Sonntag, 28. April 2013

Murmel Murmel


Murmel. Murmel. Murmel. Murmel. Murmel. Murmel. 
Murmel. Murmel. Murmel. Murmel. Murmel. Murmel. 
Murmel. Murmel. Murmel. Murmel. Murmel. Murmel. 
Murmel. Murmel. Murmel. Murmel. Murmel. Murmel. 
Murmel. Murmel. Murmel. Murmel. Murmel. Murmel. 
Murmel. Murmel.

1974 bringt der Schweizer Dieter Roth ein 18 x 11.5 cm messendes Buch mit 176 Seiten
auf gebräuntem Papier im Eigenverlag heraus. Es handelt sich um ein Bühnenstück.

Murmel. Murmel. Murmel. Murmel. Murmel. Murmel. 
Murmel. Murmel. Murmel. Murmel. Murmel. Murmel. 
Murmel. Murmel. Murmel. Murmel. Murmel. Murmel. 
Murmel. Murmel. Murmel. Murmel. Murmel. Murmel. 
Murmel. Murmel. Murmel. Murmel. Murmel. Murmel. 
Murmel. Murmel.

Das Ganze hat eine grafische Struktur, es ist in Sechserrhythmen geschrieben. 
Herbert Fritsch

Murmel. Murmel. Murmel. Murmel. Murmel. Murmel. 
Murmel. Murmel. Murmel. Murmel. Murmel. Murmel. 
Murmel. Murmel. Murmel. Murmel. Murmel. Murmel. 
Murmel. Murmel. Murmel. Murmel. Murmel. Murmel. 
Murmel. Murmel. Murmel. Murmel. Murmel. Murmel. 
Murmel. Murmel.

Einmal tanzt ein Spieler mit antroposophischen Gesten das Wort
M.
U.
R.
E.
L.

Ein anderer daraufhin in panischer fast stimmloser Verrenkung: Murel?


Murmel. Murmel. Murmel. Murmel. Murmel. Murmel. 
Murmel. Murmel. Murmel. Murmel. Murmel. Murmel. 
Murmel. Murmel. Murmel. Murmel. Murmel. Murmel. 
Murmel. Murmel. Murmel. Murmel. Murmel. Murmel. 
Murmel. Murmel. Murmel. Murmel. Murmel. Murmel. 
Murmel. Murmel. 


Murmel. Murmel. Murmel. Murmel. Murmel. Murmel. 
Murmel. Murmel. Murmel. Murmel. Murmel. Murmel. 
Murmel. Murmel. Murmel. Murmel. Murmel. Murmel. 
Murmel. Murmel. Murmel. Murmel. Murmel. Murmel. 
Murmel. Murmel. Murmel. Murmel. Murmel. Murmel. 
Murmel. Murmel.

Hingehen, und sich nicht von den feuilleton-gefütterten Eiliglachern irritieren lassen.

Volksbühne Berlin

Regie: Herbert Fritsch
Bühne: Herbert Fritsch
Kostüme: Victoria Behr
Musik: Ingo Günther
Licht: Torsten König
Dramaturgie: Sabrina Zwach

Mit: Florian Anderer, Matthias Buss, Werner Eng, Ingo Günther, Jonas Hien,
Simon Jensen, Wolfram Koch, Annika Meier, Anne Ratte-Polle, Bastian Reiber,
Stefan Staudinger und Axel Wandtke

Murmel. Murmel. Murmel. Murmel. Murmel. Murmel. 
Murmel. Murmel. Murmel. Murmel. Murmel. Murmel. 
Murmel. Murmel. Murmel. Murmel. Murmel. Murmel. 
Murmel. Murmel. Murmel. Murmel. Murmel. Murmel. 
Murmel. Murmel. Murmel. Murmel. Murmel. Murmel. 
Murmel. Murmel.


Samstag, 27. April 2013

Schokoladenkuchen von Katharina



DER SCHNELLSTE SCHOKOLADENKUCHEN 
DER WELT



1 Glas Mehl
2 TL Backpulver
3 Eier
1 Glas neutrales Öl
1 Glas Zucker
1 Glas Wasser
1/2 Glas Kakao
1/2 Glas löslicher Kakao
1/4 süßer Wein oder Orangensaft
1 EL löslicher Kaffee
Alle Zutaten mixen, in eine Mikrowellen geeignete Form geben.
In der Mikrowelle 11 Minuten bei 800 Watt backen.





ODE TO CHOCOLATE

Liquid delectable, I love thy brown
    Deep-glimmering color like a wood-nymph’s tress;
    Potent and swift to urge on Love’s excess,
Thou wert most loved in the fair Aztec town


Where Cortes, battling for Iberia’s crown,
    First found thee, and with rough and soldier guess,
    Pronounced thy virtues of rare worthiness
And fit by Madrid’s dames to gain renown.


When tasting of thy sweets, fond memories
    Of bygone days in Versailles will arise;
      Before the King, reclining at his ease
I see Dubarry in rich toilet stand,
    A gleam of passion in her lustrous eyes,
      A Sevres cup held in her jeweled hand!


By Francis Saltus Saltus


Gesünder als gedacht: 10 Fakten über Schokolade

Schokolade senkt das Herzinfarkt-Risiko
Schokolade ist eine Kalorienbombe
Dunkle Schokolade ist gesünder
Schokolade macht stark
Naschen macht glücklich aber nicht high
Von Schokolade bekommt man keine Pickel  
Die Schweizer naschen am meisten
Schokolade wirkt nicht lustfördernd 
Hunde vertragen keine Schokolade     

(Es sind nur 9 Fakten, der 10. hat mir nicht gefallen.)

Aus: Berliner Zeitung vom 27. April 2013


 

Leider fast ausgestorbene Schimpfnamen



     Jemandem den Schimpfamen zu geben, der ihn wirklich beschreibt, 
     ist äußerst befriedigend. Wenn das verwendete Wort schön klingt,
     ein lebhaftes Bild erzeugt und eigenen Witz hat, Elysium. Und wenn
     es dann auch noch eine subtile und ein wenig boshafte Gemeinheit 
     Sein eigen nennt - Engelschöre singen, Posaunen erschallen, Manna
     wird gereicht. 
     Leider sterben manche dieser Kostbarkeiten einen bedauernswerten,
     verfrühten Tod, sie fallen der Vergessenheit anheim und werden 
     ersetzt. Was für ein trauriges, ungerechtes  Schicksal, eben waren sie
     noch munter und beleidigend und scheinbar plötzlich liegt ein schickes
     neues Wort in dem Bett, das sie gerade noch ihr eigen nannten. 
     Eine kleine Trauerfeier für verflossene Worte:
Liederjan, die männliche Vorform der Schlampe
Blage
Raufbold
Halunke
Wuchtbrumme, obwohl eher ein Kosewort.

Macker
Racker

Miesepeter
Tölpel

Zimtzicke
Tussi, was von Thusnelda herstammt.
Grobian
Xanthippe, verpönte Ehefrau des Sokrates.

Xanthippe sprach zu Sokrates
Du bist schon wieder blau.
Er sprach: Bist du auch sicher des?
Man weiß nie was ganz genau.
b.b.
 Dämlack
Wüterich
Rüpel

Piesepampel
Hosenscheißer
Lotterbube
Pinkel
Trunkenbold
Lausejunge
Taugenichts
Tagedieb
Alte Fregatte
Zimperliese
Hasenfuß
Bohnenstange
Trampel
Lustmolch
Maulaffe
Dussel
Lümmel
Pissnelke
Bauerntrampel



Freitag, 26. April 2013

Die Hyäne und der Krieg


MUTTER COURAGE
...Sie können nicht leugnen, daß Ihr Krieg eine Niete war.
DER FELDPREDIGER
Sie sollten sich nicht am Frieden versündigen, Courage!
Sie sind eine Hyäne des Schlachtfelds.
MUTTER COURAGE
Was bin ich?


Krieg und Leichen – Die letzte Hoffnung der Reichen
John Heartfield 1932
Die Hyäne

Über das schneeweiße Leichenfeld
Eine Riesenhyäne heult und bellt.
Bellt und lacht und pfeift vor Entzücken,
Wehrlos Volk zerriß sie zu Stücken.
Pfeift und lacht und heult vor Lust,
Tot biß sie den Säugling an Mutterbrust.
Wühlt und zerrt, sich satt zu weiden,
Wütend in dampfenden Eingeweiden ...
Um das nackte Scheusal wie Furienhaar
Flattern blutige Geißeln. Das Augenpaar
Funkelt feige voll tückischem Feuer –
Eine Krone klebt auf dem schmutzigen Ungeheuer.
Über das schneeweiße Leichenfeld
Millionenmündig Entsetzen gellt.
Gierig das gräßliche Ungeheuer
Wittert nach allem, was Menschen teuer.
Schnuppert ringsum, der Atem weht faul,
Nach dem Denker schnappt, nach dem Dichter sein Maul.
Wo noch glühende Pulse der Freiheit klopfen,
Saugt es sie aus bis zum letzten Tropfen.
Schlingt der Menschheit zuckendes Herz
Und schielt heuchlerisch himmelwärts.
Die lechzende Zunge hängt aus dem Rachen,
Die Bestie badet in blutroten Lachen.
Über das schneeweiße Leichenfeld
Ragen Galgen und Kreuz der Welt.

Karl Henckell
Gesammelte Werke. Band 2: Buch des Kampfes, München 1921



Die Hyäne
Alfred Kubin 1915
München, 3.8.1914
Lieber Kubin,

ein letzter Gruß von hier, wo alles noch so friedlich scheint,
allerdings schon totenstill, nun müssen wir einmal schweigen und
die Weltgeschichte reden lassen. Ich rücke am Donnerstag ein.
Wie wird es Ihrem armen Zwickledt gehen? Wo bleiben Sie?
Meine Frau bleibt hier; wenn sie nach München kommen,
besuchen Sie sie doch!! Oder müssen Sie auch mit?
Ihren Daniel behält meine Frau auch im sicheren Gewahrsam in Ried,
ich halte dies für das beste. Ich rate Ihnen, nehmen Sie Ihren ganzen Stoß Zeichnungen
und bringen Sie sie auch an feuersicheren Ort.
Herzliches Lebewohl von uns und auf ein frohes Wiedersehn

Ihr F. Marc


Franz Moritz Wilhelm Marc geboren am 8. Februar 1880 in München; gefallen am 4. März 1916 in Braquis bei Verdun.
Franz Marc wurde 1916 in die Liste der bedeutendsten Künstler Deutschlands aufgenommen und damit vom Kriegsdienst befreit. An seinem letzten Einsatztag vor der Freistellung, fiel er als Leutnant der Landwehr während eines Erkundungsritts.
Wiki


Liegende Hyäne (Liegender Wolf?)
Franz Marc 1913

Zornmanagement



Singe, Muse, vom Zorn des Helden Achill, 
der unendliches Leid den Achäern brachte...

Illias 1. Gesang, erste Zeile


Was macht man mit Zorn auf jemanden, den man einmal für einen Freund hielt?   
Man ist verletzt, gekränkt, beleidigt, verachtet, ungerecht behandelt worden und nun steht man da.  
Man ist wütend. Nein, nicht ärgerlich, nicht verstimmt, sondern wütend, zornig, abgrundtief traurig auch übrigens.  
Man grübelt, grummelt, versucht zu verstehen warum, untersucht die Situation  unter möglichen und unmöglichen Gesichtspunkten, redet mit Freunden darüber. Danach ist man aber immer noch zornig.
Das Schlimmste ist die Hilflosigkeit. Wenn der Kränkende wenigstens begreifen würde, begreifen müßte, was er, und warum er es, getan hat. Aber nichts da. Der Erzürnende verweigert die Einsicht, oder er schiebt, als übelster Teil der Kränkung, die Verantwortung hochmütig, lässig und kalt von sich weg. 
Was kann man dagegen tun? RACHE! würde Krimhild sagen. Aber welche Rache ist wirklich süß? Rache verwandelte den Täter in ein Opfer. Schlechte Lösung. Genugtuung - was wäre das? Dass es dem Beleidiger so mies geht, wie man sich selbst fühlt? Entschuldigung? Nebbig! Kriegt man überall für einen Pfennig. Verständnis würde helfen, ist aber nicht vorrätig.
Was macht man mit Zorn?  
Das Zweitschlimmste ist das Nicht-Begreifen-Können. Warum? Welcher Mangel in einem selbst, welcher noch-nicht-erkannte Zug oder Fehler hat dies herausgefordert? Ist man eigentlich selber der Schuldige? Verdient man so behandelt zu werden?
Was macht man mit Zorn? 
"Nimm das Gefühl an" ist ein beliebter Ratschlag. Annehmen heißt, sagt der Duden u.a.: etwas entgegennehmen, nicht zurückweisen, mit etwas einverstanden sein, mit etwas übereinstimmen, es übernehmen.   
Warum sollte man mit diesem Zorn einverstanden sein? Wer ist gerne zornig. Und dann? Angenommen man nähme den Zorn an, Handlungsunfähigkeit und Wehrlosigkeit werden dadurch nicht angenehmer.
Wie kann es sein, dass der Missetäter ruhig schläft, unberührt grinst, oder sogar selbstgerecht "mitfühlt" und man selbst verkrampft sich in gelähmter Wut?
Nein, das Allerschlimmste ist, dass Zorn an einem selbst mehr Schaden anrichtet als beim Verursacher. Zorn kostet Kraft, raubt Lebensfreude. Der Mistkerl oder die böse Kuh erringen so einen Doppelsieg.
Was macht man mit Zorn? 
Gott gebe mir die Gelassenheit, Dinge hinzunehmen, die ich nicht ändern kann, den Mut, Dinge zu ändern, die ich ändern kann, und die Weisheit, das eine vom anderen zu unterscheiden. Leider glaube ich nicht an Gott und bin immer noch zornig.




"Mit Gelassenheit pflegt man ein mittleres Verhalten da zu bezeichnen, wo es sich um zornige Erregung handelt, und zwar teilt man, weil es für die rechte Mitte und eigentlich auch für die beiden Extreme keinen eigenen Ausdruck gibt, die Bedeutung der rechten Mitte, die unbenannt ist, der Gelassenheit zu, während letztere eigentlich nach der Seite des Zuwenig hinneigt. Das Zuviel darf man als Hang zu zorniger Erregung bezeichnen. Der innere Zustand ist der Zorn; die Ursachen, die ihn erregen, sind zahlreich und von der verschiedensten Art. Wer da zürnt, wo der Anlaß und die Personen den Zorn rechtfertigen, wer in der rechten Weise, zur rechten Zeit und die rechte Zeitdauer hindurch zürnt, dessen Verhalten findet Billigung; man kann einen solchen gelassen nennen, vorausgesetzt, daß Gelassenheit das billigenswerte Verhalten bedeutet. Gelassen, das bedeutet, daß man sich nicht aufregen, von der Leidenschaft sich nicht hinreißen läßt, sondern in der Weise seinem Zorn Raum gibt, wie rechte Vernunft es gebietet, bei dem gegebenen Anlaß und die rechte Zeitdauer hin durch. Wo der Gelassene sich dagegen vergeht, da möchte es eher in der Richtung auf das Zuwenig geschehen. Denn dem Gelassenen liegt vermöge seiner Neigung nicht die Vergeltung, sondern mehr die Nachgiebigkeit nahe. Das Zurückbleiben hinter der rechten Mitte aber, sei es aus einer Art von Temperamentlosigkeit, sei es aus irgendeinem anderen Grunde, ist Gegenstand der Mißbilligung. Leute, die da nicht in zornige Aufwallung geraten, wo es geboten wäre, erscheinen als verkehrte Menschen, gerade wie diejenigen, die nicht in der rechten Weise, nicht zur rechten Zeit, noch aus dem rechten Anlaß zürnen. Jener macht den Eindruck, als habe er keine Empfindung und mache es ihm keinen Schmerz, und da er nicht zürnt, als sei er auch nicht imstande sich zu wehren, während es doch Sklavensinn verrät, still zu halten, wenn man beschimpft wird, oder seine Angehörigen preiszugeben. Dagegen, daß man zu weit geht, das kommt in allen Beziehungen vor; man zürnt den Personen und aus Anlässen, wo es nicht recht ist; man zürnt heftiger, schneller und längere Zeit hindurch, als recht ist."

aus: Nikomachische Ethik Über Gelassenheit
Aristoteles



Der Zorn des Achilles
Léon Benouville 1847

"Die Geschichte aller bisherigen europäischen Gesellschaft ist ihm die Geschichte von Zornmanagement." 
aus einem Artikel in der "Zeit" über Sloterdijks Zorn und Zeit

Donnerstag, 25. April 2013

Heinz Berggruen hat Kunst gesammelt

                   
                  
  Wenn jemand mal Bedarf auf eine große Portion guter Laune hat,
  dann könnte er zum ziemlich häßlichen Charlottenburger Schloß
  fahren, und gleich gegenüber steht das Haus der Sammlung
  Berggruen. Reingehen, Karte kaufen, gucken, gucken - gute Laune. 
                   


FATALES FAGOTT SOLO

Paul Klee 1918



KATZE


 Giacometti 1951

JUNGES MÄDCHEN MIT OFFENEM HAAR



Paul Cezanne 1873/74


Foto: bpk
 

CLOWN
  
 

Toulouse-Lautrec 1886


Mittwoch, 24. April 2013

Der Bitterfelder Weg & Wolfgang Hilbig & Brigitte Reimann & Volker Braun & Heiner Müller


"In den großen Versammlungen 
der großen Männer

Dort vorne seh' ich sie sitzen 
hinter des Vaterlands Fahnen 
und ihre Brillen blitzen 
wenn sie forden und planen

Totenstille, nach dem scharfen Knall,
ein kurzes Ächzen, ein dumpfer Fall; schon tot, fiel einer wie 'n Sack nach vorn
… 
Ins Geschrei und in das Rasen 
peitschen meine Kugeln
...
Ja, meine ganze Welt, in der ich lebe  
zerschlüge ich am liebsten so, dass sie sich nimmermehr erhebe. 
Und dann baut' ich eine neue hier, 
doch - ich habe Durst; ich gehe lieber und trinke ein Bier. 

Wolfgang Hilbig
8.-Klasse-Abgänger, Boxer, Heizer, Dichter 

Manchmal, wenn ich mich an die DDR, an die harmlose Leichtigkeit meiner Kindheit, die gewöhnlichen und einzigartigen Verwirrungen der Pubertät und den Zorn und die Feigheit der jungen Erwachsenen in diesem bösen Kleinstaat erinnere, gerate ich an Dinge, von denen ich nicht glauben kann, dass irgendwer in, sagen wir, 50 oder 100 Jahren noch glauben mag, dass es sie wirklich gab. 
Der Bitterfelder Weg, nein, nicht die gleichnamige Strasse in Berlin-Rudow, sondern die Direktiven, was heißt Befehle, die unter Federführung von Walter Ulbricht für eine "neue sozialistische Kulturpolitik in der Deutschen Demokratischen Republik" am 24. April 1959 auf der Autorenkonferenz des Mitteldeutschen Verlages Halle (Saale) im Kulturpalast des Elektrochemischen Kombinates Bitterfeld verkündet wurden und davor bereits  auf dem V. Parteitag der Sozialistischen Einheitspartei angekündigt worden waren. 

"In Staat und Wirtschaft ist die Arbeiterklasse der DDR bereits Herr. Jetzt muss sie auch die Höhen der Kultur stürmen und von ihnen Besitz ergreifen" 
Walter Ulbricht auf dem V. Parteitag der SED 1958.

Greif zur Feder, Kumpel,
die sozialistische deutsche Nationalkultur braucht dich!



Bitterfeld - Wolfen 1957
Bundesarchiv Bild 183-50647-000

„Das Bitterfelder Programm, ‚Greif zur Feder, Kumpel‘, war ja ganz einsichtig, heraus kam eine Parodie, Domestizierung statt Klassenemanzipation. Auch eine ABM für erfolglose Schriftsteller“.
Heiner Müller, Autor des "Lohndrücker" und der "Weiberkomödie" (in Kollaboration mit seiner Frau Inge Müller)
 
Brigitte Reimanns Tagebuch-Notizen aus dem Kombinat Schwarze Pumpe, wo sie einen Zirkel "Schreibender Arbeiter leitete:

14.02.60
"Vorige Woche hat sich der Zirkel schreibender Arbeiter konstituiert. Von 20 Eingeladenen waren 4 erschienen; keine Potenzen nehme ich an. Nur der kleine Volker Braun, Abiturient und seit 4 Jahren in der Produktion, scheint begabt zu sein. Er erinnert mich an meinen Ulli-Bruder - in jeder Beziehung verspäteter Pubertant."  

Volker Braun war zur Bewährung in der Produktion, bevor er doch noch zum Studium zugelassen wurde.

Brigitte Reimann 
21. Juli 1933 in Burg bei Magdeburg
† 20. Februar 1973
13. 2. 61
 "Der Zirkelabend also... Ab Mitternacht war ich so wahnsinnig besoffen, daß ich nicht mehr mit Sicherheit weiß, was sich abgespielt hat...
Aber zuerst war alles schön und würdig und feierlich mit einer Art Kulturprogramm...
Daniel und ich saßen eine ganze Weile bei dem neuen Werkleiter...
Lissinsky hat eine verteufelte Manier - einfach unbeugsam ...Ein Typ, der mir absolut wesensfremd und ein bißchen unheimlich ist, vielleicht schon der Typ des Kommunisten von morgen.
...Die anderen Funktionäre gaben groß an mit ihren Kulturplänen - aber meine Brigade hat nicht einmal einen Frühstücksraum, sondern muß mit schwarzen Händen in der Halle essen. Man muß erstmal gewisse ökonomische Voraussetzungen schaffen, ehe man mit dem Bücherkarren anrollt."

6. 7. 65
 "Pumpe rüstet sich zum 10. Jahrestag, d. h. also zu Heldengesang und Hosianna für die Partei und zum freundlichen Vergessen aller Fehler, Irrtümer und Schwierigkeiten..."Das verstehen die Kumpel, so wollen es die Kumpel haben..." na, hoffentlich haut ihm ein Kumpel mal eins auf die Fresse...
In der allgemeinen Feststimmung zog die Partei auch uns Sünder wieder an ihren Busen. ...Wir kamen uns vor wie ihm Panoptikum zwischen diesen Parteispießern und ihren betulichen, netten und dümmlichen Frauen, die sich da durch die Empfänge neppen...
Das Merkwürdigste: sie freuten sich wirklich, sie entfalteten Familienleben und waren bereit, alles Vergangene ruhen zu lassen. Dieselbe Politik wie im Großen, bis W[alter]U[lbricht]: "Keine Reminiszenzen." Eine Haltung, die mich beinahe hilflos macht: man faßt in Gallert..."


31. 3. 66
"Was für eine Kluft zwischen Künstler und Publikum... Grotesk falsche Auffassung von Kunst, und wieder die Forderung nach gültigem soz. Menschenbild - unter dem sich aber keiner etwas vorstellen kann."

9. 8. 68
"Ich denke jetzt oft an früher, an die Zeit vor fünf oder zehn Jahren...Alles schmeckt nach Abschied.
...In den letzten Jahren sind die Gruben abgesoffen, die Tagebaue, zwischen denen die Betonbahn verläuft. Das Becken mit der Kohlentrübe ist vollgelaufen, ein fettig schwarzer See; damals ... sah man noch den Boden, die Birken und Sträucher, die nun längst ertrunken sind. Merkwürdig, wie man sein Herz an diese öde Landschaft gehängt hat, an diese unmögliche Stadt, an die Leute.
...Trotzdem - wenn ich denke, daß nur ein paar Blöcke in einer Sandwüste standen, als wir hierher kamen ... und das Kombinat ist ein riesiger Komplex (in dem so gut wie nichts funktioniert). Die Kohle geht zu Ende"


Aus Franziska Linkerhand, dem wundervollen Roman von Brigitte Reimann
 

„Herr Schafheutlin, ich möchte sie etwas fragen...“ Sie zögerte. Er war rot geworden. Sie suchte nach einer Umschreibung für die Frage, die ihr eben noch einfach erschienen war.

„Ob es genügt?“, fragte er zurück. „Was genügt?“

„Das hier – und alles.“ Sie stotterte ein wenig. „Wie Sie leben. Wie ein Tag vergeht, und der nächste, und ein Jahr...Ist es das, was Sie sich vorgestellt haben, als Sie anfingen?“

Er sah sie verständnislos an. „Wo? In Neustadt?“

„Ach nein“, sagte sie unglücklich, „In der Schule, oder noch früher, irgendwann, als Ihnen bewußt wurde, daß Sie jemand sind...daß Sie in die Welt gekommen sind und aus der Welt wieder weggehen werden, nach einem Leben, das sechzig oder siebzig Jahre dauert, falls nicht Krieg oder Krebs oder ein verrücktes Auto... also siebzig Jahre im Glücksfall. Und als Sie wußten, daß Ihnen ein Leben gehört: was wollten Sie daraus machen?“

Schafheutlin schwieg, er sträubte sich gegen ein Gespräch, das zu nichts führte, (wie) er dachte, Zeitvertreib für Leute von zwanzig Jahren. Franziska lehnte an der Spindtür; sie blickte ihm auf den Mund. „Sie gehen von einer falschen Vorraussetzung aus“, sagte Schafheutlin nach einer Weile, in trockenem Ton, dabei froh, weil sie wartete, “nämlich, daß irgend jemandem sein Leben gehört, wie ein Besitz, über den er beliebig verfügen kann, Sie existieren nicht für sich allein, sondern in einer Gesellschaft...für eine Gesellschaft, dürfen wir sagen, heute, seit wir uns einen Staat geschaffen haben, in dem es möglich, ja erforderlich ist, die persönlichen mit den gesellschaftlichen Interessen in Übereinstimmung zu bringen.“

„GeWi“, murmelte Franziska. Sie war enttäuscht. Er weicht aus, redet über Allgemeines, nicht von sich. „Das ist keine Antwort, das ist ein Programm.“


Am 21. Februar 2013 beginnt in Burg bei Magdeburg das Brigitte-Reimann-Jahr.  

Spiegel-Artikel zum Bitterfelder Weg:
http://einestages.spiegel.de/external/ShowTopicAlbumBackground/a28204/l5/l0/F.html 

Montag, 22. April 2013

Richard II. - Shakespeare - 3. Akt 2. Szene


Der Schädel Richard II. 
Zeichnung von George Scharf,der anwesend war, als Richards Grab in Westminster Abbey 1871 geöffnet wurde. 

3. Akt, 2. Szene

Laßt uns von Gräbern sprechen, Würmern, Grabinschriften.

Wir schreiben uns den eigenen Nachruf in den Staub,

mit Augen regenvoll das Leid der Erde auf den Leib.

Laßt uns die Henker wählen und vom Nachruhm reden.

Nein, nein, so nicht, nein, was bleibt uns denn mehr,

als unsern abgesetzten Körper dem offnen Riß der Erde hinzugeben?

Unsere Ländereien und Lebereien sowie der Rest

gehören Bolingbroke, nichts als der Tod ist unser Eigenes.

Die Erde hat uns ein- und ausgekleidet und

verkleidet auch mit Haut und Knochenleim,

in Gottes Namen laßt uns auf die Erde setzen

und Schreckgeschichten vom Tod der Könige erzählen,

wie man wen absetzt und wen in den Schlachten schlachtet:

Gehetzt der von dem Geist des Herrschers,

den er abgesetzt, von ihren Ehefrauen vergiftet,

andere die andern wieder hingemacht im Schlaf,

ermordet sind sie alle.

Der Grund: die Krone auf des Königs Schläfe, sie ist hohl.

Im Hohlraum thront er, der Clown sitzt da, und er reißt Witze übern Staat.

Er grinst den Wohlstand an und billigt seinem König

den kurzen Atem und den kleinen Auftritt zu.

Als König, der das Fürchten lehrt, lernt er

das Fürchten auch. Hört dieses Clown- und

Throngelächter, will uns machen fürchten.

Ich habe einen in der Krone wehen, einen König in der Krone,

nicht König, unter dem ich throne. Wer macht mein Ich

und auch mein Fleisch falsch denken,

als hätte er ein Messing zu verschenken,

das mich schon vor dem Tod vorm Leben schützt,

als ob wir immer König oder Richard bleiben dürfen,

doch schließlich kommt wer, hinterm Messing

nach dem Tod zu schürfen, und dann stirb du, mein Lebewohl du,

behütet euch, verhütet mich, verhütet auch

mein Fleisch, mein Blut, macht es nicht lächerlich

mit Andacht oder Ehrfurcht, wie die Angst auch immer heißt.

Ach, das Gesetz und Ordnung ihr doch in die Erde schmeißt.

Ich war euch unbekannt die ganze euch bekannte Zeit

und esse doch mein Brot wie ihr,

wie ihr bin ich zu jedem Glück,

doch alles schmeckt mir nur nach Trauer,

ich bin mir viel zu wenig, ich brauche Freunde,

doch nicht welche, die mich nennen König.

Übersetzung Thomas Brasch

Richard II.

Sonntag, 21. April 2013

Peter Pan - Robert Wilson - Fetzen


Robert Wilson wurde in Waco/Texas geboren, Terence Malick auch. Das ist, wo im April 1993 das FBI die Ranch der Branch Davidians belagert hat und als angekündigt wurde, es würde angegriffen, legten die Davidians Feuer. Viele Tote und viele offene Fragen.
Nur 50 Kilometer weit entfernt ist letzte Woche eine Fabrik mit Ammoniumnitrat nach einem Brand in die Luft geflogen. Wiederum mit Todesopfern. Und wiederum 400 Kilometer von dort, in Oklahoma City, hat Timothy McVeigh 1995 ein Regierungsgebäude mit Hilfe einer Bombe aus eben diesem Ammoniumnitrat komplett zerstört. Auch da gab es reichlich Tote.

Letztes Jahr habe ich "Einstein on the Beach" gesehen, die rekonstruierte Inszenierung Wilsons von 1978 und, glaube ich, dort endlich einiges mehr begriffen, was die Wurzeln seiner Bildsprache und Künstlichkeit betrifft. 
Siehe: Einstein On The Beach - Godot kommt eh nicht, oder doch? vom 10.06.2012

"Finding Neverland" ist ein nicht ganz übler Film über James Matthew Barrie, den Autor "Peter Pans", mit Johnny Depp und Kate Winslet. Viel interessanter jedenfalls als das gräsliche Ding, das Spielberg verzapft hat, und dass obwohl darin Dustin Hoffman Hook spielt.

Ich liebe es, wie Wilson Licht einsetzt. Darüber würde ich gern viel mehr wissen. Minutiöse Eindunkelungen, weiche Wechsel, Farbüberschneidungen, präzise ausgeschnittene Lichträume. Manchmal sieht es aus, als hätten er und seine Leute es geschafft, das unlösbare Problem des Streulichts zu knacken. Andererseits bin ich neidisch, wenn ich sehe, das er mindestens vier bemannte Verfolgerspots und, ich weiss gar nicht wie viele, Moving Spots zur Verfügung hat und wahrscheinlich unendlich lange Beleuchtungsproben.

Peter Pan: "Ich will ein Junge bleiben und immer fröhlich sein." Die zunehmende Anstrengung, die Sabin Tabrea dieser Satz kostet, ist kostbar.

Wilson sollte nicht selbst Tänze choreographieren. So genau, seltsam und verdreht seine Körperchoreographie sonst auch ist, wenn getanzt wird, erinnert das an die Versuche eines verklemmten Pubertierenden in einer Disco meiner Jugend. Von der "Boygroup"- Szene der Verlorenen Jungs gar nicht zu reden. Die todesmutigen Hüpf- und Schütteltänze an die ich mich erinnere, hatten aber wenigstens noch etwas Rührendes in ihrer Lächerlichkeit.

Christopher Nell als Tinkerbell ist als unter Elektrizität stehende Tinkerbell ein ganz eigenes Ereignis. Wie er wohl auf den Einfall gekommen sein mag, seine Figur als zuckendes, ständig fast aus der Haut fahrendes Energieteilchen zu spielen? Vielleicht weil kleine Feen immer so superschnell mit den Flügeln schlagen, dass sie fast unsichtbar sind? Er steht wahrhaftig unter Strom. Und dann öffnet er den Mund und eine Engelsstimme erklingt. WOW!

Ach, würde Herr Wilson doch einmal am Abend dem Chaos seinen Raum lassen, die Ordnung für einen Moment zerspringen lassen, der lüsternen Gefährdung des Kontrollverlustes nachgeben. Nur ganz kurz. 

In der Uraufführung hat Peter Pan, in der Szene in der Tinkerbell beinahe stirbt, verzweifelt in den Saal gerufen: "Feen kann man nur mit Klatschen vor dem Tod retten!", der darauf folgende Applaus soll frenetisch gewesen sein. Guter Trick! Wenn's klappt.

Das Peter Pan Syndrom: http://www.focus.de/finanzen/news/aelterwerden_aid_20805.html


Meine Lieblingsnichte, acht, hat den Abend sehr gemocht. Sie kannte auch die Geschichte viel besser als wir.

Coco Rosie, die Schwestern Sierra und Bianca Casady, haben die Musik geschrieben, die nahezu ununterbrochen spielt. Ganz schön. Und sie singen nicht selbst, denn deren niedliche Kinderstimmchen machen mich irre.

Sicher nicht Wilsons bester Abend, irgendwie wie viele vorher, und doch, so an den Rändern, für Augenblicke, dachte ich, dieser ist persönlicher als die anderen. Und vielleicht liegt gerade darin für solch artifizielles Gewebe der Schwachpunkt. Hoher Kunstwillen und kindlich betrübte Sehnsucht kollidieren und der Kitsch erhebt  drohend sein Haupt.

Aber! Der Schlußapplaus war lang und laut und enthusiastisch, inclusive rhythmischem Klatschen und Mitsingen bei der Zugabe "To die is a wonderful adventure" - "Sterben ist ein wunderbares Abenteuer".


Sabin Tambrea
© picture alliance / dpa / Ole Spata