Freitag, 9. Dezember 2011

e.e. cummings - ein weihnachtsgedicht


ein weihnachtsgedicht
aus ekstatischer spirale lässt dies
stolze nirgendwo des wunderbarsten erdentages
ein neugeborenes kind erblühn: um ihn, augen
--beschenkt mit jedem heftigeren appetit
als ihn bloßes unwunder ganz stillen könnte—
demütig knieend in ihren imaginierten körpern
(durch zeit raum unheil traum während das ganze

vielleichtlose mysterium des paradieses vorübergleitet)

geist ohne seele kann ein universum sprengen
ins hätte seien können, und zehn tausend sterne enden
aber nicht einen herzschlag dieses kindes; noch werden
eine millionen befragungen standhalten
der stille des lächelns seiner mutter

-dessen einziges geheimnis die ganze schöpfung singt
a christmas poem
from spiralling ecstatically this

proud nowhere of earth's most prodigious night
blossoms a newborn babe: around him, eyes
--gifted with every keener appetite
than mere unmiracle can quite appease--
humbly in their imagined bodies kneel
(over time space doom dream while floats the whole

perhapsless mystery of paradise)

mind without soul may blast some universe
to might have been, and stop ten thousand stars
but not one heartbeat of this child; nor shall
even prevail a million questionings
against the silence of his mother's smile

--whose only secret all creation sings

e.e. cummings

Bernardino Luini, 1532, Madonna das schlafenden Kind tragend mit drei Engeln

Robert Häusser - Radfahrer 1953


© Robert Häusser

Donnerstag, 8. Dezember 2011

Traurige, lustige und einfach schöne Schwänze


Die Brüste letztens, haben mich aufmerksamer auf die Darstellung unserer intimsten Teile schauen lassen. 
Nackte Männer sind in der Darstellenden Kunst seltener anzutreffen, als nackte Frauen, scheint mir und, besonders in antiken Kunstwerken, stehen Körpergröße und Schwanzgröße in einem auffällig unrealistischen Verhältnis zueinander, will sagen, das Geschlechtsteil ist oft besonders klein. Vielleicht um nicht von der ästhetischen oder inhaltlichen Absicht abzulenken? Es gibt natürlich auch Gegenbeispiele.

 Hermes, wahrscheinlich aus Pompeii

Leda

Als ihn der Gott in seiner Not betrat,
erschrak er fast, den Schwan so schön zu finden;
er ließ sich ganz verwirrt in ihm verschwinden.
Schon aber trug ihn sein Betrug zur Tat,

bevor er noch des unerprobten Seins
Gefühle prüfte. Und die Aufgetane
erkannte schon den Kommenden im Schwane
und wußte schon er bat um Eins,

das sie, verwirrt in ihrem Widerstand,
nicht mehr verbergen konnte. Er kam nieder
und halsend durch die immer schwächre Hand

ließ sich der Gott in die Geliebte los.
Dann erst empfand er glücklich sein Gefieder
und wurde wirklich Schwan in ihrem Schoß.

Egon Schiele Selbstporträt 1917
Naked Man on Bed, Lucian Freud, 1989


Gedicht für Lucian Freud


Ja, der Körper ist ein scheußliches Ding, 
die Füsse und Genitalien besonders, 
das menschliche Gesicht nicht viel besser. Blaue Venen 
bilden Schlangen auf Handrücken, und verunzieren 
die marmorierte glasige Wuchtigkeit von Hüften. 
Solch klumpiges Gewicht ist's wert, dass man es nach Jahrhunderten ansieht 
(Pygmalion bis Canova) ...


Poem for Lucian Freud

Yes, the body is a hideous thing,
the feet and genitals especially,
the human face not far behind. Blue veins
make snakes on the backs of hands, and mar
the marbled glassy massiveness of thighs.
Such clotted weight’s worth seeing after centuries
(Pygmalion to Canova) ...


John Updike

Caravaggio, Amor Vincit Omnia 1601/1602


Der Titel bezieht sich auf eine Stelle in Virgils Hirtengedichten: "Die Liebe besiegt alles, so sollten wir uns alle der Liebe ergeben."

Scharrbild, Cerne Abbas Riese in Dorset in England, Alter unbekannt, 55 Meter groß, der Schwanz ist 7m lang

Salvador Dali Nackter, Studie


Salvador Dali, Gruppensex


Pablo Picasso, Angel Fernandez de Soto mit einer Frau
1902, Museu Picasso, Barcelona



Juan Valverde de Amusco aus der Anatomia del corpo Humano 1559
Der gehäutete Mensch hält seine Haut in der einen und ein Messer in der anderen Hand.





 Michelangelo, zwischen 1501 und 1504, David (Teilansicht)


Antonio Pollaiuolo,
1465, Die Schlacht der nackten Männer


Mittwoch, 7. Dezember 2011

Das Weihnachtsessen oder wie ich an einem Tag im Jahr zum erzkonservativen Traditionalisten werde.



Heiligabend, 17.00 Uhr ist Bescherung. Als mein Vater noch lebte, haben wir uns kurz davor immer noch lauthals gestritten, ob wir erst Bibel lesen oder erst Geschenke bekommen werden. Der Streit fand seit meinem dritten Lebensjahr jährlich am 24.12. um 16.45 Uhr statt und wurde, natürlich, jedes Jahr von mir, später meiner Schwester und mir, gewonnen. Aber er mußte geführt werden. Ich würde auch dieses Jahr gern wieder streiten.
Also zuerst die Bescherung, mit übrigens der immer gleichen musikalischen Untermalung aus Heintje, Ella Fitzgerald, Elvis und anderen, unter einem Weihnachtsbaum, dessen sehr bunte, wild zusammengewürfelte Dekoration das Grün fast vollständig verdeckt, dann Lesezeit, weil mein Vater meinte, wir sollten als jüdische Heiden zumindest wissen, warum wir uns an diesem Tag versammeln. Recht hat er.

Erst die Prophezeiungen:
Matthäus 1.22-23/22 Das ist aber alles geschehen, auf daß erfüllt würde, was der HERR durch den Propheten gesagt hat, der da spricht: "Siehe, eine Jungfrau wird schwanger sein und einen Sohn gebären, und sie werden seinen Namen Immanuel heißen", das ist verdolmetscht: Gott mit uns. 
Matthäus 2:6  "Und du Bethlehem im jüdischen Lande bist mitnichten die kleinste unter den Fürsten Juda's; denn aus dir soll mir kommen der Herzog, der über mein Volk Israel ein HERR sei." und
Jesaja 7.14/15 "Siehe, eine Jungfrau ist schwanger und wird einen Sohn gebären, den wird sie heißen Immanuel. Butter und Honig wird er essen, wann er weiß, Böses zu verwerfen und Gutes zu erwählen."

Und dann die Weihnachtsgeschichte selbst.

Achtung! Ich habe meinem Kind in Vorbereitung auf Heiligabend, die Weihnachtsgeschichte mit eigenen Worten erzählt und in belehrender Begeisterung gleich noch den "Rest" bis Ostern mit drangehängt, mit dem Ergebnis, dass ich einer schluchzenden Siebenjährigen beinahe das ganze Fest verdorben habe, Denunziation, Auspeitschung und Kreuzigung eignen sich wohl nicht zum Erwecken von Vorfreude auf Kerzenschein und Glockenklang.

 Hieronymus Bosch  Die Hochzeit von Kana

Später, als ich manchmal das Vorlesen übernahm, habe ich die Text-Auswahl, je nach pubertärer Laune oder  innerfamiliärem Auseinandersetzungsstand, willkürlich verändert. 

Zum Beispiel als aufmunternden Beitrag zum Fest: Prediger: "Die Worte Kohelets, Sohn Davids, König in Jerusalem (Nichtigkeit der Nichtigkeiten) Nichtig und flüchtig, sprach Kohelet, (Nichtigkeit der Nichtigkeiten) nichtig und flüchtig, das alles ist nichtig.Welchen Gewinn hat der Mensch von aller seiner Mühe, mit dem er sich abmüht unter der Sonne? Eine Generation geht und eine Generation kommt und die Erde bleibt stehen in Ewigkeit. Und die Sonne geht auf und die Sonne geht unter und zu ihrem Ort strebt sie, wo sie wieder aufgeht. Und er geht nach Süden und er dreht sich nach Norden und er dreht, er dreht, er geht, der Wind und weil er sich dreht, kehrt der Wind zurück. Alle Flüsse gehen in das Meer und das Meer wird nicht voll. An den Ort, an den die Flüsse gehen, dorthin kehren sie wieder, um zu gehen. Alle Wörter mühen sich ab. Nichts kann der Mensch sagen. Nicht satt wird ein Augezu sehen und nicht voll ein Ohr vom Hören. Das, was war, es ist das, was sein wird. Und das, was getan wurde, ist das, was getan wird. Und es gibt nichts völlig Neues unter der Sonne. Gibt es ein Ding, von dem einer spricht: "Siehe, das ist neu"? Es war längst in den Zeiten, die vor uns waren. Es ist kein Andenken an die Früheren und an die Folgenden, die sein werden, kein Andenken gibt es für sie bei denen, die die Nachfolgenden sind."

Und dann das Essen; in gänzlich patriachalischer Tradition konnte meine Mutter beim Vorlesen nicht anwesend sein, weil sie zu der Zeit in der Küche tätig seien mußte.
Pute, Braunkohl, Rotkohl, Reis gekocht mit Hühnerklein. Nichts anderes seit 53 Jahren. Naja, das erste Jahr mag es Milch gewesen sein. "Ach, wenn mein Rücken auch noch Magen wäre!" Ich liebe dieses Essen und würde es an den 364 anderen Tagen des Jahres nie, niemals essen. Ich bin ein Dinosaurier. Ich bin, zu Weihnachten, am 24.12. von 17.00 Uhr bis 24.00 Uhr, ein eiserner Verfechter von Kontinuität und Tradition, Verweigerer jeder Neuerung, Bewahrer der einzigen wahren Weihnacht!

 Pirosmani Das Festmahl der fünf Prinzen


Egon Schiele - Schwangere und der Tod

Eigentlich habe ich nach einem Bild der schwangeren Maria gesucht, oder einem, wo die schwangere Maria, die ebenfalls schwangere Elisabeth besucht, deren Kind dann in ihrem Leibe "hüpft", aber nun bin ich auf dies hier gestossen. Morbide Zärtlichkeit in Bräunlich und Rot.

1911

Dienstag, 6. Dezember 2011

It's a wonderful Life - Ist das Leben nicht schön?


20. Dezember 1946. Filmpremiere von " Ist das Leben nicht schön?" von Frank Capra. Ein guter Mann verliert den Glauben an sich selbst, ein Engel Zweiter Klasse muß sich seine Flügel verdienen, indem er ihn vorm Selbstmord rettet. James Stewart und ein Engel namens Clarence. Für fünf Oscars nominiert, keinen gewonnen, bei der Erstaufführung mäßig erfolgreich, erwarb sich der Film über die Jahre Kultstatus und gehört heute zu den "100 Besten Filmen Aller Zeiten" des Amerikanischen Filminstitutes. Ein Klassiker.

Ein Weepie ist ein Film, in dem geweint wird, nicht unbedingt durch die Figuren des Filmes, aber unbedingt durch das Publikum. Es gibt Ein-, Zwei- und Dreitaschentücher- Weepies. Bei den blöden, will man nicht weinen, weil man bemerkt, wie man manipuliert wird, weint dann trotzdem und ärgert sich über die eigene Schwäche. Bei den guten, kann man loslassen, sich hingeben, und fühlt sich danach etwas weicher, etwas freundlicher. Vielleicht grinst man beschämt und gerade Männer sprechen nicht gern darüber, aber ein gutes Weinen, kann sehr entspannend sein. Ein bißchen, wie der Unterschied zwischen dem hastigen Verschlingen von einem Liter Schokoladeneiscreme und dem sündigen Genuss einer Tafel Schokolade, nachdem man sich jeden Finger einzeln abschleckt.

Mich erwischt es regelmäßig bei "Jene Jahre in Holywood" mit Barbara Streisand und Robert Redford. Sie liegt im Krankenhaus, hat gerade das gemeinsame Kind geboren, er kommt noch einmal zu Besuch, sie werden sich trennen, beide wissen es - und Hanna weint, mein ehemaliger Mann, reichte in der exakt richtigen Sekunde das Taschentuch.

James "Jimmy" Stewart

Zum Happy End, zum Guten Ende, des Capra-Filmes hört man ein Lied des schottischen Dichters Robert Burn, gesungen auf eine traditionelle Melodie:

http://www.youtube.com/watch?v=Z3sXVxqDbFk
http://www.youtube.com/watch?v=4U9zXXRiTVA

AULD LANG SYNE

Should auld acquaintance be forgot
And never brought to mind?
Should auld acquaintance be forgot,
and days of auld lang syne
Sollte alte Vertrautheit vergessen sein
Und ihrer nicht mehr gedacht werden?
Sollte alte Vertrautheit vergessen sein,
und auch die lang vergangenen Zeiten?

Refrain
For auld lang syne, my dear
For auld lang syne
We'll take a cup o'kindness yet
For auld lang syne

Refrain
Der lang vergangenen Zeiten wegen, mein Lieber,
Der lang vergangenen Zeiten wegen
Lass uns zueinander freundlich sein,
Der lang vergangenen Zeiten wegen.

And surely ye'll be your pint-stowp
And surely I'll be mine
And we'll tak a cup o'kindness yet
For auld lang syne.

Und gewiss nimmst Du Deinen Maßkrug zur Brust
Und gewiss nehm ich den meinen,
Und lass uns zueinander recht freundlich sein
Der lang vergangenen Zeiten wegen.

We twa hae rin aboot the braes,
and pu'd the gowans fine
But we've wander'd mony a weary fit,
sin auld lang syne.

Wir beide sind über die Hügel gelaufen
Und pflückten die feinen Gänseblümchen,
Doch wanderten wir manch müden Schritt
Seit diesen lang vergangenen Zeiten.

We twa hae paidl'd i'the burn,
frae morning sun till dine
But seas between us braid hae roar'd,
sin' auld lang syne.

Wir beide haben im Fluss gepaddelt
Vom Morgen bis zum Abendrot
Doch haben seither ausgedehnte Meere zwischen uns getost,
Seit diesen lang vergangenen Zeiten.

And there's a hand, my trusty fiere
And gie's a hand o'thine
And we'll tak a right gude willie-waughtm
for auld lang syne.

Und hier ist meine Hand, mein treuer Freund,
Und schlag ein mit der Deinen!
Und dann lass uns einen ordentlichen Schluck nehmen
Der lang vergangenen Zeiten wegen.

Montag, 5. Dezember 2011

Blutige Weihnacht - Loriot

                ADVENT

                Es blaut die Nacht, die Sternlein blinken,
                Schneefloecklein leis herniedersinken.

                Auf Edeltaennleins gruenem Wipfel
                haeuft sich ein kleiner weisser Zipfel.

                Und dort vom Fenster her durchbricht
                den dunklen Tann ein warmes Licht.

                Im Forsthaus kniet bei Kerzenschimmer
                die Foersterin im Herrenzimmer.

                In dieser wunderschoenen Nacht
                hat sie den Foerster umgebracht.

                Er war ihr bei des Heimes Pflege
                seit langer Zeit schon im Wege.

                So kam sie mit sich ueberein:
                am Niklasabend muss es sein.

                Und als das Rehlein ging zur Ruh',
                das Haeslein tat die Augen zu,
                erlegte sie direkt von vorn
                den Gatten ueber Kimme und Korn.

                Vom Knall geweckt ruempft nur der Hase
                zwei-, drei-, viermal die Schnuppernase
                und ruhet weiter suess im Dunkeln,
                derweil die Sternlein traulich funkeln.

                Und in der guten Stube drinnen
                da laeuft des Foersters Blut von hinnen.

                Nun muss die Foersterin sich eilen,
                den Gatten sauber zu zerteilen.
                Schnell hat sie ihn bis auf die Knochen
                nach Waidmanns Sitte aufgebrochen.

                Voll Sorgfalt legt sie Glied auf Glied
                (was der Gemahl bisher vermied)-,
                behaelt ein Teil Filet zurueck
                als festtaegliches Bratenstueck
                und packt zum Schluss, es geht auf vier
                die Reste in Geschenkpapier.

                Da toent's von fern wie Silberschellen,
                im Dorfe hoert man Hunde bellen.

                Wer ist's, der in so tiefer Nacht
                im Schnee noch seine Runden macht ?

                Knecht Ruprecht kommt mit goldenem Schlitten
                auf einem Hirsch herangeritten !

                "He, gute Frau, habt ihr noch Sachen,
                die armen Menschen Freude machen ?"

                Des Foersters Haus ist tief verschneit,
                doch seine Frau steht schon bereit:
                "Die sechs Pakete, heil'ger Mann,
                's ist alles, was ich geben kann."

                Die Silberschellen klingen leise,
                Knecht Ruprecht macht sich auf die Reise.

                Im Foerstershaus die Kerze brennt,
                ein Sternlein blinkt - es ist Advent.



                aus: LORIOTs HEILE WELT, Diogenes

Sonntag, 4. Dezember 2011

Hans Christian Andersen - Der Tannenbaum

Der Tannenbaum

Hans Christian Andersen

Draußen im Wald stand ein niedlicher kleiner Tannenbaum. Er hatte einen guten Platz. Die Sonnenstrahlen liebkosten ihn, und der Wind strich durch seine Zweige. Im nächsten Jahr war der Baum schon um einen bedeutenden Ansatz größer und das Jahr darauf noch um einen.

"Ach, wenn ich doch so groß wie die anderen Bäume wäre", seufzte das Bäumchen, "dann könnte ich meine Zweige weit ausstrecken und mit meinem Wipfel in die weite Welt hinausblicken." Aber zwei Winter vergingen, und im dritten war das Bäumchen so groß, dass die Hasen darum herumlaufen mussten. "Nur wachsen, wachsen, groß und alt werden! Das ist doch das einzig Schöne auf der Welt!" dachte der Tännling bei sich. Im Spätherbst kamen Holzhauer in den Wald und fällten die größten Bäume wie in jedem Jahr. Ihre Äste wurden abgehauen, nackt, lang und schmal wurden sie auf ein Fuhrwerk gehoben und in die Welt hinausgeführt. Als mit dem Frühling Storch und Schwalbe wiederkehrten, fragte der Tannenbaum : "Wisst ihr, wohin die großen Stämme geführt werden?"

Der Storch nickte mit dem Kopf und sagte: "Viele neue Schiffe sind mir begegnet, als ich in Ägypten war, auf den Schiffen waren gewaltige Mastbäume, und ich vermute, das waren die Tannen aus diesem Wald." - "Ach, wäre ich doch auch schon so groß, um über das Meer fahren zu können!" - "Freu dich deiner Jugend!" sagten die Sonnenstrahlen, "freue dich deines fröhlichen Wachstums und des frischen Lebens in dir!"

Um die Weihnachtszeit wurden ganz junge Bäume gefällt. "Wohin sollen sie?" fragte der Tannenbaum. "Sie sind nicht größer als ich." - "Wir wissen es", piepsten die Spatzen, "sie werden mitten in der Stube aufgepflanzt und mit den herrlichsten Sachen, vergoldeten Äpfeln, Honigkuchen, Spielzeug und vielen bunten Lichtern geziert." - "Ob es wohl auch mir beschieden ist, diesen strahlenden Weg zu gehen?" fragte der Tannenbaum. "Das ist doch viel schöner als über das fremde Meer zu fahren."

"Freue dich unser", raunten die Luft und der Sonnenschein, "freue dich deiner frischen Jugend und deiner Freiheit." Aber der Tannenbaum freute sich gar nicht. Er wuchs und wuchs. 
Wieder kam Weihnachten und er wurde als erster gefällt. Ein großer Schmerz durchfuhr ihn, so dass er in Ohnmacht fiel. Er kam erst wieder zu sich, als er in einem Hof mit den anderen Bäumen abgeladen wurde und einen Mann sagen hörte: "Der ist prächtig! Den nehmen wir!" Zwei Diener kamen und trugen den Tannenbaum in einen großen herrlichen Saal. An den Wänden hingen prachtvolle Bilder, und neben dem großen Kachelofen standen kostbare chinesische Vasen mit Löwen auf den Deckeln. Da waren Schaukelstühle, seidene Ruhebetten, lange Tische mit Bilderbüchern. Der Tannenbaum wurde in ein mit Sand gefülltes Fass gestellt. Diener und Fräulein gingen umher und schmückten ihn mit kleinen Netzen aus buntem Papier, jedes gefüllt mit Zuckerwerk; vergoldete Nüsse und Äpfel hingen herab, und über hundert blaue, rote und weiße Kerzen wurden auf die Zweige gesteckt. Kleine Puppen schwebten im Grünen, und hoch oben auf der Spitze glänzte ein Stern aus Flittergold. Es war ganz unvergleichlich prächtig!
Oh, dachte der Baum, wäre es doch schon Abend, und was dann wohl geschehen würde! Am Abend wurden die Lichter angezündet. Oh, welcher Glanz! Welche Pracht! Plötzlich öffneten sich die großen Flügeltüren weit, und viele Kinder stürzten herein, die Kleinen standen ganz stumm, aber nur einen Augenblick, dann jubelten und schrieen sie, dass es nur so schallte. Sie tanzten um den Baum herum und nahmen ein Geschenk nach dem anderen von den Zweigen.
Was machen sie, dachte der Baum, was soll das? Und die Lichter brannten herunter bis auf die Zweige und wurden dann ausgelöscht. Und die Kinder durften den Baum plündern, dass es in allen Zweigen knackte. Niemand sah mehr auf den Baum. "Eine Geschichte, bitte eine Geschichte!" riefen die Kinder und zerrten einen kleinen Mann zum Baum, und er setzte sich unter die Zweige. "Denn so sitzen wir im Grünen", sagte er, "wollt ihr die von Ivede-Avede oder die von Klumpe-Dumpe hören?"

"lvede-Avede!" schrieen die einen, "Klumpe-Dumpe!" verlangten die andern. Und der Mann erzählte von Klumpe-Dumpe, der die Treppe hinunterfiel und doch erhöht wurde und die Prinzessin erhielt. Der Tannenbaum stand ganz still und in tiefe Gedanken versunken. Niemals hatten die Waldvögel solche Geschichten gewusst. Klumpe-Dumpe fiel die Treppe hinunter und bekam doch die Prinzessin zur Frau. Ja, ja, so geht es auf dieser Welt zu. Und er freute sich schon, am nächsten Morgen wieder mit Lichtern und Spielzeug geputzt zu werden. Am Morgen kamen der Knecht und die Magd herein. Doch sie schleppten ihn aus dem Saal hinaus auf den Boden. Dort stellten sie ihn in einen dunklen Winkel. Was soll das bedeuten, grübelte der Baum, was soll ich hier machen? Jetzt ist draußen Winter, deshalb können mich die Menschen nicht einpflanzen, darum soll ich wohl bis zum Frühjahr hier in sicherer Obhut stehen.


"Piep, piep", machte da eine kleine Maus und huschte hervor. Hinter ihr kam noch eine zweite. "Woher kommst du?" fragten die Mäuse. "Und was weißt du?" Sie waren schrecklich neugierig. "Erzähl uns doch von den schönsten Orten der Erde. Bist du dort gewesen? Bist du in der Speisekammer gewesen, wo der Käse auf den Brettern liegt und die Schinken unter der Decke hängen?" - "Nein, den Ort kenne ich nicht", antwortete der Tannenbaum, "aber ich kenne den Wald, wo die Sonne scheint und die Vögel singen." Er erzählte nun alles aus seiner Kindheit.

"Wie viel du gesehen hast, wie glücklich du gewesen bist!" sagten die kleinen Mäuse.

Dann berichtete er vom Weihnachtsabend, als er mit Kuchen und Lichtern geschmückt worden war. "Wie schön du erzählst!" sagten die Mäuschen, und am nächsten Abend kamen sie mit vier anderen Mäuschen, damit auch sie den Baum erzählen hören sollten. Und am Sonntag erschienen sogar zwei Ratten; diese aber sagten, die Geschichte sei gar nicht hübsch, und das betrübte die Mäuschen, denn nun hielten sie auch weniger davon.

"Das ist ja eine höchst jämmerliche Geschichte", sagten die Ratten. "Kennst du keine von Talglicht und Speck? Keine Speisekammergeschichte?" - "Nein", sagte der Baum. "Dann danken wir dafür!" erwiderten die Ratten und gingen heim zu ihren Familien. Zuletzt blieben auch die Mäuse fort. Da wurde der Baum sehr traurig.

Und eines Tages kamen Leute auf den Speicher, und ein Diener trug den alten Tannenbaum auf den Hof. "Nun werde ich leben", jubelte der Baum und breitete seine Zweige aus. Aber die waren alle vertrocknet und gelb. Nur der Stern aus Goldpapier saß noch oben an der Spitze und glänzte im hellen Sonnenschein. Die Kinder, die am Weihnachtsabend den Baum umtanzt hatten, kamen herbei und riefen: "Seht, was da noch an dem hässlichen alten Tannenbaum sitzt!" Und sie traten auf die Zweige, dass es krachte und knickte.

Und der Baum sah auf all die Blumenpracht und die leuchtende Schönheit im Garten. "Vorbei, vorbei!", seufzte er. "Hätte ich mich doch gefreut, als ich es noch konnte! Vorbei! Vorbei!"

Der Hausknecht kam und hieb den Baum in kleine Stücke. Ein ganzes Bündel lag da und flackerte hell auf unter dem großen Braukessel. Das Holz knisterte, und es schien, als seufze der Baum, und er dachte noch mal an einen Sommertag im Wald oder an eine Winternacht da draußen, wenn die Sterne funkelten. Er dachte an den Weihnachtsabend und an Klumpe-Dumpe, das einzige Märchen, das er gehört hatte und zu erzählen verstand. Und dann war der Tannenbaum verbrannt.

Die Knaben spielten im Garten, und der kleinste trug den Goldstern, der den Baum an seinem glücklichsten Abend geschmückt hatte, auf seiner Brust. Nun war die Weihnachtszeit vorbei, und mit dem Tannenbaum war es vorbei und mit der Geschichte auch; vorbei, vorbei, und so geht es mit allen Geschichten!

Samstag, 3. Dezember 2011

Rainer Maria Rilke - Advent


Nach einem "Herbst"-Spaziergang am Nachmittag, 
möchte ich doch noch einmal darauf hinweisen, 
dass es Dezember ist und demnächst 
der Zweite Adventsonntag beginnt! 
Ich bestehe auf mein Recht auf Winter!
Vier Jahreszeiten und keine weniger!
Schließen Sie sich meinem Protest an!


Advent

Es treibt der Wind im Winterwalde
die Flockenherde wie ein Hirt
und manche Tanne ahnt wie balde
sie fromm und lichterheilig wird;
und lauscht hinaus. Den weißen Wegen
streckt sie die Zweige hin - bereit
und wehrt dem Wind und wächst entgegen
der einen Nacht der Herrlichkeit.

Rainer Maria Rilke 

Schneeengel

Brüste

Tintoretto 1570 Portrait einer Frau, die ihre Brüste entblößt

Raffael 1518 La Fornarina, "Die kleine Bäckerin", Margherita Luti war Raffaels Lieblingsmodell.

Édouard Manet 1878 Blonde Frau mit nackten Brüsten

Kirchenmalerei, Das Märtyrium der Heiligen Agathe von Sizilien. Ihr wurden die Brüste abgeschnitten, weil sie den Avancen eines reichen Mannes nicht nachgeben wollte, der Heilige Peter hat sie in einer Vision später wunderbarerweise geheilt.  © Emanuele Leoni

Kirchenmalerei, wieder die Heilige Agathe, diesmal mit den Brüsten auf 'nem Teller. 

Pierre-Auguste Renoir 1907 Gabrielle mit nackten Brüsten. Sie war Kindermädchen bei Renoir und Modell und sie gilt als Mentorin des jungen Jean Renoir, den sie ins Puppentheater mitnahm, und mit ihm regelmäßig das damals noch ganz neue Kinotheater besuchte. 

Jean Fouquet 1452-1455 Die Jungfrau mit dem Kind begleitet von Engeln (rechte Seite eines Tafelbildes)