahl gewählt. Sie sind Vertreter des ganzen Volkes, an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen.
(2) Wahlberechtigt ist, wer das achtzehnte Lebensjahr vollendet hat; wählbar ist, wer das Alter erreicht hat, mit dem die Volljährigkeit eintritt.
(3) Das Nähere bestimmt ein Bundesgesetz.

Montag, 29. Juli 2013

W.H. Auden - Epitaph auf einen Tyrannen - Epitaph on a tyrant



NACHRUF AUF EINEN TYRANNEN


Eine Art Perfektion war es, was er erstrebte
Und seine Gedichte zu verstehen, war leicht;
Sein Gespür für menschliche Schwächen unerreicht,
Und er interessierte sich für Flotten und große Armeen;
Wenn er lachte, auch der ehrwürdigste Senator vor Lachen bebte,
Wenn er weinte, konnte man kleine Kinder sterben sehen.

Dies ist ein Versuch einer Nachdichtung, aber ganz und gar noch nicht rund, besonders Zeile 5 holpert. Aber deutsche Versionen von Audens Gedichten zu finden, ist schwer und meist freut man sich nicht, über das, was man findet. Also werde ich weiter  herumexperimentieren.

Zwei Heilige erschlagen einen Tyrannen 
Amasya, Türkei, 11. oder 12. Jahrhundert


EPITAPH ON A TYRANT


Perfection, of a kind, was what he was after 
And the poetry he invented was easy to understand; 
He knew human folly like the back of his hand, 
 And was greatly interested in armies and fleets; 
When he laughed, respectable senators burst with laughter, 
 And when he cried the little children died in the streets.


W.H. Auden
Perfection, of a kind, was what he was after, And the poetry he invented was easy to understand; He knew human folly like the back of his hand, And was greatly interested in armies and fleets; When he laughed, respectable senators burst with laughter, And when he cried the little children died in the streets. - See more at: http://www.poets.org/viewmedia.php/prmMID/15548#sthash.U25VjwX2.dpuf

Perfection, of a kind, was what he was after,
And the poetry he invented was easy to understand;
He knew human folly like the back of his hand,
And was greatly interested in armies and fleets;
When he laughed, respectable senators burst with laughter,
And when he cried the little children died in the streets.
- See more at: http://www.poets.org/viewmedia.php/prmMID/15548#sthash.Slrhjk5h.dpuf

Perfection, of a kind, was what he was after,
And the poetry he invented was easy to understand;
He knew human folly like the back of his hand,
And was greatly interested in armies and fleets;
When he laughed, respectable senators burst with laughter,
And when he cried the little children died in the streets.
- See more at: http://www.poets.org/viewmedia.php/prmMID/15548#sthash.Slrhjk5h.dpuf

Warten auf das Gewitter


BERLIN BEI GEWITTER 
GESEHEN VOM 19. STOCK EINES HAUSES AUF DER FISCHERINSEL

© Nico Trinkhaus 3. Juli 2013 
 
 
SWefel / Wasser / Feur und Dampf
Wollen halten einen Kampf;
Dikker Nebel dringt gedikkt 

 Licht und Luft ist fast erstikkt.

Drauf die starken Winde bald
Sausen / brausen / mit Gewalt
Reissen / werfen / Wirbelduft 

 Mengen Wasser / Erde / Luft.

Plötzlich blikt der Blitz herein
Macht das finstre feurig seyn 

 Swefelklumpen / Strahlenlicht 
 Rauchen und Dampf herein mit bricht.

Drauf der Donner brummt und kracht
Rasselt / rollet hin mit Macht 

 Prallet / knallet grausamlich
 Puffet / sumsend endigt sich.

Bald das Blitzen wieder kommt 
 und der Donner rollend brummt:
Bald hereilt ein Windesbraus 

 und dem Wetter macht garaus.
  
von Justus Georg Schottelius 1612-1676
 
 

Sonntag, 28. Juli 2013

Heinrich V. & Coriolan - 2 Shakespeare-Filme


Es war heiß heute, sehr heiß. Arbeiten mußte ich, aber schreiben ging irgendwann nicht mehr, weil der Computer sich anfühlte, als würde er jeden Moment in Flammen aufgehen oder zumindest beginnen, blassgrau zu qualmen. Also habe ich mir zwei Shakespeare Verfilmungen angesehen - bei beiden war der Hauptdarsteller auch der Regisseur.
In der einen sah ich, wie ein großartiger Schauspieler zeigt, wie großartig er einen König spielen kann, in der anderen, wie ein großartiger Schauspieler eine großartige Geschichte erzählt.
There's the rub, wie der Dichter schrieb, Da liegt's oder in Heiner Müllers Übersetzung, Da liegt der Hund begraben!

Kenneth Branagh zelebriert Heinrich V., als soldatischen Heroen mit Gewissen, Nahaufnahmen und Passion. Ja, Krieg ist schrecklich und manchmal muß ein König harte Entscheidungen treffen, aber letztendlich tut er dies alles um des Großen Friedens willen. Blah! Sentimental, verherrlichend und, trotz interessanter Bilder, nur eitler Konservatismus. Obwohl ich gestehen muß, wie der Kerl mit Monologen umgeht, ist beeindruckend.
Ralph Fiennes ist der Protagonist und Regisseur des zweiten Films. Ich mochte ihn bisher eigentlich gar nicht sonderlich, machte er auf mich doch oft so einen gewollt übersensiblen Eindruck, ich leide, aber warum? Es ist ein Geheimnis. - The Constant Gardener oder Der Ewige Gärtner war allerdings eine auffällige Ausnahme. 

Coriolan, das Stück habe ich vor ungefähr 30 Jahren am Berliner Ensemble mit meinem Vater in der Hauptrolle gesehen, nie vorher noch nachher. Das war damals ein sehr beeindruckender Abend - große Kunst, nicht Großkunst. 
Hilmar Thate war Aufidius, Helene Weigel die kälteste, ehrgeizigste, unerbittlichste Mutter, die ich je gesehen habe. Meine Mutter spielte die Freundin der Ehefrau. Ein regelrechtes Familientreffen also. Ruth Berghaus hat die Schlachten choreographiert, ganz unnaturalistisch und streng und mit unterlegten Rhythmen von Schildeschlagen und Gaius Marcius-Aufidius-Rufen. Das Bühnenbild ein Tor auf der Drehbühne, eine Seite Rom, die andere das Lager der Volsker. Wenige Requisiten. Selten habe ich noch so viele Bilder im Kopf nach so langer Zeit.
(Habe gerade Stadelmaiers Nachruf auf meines Vaters Tod gelesen, was für ein engstirniges, verächtliches Geschreibsel!)



Nun Coriolan von Ralph Fiennes, toll, ganz modern, ganz analytisch und brillant gespielt. Gegen Ende wird es ein wenig breit, aber egal. Der verflixte Konflikt zwischen Freiheit und Sicherheit als Zentrum eines Dramas, das ist spannend.
Hier die Stückinhaltsangabe zur Erinnerung:  
http://de.wikipedia.org/wiki/Coriolanus_%28Shakespeare%29
 

Wer die Freiheit aufgibt um Sicherheit zu gewinnen, der wird am Ende beides verlieren, soll Benjamin Franklin gesagt haben und ich denke, er hatte Recht.


Pennsylvania Assembly: Antwort an den Gouverneur, 11. November 1755


Wiki schreibt: Freiheit wird in der Regel verstanden als die Möglichkeit, ohne Zwang zwischen verschiedenen Möglichkeiten auswählen und entscheiden zu können. Also nicht nur auswählen, sondern auch entscheiden, was verlangt, dass man zwischen den verschiedenen Möglichkeiten differenziert unterscheiden muß und kann. Ha! Da wird es schwierig, nicht? Und dann muß man die gefällte Entscheidung und Auswahl auch noch verantworten, mindestens vor sich selbst. Am 22. September ist die nächste Bundestagswahl, da können wir unsere Freiheit wieder Mal nutzen und wieder werde ich zwischen Regen und Traufe herumwanken.


 "FÜR EURE STIMMEN HABE ICH GEKÄMPFT."

Samstag, 27. Juli 2013

leichenreden - kurt marti


kurt marti, ein schweizer pfarrer, schulfreund von 
friedrich dürrenmatt, dichtet leichenreden

als sie mit zwanzig
ein kind erwartete
wurde ihr heirat
befohlen

als sie geheiratet hatte
wurde ihr verzicht
auf alle studienpläne
befohlen

als sie mit dreißig
noch unternehmungslust zeigte
wurde ihr dienst im hause
befohlen

als sie mit vierzig
noch einmal zu leben versuchte
wurde ihr anstand und tugend
befohlen

als sie mit fünfzig
verbraucht und enttäuscht war
zog ihr mann
zu einer jüngeren frau

liebe gemeinde
wir befehlen zu viel
wir gehorchen zu viel
wir leben zu wenig  

kurt marti

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Andreas Vesalius - 16. Jahrhundert
 
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dem herrn unserem gott
hat es ganz und gar nicht gefallen
daß gustav e. lips
durch einen verkehrsunfall starb


erstens war er zu jung
zweitens seiner frau ein zärtlicher mann
drittens zwei kindern ein lustiger vater
viertens den freunden ein guter freund
fünftens erfüllt von vielen ideen


was soll jetzt ohne ihn werden?
was ist seine frau ohne ihn?
wer spielt mit den kindern?
wer ersetzt einen freund?
wer hat die neuen ideen?


dem herrn unserem gott
hat es ganz und gar nicht gefallen
daß einige von euch dachten
es habe ihm solches gefallen

im namen dessen der tote erweckte
im namen des toten der auferstand:
wir protestieren gegen den tod von gustav e. lips


kurt marti
 
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Der Neophyt - Gustave Doré - 1876

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betrauern wir diesen mann
nicht weil er gestorben ist
betrauern wir diesen mann
weil er niemals wagte
glücklich zu sein
 
betrauern wir diesen mann
der nichts war als arbeit und pflicht
betrauern wir diesen mann
weil er immer getan hat
was man von ihm verlangte
 
betrauern wir diesen mann
der nie mit der faust auf den tisch schlug
betrauern wir diesen mann
weil er nie auf das urteil anderer pfiff
und einfach tat was ihm passte
 
betrauern wir diesen mann
der fehlerfrei funktionierte
betrauern wir diesen mann
weil er streit und frauen vermied
und heute von allen gerühmt wird
 
betrauern wir diesen mann
nicht weil er gestorben ist
betrauern wir diesen mann
weil er war wie auch wir sind
betrauern wir uns

kurt marti

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Anatomie eines Pferdes - Ägypten - 15. Jahrhundert

Aus Leichenreden von Kurt Marti, 2001
 

Donnerstag, 25. Juli 2013

Gefühle - It's not dark yet but It's getting there - Noch ist es nicht dunkel, aber bald


It's not dark yet but It's getting there - Noch ist es nicht dunkel, aber bald.
Bob Dylan 

GEFÜHL in Wiktionary:
Das subjektive Erleben von Erregung und hirnchemischer Aktivität
oder gefühlsmäßiger Zustand
oder Einschätzung, die nicht auf Überlegung beruht
oder Intuition, die Fähigkeit, bestimmte Dinge ohne viel Nachdenken richtig einzuschätzen
oder Sinneswahrnehmung des Tast-, Temperatur-, Druck-, Schmerz- oder Gleichgewichtssinnes


Gefühle.
  
Ein Mysterium. Was fühle ich? Was fühle ich wirklich und wahrhaftig? Was fühle ich, weil ich denke, dass ich es fühlen sollte? Was fühle ich, weil es passend oder schick finde, so zu fühlen? Was erlaube ich mir zu fühlen? Was verbiete ich mir? Was unterscheidet mein Denken von meinem Fühlen? Welches der Zwei ist richtiger, wahrer, echter? Ist da ein qualitativer Unterschied? Kann ich meinen Gefühlen vertrauen? Meinem Denken? Fremderwartungen, Eigenbild, Feigheiten und der gewöhnliche Mangel an Empathie kochen da oft ein wirres Süppchen von eitlen Abwehrhaltungen und selbstverliebten Gefühligsduseleien. "Die Wahrheit liegt zwischendrin.", wie Ionesco so schön sagt. 
"Ja, aber wenn ich das so empfinde, dann ist es halt so!" 
Sind unsere Gefühle oder, das was wir dafür halten, immer die glaubhafteste Meßlatte unseres zwischenmenschlichen Verhaltens. Haue ich meinen Mitmenschen meine Gefühle vor die Füße, um sie fernzuhalten? Sie klein zu machen? Fühle ich oder entwickle ich Abwehrmechanismen? Ein "wahrhaftes" Gefühl, um mal "ehrlich" zu sein, kann auch ein maskiertes Verdrängungsinstrument sein, eine Waffe, um den anderen in seine Schranken zu verweisen, ein Selbstlob, um sich nicht ins eigene ungeliebte Gesicht schauen zu müssen. Oder? Eine Kollegin kam nach einer von ihr in tiefem Liebeskummer durchweinten Premiere, in der alle anderen Spieler, ich darunter, nur versuchten ihre Tränen zu überspielen, zu mir in die Garderobe mit dem mitfühlenden Satz: "Sei froh, dass Du nicht so sensibel bist wie ich!" Ich, ein relativ ungewalttätiger Mensch, verspürte das heftige Bedürfnis, ihr eins in die Fresse zu klatschen. Wo genau liegt die Grenze zwischen egozentrischem Verfolgen der eigenen rücksichtslosen Bedürfnisse und dem hilflosen Ausgeliefertsein gegenüber den Unerträglichkeiten der Welt? Wieviel Erbarmen haben wir für uns selbst übrig, wie viel für andere?

Gefühlsduselei: (übertriebene) Emotionalität, (übertriebene) Emotionen, Gefühlsduselei (umgangssprachlich

Erbarmen:
starke innere Anteilnahme am Leid oder an der Not anderer, verbunden mit dem Drang, ihnen zu helfen oder sie zu trösten

Das Folgende ist auch gefühlt, Gott erbarme sich unser:


Das Lied von der Rache
Heran, heran! – Die Kriegstrompeten schmettern.
Heran! Der Donner braust! –
Die Rache ruft in zack'gen Flammenwettern
Der deutschen Rächerfaust!

Heran, heran zum wilden Furientanze,
Noch lebt und glüht der Molch!
Drauf, Brüder, drauf mit Büchse, Schwert und Lanze,
Drauf, drauf mit Gift und Dolch!

Was Völkerrecht? – Was sich der Nacht verpfändet,
Ist reife Höllensaat.
Wo ist das Recht, das nicht der Hund geschändet
Mit Mord und mit Verrat?

Sühnt Blut mit Blut! – Was Waffen trägt, schlagt nieder!
's ist alles Schurkenbrut!
Denkt unsres Schwurs, denkt der verrat'nen Brüder
Und sauft euch satt in Blut!

Und wenn sie winselnd auf den Knien liegen
Und zitternd Gnade schrei'n -
Laßt nicht des Mitleids feige Stimme siegen,
Stoßt ohn' Erbarmen drein!

Und rühmten sie, daß Blut von deutschen Helden
In ihren Adern rinnt –
Die können nicht des Landes Söhne gelten,
Die seine Teufel sind.

Ha, welche Lust, wenn an dem Lanzenknopfe
Ein Schurkenherz zerbebt
Und das Gehirn aus dem gespalt'nen Kopfe
Am blut'gen Schwerte klebt!

Welch Ohrenschmaus, wenn wir bei Siegesrufen,
Vom Pulverdampf umqualmt,
Sie winseln hören, von der Rosse Hufen
Auf deutschem Grund zermalmt!

Gott ist mit uns! – Der Hölle Nebel weichen,
Hinauf, du Stern, hinauf!
Wir türmen dir die Hügel ihrer Leichen
Zur Pyramide auf!

Dann brennt sie an, – und streut es in die Lüfte,
Was nicht die Flamme fraß,
Damit kein Grab das deutsche Land vergifte
Mit überrhein'schem Aas!

Theodor Körner: Werke, Band 1, Leipzig und Wien 1893, S. 120-121.

"Ick finde ja den kopf insgesamt viel wichtiger als das herz, sonst hätt ick ja nirgends nen platz fürs gefühl aber fürs jefühlige is mir dit hirn zu schade. die können gern eher so am arsch." Mireille Adieu

Burgund 8 - Säulen


L' Abbey de Fontenaye

Eine Säule ist eine senkrechte, zumeist runde Stütze in Bauwerken.

Die Klosterkirche

Die Abtei Fontenay ist ein im Jahre 1118 von Bernhard von Clairvaux gegründetes Zisterzienserkloster in Burgund in Frankreich.







Bernhard von Clairvaux hielt in Speyer 1146 eine flammende
Kreuzzugspredigt an die Deutschen, und es gelang ihm dabei, den deutschen
König Konrad III persönlich für den zweiten Kreuzzug zu gewinnen. Der Text ist einem Brief Bernhards entnommen:

 "Was tut Ihr, tapfere Männer? Was tut Ihr, Diener des Kreuzes? So wollt Ihr das Heiligtum den Hunden und die Perlen den Säuen geben? Wie viele Sünder haben dort ihre Sünden mit Tränen gebeichtet und Verzeihung erlangt, seit das Schwert der Väter den Heidenunrat hinausgeworfen hat? Der Böse sieht das und schaut scheel darauf; er knirscht mit den Zähnen und erbleicht; er rührt die Gefäße seiner Bosheit und wird gewiss weder Zeichen noch Spur von soviel Frömmigkeit übriglassen, wenn er jemals - was Gott verhüte - stark genug wird, jenes Allerheiligste zu gewinnen. Das wäre dann für alle künftigen Zeiten ein unheilbarer Schmerz und unersetzlicher Schaden; für dies Geschlecht aber, dies ganz unfromme, wäre es unendliche Scham und allewiger Vorwurf. -
Weil Euer Land an tapferen Männern fruchtbar ist und kräftig durch die Fülle seiner Jugend - wie denn durch alle Welt Euer Preis geht und der Ruhm Eures Heldentums die ganze Erde erfüllt hat -, so gürtet auch ihr Euch mannhaft und
ergreift die glücklichen Waffen im Eifer für Christi Namen. Enden möge jene Ritterart, nein, Ritterunart von ehedem, nach der Ihr einander zu werfen, einander zu verderben pflegt und einer den anderen umbringt. Welch grausame Lust reizt die Unseligen, dass sie mit demSchwert den Körper ihres Nächsten durchbohren und vielleicht seine Seele mit ins Verderben stürzen! Auch der Sieger kommt jedoch nicht davon; auch durch seine Seele fährt ein Schwert, wenn er über seines Feindes Tötung sich freut. Wahnsinn ist es, nicht Mut, solch einem Unrecht zu frönen; keiner Kühnheit, sondern nur der Betörtheit soll man es zuschreiben. Du tapferer Ritter, du Mann des Krieges, jetzt hast du eine Fehde ohne Gefahr, wo der Sieg Ruhm bringt und der Tod Gewinn. Bist du ein kluger Kaufmann, ein Mann des Erwerbs in dieser Welt - einen großen Markt sage ich Dir an; sieh zu, dass er Dir nicht entgeht. Nimm Kreuzeszeichen, und für alles, was du reuigen Herzens beichtest, wirst du auf einmal Ablass erlangen. Die Ware ist billig, wenn man sie kauft; und wenn man fromm für sie bezahlt, ist sie ohne Zweifel das Reich Gottes wert."
 









Der Schlafsaal
 
DIE KATHEDRALE

In jenen kleinen Städten, wo herum
die alten Häuser wie ein Jahrmarkt hocken
der sie bemerkt hat plötzlich und, erschrocken,
die Buden zumacht und, ganz zu und stumm,

die Schreier still, die Trommel angehalten,
zu ihr hinaufhorcht aufgeregten Ohrs -:
dieweil sie ruhig immer in dem alten
Faltenmantel ihrer Contreforts
dasteht und von den Häusern gar nicht weiß:

in jenen kleinen Städten kannst du sehn,
wie sehr entwachsen ihrem Umgangskreis
die Kathedralen waren. Ihr Erstehn
ging über alles fort, so wie den Blick
des eignen Lebens viel zu große Nähe
fortwährend übersteigt, und als geschähe
nichts anderes; als wäre Das Geschick,
was sich in ihnen aufhäuft ohne Maßen,
versteinert und zum Dauernden bestimmt,
nicht Das, was unten in den dunkeln Straßen
vom Zufall irgendwelche Namen nimmt
und darin geht, wie Kinder Grün und Rot
und was der Krämer hat als Schürze tragen.
Da war Geburt in diesen Unterlagen,
und Kraft und Andrang war in diesem Ragen
und Liebe überall wie Wein und Brot,
und die Portale voller Liebesklagen.
Das Leben zögerte im Stundenschlagen,
und in den Türmen, welche voll Entsagen
auf einmal nicht mehr stiegen, war der Tod.

Rainer Maria Rilke



Dienstag, 23. Juli 2013

Burgund 7 - Gesichter auf Stein


In Kirchen in Burgund und in Bamberg, Gesichter in Stein geschlagen 
und geritzt, Gesichter, die ich wiedererkenne, ich habe sie gesehen - 
auf der Strasse im Vorübergehen, im Krankenbett vor Jahrzehnten als 
Krankenschwester oder manche auch im Fernsehen. Ihre Traurigkeit, 
ihr Ernst ist mir nicht fremd. Wir haben nur die Ironie dazu erfunden, 
die ultimative Waffe, Verteidigung ohne Angriff.

Missmut

Hoffnung

Schlechter Friseur


Angst

Ein Gespräch

Das ist mein liebstes Bild: Maria ist erschöpft, erst die lange Reise, 
und die auch noch hochschwanger, dann die Geburt und Hirten und Könige zu Besuch, jetzt kann sie nicht mehr.

Die Erinnerung eines Lächelns

Askese

"We are not amused", wir finden das gar nicht komisch, 
soll Königin Victoria von England gesagt haben.

-----------KUNIGUNDE-----------


Kunigunde, die Ehefrau Heinrich II. um 980 im heutigen Luxemburg oder auf der Burg Gleiberg bei Gießen geboren; gestorben 3. März wahrscheinlich 1033 in Kaufungen (Heinrich II. starb 1024)

Heinrich und Kunigunde blieben kinderlos, in jenen Zeiten sicheres Zeichen eines Gottesfluchs, also wurden Legenden geschaffen, um die Kinderlosigkeit in eine gottgenehme zu verwandeln.

Der göttliche Heiland sagte einst, daß sich in seiner heiligen Kirche solche 
Gläubige befinden werden, die sich um des Himmelreiches willen selbst beschnitten haben und setzte dann hinzu:
„Wer dies fassen kann, der fasse es.”
Er verstand unter diesen Worten das Gelübde oder Verlöbnis der beständigen Jungfräulichkeit. Die fleischlich gesinnten Menschen verstehen und fassen es freilich nicht, wie es Jünglinge und Jungfrauen, ja selbst Verehelichte geben 
könne, die den Freuden der Ehe entsagen, jede wohllüstige Regung des 
 Fleisches unterdrücken und wie Engel im Fleische leben können; aber wer 
 Jesum, den göttlichen Heiland und Herrn,vom Herzen liebt, wer Maria, die jungfräuliche Mutter, innig verehrt, der kann es schon fassen und sogar tun,
 wenn Gottes Gnade ruft. Unter denen, die den Heiland verstanden und seine Worte befolgt haben, befindet sich auch die heil. Kunigunde, des Grafen 
Siegfried von Luxemburg fromme Tochter. Sie war schön und verständig und 
hatte auch die besten Aussichten auf eine glänzende Versorgung; allein Jesus hatte ihr Herz schon im Besitz genommen, ihr frühzeitig die Eitelkeit der Welt gezeigt und ihren Willen auf das Himmlische gerichtet. Daher kam es, daß die fromme Jungfrau Kunigunde den Entschluß faßte, in steter Reinigkeit unter dem Schutze der jungfräulichen Mutter Maria als Jungfrau zu leben und zu sterben. 
— Ihr Vorsatz wurde auf eine harte Probe gestellt; denn eines Tages hielt der Bayernherzog Heinrich um ihre Hand an und ihre Eltern verlangten von ihr, den selben zu ehelichen. — Kunigunde erschrak sehr, allein als gute Tochter 
gehorchte sie den Eltern, indem sie die Hoffnung hegte, Jesus und Maria 
würden ihr beistehen, um ihren Entschluß dennoch auszuführen. — Ihre 
Hoffnung war nicht vergeblich. Vor der Hochzeitfeier entdeckte sie ihrem zukünftigen Gemahl das Verlangen ihres Herzens, immer jungfräulich zu leben 
und es gelang ihr mit Gottes Hilfe, den ohnehin gottesfürchtigen Herzog zu bewegen, daß er nicht bloß in ihr Begehren willigte, sondern mit ihr ebenfalls das Gelübde ablegte, bis zu Tode jungfräulich enthaltsam zu leben. Die heilige Ehe wurde geschlossen und zum Sinnbilde, wie sie fortan nur in Jesus ihre einzige Freude suchen und finden wollten, reichte Heinrich seiner Braut ein kostbares Kruzifix als Morgengabe. In heiliger, keuscher Liebe lebten die beiden Ehegatten wie Joseph und Maria, sie suchten nur Gott zu gefallen und sich zu heiligen. Der Lohn blieb nicht aus, Herzog Heinrich wurde im Jahr 1002 zum Kaiser von Deutschland gewählt und zu Mainz gekrönt, die Krönung der Kaiserin erfolgte
 ein Monat später zu Paderborn. Zwölf Jahre danach zogen sie nach Rom und empfingen aus den Händen des Papstes Benedikt VIII. die kaiserliche Krone. 
Quelle: Ökumenisches Heiligenlexikon

Wiki sagt: Nachdem Heinrich II. 1146, mehr als hundert Jahre nach seinem Tod, heiliggesprochen worden war, soll er es, so die Legende, nicht ertragen haben, dass nicht auch seine Frau verehrt wurde. Der Legende nach war Kunigunde, 
um in einem Gottesurteil ihre Unschuld bezüglich einer Anschuldigung wegen Ehebruchs zu beweisen, über glühende Pflugscharen gelaufen und unverletzt geblieben. Dies wurde als Zeichen ihrer Keuschheit und Heiligkeit angesehen.


Immer sind da die dienenden Fräuleins, Ammen, Dienstmägde deren Gesichter
mildes Interesse am Leid der Protagonistin zeigen. Es ist nicht ihr Leid, 
ihre Leben bleiben so schlecht oder so gut wie sie vorher waren.