Dienstag, 18. September 2012

Bullshit*


Nun bist du mit dem Kopf durch die Wand.
Und was wirst du nun 
in der Nachbarzelle tun?
 
Stanislaw Jerzy Lec
Polen 1906 - 1966 

* bullshit: eine kräftigere Form von Quatsch, Unsinn, Blödsinn. Es beinhaltet allerdings auch eine gewisse Bewunderung für die Erfindungskraft, die für das "bullshitting" aufgewendet wurde.

Sonntag, 16. September 2012

Newman & Redford - Der Inbegriff von COOL



Paul Newman und Robert Redford 

1969 in "Butch Cassidy and the Sundance Kid", in Deutschland auch unter dem idiotischen Titel "Zwei Banditen"  in die Kinos gekommen, und in "The Sting" bzw. "Der Clou" im Jahr 1974.

Zwei Filme, die ich in meinem Kopf habe, nahezu vollständig, obwohl ich sie seit 30 Jahren nicht wieder angesehen habe.

Bei beiden Filme führte George Roy Hill Regie, der auch "Garp und wie er die Welt sah" gedreht hat und "Slaughterhouse 5" aka "Schlachthof 5", nach dem Roman von Kurt Vonnegut.



BUTCH CASSIDY AND THE SUNDANCE KID
Der Western ---
mit der Musik von Burt Bacharach. Ich weiß noch wie Newman und Katherine Ross Fahrrad fahren, während B.J. Thomas "Raindrops keep falling on my head" sang. Immer durch die löchrigen Bretter einer Scheune oder eines Zaunes gedreht, Kitsch mit Gefühl für Distanz, und von hinreißender Unschuld. Wenn er ihr das Fahrrad vorstellt, sagt er: "Meet the future." Tausende Autoverfolgungsjagden später habe ich selten wieder das Gefühl von Lust an Geschwindigkeit so lustvoll erlebt, wie in dieser Fahrradfahrszene.

In Amerika nennt man das ein buddy movie, einen Kumpel Film, aber hier fühle ich mich als Frau nie ausgeschlossen, und war also bereit entspannt mitzufiebern.

Und dann am Ende, der Filmstopp - man weiß, die beiden sind eigentlich schon tot, auch wenn kurz vorher der Film angehalten wird. Das war für mich damals wirklich ungeheuerlich, Helden in Holywoodfilmen sterben nicht.
Hier tun sie es, mit unausweichlicher Grazie!

http://www.youtube.com/watch?v=P_5l6rIUu4A

THE STING
The caper Film, der "Gaunerfilm"---
spielt während der Großen Depression - was für ein psychologisch erstaunliches Wort für Rezession und Wirtschaftskrise - alles geht den Bach runter, oder härter formuliert, alles zerbirst, aber zwei Freunde tricksen sich 'trotz alledem' ins Glück.
Der nicht begangene Verrat, das eingehaltene Versprechen in einer Zeit der rücksichtslosesten Gier, macht mich, den Zuschauer, glücklich.
Unterlegt mit der Musik von Scott Joplin, erinnert ihr euch? "The Entertainer", ein unentrinnbarer Ohrwurm.


Ist es Nostalgie, wenn ich die hoffnugsvolle Anarchie dieser Art Film vermisse? Ganz nebenbei waren die beiden, Paul Newman und Robert Redford, auch noch sehr schön, so schön, dass sie schon wieder Spaß daran haben konnten.

Die peinliche Frage: Lieber postdramatischer fatalistischer Zynismus, oder Leck mich am Arsch anarchischer Hoffnungstraum? "Leck mich am Arsch" könnte man offizieller mit salopp umschreiben.

Sie gewinnen rein gar nichts, wenn sie antworten.

http://www.youtube.com/watch?v=xK5LepMOSiI

http://www.youtube.com/watch?v=osd89NHfdL4

COOL
Wiki sagt: Der Begriff wird einerseits zur saloppen Bezeichnung einer besonders gelassenenen oder lässigen, nonchalanten, kühlen, souveränen, kontrollierten und nicht nervösen Geisteshaltung oder Stimmung genutzt (vergleiche: Kühl bleiben, kühler Kopf im Sinne von „ruhig bleiben“). Andererseits ist cool als jugendsprachliches Wort zur Kennzeichnung von als besonders positiv empfundenen, den Idealvorstellungen entsprechenden Sachverhalten (ähnlich wie " geil“) gebräuchlich, im Sinne von „schön“, „gut“, „angenehm“ oder „erfreulich“.


Samstag, 15. September 2012

Theater - zum Spaß


Lange Jahre war das Theater verraten
an Kastraten und Literaten.
Wann bringt die Zeit wieder Spiele hervor,
die Bühnenfüllenden, die Lebendigen,
oder wann raffen empor sich die Toten
und heften die Warnung ans Bühnentor:
Den hier Unzuständigen
ist der Eintritt verboten!

Karl Kraus

Okcar Kokoschka 1925 Karl Kraus

K.K. Gedichte 1922 - 1930




Donnerstag, 13. September 2012

Edward Steichen - Malographer


Alle photographieren alles. Jeder Computer, jedes Telephon, wahrscheinlich jeder Fön kann photographieren, und auf Wunsch sogar "auf alt" mit Instagram. Neben den tausenden Bildern und Videos meiner Nichte, scheint meine kleine Kinderphotosammlung wie der erbärmliche Ostgemüseladen im Vergleich zur Obst- und Gemüseabteilung des KDW. Wenn Photos Abrieb bewirkten, gäbe es meine Nichte allerdings schon lange nicht mehr. 
Selbst das Klick, gibts nicht mehr und keine Wartezeit voller unruhiger Sorge, ob die "entwickelten" Bilder scharf sind, die Pupillen nicht rot, der Bildausschnitt richtig. 
1, 2, 3! Selbst das nicht mehr. 1! und schon fertig ansehbar, mit einem Knopfdruck löschbar, mit Photoshop verschönbar.
Nur was auf den Bildern zu sehen ist, ist meist noch genauso uninteressant wie eh und je.

Wer sich diese Milliarden Photos wohl anschaut? Ein bemitleidenswerter Archäologe des 23. Jahrhunderts wird vielleicht Jahre seines Lebens damit verbringen, aus digitalem Photomaterial, eine gründliche Darstellung des deutschen Touristen des frühen 20. Jahrhunderts zu erstellen.
Ja, und dann gibt es auch noch solche Photographien. Sie Photos zu nennen, grenzte an Schönheitslästerung.

EDWARD STEICHEN 1879 - 1973

Experiment in Drei-Farben-Photographie 1906

Das Teich im Mondlicht, Mamaroneck, New York 1904
Das Flatiron Gebäude, New York 1905
"Jeder andere Künstler beginnt mit einer leeren Leinwand, einem Blatt Papier, der Photograph beginnt mit dem fertigen Ergebnis."

"Every other artist begins with a blank canvas, a piece of paper, the photographer begins with the finished product." E.S.

Nieselregen auf der 40. Strasse, New York 1925

Alle Photgraphien © estate of Edward Steichen

Dienstag, 11. September 2012

Rainer Maria Rilke - Lied - Egon Schiele



Die Finger, die Finger! Das Ohr. Und eine Augenbraue!
Die trennt die gefaltete Stirn vom Jünglingsgesicht.
Was wird hier gedacht?

LIED

Du, der ichs nicht sage, dass ich bei Nacht
weinend liege,
deren Wesen mich müde macht
wie eine Wiege.
Du, die mir nicht sagt, wenn sie wacht
meinetwillen:
wie, wenn wir diese Pracht
ohne zu stillen
in uns ertrügen?
- - - - -
Sieh dir die Liebenden an,
wenn erst das Bekennen begann,
wie bald sie lügen.
- - - - -
Du machst mich allein. Dich einzig kann ich vertauschen.
Eine Weile bist dus, dann wieder ist es das Rauschen,
oder es ist ein Duft ohne Rest.
Ach, in den Armen hab ich sie alle verloren,
du nur, du wirst immer wieder geboren:
weil ich niemals dich anhielt, halt ich dich fest.

Rainer Maria Rilke

Egon Schiele, Selbstbildnis in oranger Jacke, 1913
Bleistift, Aquarell, Deckfarben, auf Japanpapier
Albertina, Wien

Montag, 10. September 2012

1958 - Ost-Berlin - DDR - Ich werde geboren


1958 ?

Jahrgang 1958, das bin ich. Aber dieses Jahr sagt mir nahezu nichts.

 Bis zum September war ich damit beschäftigt, die Stadien von Eizelle plus Spermie, über Lurch und Kriechtier in Richtung Embryo zu durchwandern, und den Rest des Jahres habe ich geschlafen, getrunken und wahrscheinlich geschissen und geschrien. 
Meine Mutter erzählt, dass sie, da sie, um eine Fehlgeburt zu vermeiden, sechs Monate Bettruhe üben musste, und deshalb von ihrer Mutter einen Fernseher geschenkt bekam, und die Ärzte ihr daraufhin, zum Schutz vor der Fernsehstrahlung, eine Asbest-Schürze umhängten. In ihrem Nachtschrank lag Thalidomid, besser bekannt als Contergan, für den Fall, dass sie Kopfschmerzen bekäme. Glücklicherweise bekam sie keine.
 
1958
 
Die Mauer war noch nicht gebaut, die Weltwirtschaft erlebt die erste Rezession der Nachkriegszeit, die Friedensbewegung, als Reaktion auf die atomare Aufrüstung entsteht, in Kuba wird Batista gestürzt.

1958 und die Welt
2. Januar 1958, das Ministerium für Kultur befiehlt den Kampf gegen "westliche Dekadenz" in der Tanz- und Unterhaltungsmusik der DDR. 60 Prozent aller öffentlich gespielten Musik muss aus sozialistischen Ländern kommen 

2. Januar, in Flensburg wird die deutsche Verkehrssünderkartei eingerichtet

4. Januar, 92 Tage nach seinem Start verglüht der sowjetische Satellit Sputnik 1 beim Wiedereintritt in die Erdatmosphäre.

3.-6. Februar, auf der 35. Tagung des Zentralkomitees der SED werden die Funktionäre Karl Schirdewan, Ernst Wollweber und Fred Oelßner ihrer Ämter enthoben. Erich Honecker wird Mitglied des Sekretariats des Zentralkomitees und des Politbüros der SED. 

17. Februar, Papst Pius XII. erklärt die heilige Klara von Assisi zur Schutzpatronin des Fernsehens.

25. April, Abschluss des ersten deutsch-sowjetischen Handelsabkommens. Es sieht einen auf drei Jahre befristeten Warenaustausch im Wert von 3,15 Milliarden D-Mark vor.

10.-16. Juli auf dem V. Parteitag der SED wird der "Sieg der sozialistischen Produktionsverhältnisse" als Hauptaufgabe aller Parteien und Massenorganisationen der DDR festgelegt. Außerdem wird der Beschluss gefasst, den Lebensstandard der Bundesrepublik bis 1961 zu überflügeln. 

8. Oktober, in Stockholm wird einem Menschen der erste Herzschrittmacher eingepflanzt.

Kinder im Betriebsferienlager in kleinen Rennautos, 1958
© www.ddr-fotos.de / Marco Bertram

Junge Pioniere mit Trompete und Trommel, 1958
© www.ddr-fotos.de / Marco Bertram

 Plakat für den 5. Parteitag der SED in Ostberlin 1958
© www.ddr-fotos.de / Marco Bertram

 Nikita Chruschtschow bei seinem Besuch 1958 in Ostberlin mit Walter Ulbricht © ullstein bild


Versandhaus Leipzig Frühjahr - Sommer 1958


Werbefoto für Glaswollfasern, DDR 1958 Als Mineralwolle werden Dämmstoffe aus Glaswolle und Steinwolle bezeichnet, umgangssprachlich auch Kamelit- oder Kamilitwolle genannt.

Fernsehgerät: "Alex". Hersteller: VEB Stern-Radio Berlin, 1958. Design: Horst Giese, Jürgen Peters, Studienarbeit an der Hochschule für bildende und angewandte Kunst Berlin, 1957 Foto: Günter Höhne  

FSO Strümpfe, VEB Feinstrumpfwerke Oberlungwitz
 

Sonntag, 9. September 2012

Grün - Böse Farbe, Gute Farbe



Die böse Farbe


Ich möchte ziehn in die Welt hinaus,


Hinaus in die weite Welt,


Wenn's nur so grün, so grün nicht wär


Da draußen in Wald und Feld!





Ich möchte die grünen Blätter all


Pflücken von jedem Zweig,


Ich möchte die grünen Gräser all


Weinen ganz totenbleich.





Ach Grün, du böse Farbe du,


Was siehst mich immer an,


So stolz, so keck, so schadenfroh,


Mich armen weißen Mann?





Ich möchte liegen vor ihrer Tür,


In Sturm und Regen und Schnee,


Und singen ganz leise bei Tag und Nacht


Das eine Wörtchen: Ade!





Horch, wenn im Wald ein Jagdhorn ruft,


Da klingt ihr Fensterlein,


Und schaut sie auch nach mir nicht aus,


Darf ich doch schauen hinein.





O binde von der Stirn dir ab


Das grüne, grüne Band,


Ade, Ade! und reiche mir


Zum Abschied deine Hand!






Die liebe Farbe


In Grün will ich mich kleiden,


In grüne Tränenweiden,


Mein Schatz hat 's Grün so gern.


Will suchen einen Zypressenhain,


Eine Heide voll grünem Rosmarein,


Mein Schatz hat 's Grün so gern.





Wohlauf zum fröhlichen Jagen!


Wohlauf durch Heid' und Hagen!


Mein Schatz hat 's Jagen so gern.


Das Wild, das ich jage, das ist der Tod,


Die Heide, die heiß ich die Liebesnot,


Mein Schatz hat 's Jagen so gern.





Grabt mir ein Grab im Wasen,


Deckt mich mit grünem Rasen,


Mein Schatz hat 's Grün so gern.


Kein Kreuzlein schwarz, kein Blümlein bunt,


Grün, alles grün so rings und rund!

Mein Schatz hat 's Grün so gern.

Wilhelm Müller


Aus der Sammlung Die schöne Müllerin

Samstag, 8. September 2012

Sich lustig machen - Der Mensch macht, Gott lacht


Ein jegliches hat seine Zeit, und alles Vornehmen unter dem Himmel hat seine Stunde. Geboren werden und sterben, pflanzen und ausrotten, was gepflanzt ist, würgen und heilen, brechen und bauen, weinen und lachen, klagen und tanzen... Prediger Kapitel 3

Lust ist eine intensiv angenehme Weise des Erlebens, schreibt Wiki.
Lustig, nicht lüstern, nicht lustvoll.
Sich über jemanden lustig zu machen, macht manchmal Lust. 
Ich mache mich lustig. Ich habe Lust, mich lustig zu machen.
Ich mache mich (selbst) lustig.
Auf Kosten eines anderen. Über einen anderen drüber.
Von der Schippe, auf die ich den anderen nehme, springe ich selbst herunter. So wie man dem Tod von derselben springt. 
Nicht ich bin gestolpert, nicht ich habe mich lächerlich gemacht, die Bananenschale hat nicht mich erwischt.
Ich bin entwischt, an mir ist der Becher vorbei gegangen, Gott sei Dank, meine Anspannung entspannt sich. Schadenfreude.  
Das ist ja lachhaft. Ich bin lustig. 
Ich lache, aus vollem Halse, bis zum Lachkrampf, lache mich hoffentlich nicht tot.

Ich schlage dich, bis ich lache.


Diego Velazques um 1630 Der Kopf eines lachenden Jungen

Auch beim Lachen kann das Herz trauern, und nach der Freude kommt Leid.
Sprüche Salomos 14.13

Wenn du mich lustig machst
dann denk ich manchmal:
Jetzt könnt ich sterben
dann blieb ich glücklich
bis an mein End.
Wenn du dann alt bist
und du an mich denkst
seh ich wie heut aus
und hast ein Liebchen
das ist noch jung 

b.b.


Der Lachende Buddha von Lingyin in China

lustig, lüstig, adj. u. adv., Lust habend; nach den verschiedenen Bedeutungen des Substantives in mehrfachem Sinne.
Verlangen habend, etwas begehrend; von Personen
auch in die Bedeutung begehrlich, anspruchsvoll übergreifend
auch rührig, munter
auch Lust, Vergnügen in sich schlieszend, anmuthend, anmuthig; in der ältern Sprache zumal in Verbindung mit dem Gesichtssinne gebracht: lustig, lieblich, der Gesicht angenäm und ergetzlich
auch anmutend, angenehm, von Dingen des Geschmackes
lustig, Lust empfindend und sie äuszernd, von Personen; erst in den letzten Jahrhunderten recht aufgekommen und nebst den daraus folgenden Bedeutungen ausgebildet, wodurch die vorstehend aufgeführten zurückgiengen.   
dieses lustig überträgt sich auf die Thaten, Zustände und Zeiten, in denen solche Stimmung waltet  
lustig endlich die Lust anderer erweckend, ergötzlich, spaszhaft. 
Deutsches Wörterbuch von Jacob Grimm und Wilhelm Grimm (Auszüge)


Lustig ist das Zigeunerleben 

Lustig ist das Zigeunerleben,
Faria, faria, fum.
Brauchen dem Kaiser kein Zins zu geben,
Faria, faria, fum.
Lustig ist´s im grünen Wald
wo des Zigeuners Aufenthalt
Faria, faria, faria, faria
Faria, faria, fum.


Auf dem Stroh und auf dem Heu
da machen wir uns ein großes Feu´r
blinzt uns nit als wie die Sonn´
so leben wir in Freud´und Wonn´ 


Sollt uns einmal der Hunger plagen,
Tun wir uns ein Hirschlein jagen:
Hirschlein nimm dich wohl in Acht,
Wenn des Zigeuners Büchse kracht.


Sollt uns einmal der Durst sehr quälen,
Gehn wir hin zu Wasserquellen,
Trinken das Wasser wie Moselwein,
Meinen, es müßte Champagner sein.


Mädchen, willst du Tabak rauchen
brauchst dir keine Pfeif zu kaufen
dort in meinem Mantelsack
steckt eine Pfeif´und Rauchtabak


(auch: Greif nur in die Tasch hinein
da wird Pfeif und Tabak sein)

Wenn uns tut der Beutel hexen,
lassen wir unsre Taler wechseln,


Wir treiben die Zigeunerkunst,
Da kommen die Taler wieder all zu uns.

Und wie ist´s gegangen und wie ist`s gewesen
lassen wir uns die Planeten lesen


Schaun uns  die Weiber wohl in die Hand
wird der Planet schon werden erkannt

Wenn wir auch kein Federbett haben,
Tun wir uns ein Loch ausgraben,
Legen Moos und Reisig 'nein,
Das soll uns ein Federbett sein.


Manche haben blaue Augen
müssen eine Brille brauchen
wir mit unserm schwarzbraunen Gesicht
brauchen keine Brille nicht

  

Donnerstag, 6. September 2012

Colum McCann - Die große Welt - Let the Great World Spin


"Let the great world spin for ever down the ringing grooves of change."

Laß die große Welt sich drehen auf immer, entlang den kreisrunden Furchen der Veränderung."

Alfred, Lord Tennyson Locksley Hall

Colum McCann © Seamus Kearney

Colum McCann ist ein Schreiber. Ich glaube, er muß schreiben. Er schreibt Romane, altmodische Romane, voll von fetten, beschreibenden Sätzen, von merkwürdigen und doch durchaus wiedererkennbaren Figuren, voll von Irritationen und Emotionalität. 

Er schreibt Romane über Tänzer, die ihre bitterarme tatarisch-sowjetische Kindheit auf allen Bühnen Westeuropas ausschwitzen und damit die Welt verzaubern und doch dem tiefen Heimweh und der Fremdheit nicht entkommen. Romane über Roma-Poetinnen, die vom eigenen Volk verstossen und in der Welt der Seßhaften nie heimisch werdend, doch nicht aufhören können, zu dichten.

Und dann diesen scheinbar zerfetzten Roman, bei dem man erst langsam gewahr wird, dass die Flicken, Teil eines großen erstaunlichen Gewebes sind.

1974, der Vietnamkrieg ist noch nicht beendet, Nixon stürzt über Watergate, ein Seiltänzer * zwischen den beiden, inzwischen zur politischen Historie geronnenen, nicht mehr existenten Türmen, Frauen und Männer, die durch unterschiedlichste Verwicklungen Augenzeugen dieses Drahtseilaktes werden, andere, die mit diesen Menschen wiederum durch fast unsichtbare Drähte verbunden sind, häßlich formuliert: ein Panorama zum 11. September, genau besehen: Welt.


© ???

* Philippe Petit balancierte am 7. August 1974 insgesamt acht Mal in einer Höhe von 417 Metern über dem Boden auf einem 1 Zoll starken Drahtseil von einem Dach des World Trade Centers zum anderen. Er tat dies ohne Genehmigung, unter höchst heimlicher Vorbereitung. Anschließend wurde er sofort verhaftet, aber alle Anklagepunkte wurden in der Verhandlung fallengelassen und er bekam eine Dauereintrittskarte für den Besuch der Aussichtsplattformen der Twin-Towers geschenkt.

Mittwoch, 5. September 2012

Toronto hat im Sommer etwas Theater


Letzte Woche, dreimal im Theater, nicht einmal beglückt.

Ach, wie verflixt und schlecht vernäht das ist mit dem Theater, wenn es tut, als gäbe es keine Welt.

Vom Freilicht-Sommernachtstraum mag ich fast gar nicht reden, der war so lustik und so ohnemagieohnezornohnesex, dass ich hätte weinen können. Aber alle anderen haben gelacht, da bin ich weggegangen, um nicht zu stören.

Beim Aschkenasi Festival dann eine Tanzversion einer alten russischen Geschichte. Ein junger Mann, steckt, im Trunke oder aus Übermut, einem Stöckchen, das im Wald aus der Erde ragt, den Ehering seiner zukünftigen Braut auf, spricht den Eheschwur und tanzt dreimal um es herum, als sich das Stöckchen als der Knochrn-Finger einer toten Frau herausstellt, die vor ihrer eigenen Hochzeit ermordet wurde, flieht er in panischer Angst, sie verfolgt ihn und schlußendlich muß ein Rabbi entscheiden, ob die Tote und der Lebende nun verheiratet sind oder nicht.
Sein Spruch: Auch wenn er Mitgefühl für die tote Braut empfindet, haben die Toten doch keinen Anspruch auf die Lebendigen. 
Der junge Mann darf eine Lebende heiraten.
Das Programmheft erwähnt, dass antisemitische Mitbürger sich ein Vergnügen daraus gemacht hätten, junge jüdische Bräute zu töten, um der Geschichte ein wenig mehr Realität zu verschaffen. Der Theaterabend bleibt im Hübschen stecken, gleichmäßiges gediegenes Tempo, Späßchen und sehr viele Schlüsse.

Dann, einer meiner Lieblinge, Bulgakovs "Die Kabale der Scheinheiligen oder Das Leben des Herrn Moliere", hier heißt es "Königliche Komödianten" und schon der Text im Programmheft stellt klar, dass man in Kanada in völliger Freiheit lebt und sich die grässliche Unterdrückung bei Louis XIV. und die noch viel schlimmere bei Stalin nur entspannt und historisch entfernt anschauen möge. Warum ein Stück machen, dass nichts mit einem selber und dem Ort an dem man lebt zu tun hat? 
Immerhin hängt das Foyer voll von Videomonitoren mit den Namen der gnädig gesonnenen Sponsoren, da es fast keine staatliche Kulturförderung gibt, das wäre doch ein überlegenswertes Detail, oder nicht?
Aber immerhin spielt ein ganz wunderbrer Spieler den Moliere: Diego Matamaros!

William Webster und Diego Matamaros © Cylla von Tiedemann

"Alles, was auf der Bühne geschieht, muss zu irgend etwas gut sein."
Anton Tschechow