Mittwoch, 6. Juni 2012

Musik ist eine Himmelsmacht?




Ein kleines Lied

Ein kleines Lied! Wie geht's nur an,

Dass man so lieb es haben kann,
Was liegt darin? erzähle!

Es liegt darin ein wenig Klang,
Ein wenig Wohllaut und Gesang
Und eine ganze Seele.

Marie von Ebner-Eschenbach

Ich bin nicht in der Lage kenntnisreich über die innige Verbindung von Musik, oder im speziellen, Gesang, und Gefühl zu schreiben, aber seit dem Opern-Erlebnis von gestern Abend versuche ich, zumindest meine vage Ahnung genauer zu formulieren. Aber wie ich es auch beginne, es klingt schwampfig, schwülstig, ungenau.
Ich reagiere stark auf Stimmen, Alan Rickman spricht - und ich schmelze, manchmal höre ich nicht einmal mehr was er sagt. Bestimmte Tonfolgen vermögen es, alle Haare auf meinen Armen senkrecht stehen zu machen, nicht, dass ich übermäßig behaart wäre, aber es ist ein intensives Gefühl, nichtsdestotrotz.
Billy Joel singt "Leningrad", sicher keines der unsterblichen Lieder der Menschheit, aber, habe gerade eben wieder das Experiment gemacht, die letzte Strophe erklingt und - es weint aus meinen Augen, nicht Ströme, aber doch Tränen. Warum?
Das trifft auch für "Little Boy Blue" gesungen von Nina Simone zu, oder Barbra und "The way we were", Mozarts Requiem, "Der Mond ist aufgegangen", "Wonderful world" in der Version von Louis Armstrong, "Für Alina" von Arvo Pärt, Eddie Vedder "Stuff and Nonsense", die Stimme von Joni Mitchell, manche Barockarien, vieles von Leadbelly, Dylans "Frankie Lee and Judas Priest und und.
Manches davon ist großartig, anderes trifft irgendwie, ich weiß nicht wie, einen Nerv in meinem Körper, der mich reagieren läßt. Kurz gesagt, die richtige Musikliste und ich werde zum tränensprudelnden Springbrunnen.
http://www.youtube.com/watch?v=pMeO6CRVq7Y
1970, meine sehr geliebte Großmutter war gestorben, ich, zwölf, war traurig, aber unbegreiflich gefaßt. Drei Monate später habe ich ihre Stimme gehört, unerwartet im Musikunterricht von einer Platte, man habe ich geweint.

Camille. Was sagst du, Lucile?
Lucile. Nichts, ich seh dich so gern sprechen.
Camille. Hörst mich auch?
Lucile. Ei freilich!
Camille. Hab ich recht? Weißt du auch, was ich gesagt habe?
Lucile. Nein, wahrhaftig nicht.

Georg Büchner "Dantons Tod"

Was ist das, was in uns mitschwingt, uns rupft, reißt, wehrlos macht? Welche archaischen Teile unseres Hirns werden durch Musik, spezielle Musik aktiviert? Genauso womöglich, wie durch kitzeln oder streicheln.
Die gegenteilige Reaktion, Abwehr, Ohrenherzschmerz gibt es natürlich auch. Nahezu jede Art von Blasmusik ertönt und meine Ohren bemühen sich vergeblich, sich zu kräuseln, bei dem Versuch nicht zuhören zu müssen.

"Everybody wants to go to heaven, but nobody wants to die."
"Alle wollen in den Himmel kommen, aber niemand will sterben."
Vielleicht ist das eine mögliche Erklärung. Musik, die richtige Musik bringt uns dem Himmel nahe, ohne dass wir deshalb nun gleich sterben müßten.


„Wo man singet, laß dich ruhig nieder; 
Ohne Furcht, was man im Lande glaubt;
Wo man singet, wird kein Mensch beraubt;
Bösewichter haben keine Lieder.“

Johann Gottfried Seume

"Immer wenn ich Wagner höre, habe ich das Gefühl, ich muß in Polen einmarschieren." Woody Allen


Vater bringt Vierlinge zum Lachen. Mir ist es noch nicht gelungen, nicht zu grinsen.

 

Dienstag, 5. Juni 2012

La Traviata - Natalie Dessay - In Hochachtung


Dies sind die Anmerkungen eines Nicht-Opern-Kenners.

Vor langer Zeit habe ich spätnachts einen Mitschnitt von Offenbachs "Orpheus in der Unterwelt" aus der Oper Lyon gesehen, ganz zufällig und demzufolge unvorbereitet. Eine kleine Frau im kurzen schwarzen Unterrock mit einem flatternden roten Seiden-Dingelchen darüber trat auf und überfüllte die Bühne. Sie sang wunderbar, aber sie keifte auch und lachte und juchzte und schrillte, kurz sie tat lauter Dinge, die Opernsängerinnen eher nicht tun, zumindestens nicht auf der Bühne. Und sie spielte, tanzte und spielte noch ein bisschen mehr. Laurent Naouri (wie ich nachher feststellte ihr Ehemann) war Jupiter und spielte auch, kein Standbein - Spielbein weit und breit. An einem Punkt hing er zum Beispiel kopfüber als Fliege von der Decke und sang, und zwar schön, oder soll ich besser sagen gut. Ein toller Abend. Mark Minkowsky war übrigens der Dirigent, Laurent Pelly der Regisseur.

 Crédits photo : Gérard Amsellem

Heute nun: "La Traviata", Verdi, inszeniert hat Willy Decker, die Bühne ist von Wolfgang Gussmann. 
Der erste Akt war spannend. Anstatt des üblichen Festes mit Scherzen und Flirten, gab es hier einen reinen Männerchor, d.h. auch die Choristinnen waren als Männer verkleidet, Violetta, die Hure, das begehrte Ziel, die potentiellen Kunden um sie herum und sie muß sich bestmöglich verkaufen. Überhaupt waren die Chorszenen ganz stark, sehr streng choreographiert, fast karg und völlig durchsichtig in dem, was erzählt werden sollte. Akt 2 und 3 waren leider nicht so aufregend, und die Frau, stirbt ja stundenlang, und da liefen dann halt alle sehr langsam herum und guckten bedrückt und die Kratzigkeit des ersten Aktes verlief sich in sehr breitgetretenem Leiden. Wie stirbt man interessant über 45 Minuten?
Aber die Dessay. Irrsinn. Man hört und sieht, was sie denkt, immer. 
Und jetzt zum eigentlich Erstaunlichsten des Abends, man stelle sich vor: live aus der Metropolitan Opera (1500 Zuschauer) in ganz, ganz viele Kinos, und mit dem Wissen im Kopf tritt sie auf, offensichtlich (offenhörlich) nicht in stimmlicher Hochform und über den Abend verliert sie ganze Töne und singt doch weiter und nutzt sogar die stimmlichen Aussetzer für ihr Spiel und dadurch wird das Ganze groß, menschlich und greift einen. Was muß das für eine Anstrengung, was für ein Kampf gewesen sein. Hochachtung und Mitgefühl.

Marty Sohl/Metropolitan Opera
 

Interview mit Natalie Dessay:

Sonntag, 3. Juni 2012

Anna Blumes Vogel





An Anna Blume

Oh Du, Geliebte meiner 27 Sinne, ich liebe Dir! 
Du, Deiner, Dich Dir, ich Dir, Du mir, ---- wir? 
Das gehört beiläufig nicht hierher! 

Wer bist Du, ungezähltes Frauenzimmer, Du bist, bist Du? 
Die Leute sagen, Du wärest. 
Laß sie sagen, sie wissen nicht, wie der Kirchturm steht. 

Du trägst den Hut auf Deinen Füßen und wanderst auf die Hände, 
Auf den Händen wanderst Du. 

Halloh, Deine roten Kleider, in weiße Falten zersägt, 
Rot liebe ich Anna Blume, rot liebe ich Dir. 
Du, Deiner, Dich Dir, ich Dir, Du mir, ----- wir? 
Das gehört beiläufig in die kalte Glut! 
Anna Blume, rote Anna Blume, wie sagen die Leute? 

Preisfrage: 
1. Anna Blume hat ein Vogel, 
2. Anna Blume ist rot. 
3. Welche Farbe hat der Vogel? 

Blau ist die Farbe Deines gelben Haares, 
Rot ist die Farbe Deines grünen Vogels. 
Du schlichtes Mädchen im Alltagskleid, 
Du liebes grünes Tier, ich liebe Dir! 
Du Deiner Dich Dir, ich Dir, Du mir, ---- wir! 
Das gehört beiläufig in die ---- Glutenkiste. 

Anna Blume, Anna, A----N----N----A! 
Ich träufle Deinen Namen. 
Dein Name tropft wie weiches Rindertalg. 

Weißt Du es Anna, weißt Du es schon, 
Man kann Dich auch von hinten lesen. 
Und Du, Du Herrlichste von allen, 
Du bist von hinten, wie von vorne: 
A------N------N------A. 
Rindertalg träufelt STREICHELN über meinen Rücken. 
Anna Blume, 
Du tropfes Tier, 
Ich-------liebe-------Dir!

Kurt Schwitters um 1919

 Kurt Schwitters. Aq. 21. Anna Blume und ich., 1919



Vilhelm Hammershøi - Maler


Vilhelm Hammershoi 1864-1916
Dänemark

Rainer Maria Rilke schrieb 1905: 
 »Hammershøi ist nicht von denen, über die man rasch sprechen muss. Sein Werk ist lang und langsam und in welchem Augenblick man es auch erfassen mag, es wird immer voller Anlass sein, vom Wichtigen und Wesentlichen in der Kunst zu sprechen.«

"Ich habe Hammershøi gestern zum ersten Mal getroffen...Ich bin sicher, dass man ihn besser versteht, je mehr man ihn kennenlernt und seine natürliche Einfachheit schätzen lernt. Ich werde ihn wiedersehn, aber es wird kein Gespräch geben, da er nur Dänisch spricht und sehr wenig Deutsch versteht. Ich hatte den Eindruck, dass er nur malt und entweder nichts anderes kann oder will."


Innenraum mit Frau am Klavier, 1901

Innenraum mit junger Frau von hinten, 1904

 Innenraum in Strandgade, 1901
 

Die Schöne von hinten

Sieh Freund! sieh da! was geht doch immer
Dort für ein reizend Frauenzimmer?
Der neuen Tracht Vollkommenheit,
Der engen Schritte Nettigkeit,
Die bei der kleinsten Hindrung stocken,
Der weiße Hals voll schwarzer Locken,
Der wohlgewachsne schlanke Leib,
Verrät ein junges artges Weib.

Komm Freund! komm, laß uns schneller gehen,

Damit wir sie von vorne sehen.
Es muß, triegt nicht der hintre Schein,
Die Venus oder Phyllis sein.
Komm, eile doch! – O welches Glücke!
Jetzt sieht sie ungefähr zurücke.
Was wars, das mich entzückt gemacht?
Ein altes Weib in junger Tracht.

Gotthold Ephraim Lessing

Freitag, 1. Juni 2012

Picassos Clowns 1905


Der Zweck der Kunst ist es, Enthusiasmus zu erschaffen.
The purpose of Art is to create enthusiasm.

Pablo Diego José Francisco de Paula Juan Nepomuceno María de los Remedios Cipriano de la Santísima Trinidad Ruiz y Picasso - 1904/05 - Die blaue Periode endet, die Rosa Periode beginnt. Picasso ist 24 Jahre alt und lebt mit Fernande Olivier in Paris.  

Der Clown, wenn er nicht spielt, ist ein Mensch in merkwürdiger Verkleidung. Was macht ihn zum Clown? Dass wir über ihn lachen? Und wenn wir es nicht tun? Und wenn er allein ist oder unter seinesgleichen? 

Clown auf einem Pferd 1905

Die krankhafte Angst vor Clowns wird als Coulrophobie bezeichnet.

Clown und junger Akrobat 1905

Der Serienmörder John Wayne Gacy trat als „Pogo der Clown“ auf. Er vergewaltigte und tötete zwischen 1972 und 1978 dreissig junge Männer.

Sitzender Harlekin 1905

Grock: "Nit mööööglich!"

Familie von Gauklern 1905

"Denn nichts unterminiert Autorität so sehr wie wenn man sie der Lächerlichkeit preisgibt." Clandestine Insurgent Rebel Clown Army = Heimliche Aufständische Rebellen-Clownarmee

Harlekins Familie 1905

Wiki sagt: 
Ein Clown ist ein Artist, dessen Kunst es ist, Menschen zum Erstaunen, Nachdenken und auch zum Lachen zu bringen. Der Begriff Clown kommt von englisch„Tölpel“ und damit entweder von dem lateinischen Wort colonus für „Bauerntölpel“ oder von altnordisch klunni in der gleichen Bedeutung.

Onkel Wanja - Uncle Vanya


Uncle Vanya 
A new translation by Emma Burns
Directed by Kathryn Binnersley
Eine Gruppe Mittzwanziger spielt "Onkel Wanja", ein Stück über den Untergang derer, die sich nicht wehren können, über die Angst ungekannt zu sterben, über die Feigheit vor der Liebe. Und eigentlich sind die Spieler viel zu jung, und es ist, als probierten Kinder viel zu große Schuhe an oder zu alte, aber sie wollen es wirklich wissen, wie das ist, keine Hoffnung zu haben. "Wir müssen atmen, wir müssen atmen." 
Und hin und wieder gerät etwas zu gewaltig und manches ist ungelenk, aber sie spielen mit Wagemut und Intelligenz und einigen starken Bildern. Sie riskieren wirklich etwas, zum Beispiel: sich lächerlich zu machen, "über das Ziel hinauszuschießen". Und weil sie das Risiko eingehen, geht man mit. Rührend, manchmal berührend. Hut ab! 




Donnerstag, 31. Mai 2012

Yo-Yo Ma



Heute war ich im Konzert, Yo-Yo Ma mit dem Torontoer Symphonieorchester.
Ein großer, heller, klarer Saal, die Zuschauer sitzen auch hinter dem Orchester. Wieder viel Holz und demokratische Sitze mit leichten Erinnerungen an die feudale Vergangenheit von Konzertsälen, Logen schon, aber offen, einsehbar und groß genug für fast 30 Leute.
Oh, ist das ein Musiker, einer, der Vergnügen hat, zu spielen, er und sein Cello in inniger Einheit, als wären er und es ein Körper und sie sind es gerne. Er lächelt oft beim Spielen, und er schaut die Mitspielenden an.
En kleines Stück zu Beginn, von einem modernen usbekischen Komponisten, Dmitri Yanov-Yanovsky, Nacht Musik: Stimmen im Laub: es klingt, als wollte man sich an eine Melodie erinnern, an den Geschmack eines Essens, an den Geruch von feuchtem Gras, als man, fünfjährig über Wiesen stampfte. Man findet die Erinnerung fast, beinahe, aber nur noch in Fetzen, Stückchen, Resten.
Dann, ohne Yo-Yo Ma, Rachmaninow Symphonische Tänze, lustig, ich denke dauernd in Bildern aus Disneyfilmen. Disney hatte auch vor, Musik von ihm in Phantasia zu verwenden, aber es kam dann doch nicht dazu.
Und zum Dritten: Elgar, Cello Konzert in E-Dur und am Ende Riesenapplaus, alle stehen, das scheint mir neuerdings sehr oft vorzukommen, aber hier ist es berechtigt und  Yo-Yo Ma schenkt uns eine Zugabe: Bach, das Prelude zur Cello Suite N°1. Mannomamnnomannoman, ist das schön, als wäre es ganz einfach, wie ein Gespräch unter Freunden.
Anschließend ein Empfang mit Dinner für die "Freunde" des Orchesters, sicher, sie spenden Millionen, das sollte man ihnen anrechnen, aber 120 Jahre alte Frauen in kurzen rosa Chanel-Kleidchen muß man erstmal verkraften.






Yo-Yo Ma, Edgar Meyer, Chris Thile and Stuart Duncan play Bluegrass:
http://www.youtube.com/watch?v=O7EcT5YzKhQ


Spike Jonze Presents: Lil Buck and Yo-Yo Ma:
http://www.youtube.com/watch?v=C9jghLeYufQ 
Yo-Yo Ma spielt das Prelude von Bach Cello Suite N°1:
http://www.youtube.com/watch?v=dZn_VBgkPNY

Mittwoch, 30. Mai 2012

Ilse Bing - Photographin - Die Königin der Leica


Ilse Bing 1899 - 1998

90 zu werden
ist nur ein weiterer tag
an dem man versucht
die unendliche leiter
unserer träume 
zu ersteigen

getting 90
is just another day
in striving to climb
the infinite ladder
of our dreams.

ilse bing
märz 1989

Kind © Ilse Bing

Schlafendes Kind 1945 © Ilse Bing

Kind, Paris, 1931 © Ilse Bing

Das Karussell

Mit einem Dach und seinem Schatten dreht
sich eine kleine Weile der Bestand
von bunten Pferden, alle aus dem Land,
das lange zögert, eh es untergeht.
Zwar manche sind an Wagen angespannt,
doch alle haben Mut in ihren Mienen;
ein böser Löwe geht mit ihnen
und dann und wann ein weißer Elefant.

Sogar ein Hirsch ist da, ganz wie im Wald,
nur dass er einen Sattel trägt und drüber
ein kleines blaues Mädchen aufgeschnallt.

Und auf dem Löwen reitet weiß ein Junge
und hält sich mit der kleinen heißen Hand
dieweil der Löwe Zähne zeigt und Zunge.

Und dann und wann ein weißer Elefant.

Und auf den Pferden kommen sie vorüber,
auch Mädchen, helle, diesem Pferdesprunge
fast schon entwachsen; mitten in dem Schwunge
schauen sie auf, irgend wohin, herüber -

Und dann und wann ein weißer Elefant.

Und das geht hin und eilt sich, dass es endet,
und kreist und dreht sich nur und hat kein Ziel.
Ein Rot, ein Grün, ein Grau vorbeigesendet,
ein kleines kaum begonnenes Profil -.
Und manchesmal ein Lächeln, hergewendet,
ein seliges, das blendet und verschwendet
an dieses atemlose blinde Spiel...

R.M. Rilke; Jardin du Luxembourg, Paris, 1906

Kind auf dem Spielplatz, New York 1936 © Ilse Bing


Motto

das unsichbare
muss bebildert werden
das unaussprechbare
muss gesagt werden
das undenkbare
muss geträumt werden
das unfassliche
muss festgehalten werden
aber berühre es nicht mit deinem finger

the invisible
has to be pictured
the unspeakable
has to be said
the unthinkable
has to be dreamed
the intangible
has to be held tight
but do not touch it with your finger

16. juli 1982


Dienstag, 29. Mai 2012

Toronto - Hochsommer im Mai


SCHWÜL


Heute sind es hier 30 Grad, kein Lüftchen weht und der erhoffte Regen ist wohl anderweitig beschäftigt, oder er will die Erwartung noch ein wenig schüren. 
Schwül. Schwitzig. Fette Luft. Feuchte Haut.
Schwül war ursprünglich mal niederdeutsch "schwul" und wurde möglicherweise in der Analogie zu "kühl" verändert.
Ob das Wetter als schwül empfunden wird, hängt entscheidend von der Wasserbeladung der Luft ab...sagt Wiki, Wasserbeladung klingt viel schöner als absolute Luftfeuchtigkeit, oder?
Synonyme wären: brütend heiß, bleiern, stickig, drückend, feuchtwarm, gewitterschwer, gewitterschwül, gewittrig, tropisch, aber in keinem der anderen Wörter schwingt solch träge Erotik mit. 




„Es ist so schwül, so dumpfig hie
Und ist doch eben so warm nicht drauß'.
Es wird mir so, ich weiß nicht wie –
Ich wollt', die Mutter käm' nach Haus.
Mir läuft ein Schauer über'n ganzen Leib –
Bin doch ein thöricht furchtsam Weib.“ 
J.W. von Goethe "Faust"




ADELUNG:
Schwül, -er, -ste, adj. et adv. ängstlich warm, bänglich oder abmattend warm, wie es im Sommer vor einem Gewitter bey sehr stiller Luft zu seyn pflegt; ein nur von der Luft und Witterung übliches Wort.
Haged. Anm. In den gemeinen Sprecharten schwul, schwülig, im Österreichischen schwellig, im Nieders. Swool, swolig, im Engl. sweltry und sultry, im Angels. swilic, im Holländ. zwoel und zoel. Es gehöret zu schwelen, ohne Flamme brennen, und druckt eine von keiner Bewegung der Luft bekleidete stille und daher ängstliche und abmattende Wärme aus.  

GRIMM:
schwül, adj. drückend heisz, erst der neuern schriftsprache vertraut; über das auftreten der form geschwül vgl. oben theil 4, 1, 2 sp. 4011; nachzutragen ist geschwielle, adj. Steinbach 2, 548. die ältere unumgelautete form verschwindet seit der zweiten hälfte des 18. jh. aus der schriftsprache (wol unter einwirkung von kühl), nur dasz sie gelegentlich mit komischer wirkung verwendet wird: schwul, et geschwul, praefocatus, suffocatus propter aestum Stieler 2054; schwul, adj. sagt man bey heiszem wetter, es ist schwul drauszen. Frisch 2, 251c; Adelung schreibt schwühl und kennt es nur im eigentlichen sinne ('ein nur von der luft und witterung übliches wort'), die form schwuhl bezeichnet er als den 'gemeinen sprecharten' angehörig. mir wird ganz schwul bei der sache (derbe sprechweise). Campe; indessen läszt sich der ernsthafte gebrauch von schwul bis ins 19. jahrh. belegen: bei schwulem wetter. Zesen Rosenm. vorr. A 2b; nach der schwulen schlacht. 


 


Der Blumen Rache
 
Auf des Lagers weichem Kissen
Ruht die Jungfrau, schlafbefangen,
Tief gesenkt, die braune Wimper,
Purpur auf den heißen Wangen.


Schimmernd auf dem Binsenstuhle
Steht der Kelch, der reichgeschmückte,
Und im Kelche prangen Blumen,
Duft'ge, bunte, frischgepflückte.

Brütend hat sich dumpfe Schwüle
Durch das Kämmerlein ergossen,
Denn der Sommer scheucht die Kühle,
Und die Fenster sind verschlossen.

Stille rings und tiefes Schweigen!
Plötzlich, horch! ein leises Flüstern!
In den Blumen, in den Zweigen
Lispelt es und rauscht es lüstern.

Aus den Blütenkelchen schweben
Geistergleiche Duftgebilde,
Ihre Kleider zarte Nebel,
Kronen tragen sie und Schilde.

Aus dem Purpurschoß der Rose
Hebt sich eine schlanke Frau,
Ihre Locken flattern lose,
Perlen blitzen drin, wie Tau.

Aus dem Helm des Eisenhutes
Mit dem dunkelgrünen Laube
Tritt ein Ritter kecken Mutes,
Schwert erglänzt und Pickelhaube.

Auf der Haube nickt die Feder
Von dem Silbergrauen Reiher.
Aus der Lilie schwankt ein Mädchen,
Dünn, wie Spinnweb', ist ihr Schleier.

Aus dem Kelch des Türkenbundes
Kommt ein Neger stolz gezogen,
Licht auf seinem grünen Turban
Glüht des Halbmonds gold'ner Bogen.

Prangend aus der Kaiserkrone
Schreitet kühn ein Zepterträger,
Aus der blauen Iris folgen
Schwertbewaffnet seine Jäger.

Aus den Blättern der Narzisse
Schwebt ein Knab' mit düstern Blicken,
Tritt an's Bett, um heiße Küsse
 Auf des Mädchens Mund zu drücken.

Doch um's Lager drehn und schwingen
Sich die andern wild im Kreise,
Drehn und schwingen sich, und singen
Der Entschlaf'nen diese Weise:

"Mädchen, Mädchen! Von der Erde
Hast du grausam uns gerissen,
Dass wir in der bunten Scherbe
Schmachten, welken, sterben müssen!

"O, wie ruhten wir so selig
An der Erde Mutterbrüsten,
Wo, durch grüne Wipfel brechend,
  Sonnenstrahlen heiß uns küssten!

"Wo uns Lenzeslüfte kühlten,
Unsre schwanken Stengel beugend,
Wo wir Nachts als Elfen spielten,
Unserm Blätterhaus entsteigend.

"Hell umfloß uns Tau und Regen,
Jetzt umfließt uns trübe Lache,
Wir verblüh'n, doch eh' wir sterben,
Mädchen! trifft dich uns're Rache."

Der Gesang verstummt, sie neigen
Sich zu der Entschlaf'nen nieder.
Mit dem alten dumpfen Schweigen
Kehrt das leise Flüstern wieder.

Welch' ein Rauschen, welch' ein Raunen!
Wie des Mädchens Wangen glühen!
Wie die Geister es anhauchen!
Wie die Düfte wallend ziehen!

Da begrüßt der Sonne Funkeln
Das Gemach, die Schemen weichen.
Auf des Lagers Kissen schlummert
Kalt die lieblichste der Leichen.

Eine welke Blume selber,
Noch die Wange selbst gerötet,
Ruht sie bei den welken Schwestern,
Deren Geister sie getötet.

Ferdinand von Freiligrath 

Montag, 28. Mai 2012

Pfingsten


PFINGSTEN

Pfingsten 
sind die Geschenke am geringsten,
Während Geburtstag, Ostern und Weihnachten
Etwas einbrachten.
b.b.
Pfingsten, von griechisch πεντηκοστή [ἡμέρα] pentekostē [hēmera] - der fünfzigste Tag. Der fünfzigste Tag von was? Nach welchem Ereignis? Gibt es einen einundfünfzigsten Tag? Ich vermute, 99% der Bevölkerung haben nicht die geringste Ahnung davon was hier gefestagt wird. Halt ein weitere freier Tag. Ach ja, und da gibt es einen Pfingstochsen und der Pfingstmontag sollte irgendwann mal abgeschafft werden. 

Apostelgeschichte 2, 1-4
„Und als der Pfingsttag gekommen war, waren sie alle an einem Ort beieinander. Und es geschah plötzlich ein Brausen vom Himmel wie von einem gewaltigen Wind und erfüllte das ganze Haus, in dem sie saßen. Und es erschienen ihnen Zungen zerteilt, wie von Feuer; und er setzte sich auf einen jeden von ihnen, und sie wurden alle erfüllt von dem heiligen Geist und fingen an, zu predigen in andern Sprachen, wie der Geist ihnen gab auszusprechen.“

Darstellung der Ausgießung des heiligen Geistes im Rabbula-Evangeliar 586 

Zungen erschienen, gespaltene, kein schöner Anblick sicherlich und ER setze sich auf sie. Wer ist ER? Der Heilige Geist, eine der drei Hypostasen Gottes, Sohn, Vater und, nein, nicht Mutter, sondern eben dieser Heilige Geist. Sehr praktisch irgendwie, Monotheismus und man kriegt drei für einen. 
Der H.G. geht aus dem Vater und dem Sohn durch „eine einzige Hauchung“ hervor. Das ist die Erklärung der katholischen Kirche. Im Unterschied zum Sohn, der durch „Zeugung“ aus dem Vater hervorgeht, geht der H.G. den Weg der "Hauchung" aus dem Vater und dem Sohn. Gemeinsames Atmen von Vater und Sohn zeugen ihn. Und was ist er also? Heilige Luft? Heiliger Atem = Hagion Pneuma. Maria hat übrigens Jesus durch "Kontakt" mit dem H.G. empfangen.
Dieser H.G. wurde nun, sieben Wochen nach Ostern, eben 50 Tage nach dem Ostersonntag über die Jünger Jesu ausgegossen. Und, wie nach guten Sprachintensivkursen, begannen sie danach, in allen damals bekannten Sprachen zu predigen. Diese Überwindung der Sprachverwirrung von Babel wird dann als Gründungstag der christlichen Kirche übersetzt.


Giotto di Bondone um 1300, Pfingsten
(Da geht mir ein Licht auf?)


Pfingstbestellung

Ein Pfingstgedichtchen will heraus
Ins Freie, ins Kühne.
So treibt es mich aus meinem Haus
Ins Neue, ins Grüne.

Wenn sich der Himmel grau bezieht,

Mich stört`s nicht im geringsten.
Wer meine weiße Hose sieht,
Der merkt doch: Es ist Pfingsten.

Nun hab ich ein Gedicht gedrückt,

Wie Hühner Eier legen,
Und gehe festlich und geschmückt —
Pfingstochse meinetwegen —
Dem Honorar entgegen.

Joachim Ringelnatz


Und noch eins für die Berliner unter euch:

Bolle reiste jüngst zu Pfingsten

 
Bolle reiste jüngst zu Pfingsten,
Nach Pankow war sein Ziel,
Da verlor er seinen Jüngsten
Janz plötzlich im Jewühl
`Ne volle halbe Stunde
Hat er nach ihm jespürt,
Aber dennoch hat sich Bolle
Janz köstlich amüsiert.
Aber dennoch hat sich Bolle
Janz köstlich amüsiert.

In Pankow gab`s kein Essen,

In Pankow gab`s kein Bier,
War alles aufjefressen
Von fremden Gästen hier.
Nich mal `ne Butterstulle
Hat man ihm reserviert,
Aber dennoch hat sich Bolle
Janz köstlich amüsiert.
Aber dennoch hat sich Bolle
Janz köstlich amüsiert :|

Auf der Schönholzer Heide,

Da gab`s `ne Keilerei,
Und Bolle, gar nicht feige,
War feste mang dabei.
Hat`s Messer rausjezogen
Und fünfe massakriert,
Aber dennoch hat sich Bolle
Janz köstlich amüsiert.
Aber dennoch hat sich Bolle
janz köstlich amüsiert :|

Es fing schon an zu tagen,

Als er sein Heim erblickt.
Das Hemd war ohne Kragen,
Das Nasenbein zerknickt.
Das rechte Auge fehlte,
Das linke marmoriert,
Aber dennoch hat sich Bolle
Janz köstlich amüsiert.
Aber dennoch hat sich Bolle
Janz köstlich amüsiert :|

Zu Hause gekommen,

Da ging`s ihm aber schlecht,
Da hat ihn seine Olle
Janz mörderisch verdrescht!
Ne volle halbe Stunde
Hat sie auf ihm poliert,
Aber dennoch hat sich Bolle
Janz köstlich amüsiert.
Aber dennoch hat sich Bolle
Janz köstlich amüsiert :|

Bolle wollte sterben

Und hat sich`s überlegt.
Er hat sich auf die Schienen
Der Straßenbahn jelegt.
Die Bahn, die hat Verspätung
Und vierzehn Tage drauf,
Da fand man unsern Bolle
Als DÖrrjemüse auf.