Dienstag, 5. Juni 2012

La Traviata - Natalie Dessay - In Hochachtung


Dies sind die Anmerkungen eines Nicht-Opern-Kenners.

Vor langer Zeit habe ich spätnachts einen Mitschnitt von Offenbachs "Orpheus in der Unterwelt" aus der Oper Lyon gesehen, ganz zufällig und demzufolge unvorbereitet. Eine kleine Frau im kurzen schwarzen Unterrock mit einem flatternden roten Seiden-Dingelchen darüber trat auf und überfüllte die Bühne. Sie sang wunderbar, aber sie keifte auch und lachte und juchzte und schrillte, kurz sie tat lauter Dinge, die Opernsängerinnen eher nicht tun, zumindestens nicht auf der Bühne. Und sie spielte, tanzte und spielte noch ein bisschen mehr. Laurent Naouri (wie ich nachher feststellte ihr Ehemann) war Jupiter und spielte auch, kein Standbein - Spielbein weit und breit. An einem Punkt hing er zum Beispiel kopfüber als Fliege von der Decke und sang, und zwar schön, oder soll ich besser sagen gut. Ein toller Abend. Mark Minkowsky war übrigens der Dirigent, Laurent Pelly der Regisseur.

 Crédits photo : Gérard Amsellem

Heute nun: "La Traviata", Verdi, inszeniert hat Willy Decker, die Bühne ist von Wolfgang Gussmann. 
Der erste Akt war spannend. Anstatt des üblichen Festes mit Scherzen und Flirten, gab es hier einen reinen Männerchor, d.h. auch die Choristinnen waren als Männer verkleidet, Violetta, die Hure, das begehrte Ziel, die potentiellen Kunden um sie herum und sie muß sich bestmöglich verkaufen. Überhaupt waren die Chorszenen ganz stark, sehr streng choreographiert, fast karg und völlig durchsichtig in dem, was erzählt werden sollte. Akt 2 und 3 waren leider nicht so aufregend, und die Frau, stirbt ja stundenlang, und da liefen dann halt alle sehr langsam herum und guckten bedrückt und die Kratzigkeit des ersten Aktes verlief sich in sehr breitgetretenem Leiden. Wie stirbt man interessant über 45 Minuten?
Aber die Dessay. Irrsinn. Man hört und sieht, was sie denkt, immer. 
Und jetzt zum eigentlich Erstaunlichsten des Abends, man stelle sich vor: live aus der Metropolitan Opera (1500 Zuschauer) in ganz, ganz viele Kinos, und mit dem Wissen im Kopf tritt sie auf, offensichtlich (offenhörlich) nicht in stimmlicher Hochform und über den Abend verliert sie ganze Töne und singt doch weiter und nutzt sogar die stimmlichen Aussetzer für ihr Spiel und dadurch wird das Ganze groß, menschlich und greift einen. Was muß das für eine Anstrengung, was für ein Kampf gewesen sein. Hochachtung und Mitgefühl.

Marty Sohl/Metropolitan Opera
 

Interview mit Natalie Dessay:

1 Kommentar:

  1. Katharina Palm
    Wir müssen dringend mal wieder in die Oper in live.

    Skuld Norne
    An unserem kleinen Theater gab es in der vergangenen Spielzeit auch "La Traviata". Sicher ist es kein Vergleich zu der von dir geschilderten Aufführung. Aber ich habe die Oper dreimal gesehen. Bettina Pierags als Violetta war hervorragend. Sie sang nicht nur fantastisch, sondern spielte ihre Rolle so intensiv, dass sie uns alle begeisterte. Solche Erlebnisse vergesse ich nicht.

    Burkhard Ritter http://www.youtube.com/watch?v=ehIwBCDoL9U&feature=related

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