Montag, 9. Juli 2012

Ein erster Urlaubstag


Wie beschreibt man seliges Entschleunigen?
Wiki sagt:
Müßiggang ist das Aufsuchen der Muße, das entspannte und von Pflichten freie Ausleben, nicht die Erholung von besonderen Stresssituationen oder körperlichen Belastungen. Er geht z. B. mit geistigen Genüssen oder leichten vergnüglichen Tätigkeiten einher, kann jedoch auch das reine Nichtstun bedeuten.
Hmmm, suchen ist mir schon zu aktiv und leider wird das Wort meist negativ bestzt, wie in M. ist aller Laster Anfang.
Wie wäre es mit reiner Muße?
Mit Muße bezeichnet man die Zeit, welche eine Person nach eigenem Wunsch nutzen kann, um sich zu erquicken und zu erbauen.
Besser, aber das Verb "nutzen" im Zusammenhang mit meinem heutigen Ablassen von allem absichtsvollen Tun, will mir nicht recht schmecken. Nichtnutzen, nichtsnutzig sein, ist nicht unnütz.

Meine Fußnägel wurden grün lackiert, ich habe ein halbes Buch gelesen, geschlummert, geschwommen, Haare gewaschen, geschlummert, geschlemmt, in den Himmel gestarrt, Bougainvilleas betrachtet, Kaffee getrunken, geschlummert. Ich habe eigentlich sehr viel getan, indem ich nichts getan habe.


Samstag, 7. Juli 2012

Theater macht auch mal Urlaub


URLAUB

Ich verreise so gerne. Flugangst hin oder her, woandershin ist fast immer schön. Und wenn nicht, dann weiß man es immerhin hinterher.
Vermutlich müßte ich, um all die Orte zu besuchen, die ich noch kennenlernen möchte, ungefähr 175 Jahre alt werden, natürlich bei voller Gesundheit und reisefähig. Ob das klappt? (Zündet sich eine weitere Zigarette an.) 

Und nahezu überall wo ich war, gab es Theater, sizilianisches Marionettenspiel direkt aus dem 17. Jahrhundert, mit Rittern, die während Schwertkämpfen in mehrere Teile zerfallen konnten, moderne griechische Inszenierungen im antiken Amphitheater von Ephesus, wo die Akustik so perfekt war, dass man sogar das zarte Rascheln der Kostümstoffe hören konnte, ein sowjetischer avantgardistischer Hamlet auf konzeptioneller Schachbrettbühne oder Jude Law als Hamlet, der überraschenderweise ganz großartig war. Theater in einem Klosterhof in Madrid und in einer Kirche in Toronto, im Staatstheater von Belgrad, in einem feuchten Keller in New York und an der verregneten Steilküste auf Rügen. Mal gräßlich, mal atemberaubend, dilettantisch-rührend oder kalt und perfekt.  Aber immer Theater.
Mal schauen, was Mallorca zu bieten hat. Aber wenn's kein Theater gibt, ist auch nicht schlimm, dann gucke ich einfach in den Sonnenuntergang.
Der Flughafen Tegel von oben, ist er nicht hübsch? Und wenn der andere Flughafen nie fertig wird, können wir weiter bequem von hier aus in die Welt fliegen.



Viel zu spät begreifen viele
Die versäumten Lebensziele,
Freunde, Schönheit der Natur,
Gesundheit, Reisen und Kultur.
Darum, Mensch, sei zeitig weise!
Höchste Zeit ist´s! Reise, reise!

Wilhelm Busch 

Reisen

Meinen Sie Zürich zum Beispiel
sei eine tiefere Stadt,
wo man Wunder und Weihen
immer als Inhalt hat?

Meinen Sie, aus Habana,
weiß und hibiskusrot,
bräche ein ewiges Manna
für Ihre Wüstennot?

Bahnhofstraßen und Rueen,
Boulevards, Lidos, Laan-
selbst auf den Fifth Avenueen
fällt Sie die Leere an.

Ach, vergeblich ist das Fahren.
Spät erfahren Sie sich:
bleiben und Stille bewahren
das sich umgrenzende Ich.

Gottfried Benn 1950

Donnerstag, 5. Juli 2012

Otto Dix - Selbstportrait mit Staffelei und mit Muse


"Ich werde mich an den Sünden und Tugenden meiner Vorfahren rächen." O.D.

Otto Dix Selbstportrait mit Staffelei 1926

"Entweder ich werde berüchtigt – oder berühmt." O.D.

Otto Dix Selbstportrait mit Muse 1924


Mittwoch, 4. Juli 2012

Diane Arbus zum...Mal! - Ausstellung im Gropiusbau


Ich glaube wirklich, dass da Dinge gibt, die niemand sehen würde, wenn ich sie nicht photographieren würde.
I really believe there are things nobody would see if I didn't photograph them. D. A.

DIANE ARBUS
Eine Retrospektive im Martin-Gropius-Bau
by Jeu de Paume, Paris. In association with The Estate of Diane Arbus LLC, New York and with the participation of Martin-Gropius-Bau Berlin, Fotomuseum Winterthur and Foam Photography Museum, Amsterdam.


Helene Weigel 1971 © Estate of Diane Arbus

Helene Weigel von Diane Arbus 1971 photographiert, photographiert von mir im Gropiusbau 2012. Die Weigel starb am 1. Mai 1971.


Die Sache die wichtig zu wissen ist, dass du niemals weisst. Du fühlst immer irgendwie deinen Weg.
The thing that's important to know is that you never know. You're always sort of feeling your way.  
D.A.

Der argentinische Dichter Jorge Luis Borges in New Yorks Central Park, Harper’s Bazaar, March 1969 © Estate of Diane Arbus

James Brown 1966 © Estate of Diane Arbus

Ich arbeite aus der Ungeschicklichkeit heraus. Damit meine ich, ich mag es nicht Dinge zu arrangieren. Wenn ich vor etwas stehe, anstatt es zu arrangieren, arrangieren ich mich selbst.
I work from awkwardness. By that I mean I don't like to arrange things. If I stand in front of something, instead of arranging it, I arrange myself. 
D.A.

Theater hat auch Ferien - privat


Ich habe Ferien.

Seit Oktober durchtheatert und nun, plötzlich, Stopp, ausatmen und erholen.
Wie geht das? Rennen, rennen und Halt? Ja, so geht das.
Bücher lesen, mit Mitmenschen über etwas anderes als den Knackpunkt einer Szene reden, ungehörte Musik anhören, kein Theater von Innen sehen, den eigenen Kleiderschrank anstatt der dürftigen Angebote eines Koffers zur Auswahl haben, Nichts, rein gar nichts tun, verblöden.
Wenn wahr wird, was Kulturstaatssekretär Naumann verkündet, muß ich als freischaffender Theater-Regisseur ab dem 1.1.2013 keine Umsatzsteuer mehr bezahlen! Jetzt kriegen sie (der Staat) noch 19% - Urlaubsstimmung steigt.
In Berlin ist es drückend warm, abendlich unterkühlt und feucht, aber in nur vier Tagen liege ich im nicht-deutsch-eroberten Teil von Mallorca und bräune meine theaterverblasste Haut - Stimmung hebt sich gen Himmel.
Gestern hat sich ein Kollege für eine vor zwanzig Jahren zugefügte, fast vergessene, Kränkung unerwartet und glaubwürdig entschuldigt - Unterkiefer ist  auf's Dekolleté gefallen - und Stimmung entsprechend nach oben verrutscht.
Alten, uralten, fast verloren geglaubten Freund wiedergetroffen und immer noch liebgehabt. Stimmung schwankt.
Beste Freundin lebt, seit vorgestern, zum ersten Mal seit 33 Jahren wieder in derselben Stadt und schneit, unangemeldet, zum Kaffee ins Haus - Stimmung erreicht orgiastische Höhen.
Berlin wird entspannt wiederentdeckt und ist genauso schön, dreckig, laut, aufregend wie in meiner Erinnerung.  Stimmung hat genau dies erwartet.
Eine Freundin hat ihr erstes, allererstes Buch geschrieben und wagt sich damit in die Welt - Bravo! Hut ab! Chapeau! Stimmung verbeugt sich tief!
Hoffnung, sprich Mitmensch, erweist sich als halbgarer Feigling, Stimmung erlebt Untiefen.
Gestern "Die Sieben Todsünden" in der Komischen Oper gesehen, ja, ich gestehe, ich war im Theater, bin also schwach geworden, und bin froh, ob meiner Schwäche, denn was Dagmar Manzel dort darbietet, ist jeder Schwäche wert. So wagemutig, so zerbrechlich, so kraftvoll, so schutzlos.
Meine gesamte Familie, mit der ich in die Ferien fahren werde, kränkelt, wird aber, ja, wird aber, zum Urlaubsabflugstag wunderbarerweise fit und fröhlich und munter sein. Stimmung erlaubt sich hellseherische Visionen.

Luftsprung

Ich habe Ferien!


Dienstag, 3. Juli 2012

Goya - Selbstportrait mit Staffelei



Goya, Selbstportrait mit Staffelei 1790-95, Real Academia de Bellas Artes de San Fernando, Madrid, Spanien

 Zauberhaft. Er malt sich selbst beim Malen, als wäre es das Studio-Portrait eines  Kleinstadt-Photographen, extra-hübsch angezogen, der Blick einladend verführerisch, "seht, so sehe ich aus, wenn die Muse mich besucht". Selbst die Beinstellung ist nahezu neckisch. Harmlos.
Derselbe Mann wird, nur wenig später, falls die Datierung stimmt, die Capriccios ersinnen.
Der Mensch ist ein Geheimnis, jeder Mensch.


Montag, 2. Juli 2012

Johannes Vermeer - De Schilderkonst



Johannes Vermeer
1666 - Die Malkunst

Vermeer vor einer Staffelei sitzend, von hinten zu sehen, die Hand mit dem Pinsel gestützt auf seinen Malstock, schaut auf eine junge Frau mit niedergeschlagenen Augen, im Kostüm der Muse der Geschichte Clio, erkennbar an Lorbeerkranz, der Trompete als Zeichen des Ruhmes und dem Buch in ihrem linken Arm. Er ist wohlhabend gekleidet, nur die Strümpfe sind verrutscht. Eine Karte der Niederlande mittig an der Wand, davor ein prächtiger Leuchter, links hängt ein Teil eines schweren Vorhanges theatralisch ins Bild und der Fußboden ist aus Marmorkacheln. Im Gemälde ist ein kleines Loch, darin hat Vermeer eine Nadel gesteckt und Fäden daran befestigt, um die Musterung des Bodens perspektivisch genau hinzukriegen. Dann ist da noch ein leerer Sessel für einen möglichen Betrachter und weiter hinten ein Tischchen bedeckt mit Papieren und einer großen Gipsmaske.
Auf dem Bild im Bild ist vorerst nur der Lorbeerkranz zu sehen.

Es soll Vermeers Lieblingsbild gewesen sein und seine Frau soll es nach seinem Tod an ihre Mutter "verliehen" haben, damit es nicht auch zur Schuldentilgung unter den Hammer geriete. Hat nicht geklappt und das Bild ging an einen holländischen Kunsthändler. Als der nun wieder starb, wurde es unter dem Titel: „Bildnis des Vermeer in einem Raum mit viel Beiwerk, von einer seltenen Schönheit, von ihm selbst gemalt“ weiterverkauft und so weiter, bis es im 18. Jahrhundert im Besitz eines niederländischen Diplomaten namens Baron van Swieten auftaucht, dann besaß es ein Sattler und der verkaufte es an einen Grafen Czernin, nunmehr aber als Gemälde von van Hoogh? In dieser Familie blieb es und wurde dann auch wieder als Vermeer erkannt, bis Adolf sein gieriges Auge darauf warf und er es kaufen ließ, heute gehört es Österreich, dem Land.


Artemisia Gentileschi - La pittura



Artemisia Gentileschi 
Selbstportrait als Allegorie des Malens - La pittura - 1638-39


Sonntag, 1. Juli 2012

Die Nachtigall - Theodor Storm



DIE NACHTIGALL

Das macht, es hat die Nachtigall
Die ganze Nacht gesungen;
Da sind von ihrem süßen Schall,
Da sind in Hall und Widerhall
Die Rosen aufgesprungen.
Sie war doch sonst ein wildes Blut
Nun geht sie tief in Sinnen,
Trägt in der Hand den Sommerhut
Und duldet still der Sonne Glut
Und weiß nicht, was beginnen.
Das macht, es hat die Nachtigall
Die ganze Nacht gesungen;
Da sind von ihrem süßen Schall,
Da sind in Hall und Widerhall
Die Rosen aufgesprungen. 

Theodor Storm



Evelyn Künneke "Sing Nachtgall, Sing!"

Samstag, 30. Juni 2012

Pergamon


„… Es existiert vom Schwert nur noch der Stoß der Rest ist Lücke, Zwischenraum, Fragment …“
Gerhard Falkner Pergamon Gedichte

129 v.Chr., 4 Jahre nach dem Tod Attalos III. von Pergamon und nach der Niederschlagung des Aufstandes seines unehelichen Sohnes, fiel Pergamon 129 v. Chr. endgültig an Rom, dessen Verbündeter es bisher gewesen war. Die Stadt wurde zur freien Stadt erklärt und ihr ehemaliges Herrschaftsgebiet zur römischen Provinz Asia.
Yadegar Asisi, deutsch-persischer Maler und Architekt ist Panoramen-Maler oder, wie er es nennt Erschaffer von Panometern, das heißt er baut gasometerähnliche Gebäude und füllt sie mt Panoramen. In Dresden sieht das eher klassizistisch aus, hier in Berlin wie ein Emaille-Kochtopf. 
Und dann bezahlt man 13 Euro und steigt drei Treppen hoch und blickt auf, ja auf was? Ein 360°- Panorama der Stadt Pergamon kurz vor dem Beginn einer Theatervorstellung, denn man sieht Unmassen von Pergamonesen Richtung Amphitheater strömen. Das ist sicher gut gemalt, aber die Menschen! Photos von Statisten in farbenfrohen Togen bei alltäglichen Verrichtungen vernichten jeden möglichen Eindruck von Realität. Erstens sehen sie alle aus, als kämen sie aus Sachsen Anhalt und zweitens müssen die Kostüme wohl aus einem Holywood-Fundus stammen, der als Endlager zweitklassiger Schwert- und Sandalenfilme der sechziger Jahre dient. Man ist das häßlich! Und dazu Wabermusik von Eric Babak aufgefüllt mit Hundegebell, Zikadengesang und Murmeln.
Manchmal wirds dunkel, dann ist Nacht in Pergamon und die Bewohner stehen im Dunkeln auf Plätzen vor Tempeln mit buntbemalten Reliefs (Pergamonaltar!). Und dann wird es wieder hell.
Kitsch und Klitterung von Historie. Lustig ist das Leben in der Antike!!!


Artemis 
Nie wieder ist ein Körper so ans Licht getreten wie der,
den Artemis, von rechts ins Kampfgetümmel steigend aus sich herausholt.
Er entspringt, er bejubelt sich und seinen Schwung.
Das Kleid ist außer sich vor Falten.
Der Wulst, mit dem es unter ihrer Brust gehalten,
macht den Marmor weich und lässt ihn fließen,
kein Blutvergießen, nur der Sieg,
es geht um alles.
Ihr Knie berührt den Hund, der um sie kämpft, in delikater Weise.
Ein Knie, das jedes Knie der Welt in den Schatten stellt.
Ein Knie das sich vollendet fortsetzt, in der Wade.
Alles wie gemeißelt.
Die Sandale, mit der sie ihren Fuß
auf einen überwundenen Gegner setzt,
ihn niedertritt,
Kill Bill, gespielt von Himmlischen,
Götterkino.
Die Torsi torkeln vor der Wucht des Schönen
und jeder Lücke stockt der Atmen.
Wie Schönheit so und Schock sich hier versöhnen!

Gerhard Falkner Pergamon Gedichte