Mittwoch, 4. Juli 2012

Theater hat auch Ferien - privat


Ich habe Ferien.

Seit Oktober durchtheatert und nun, plötzlich, Stopp, ausatmen und erholen.
Wie geht das? Rennen, rennen und Halt? Ja, so geht das.
Bücher lesen, mit Mitmenschen über etwas anderes als den Knackpunkt einer Szene reden, ungehörte Musik anhören, kein Theater von Innen sehen, den eigenen Kleiderschrank anstatt der dürftigen Angebote eines Koffers zur Auswahl haben, Nichts, rein gar nichts tun, verblöden.
Wenn wahr wird, was Kulturstaatssekretär Naumann verkündet, muß ich als freischaffender Theater-Regisseur ab dem 1.1.2013 keine Umsatzsteuer mehr bezahlen! Jetzt kriegen sie (der Staat) noch 19% - Urlaubsstimmung steigt.
In Berlin ist es drückend warm, abendlich unterkühlt und feucht, aber in nur vier Tagen liege ich im nicht-deutsch-eroberten Teil von Mallorca und bräune meine theaterverblasste Haut - Stimmung hebt sich gen Himmel.
Gestern hat sich ein Kollege für eine vor zwanzig Jahren zugefügte, fast vergessene, Kränkung unerwartet und glaubwürdig entschuldigt - Unterkiefer ist  auf's Dekolleté gefallen - und Stimmung entsprechend nach oben verrutscht.
Alten, uralten, fast verloren geglaubten Freund wiedergetroffen und immer noch liebgehabt. Stimmung schwankt.
Beste Freundin lebt, seit vorgestern, zum ersten Mal seit 33 Jahren wieder in derselben Stadt und schneit, unangemeldet, zum Kaffee ins Haus - Stimmung erreicht orgiastische Höhen.
Berlin wird entspannt wiederentdeckt und ist genauso schön, dreckig, laut, aufregend wie in meiner Erinnerung.  Stimmung hat genau dies erwartet.
Eine Freundin hat ihr erstes, allererstes Buch geschrieben und wagt sich damit in die Welt - Bravo! Hut ab! Chapeau! Stimmung verbeugt sich tief!
Hoffnung, sprich Mitmensch, erweist sich als halbgarer Feigling, Stimmung erlebt Untiefen.
Gestern "Die Sieben Todsünden" in der Komischen Oper gesehen, ja, ich gestehe, ich war im Theater, bin also schwach geworden, und bin froh, ob meiner Schwäche, denn was Dagmar Manzel dort darbietet, ist jeder Schwäche wert. So wagemutig, so zerbrechlich, so kraftvoll, so schutzlos.
Meine gesamte Familie, mit der ich in die Ferien fahren werde, kränkelt, wird aber, ja, wird aber, zum Urlaubsabflugstag wunderbarerweise fit und fröhlich und munter sein. Stimmung erlaubt sich hellseherische Visionen.

Luftsprung

Ich habe Ferien!


Dienstag, 3. Juli 2012

Goya - Selbstportrait mit Staffelei



Goya, Selbstportrait mit Staffelei 1790-95, Real Academia de Bellas Artes de San Fernando, Madrid, Spanien

 Zauberhaft. Er malt sich selbst beim Malen, als wäre es das Studio-Portrait eines  Kleinstadt-Photographen, extra-hübsch angezogen, der Blick einladend verführerisch, "seht, so sehe ich aus, wenn die Muse mich besucht". Selbst die Beinstellung ist nahezu neckisch. Harmlos.
Derselbe Mann wird, nur wenig später, falls die Datierung stimmt, die Capriccios ersinnen.
Der Mensch ist ein Geheimnis, jeder Mensch.


Montag, 2. Juli 2012

Johannes Vermeer - De Schilderkonst



Johannes Vermeer
1666 - Die Malkunst

Vermeer vor einer Staffelei sitzend, von hinten zu sehen, die Hand mit dem Pinsel gestützt auf seinen Malstock, schaut auf eine junge Frau mit niedergeschlagenen Augen, im Kostüm der Muse der Geschichte Clio, erkennbar an Lorbeerkranz, der Trompete als Zeichen des Ruhmes und dem Buch in ihrem linken Arm. Er ist wohlhabend gekleidet, nur die Strümpfe sind verrutscht. Eine Karte der Niederlande mittig an der Wand, davor ein prächtiger Leuchter, links hängt ein Teil eines schweren Vorhanges theatralisch ins Bild und der Fußboden ist aus Marmorkacheln. Im Gemälde ist ein kleines Loch, darin hat Vermeer eine Nadel gesteckt und Fäden daran befestigt, um die Musterung des Bodens perspektivisch genau hinzukriegen. Dann ist da noch ein leerer Sessel für einen möglichen Betrachter und weiter hinten ein Tischchen bedeckt mit Papieren und einer großen Gipsmaske.
Auf dem Bild im Bild ist vorerst nur der Lorbeerkranz zu sehen.

Es soll Vermeers Lieblingsbild gewesen sein und seine Frau soll es nach seinem Tod an ihre Mutter "verliehen" haben, damit es nicht auch zur Schuldentilgung unter den Hammer geriete. Hat nicht geklappt und das Bild ging an einen holländischen Kunsthändler. Als der nun wieder starb, wurde es unter dem Titel: „Bildnis des Vermeer in einem Raum mit viel Beiwerk, von einer seltenen Schönheit, von ihm selbst gemalt“ weiterverkauft und so weiter, bis es im 18. Jahrhundert im Besitz eines niederländischen Diplomaten namens Baron van Swieten auftaucht, dann besaß es ein Sattler und der verkaufte es an einen Grafen Czernin, nunmehr aber als Gemälde von van Hoogh? In dieser Familie blieb es und wurde dann auch wieder als Vermeer erkannt, bis Adolf sein gieriges Auge darauf warf und er es kaufen ließ, heute gehört es Österreich, dem Land.


Artemisia Gentileschi - La pittura



Artemisia Gentileschi 
Selbstportrait als Allegorie des Malens - La pittura - 1638-39


Sonntag, 1. Juli 2012

Die Nachtigall - Theodor Storm



DIE NACHTIGALL

Das macht, es hat die Nachtigall
Die ganze Nacht gesungen;
Da sind von ihrem süßen Schall,
Da sind in Hall und Widerhall
Die Rosen aufgesprungen.
Sie war doch sonst ein wildes Blut
Nun geht sie tief in Sinnen,
Trägt in der Hand den Sommerhut
Und duldet still der Sonne Glut
Und weiß nicht, was beginnen.
Das macht, es hat die Nachtigall
Die ganze Nacht gesungen;
Da sind von ihrem süßen Schall,
Da sind in Hall und Widerhall
Die Rosen aufgesprungen. 

Theodor Storm



Evelyn Künneke "Sing Nachtgall, Sing!"

Samstag, 30. Juni 2012

Pergamon


„… Es existiert vom Schwert nur noch der Stoß der Rest ist Lücke, Zwischenraum, Fragment …“
Gerhard Falkner Pergamon Gedichte

129 v.Chr., 4 Jahre nach dem Tod Attalos III. von Pergamon und nach der Niederschlagung des Aufstandes seines unehelichen Sohnes, fiel Pergamon 129 v. Chr. endgültig an Rom, dessen Verbündeter es bisher gewesen war. Die Stadt wurde zur freien Stadt erklärt und ihr ehemaliges Herrschaftsgebiet zur römischen Provinz Asia.
Yadegar Asisi, deutsch-persischer Maler und Architekt ist Panoramen-Maler oder, wie er es nennt Erschaffer von Panometern, das heißt er baut gasometerähnliche Gebäude und füllt sie mt Panoramen. In Dresden sieht das eher klassizistisch aus, hier in Berlin wie ein Emaille-Kochtopf. 
Und dann bezahlt man 13 Euro und steigt drei Treppen hoch und blickt auf, ja auf was? Ein 360°- Panorama der Stadt Pergamon kurz vor dem Beginn einer Theatervorstellung, denn man sieht Unmassen von Pergamonesen Richtung Amphitheater strömen. Das ist sicher gut gemalt, aber die Menschen! Photos von Statisten in farbenfrohen Togen bei alltäglichen Verrichtungen vernichten jeden möglichen Eindruck von Realität. Erstens sehen sie alle aus, als kämen sie aus Sachsen Anhalt und zweitens müssen die Kostüme wohl aus einem Holywood-Fundus stammen, der als Endlager zweitklassiger Schwert- und Sandalenfilme der sechziger Jahre dient. Man ist das häßlich! Und dazu Wabermusik von Eric Babak aufgefüllt mit Hundegebell, Zikadengesang und Murmeln.
Manchmal wirds dunkel, dann ist Nacht in Pergamon und die Bewohner stehen im Dunkeln auf Plätzen vor Tempeln mit buntbemalten Reliefs (Pergamonaltar!). Und dann wird es wieder hell.
Kitsch und Klitterung von Historie. Lustig ist das Leben in der Antike!!!


Artemis 
Nie wieder ist ein Körper so ans Licht getreten wie der,
den Artemis, von rechts ins Kampfgetümmel steigend aus sich herausholt.
Er entspringt, er bejubelt sich und seinen Schwung.
Das Kleid ist außer sich vor Falten.
Der Wulst, mit dem es unter ihrer Brust gehalten,
macht den Marmor weich und lässt ihn fließen,
kein Blutvergießen, nur der Sieg,
es geht um alles.
Ihr Knie berührt den Hund, der um sie kämpft, in delikater Weise.
Ein Knie, das jedes Knie der Welt in den Schatten stellt.
Ein Knie das sich vollendet fortsetzt, in der Wade.
Alles wie gemeißelt.
Die Sandale, mit der sie ihren Fuß
auf einen überwundenen Gegner setzt,
ihn niedertritt,
Kill Bill, gespielt von Himmlischen,
Götterkino.
Die Torsi torkeln vor der Wucht des Schönen
und jeder Lücke stockt der Atmen.
Wie Schönheit so und Schock sich hier versöhnen!

Gerhard Falkner Pergamon Gedichte



Donnerstag, 28. Juni 2012

Wien - Sag' zum Abschied leise Servus



Wiener Kaffee und Mehlspeisen! Ach, wenn mein Rücken doch auch noch Bauch wäre! Bowiddeldatschgern, Marillenknödel, Pallatschinken... Schon die Namen machen dick. Herrlich! Meine Oma kam aus Wien und ich glaube zum Teil hatte sie mich deshalb so gern, weil ich in jungen Jahren bis zu 12 (in Worten: zwölf) faustgroße Marillenknödel mit zerlaufener Butter - Semmelbrösel - Zimt & Zucker - Sauce essen konnte, ohne auch nur ein bisschen Bauchschmerzen zu bekommen. Und das war nur die Nachspeise!

„Die zahlreichen Mehlspeisen, die heute mit der Wiener Küche verbunden werden, verdanken ihre Entstehung den rigorosen Fastengeboten der katholischen Kirche. An rund 150 Tagen im Jahr durften die Gläubigen kein Fleisch essen. Da Fisch oft sehr teuer war, entwickelten sich zahlreiche Gemüse-, Eier- und Mehlspeisgerichte …“.
Ingrid Haslinger: Die Wiener Mehlspeisküche



A Mehlspeis', so ein Kaiserschmarrn,
ist das schönste weit und breit,
er kitzelt so beim Runterfahr‘n,
das ist doch die einzige, übriggebliebene, letzte Wiener Freud’?
A Mehlspeis'! Ach, mir fehl'n die Worte,
ist die beste Medizin.
Palatschinken oder Zwetschgenknödel
Germknödel oder gar a Sachertorte,
das gibt's halt nur in Wien.

Ralph Benatzky


KAISERSCHMARREN

Etymologie:
Das Wort „Schmarren“ ist seit dem 16. Jahrhundert gebräuchlich. Herkunft von hochdeutsch bzw. oberdeutsch „Schmer“ = Schmalz, rohes Schweine-Fett, bzw. „schmieren“. Im Wiener Dialekt bezeichnet Schmarren etwas Minderwertiges oder Unsinn: "An Schmarrn!" = nicht im geringsten, so nicht!", "Red kan Schmarrn" = Sprich keinen Unsinn.

Es gibt auch noch die Kaisersemmel, das Kaiserfleisch, das Kaiserschöberl, das Kaisergerstl, den Kaisergsprizten, das Kaisergulasch und die Kaisermelange.

Obwohl im Fall des Kaiserschmarren vermutet wird, dass es sich um eine phonetische Verzerrung des italienischen "a la casa" handeln könnte, da der Schmarren ursprünglich eine Arme-Leute-Speise war.

Für vier Portionen

Zutaten für den Schmarren:

250 ml Milch
6 Eiklar
6 Eidotter
130 g Mehl (glatt)
2 EL Kristallzucker
Schuss Rum
1 EL Vanillezucker
etwas Zitronensaft
2 EL Rosinen
Prise Salz
Kristallzucker (zum Bestreuen)
Staubzucker (zum Bestreuen)
Butter (zum Backen)
Zubereitung des Schmarren:

In einer Schüssel Eiklar mit Kristallzucker zu Schnee schlagen. In einer anderen Schüssel Milch, Mehl, Eidotter, Zitronensaft, Rum, Vanillezucker und eine Prise Salz glatt rühren. Schnee unter den Teig heben. In einer großen feuerfesten Pfanne etwas Butter erhitzen und den Teig eingießen. Zuerst am Herd anbacken, wenden und dann beidseitig im vorgeheizten Backrohr bei 180 °C braun backen. Pfanne aus dem Rohr nehmen und Teig mit zwei Gabeln in kleine Stücke reißen. Rosinen einmengen, mit Kristallzucker bestreuen und nochmals kurz im Rohr karamellisieren. Mit Staubzucker bestreuen und auftragen.
Zutaten für den Zwetschkenröster:
500 g Zwetschken (Pflaumen) (klein und nicht zu weich)
100 g Zucker
100 ml Rotwein
Prise Zimt
1/2 Orange (Schale, in größere Streifen geschnitten)
1 Zitrone (Saft)

Zubereitung:

Die Zwetschken halbieren und entkernen. Den Zucker hell karamellisieren, mit Rotwein ablöschen und auf die Hälfte einkochen lassen. Zwetschken, Prise Zimt, Orangenschalenstücke zugeben und ca. 8-10 Minuten köcheln lassen. Mit Zitronensaft abschmecken und Orangenschale wieder entfernen. Kalt stellen.

EGON 1910

  
EGON SCHIELE   


 1910     

 

EIN SELBSTBILD


Ich bin für mich und die, denen
Die durstige Trunksucht nach
Freisein bei mir alles schenkt,
und auch für alle, weil alle
ich auch Liebe, - Liebe.

Ich bin von vornehmsten
Der Vornehmste
Und von Rückgebern
Der Rückgebigste

Ich bin Mensch, ich liebe
Den Tod und Liebe
Das Leben.

 

1910


 
Selbstbildnis 1910 

Selbstbildnis 1910

Aber auch dies:

Selbstbildnis 1910

Mittwoch, 27. Juni 2012

Wien - Kuss und Kuss


BILD UND GEGENBILD

Der Mentor und Förderer: Gustav Klimt

Gustav Klimt 46 Jahre alt, gestorben 1918 in Wien an Lungenentzündung geschwächt durch die spanische Grippe. Das Bild: Der Kuss - die goldene Perfektion. Das arme Ding von Bild, tausendfach kopiert, gedruckt, verramscht, veralbert, fast verdorben.

1907/08


Der Geförderte: Egon Schiele

Egon Schiele 22 Jahre alt, gestorben 1918 in Wien an der spanischen Grippe, drei Tage nach dem Tod seiner schwangeren Frau an der nämlichen Seuche. Das Bild: Die Nonne und der Kardinal oder Die Liebkosung, die kräftigen Beine als Kreuzbalken, der ängstliche Blick der Nonne zum Betrachter, die Gier des Kardinals, die betenden Hände.


1912

Die Freunde: Klimt und Schiele

Die Eremiten 1912

Montag, 25. Juni 2012

Jandl - Wien Heldenplatz


Katholikentag: Veranstaltung am 4. Oktober 1933 am Wiener Heldenplatz

Wien Heldenplatz

Heldder glanze heldenplatz zirka
versaggerte in maschenhaftem männchenmeere
drunter auch frauen die ans maskelknie
zu heften heftig sich versuchten, hoffensdick
und brüllzten wesentlich.

verwogener stirnscheitelunterschwang
nach nöten nördlich, kechelte
mit zu-nummernder aufs bluten feilzer, stimme
hinsensend sämmertliche eigenwäscher.

pirsch!
döppelte der gottelbock von Sa-Atz zu Sa-Atz
mit hünig sprenkem stimmstummel
balzerig würmelte es im männchensee
und den weibern: ward so pfingstig ums heil
zumahn: wenn ein knie-ender sie hirschelte.

Mit freundlicher Genehmigung des Luchterhand-Verlags
(Aus: Ernst Jandl, Gesammelte Werke in drei Bänden,
München 1985, 1990, Bd. 1, S. 126)