Sonntag, 17. Februar 2013

Diego Rodríguez de Silva y Velázquez - Die Küchenmagd



Diego Rodríguez de Silva y Velázquez
Die Küchenmagd


   La mulata oder einfach nur Küchenszene wird dieses Bild genannt, oder besser
   diese Bilder. Die hellere Version, mit der 'Jesus in Emmaus Szene' an der Wand
   hinten, hängt in Dublin, die dunklere in Chicago. Es wird heute vermutet, dass beide
   von Velázques gemalt wurden.


1620-22 

   Eine junge Frau, sehr erschöpft, in Gedanken, sie sitzt? Oder steht in gebeugter 
   Haltung.  Den Messinkessel vorne links hat sicherlich sie geputzt. Er strahlt.
   Fast wie ein Lichtverstärker und macht ihre Müdigkeit noch deutlicher.
   Überhaupt, dass Licht so gemalt werden kann!

   
Die Emmausjünger - Lukas 24

   Und siehe, zwei aus ihnen gingen an demselben Tage in einen Flecken, der war 
   von Jerusalem sechzig Feld Wegs weit; des Name heißt Emmaus. Und sie redeten 
   miteinander von allen diesen Geschichten. Und es geschah, da sie so redeten 
   und befragten sich miteinander, nahte sich Jesus zu ihnen und wandelte mit ihnen. 
   Aber ihre Augen wurden gehalten, daß sie ihn nicht kannten. Er sprach aber zu ihnen: 
   Was sind das für Reden, die ihr zwischen euch handelt unterwegs, und seid traurig? 
   Da antwortete einer mit Namen Kleophas und sprach zu ihm: Bist du allein unter den
   Fremdlingen zu Jerusalem, der nicht wisse, was in diesen Tagen darin geschehen ist? 
   Und er sprach zu ihnen: Welches? Sie aber sprachen zu ihm: Das von Jesus von  
   Nazareth, welcher war ein Prophet mächtig von Taten und Worten vor Gott und allem 
   Volk; wie ihn unsre Hohenpriester und Obersten überantwortet haben zur Verdammnis 
   des Todes und gekreuzigt. Wir aber hofften, er sollte Israel erlösen. Und über das alles 
   ist heute der dritte Tag, daß solches geschehen ist. Auch haben uns erschreckt etliche 
   Weiber der Unsern; die sind früh bei dem Grabe gewesen, haben seinen Leib nicht 
   gefunden, kommen und sagen, sie haben ein Gesicht der Engel gesehen, welche sagen, 
   er lebe. Und etliche unter uns gingen hin zum Grabe und fanden's also, wie die Weiber 
   sagten; aber ihn sahen sie nicht. Und er sprach zu ihnen: O ihr Toren und träges 
   Herzens, zu glauben alle dem, was die Propheten geredet haben! Mußte nicht Christus 
   solches leiden und zu seiner Herrlichkeit eingehen? Und fing an von Mose und allen 
   Propheten und legte ihnen alle Schriften aus, die von ihm gesagt waren. Und sie 
   kamen, nahe zum Flecken da sie hineingingen; und er stellte sich, als wollte er weiter 
   gehen. Und sie nötigten ihn und sprachen: Bleibe bei uns; denn es will Abend werden,
   und der Tag hat sich geneigt. Und er ging hinein, bei ihnen zu bleiben. 
   Und es geschah, da er mit ihnen zu Tische saß, nahm er das Brot, dankte, brach's und
   gab's ihnen. Da wurden ihre Augen geöffnet, und sie erkannten ihn. Und er verschwand
   vor ihnen. Und sie sprachen untereinander: Brannte nicht unser Herz in uns, da er mit
   uns redete auf dem Wege, als er uns die Schrift öffnete? Und sie standen auf zu
   derselben Stunde, kehrten wieder gen Jerusalem und fanden die Elf versammelt und
   die bei ihnen waren, welche sprachen: Der HERR ist wahrhaftig auferstanden und
   Simon erschienen. Und sie erzählten ihnen, was auf dem Wege geschehen war und wie
   er von ihnen erkannt wäre an dem, da er das Brot brach.

   Verrückte Szene. Haben die Jünger so ein schlechtes Gedächtnis, oder hat ihn der 
   Tod so verändert, dass sie ihn nur noch an Gebärden erkennen können?  "Er stellte
   sich, als wollte er weitergehen", also will er erkannt werden! Schon verraten und 
   verkauft, und nun auch nicht mehr wiedererkennbar. Wie traurig.

 

Freitag, 15. Februar 2013

Die Deutsche Bahn und Die Zeit


Gestern bin ich mit der Eisenbahn gefahren, vierzehn Stunden lang. Von Berlin nach Heilbronn und zurück, mit Umsteigen in Mannheim und ohne jedwede Verspätung. Dazwischen eine wundervolle, nahezu perfekte Bauprobe.
Aufstehen um 1/2 4, die Angst zu verschlafen hatte mich bis um 2 Uhr wach gehalten, Abfahrt um 4.30 Uhr, selbst die Sorge linksseitig sabbernd, schief gegen das Fenster verdreht aufzuwachen, hat mich dann nicht vom Einnicken abhalten können.

Auf der Rückfahrt: die letzte der vierzehn Reisestunden verbrachte ich als akustische Geisel eines näselnden Yuppies (young urban professional), obwohl der so jung nun auch nicht war, der alle zwei Minuten anmerkte, das müsse man gelegentlich mal "tiefer angehen", während er für uns alle deutlich hörbar eine jüngere, von ihm beruflich abhängige, Frau fertig machte.

Ich liebe mein iPhone, aber hasse die autistische Mißachtung jeder zivilen Sphäre, die Zweier-Gespräche verlangen, von Privatsphäre zu sprechen, wäre in diesem Zusammenhang völlig lächerlich. Zugegebenermaßen habe ich mich auch schon als Alleinunterhalterin von U-Bahn Abteilen und Arzt-Wartezimmern betätigt, und nur der interessiert-fragende Blick der Anderen, hat mich eilig und beschämt das Gespräch beenden lassen. Das ist wie Popeln im Auto, wenn man an der Kreuzung beseligt tiefbohrt und zufällig auf den angewiderten Blick des Fahrers des danebenstehenden Autos trifft.
Eene meene Mopel
Wer frißt Popel
Süß und saftig
Eine Mark und achtzig
Eine Mark und zehn
Und du kannst gehn.

Dass man bei solcher Gelegenheit nur halbe Unterhaltungen hört, macht die Sache übrigens nicht besser, nur surrealer.
Vor einiger Zeit: In der vollbesetzten S-Bahn kreischt eine elegant gekleidete Dame mit russischem Akzent ihrem möglicherweise fremdgehenden Liebhaber ihren Hass in die Muschel. Sagt man noch Muschel, obwohl das Ding jetzt eckig ist? Mantraartig wiederholt sie: "Ich kann es riechen, riechen kann ich es!", nach der zehnten Repetition spricht der ganze Wagen chorisch mit. 
Aber ich hatte gestern auf der wacheren Rückreise auch reichlich Zeit "Die Zeit" zu lesen. Was für ein Spaß voller Überraschungen, so viele Dinge von denen ich keine Ahnung hatte!
Hier nur das Feuilleton:
- Fernsehtalkshows und die zweitklassigen Spezialisten, deren Hauptberuf, das Hervorbringen von Meinungen zu Themen, von denen sie nur peripher eine Ahnung haben, zu seien scheint.

- Der Papst, natürlich. Erstaunlich, wie sein "revolutionärer" Rücktritt seine eklatante Rückschrittlichkeit in vielen brennend wichtigen, menschlichen Bereichen, aufzuheben scheint. Er gibt auf, weil er es nicht mehr schafft und plötzlich ist aller berechtigte Streit vergessen und er wird gelobt und verehrt. Ist er ab dem Tag seines Rücktrittes eigentlich wieder fehlbar? Interessante Frage, abends unfehlbar einschlafen und morgens ein Irrtum nach dem anderen. Oder ist Unfehlbarkeit lebenslänglich? Und ist er dann der "Heilige Stiefvater"? Oder Onkel? "Eure Zweitbeste Heiligkeit" wäre auch möglich, oder?

Zur Erinnerung nur ein von vielen möglichen Details: Zeitgleich zum Start des neuen Twitter-Accounts “@Pontifex” des Papstes, am 12. Dezember 2012, überbrachte er eine Segnung an die Parlamentsvorsitzende Ugandas, Rebecca Kadaga, die sich zu diesem Zeitpunkt gerade in Rom aufhielt. Kadaga versprach die Einführung eines Gesetzes, das Homosexualität in Uganda unter Strafe stellt. Das Strafausmaß lautet auf lebenslange Haftstrafe bei jeder homosexuellen Handlung und Todesstrafe bei homosexuellem Sex mit Minderjährigen oder HIV-infizierten. Rebecca Kadaga versprach Ugandas Christen das homosexuellenfeindliche Gesetz als Weihnachtsgeschenk. Wien. (Humanist News)

What the fuck?
Es tut uns schon ein bisschen leid, dass einige unserer Mitarbeiter Kinder mißbraucht haben sollen, aber Schwule zu töten ist doch nun wirklich einsehbar? Wenn ich das hier mal ganz unverblümt sagen darf, warum soll ich theologisch untermauerte Intoleranz respektieren, nur weil sie sich auf Alter, Anhängermenge und angebliche Gottgewolltheit beruft - ganz egal welcher Coleur sie auch sei! Gut, dass der Mann zurücktritt, besser wäre, kein neuer Papst folgte ihm. Noch besser wir hielten uns einfach alle an den auf Facebook kursierenden Spruch:

Religion ist wie ein Penis.
Es ist schön einen zu haben,
auch stolz darauf zu sein
und ihn mit Leuten, die ihn mögen, zu teilen.
Aber hole ihn nicht in der Öffentlichkeit raus
und zeige ihn herum,
bedrohe mich nicht damit,
dränge ihn nicht meinen Kindern auf,
denke nicht damit
und schreibe damit keine Gesetze.

Zurück zu meiner Zeitungslektüre:
- Die Nicht-Rückgabe von Nazis konfiszierter Kunstwerke und die trickreichen Methoden mit denen Museen rechtmäßige Ansprüche vermeiden, verzögern, abstreiten.
- Oscar Roehler und sein autobiographischer Film "Quellen des Lebens". Ich mag ihn nicht ansehen und jetzt, nach der Lektüre dieses Artikels, weiss ich auch warum.
- Youtube als Treffpunkt musikliebender Dilettanten, der Salon ist tot, aber die Freude an klassischer Musik lebt, nun digital, weiter. In Leipzig organisiert ein Student Bachabende unter Bierkonsum, ein einsamer Pianist in Großbritannien freut sich und übt bei laufender Kamera.
- Theodor Storm.
-  An der amerikanischen Ostküste gründen junge kritische Geister neue anstrengend zu lesende Zeitschriften, die sogar Leser finden.
- und mehr, und mehr.
Und da hatte ich alles, was die Welt im Innersten zusammenhält, von machtbeflissener Indoktrination bis zur geschäftstüchtigen Überflüssigkeit, die Trägheit und den Wagemut, the good and the bad, auf circa zehn Seiten Papier. Welch Luxus!

Lloyd Harold in "Safety Last" oder "Sicherheit zuletzt"

Mittwoch, 13. Februar 2013

Der Winter war lang genug - e.e. cummings - im soeben Frühling


[im Soeben-]

Im soeben-
frühling          wenn die welt schlamm-
herrlich ist der kleine
lahme ballonmann

pfeift              weit       und winzig

undeddieundbill kommen
rennend von murmeln und 
piraterien und es ist
frühling

wenn die welt pfützenwundervoll ist

der verrückte
alte ballonmann pfeift
weit      und      winzig
und bettyundisbel kommen tanzend

von hopse und springseil und

es ist
frühling
und


      der


           bocksfüßige

ballonMann          pfeift
weit
und 
winzig


Pan auf einem Mosaik aus Antiocha

[in Just-]


in Just-

spring          when the world is mud-

luscious the little

lame balloonman


whistles          far          and wee


and eddieandbill come

running from marbles and

piracies and it's

spring


when the world is puddle-wonderful


the queer

old balloonman whistles

far          and             wee

and bettyandisbel come dancing


from hop-scotch and jump-rope and


it's

spring

and


         the


                  goat-footed


balloonMan          whistles

far

and

wee 
by e.e. cummings
 Carlos Schwabe (1866–1926) FAUN

Montag, 11. Februar 2013

Elizabeth Tudor in Woodstock




   Ich bin wahrhaftig keine Royalistin, aber für Elisabeth I. habe ich eine Schwäche. 
   1558 bis zu ihrem Tod 1603, also 45 Jahre lang, war sie Königin von England,
   unverheiratet, schlau, starrköpfig und eine großartige Taktiererin. 
   Nur Queen Victoria hat länger regiert, 1837 bis 1901 = 64 Jahre, die
Herren Könige haben immer früher schlapp gemacht oder sie wurden ermordet.


Mit einem Diamanten ins Fenster gekratzt in Woodstock, 
wo sie mit Anfang 20, ein Jahr lang, vom Mai 1554 bis zum April 1555, 
von ihrer älteren und katolischen Schwester Queen Mary, unter Hausarrest gehalten wurde. 

Vieles wird mir unterstellt
Nichts kann bewiesen werden,
Sprach Elisabeth Gefangene


Much suspected by me,
Nothing proved can be,
Quoth Elizabeth prisoner.



Die Kinder Heinrich VIII. c.1650-1680. 
Kopie eines verlorenen Originals c.1545-1550.
© The Duke of Buccleuch, Boughton House



Elizabeth I als Prinzessin c.1555
Künstler unbekannt
Private Collection.



"The Hampden Portrait" c.1563.
Steven van der Meulen.
© Philip Mould Fine Paintings.


 The Coronation Portrait c. 1600.
Kopie eines
1559 verlorenen Originals
Künstler unbekannt
Vormals zugeordnet zu William Stretes.
© National Portrait Gallery.


Ich weiß, dass ich zwar den Leib eines schwachen kraftlosen Weibes,
dafür aber Herz und Mark eines Königs,
noch dazu eines Königs von England habe.
Elisabeth zu den Truppen in Tilbury 1588

Don McCullin sieht den Krieg und Menschen



Manche seiner Photographien, oder genauer, manche der Situationen, die er photographiert hat, sind so furchtbar, so erschütternd, dass ich sie nur mit Mühe ansehen kann. Er nannte sich selbst einmal einen "Ein-Krieg-pro-Jahr-Mann", und er sprach darüber, wie er nun zwei pro Jahr bräuchte, sollten es mal drei oder vier werden, würde er sich Sorgen machen. Er sprach auch darüber, wie es ist "nur" zu dokumentieren, nicht wirklich zu helfen, nicht helfen zu können. Und wie er in Gegenden, wo Hunger herrschte, heimlich, versteckt aß, um weiterphotographieren zu können.

"Ich hatte Glück und ich hatte ein großartiges Berufsleben," sagte er. Und dann machte er eine Pause und setzte hinzu: " Aber irgendwie hat es mich kaputt gemacht."


Protestant, Cuba Krise, Whitehall, London, 1968
Ein US Marine macht Bestandsaufnahme während einer kurzen Kampfpause in der Schlacht von Hue, Vietnam, 1968
Mutter und Kind in Biafra

Amerikanischer Marine gestützt, nachdem er in beide Beine geschossen wurd, während der Offensive von Hué, Vietnam, Februar 1968

Don McCullen eine Frau tragend, Zypern 1964

"Ich sah dieses ganze Dorf, dass versuchte sich in Sicherheit zu bringen, und da war diese eine alte Frau, die lahm war, an zwei Stöcken gehend. Ein Britischer Soldat versuchte sie zu überreden mitzukommen, bevor sie ihr Leben verlöre. Ich war mit einem Freund dort und sagte "Das ist lächerlich". Ich schoß ein Photo, legte meine Kamera weg und hob die alte Dame auf. Es war wie wenn man eine Stoffpuppe hochhebt. Ich bin mit ihr einfach gerannt und gerannt. Ich wollte nicht, dass diese alte Frau niedergeschossen und getötet würde. Ich habe mich gut gefühlt, als wenn ich nicht nur als eine Art Voyeur dort gewesen wäre. Es ist ein schmaler Grat, man hat mir vorgeworfen, dass ich diese schrecklichen Bilder von Menschen mache und ich bin gefragt worden, ob ich Menschen helfe. Natürlich tue ich das, aber ich will damit nicht angeben. Manchmal habe ich es getan, um mein Gewissen zu erleichtern."

Mann mit Maus im Mund, Cambridge, früher 1970er Jahre

Alle Zitate aus einem Interview mit Frances Wasem für Harpers Bazaar im Mai 2000

Alle Photographien ©Don McCullin

Donald McCullin, geboren 9. Oktober 1935 in London, ist ein international angesehener britischer Fotojournalist. 

Sonntag, 10. Februar 2013

Mascha Kaleko - Mein schönstes Gedicht



Mein schönstes Gedicht

Ich schrieb es nicht.

Aus tiefsten Tiefen stieg es.

Ich schwieg es.

Mascha Kaleko

Freitag, 8. Februar 2013

Bertolt Eugen, 15, schreibt sein erstes Stück.


Januar 1914, unter dem Pseudonym Bertolt Eugen, veröffentlicht ein fünfzehnjähriger Augsburger Gymnasiast einen Einakter in der von ihm gegründeten Schülerzeitung "Die Ernte", deren Herausgeber und hauptsächlicher Textlieferant er ebenfalls selber war.
Heute, fast 100 Jahre später, wurde das Werk im Rahmen des Brecht-Festivals in einer Kirche uraufgeführt. 

Der Text liegt schon lang gedruckt vor, niemand hat ihn bisher gespielt. Warum? - wurde ich von einer erstaunlichen Anzahl Journalisten gefragt. Keine Ahnung! Vielleicht, weil das Stück fünf Seiten lang ist, entstanden als Schreibübung eines hochbegabten Teenagers? Es ist ein kleiner, feiner Text, die Sprache ist kräftig und das zentrale Problem unlösbar, was der dramatischen Situation Kraft gibt. Aber würde der Name des Dichters nicht darüberstehen...?
Was mancher da so hineininterpretiert! Die gesamte, zum Zeitpunkt der Entstehung, noch nicht gelebte Biographe des Dichters wird dem zarten Werk übergestülpt. Die zukünftige Vergangenheit färbt jedes unschuldige Wort. 
In einer Kirche Theater zu spielen ist großartig! Hier war es die Augsburger Barfüßerkirche, Tauf- und Konfirmationskirche des oben genannten Jünglings. Um die 600 Jahre alt. Im letzten Weltkrieg ist ihr durch Bombeneinwirkung das Kirchenschiff abhanden gekommen, danach stand da nur noch der Ostchor, nicht sehr groß, aber wunderbar hoch. Der ehemalige drübergepappte barocke Zierrat war weg, nur noch das Altargitter und ein paar gigantische kitschige Gemälde erinnern daran. Keine schicke Kirche, eher wie ein lang bewohntes Zimmer, mit Erinnerungsstücken aus vielen Zeiten, wohnlich.
Die Akustik ist hart, Kammerspiel geht nicht, eher Holzschnitt, wie Freilichttheater. Groß, genau und laut. Das tut dem Stück aber gut, es entspricht ihm.
Ein Vergnügen!




Barfüßer nannten die Brüder sich, weil sie keine Schuhe an den Füßen trugen, als Zeichen ihrer Armut, die in ihrem Vertrauen auf Gott wurzelte. In der Augsburger Innenstadt steht die Barfüßerkirche, das erste Gotteshaus des Franziskaner. In der Reformation wurde die Kirche zum Zentrum der Zwinglianer, seit 1535 ist sie lutherisch. 

 
 Hi, ich bin das barfüßige Christkind!
1632 von Georg Petel geschaffen


Die Bibel


Drama in einem Akt von Bertold Eugen


Personen
Der Großvater ◦ Der Vater, Bürgermeister ◦ Das Mädchen ◦ Der Bruder

Das Drama spielt in den Niederlanden, in einer von den Katholiken belagerten protestantischen Stadt.


Erste Szene

Eine behagliche Wohnstube eines Hauses am Markt. Im Erker Spiegelfenster mit Blumensimsen. Am Tisch der Großvater lesend, im Erker das Mädchen. Ab und zu von ferne wirres Tosen.

GROSSVATER laut und feierlich lesend: Und um die neunte Stunde rief Jesus laut und sprach: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen“ und nach einer Weile spotteten die um ihn standen und sagten: Anderen hat er geholfen, aber sich selbst kann er nicht helfen. Steig herab vom Kreuz und wir wollen dir glauben. Da schrie Jesus abermals: „Es ist vollbracht“ und neigte das Haupt und verschied.

MÄDCHEN Es ist so seltsam schwül hier, in den Straßen ist kein Mensch. Ich habe Angst.

GROSSVATER Die Bürger sind auf den Mauern, Kind. Darum ist es so menschenleer. Du brauchst keine Angst zu haben.

MÄDCHEN Ich glaube, der Sturm beginnt bald. Aber ich habe nicht deswegen Angst.

GROSSVATER antwortet nicht und blättert in der Bibel.

MÄDCHEN Ich weiß nicht, woher es kommt. Ich habe erst seit heute morgen Angst. Erst seit Vater und Bruder fortgingen. Da sah mich der Bruder so seltsam an. Er fragte: Heute wird sich’s zeigen. Der Sturm wird schwer auszuhalten sein. Wir opfern uns gerne. Er betonte das „Wir“. Diese Rede ist nicht wichtig. Aber sie geht mir immer im Sinn um. Und dann bekomme ich immer plötzlich Angst. Ich weiß nicht warum.

GROSSVATER Hirngespinste! Sie sind schon oft fortgegangen. Sie sind immer wieder heimgekehrt. Ich habe nie bei dir Furcht gemerkt.

MÄDCHEN starr: Ich weiß, dass sie oft gingen. Und dass ich mich nie sorgte.

GROSSVATER Heute ist ein schwerer Tag. Der Feind will stürmen. Wir sind hier und können nicht helfen. Wir können nur Gott um Hilfe bitten. Lasst uns beten! Wir wollen Trost suchen in der Bibel.

MÄDCHEN zum Fenster hinaussehend: Es ist schwül heut.

Schweigen.

GROSSVATER Wenn aber solche Zeichen geschehen, müsst ihr auf die Berge fliehen! Seid standhaft dann und treu. Denn es hängt davon viel ab!

MÄDCHEN mit dem Blick in der Ferne: Erzähle mir anderes, Großvater! Deine Bibel ist kalt. Sie redet von Menschen, die stärker waren als wir.

GROSSVATER Mädchen, versündige dich nicht! . . . Liest: Ich aber sage euch, dienet euerem Nächsten! Brecht dem Hungrigen das Brot und habt Mitleid mit dem, der da darbet. Blättert.

MÄDCHEN seltsam: Erzähle etwas anderes! Deine Bibel ist kalt. Erzähle etwas von Not und Tod, aber von der Hilfe Gottes. Erzähle etwas von dem guten, rettenden Gotte. Deine Bibel kennt nur den Strafenden!

GROSSVATER Wer Vater oder Mutter mehr liebet denn mich, der ist meiner nicht wert. – Dieses Buch ist so schön. Weil es stark ist. Die Menschen sollten es mehr lesen.

MÄDCHEN lauscht: Ich höre Tritte auf der Stiege. Es sind schwere, müde Tritte. Der so geht, muss ein alter, elender Mann sein. Oder er muss schwer zu tragen haben. Ich will sehen . . . Geht zur Tür.

GROSSVATER leis: Ich glaube, ich kenne den, der so müde Schritte hat.


Zweite Szene


Der Bürgermeister mit seinem Sohn tritt ein. Ein großer, stattlicher Mann. Der Bruder umarmt das Mädchen stürmisch.

BRUDER gespielt lustig: Mädchen! Das ist ein feiner Tag! Es regnet Granaten. Ernst: Aber wir haben alle unsere Pflicht getan.

Schweigen.

MÄDCHEN Wie steht es draußen, Vater? Ihr seid so still und ernst. Es muss nicht gut stehen.

VATER langsam, starr das Mädchen ansehen: Es steht schlecht, Mädchen. - -
Gequält: Wir wussten es schon am Morgen, dass es nicht mehr lang dauern konnte.

GROSSVATER ruhig: Wir wussten es auch.

VATER Man hat euch nichts davon gesagt. Wir wollten euch nicht aufregen. Aber nun muss es gesagt werden. – Erzähle du, mein Sohn!

BRUDER zögernd: Es ist nicht viel zu erzählen. – Die Werke sind zerschossen, durchlöchert wie ein Sieb. Wir haben gearbeitet Tag und Nacht, sie im Stande zu halten. Es war umsonst. – Der Hunger ist in der Stadt. Ihr wisst nichts davon. Aber im untern Stadtviertel sterben die Leute.

MÄDCHEN Man muss ihnen zu essen geben. O Gott! Wir haben im Überfluss und diese Leute sterben.

VATER Man kann nicht helfen. Es sind zuviel. Du würdest dich nur selbst zugrund richten.

BRUDER . . . Der Hunger ist in der Stadt. Die Leute sind matt. Sie können sich kaum auf den Füßen halten. So matt sind sie. Und heut, jetzt dann, um 3 Uhr, beginnt der große Sturm. Der Katholik stürmt. Wir werden uns nicht halten können.

GROSSVATER sich aufrichtend: Man muss sich halten! Sieg oder Tod! Alle Leute sollen auf die Mauern. Sie sollen kämpfen und sterben für ihren Glauben. Bekennet, spricht der Herr.

BRUDER höhnisch: Bekennet! Haha! Weißt du, Großvater, ist leicht bekennen, wenn man satt ist. Und in Friedenszeiten, in der guten Stube. – An Sieg ist nicht zu denken! Der Katholik hat im Land gesiegt. Wir, die letzte protestantische Stadt, harren noch aus. – Der Feind wird in die Stadt eindringen. Was dann passiert, könnt ihr euch denken. Das Schicksal anderer Städte lehrt es uns. Sie werden die Weiber und Kinder . . . Nun . . . was reden . . . Vater, ich kann nicht weiter . . .

MÄDCHEN Was ist’s? Was schaut ihr mich so schrecklich an?

Schweigen

VATER müde: Vorhin kam ein Bote. Er kam aus dem Lager des Feindes . . . o Gott.

MÄDCHEN geht auf ihn zu: Sprecht doch, Vater! Wir wollen alles hören!

VATER weicht zurück vor der Umarmung, murmelt: Nicht jetzt! . . .
Dann fährt er mit müder, schleppender, gleichgültiger Art fort: Ach Gott, es muss doch gesagt werden! Der Bote sagte . . . der Katholik verzeihe der Stadt . . . wenn die Inwohner katholisch würden und . . .

GROSSVATER schreiend: Nichts da! Nicht fort! Wir werden kämpfen bis zum Tod!

VATER Und wenn . . . ein Mädchen sich opfere . . . dem feindlichen Feldherr . . . eine Nacht . . . Blöde: Du, Mädchen!

Schweigen. Dann schreit das Mädchen wild und will sich auf den Vater stürzen. Sie bricht in Weinkrämpfe aus . . .

MÄDCHEN Ich! . . . Ich soll mich opfern . . . o Gott . . . o Gott!

VATER weicht zurück, dumpf: Lass mich, lass mich! . . . Jetzt ist es heraus.
Wendet sich ab und verbirgt das Gesicht in der Hand.

GROSSVATER wild: Mädchen, Antwort!

MÄDCHEN irr: Was ist, was ist . . . o . . . mein Kopf . . . Wild herausschreiend: Ich tue es nicht! Ich tue es nicht! Ich kann’s nicht tun.

Wirft sich schluchzend vor dem Großvater auf die Knie.

VATER weinend: Ich wusste es.

BRUDER scharf, das Mädchen an der Schulter reißend: Mädchen! Du musst! Ein Volk schreit nach dem Opfer!

GROSSVATER Geh weg! Versucher!

BRUDER im Hohn der Verzweiflung: Versucher. Hahaha! Jetzt fällt die Höflichkeit! Wenn’s ans Leben geht! – Mädchen, ich sage dir, du musst!
Leise, fast flehend: Schwester! Du rettest ein Volk! Ein Volk! Du rettest deine Verwandten. Deinen Vater! Deinen Großvater! Ihr werdet mir folgen! In den Keller, auf die Straße.

GROSSVATER Sie rettet mich nicht! Ich bleibe hier!

BRUDER wild: Gott! Hörst du denn nicht? Mädchen! Großvater, rede ihr zu, sage ihr, dass sie muss!

GROSSVATER Nein! Sie muss nicht! Hört ihr, sie muss nicht, eine Seele ist mehr wert als 1000 Körper!

BRUDER wild: Schweig, du Narr! Ja, du bist ein Narr! Oder du bist grausam! Grausamer denn Ahab! Draußen schreien die Menschen und du hörst sie nicht, draußen lodern die Flammen und du siehst sie nicht, Großvater, wenn der Tag des Gerichtes kommt, wie wirst du dastehen?

GROSSVATER eisern: Gerecht! Ich sage dir: gerecht!

BRUDER auflachend: Gerecht! Ja verharr nur in deinem Wahn! In deiner starren Gerechtigkeit! Haha!
Plötzlich abbrechend, da die Uhr zweimal schlägt. Schon ½ auf 3 Uhr! Mädchen! Komm! 3 Uhr ist die letzte Frist, dann beginnt der Sturm! Hab Erbarmen, Mädchen, mit den Tausenden!

MÄDCHEN Vater, willst du auch, dass ich das tue?

VATER schweigt.

BRUDER Natürlich, will er es. Vater, sag, dass du es willst . . . Sicher, er will es! Komm Mädchen!

MÄDCHEN Ich komme!

GROSSVATER sie haltend: Bleib! Kennst du das Wort Gottes nicht! „Wer mich verleugnet vor den Menschen, den will auch ich verleugnen vor dem himmlischen Vater!“ Mädchen, Mädchen! Ist deine Seele nicht mehr wert als die Körper von Tausenden? Wahrlich, sagt der Herr, wer Vater oder Mutter mehr lieb hat als mich, ist meiner nicht wert! – Du musst fest bleiben, denk an deine Seele.

BRUDER Schweig, du alter Narr! Mit deiner Bibel, die so kalt und gerecht ist, wie du! Folge deinem Herzen, Mädchen! Ist es nicht schön, für Tausende zu leiden? Komm . . . schnell!

MÄDCHEN Nein . . . nein . . . Geh weg . . . Großvater hat recht. Geh weg . . .

BRUDER rasend, sie schüttelnd: Du musst, Mädchen, du musst!

VATER Lass sie! Zwing sie nicht!

BRUDER Du Schwächling! Sie muss!

VATER Junge! Lass ab von ihr! Ich befehl es! Es ist genug. Du gehst mit.

Er zieht ihn mit zur Tür.

BRUDER Sorgt nur für euch selbst! Hahaha!

Sie gehen. Der Vater kommt zurück. Er sagt gedrückt.

VATER So geht wenigstens mit und rettet euch . . . Eine Granate kann einschlagen . . . Das Haus wird brennen . . . Kommt!

GROSSVATER ehern: Schweig! Wir bleiben hier. Wir wollen nicht abschwören, wie ihr! Wir gehen unter, wenn’s not – für unsern Glauben. – Hart: Du hast uns nichts mehr zu sagen. Du hast deiner Tochter Seele verschachern wollen. Hinaus mit dir! Du bist nicht wert, deine Tochter zu sehen.

VATER fährt zusammen, dumpf und bebend: Ich bin’s nicht wert . . . Ihr habt recht . . . Ich bin’s nicht wert . . . Wankt hinaus.


Dritte Szene


Dumpfer Kanonendonner in der Ferne. Im Zimmer ist’s still. Das Mädchen steht wieder am Erker. Großvater steht neben ihr und fährt ihr übers Haar mit der weißen Hand.


 

GROSSVATER Mädchen, wein nicht. Es musste sein.

MÄDCHEN Du warst hart, Großvater!

GROSSVATER Ich musste hart sein. Sie wollten deine Seele verkaufen.

MÄDCHEN träumend: Vielleicht wollte es Vater nicht . . . Vater war immer so gut zu mir. Als ich noch klein war, nahm er mich immer auf den Arm und sagte: Du bist meine kleine, süße Maid. Ich glaube, er hatte mich da lieber als den Bruder. Und dann starb Mutter. Ich weiß es noch wie heut. Sie lag da in ihrem schwarzen Kleid im düsteren Sarg. Drei hohe, weiße Totenkerzen brannten die Nacht. Wir saßen die ganze Nacht, wir Kinder, und weinten. Am Morgen kam Vater. Da nahm er mich auf den Arm und küsste mich. Nun müssen wir zusammenhalten, sagte er. Du bist mir mehr wert als hundert Freunde. Und er küsste die Tote. – Es war wie ein Schwur. – -Ich weiß nicht, warum mir diese düstere Nacht heute einfällt . . .

In diesem Augenblick schlägt an den Fenstern das Feuer empor, es zuckt grüngolden auf. Der Himmel dahinter ist blutrot. Der Großvater – setzt sich in seinen Stuhl.

MÄDCHEN vom Fenster her: Das Feuer wächst. Es fasst den Turm dort drüben. Fast die ganze Stadt brennt schon. Die Stadtmauern ragen schwarz in den roten Himmel. Der Feind beginnt den Sturm. Ich sehe seine dunklen, blitzenden Kolonnen sich heranwälzen. O Gott! Sei gnädig unserer armen Stadt!

GROSSVATER Lass sie stürmen, die Feinde, Gott ist mit uns!

Das Donnern der Kanonen wird stärker. Am Fenster tanzen die Feuerfunken.

GROSSVATER Sei ruhig, mein Kind. Gott ist bei uns.

Die Glocken beginnen weit ausholend zu dröhnen.

GROSSVATER ekstatisch: Horch, Kind, die Glocken. Sturmglocken! Gott ist nahe! Das sind Gottes Stimmen! Sie rufen zum Kampf!

MÄDCHEN irr: Die Glocken . . . Gottesstimmen . . .

Schreiend: Herr Gott! Gottesstimmen!


Starr und stumm schreitet sie, am Großvater vorbei, hinaus. Der Großvater sieht ihr starr nach. – Das Donnern wird stärker und schwillt rollend auf. Ein betäubender Krach, ganz dicht am Haus. Rauch und Feuer schießen zum Fenster herein. Das Haus brennt. Dann wird plötzlich alles ganz still . . .

GROSSVATER laut und hallend: Herr, bleibe bei uns: Denn es will Abend werden und der Tag hat sich geneiget.

Der Vorhang rauscht über dem brennenden Gemach zusammen.

FINIS




Donnerstag, 7. Februar 2013

Mascha Kaleko - An meinen Schutzengel



An meinen Schutzengel
 

Den Namen weiß ich nicht. Doch bist du einer
Der Engel aus dem himmlischen Quartett,
Das einstmals, als ich kleiner war und reiner,
Allnächtlich Wache hielt an meinem Bett.

 
Wie du auch heißt - seit vielen Jahren schon  
Hältst du die Schwingen über mich gebreitet  
Und hast, der Toren guter Schutzpatron,  
Durch Wasser und durch Feuer mich geleitet.
 
Du halfst dem Taugenichts, als er zu spät  
Das Einmaleins der Lebensschule lernte.  
Und meine Saat, mit Bangen ausgesät,  
Ging auf und wurde unverhofft zur Ernte.
 
Seit langem bin ich tief in deiner Schuld. 
Verzeih mir noch die eine - letzte - Bitte:  
Erstrecke deine  himmlische Geduld   
Auch auf mein Kind und lenke seine Schritte.
 
Er ist mein Sohn. Das heißt: Er ist gefährdet.  
Sei  um ihn tags, behüte seinen Schlaf.  
Und füg es, dass mein liebes schwarzes Schaf  
Sich dann und wann ein wenig weiß gebärdet.
 
Gib du dem kleinen Träumer das Geleit.  
Hilf ihm vor Gott und vor der Welt bestehen.  
Und bleibt dir dann noch etwas freie Zeit,  
Magst du bei mir auch nach dem Rechten sehen.


Warwick Cemetery New York, Orange County - Grabsteine mit Engeln