Montag, 16. Oktober 2023

Es ist Krieg und ich gehe ins Kino und in die Oper

Vor wenigen Tagen hat Israel der Hamas, nach einem schweren Angriff auf seine Bürger, den Krieg erklärt. Grauenhaft, bedrohlich. Wer ist schuldig? Ich wünschte es gäbe eine einzige richtige Antwort. Das schlechte Gewissen Europas ermöglichte die Gründung des Staates der Juden, die nach der Verwüstung des Holocausts, jedes Recht hatten, einen sicheren Ort zu suchen. Die Palästinenser bezahlten eine Schuld, die sie nicht zu verantworten hatten und einige, nicht wenige wurden durch erfahrenes Leid, aber auch religiösen, nationalistischen rückwärtsgewandten Starrsinn und die Korruptheit ihrer Anführer zu Terroristen. Gibt es eine Lösung? Wenn ja, kenne ich sie nicht. Der Iran jubiliert. Das Regime, das Frauen hasst und Abweichler und wer weiß wen noch. Israel ist ein demokratischer Staat, der von einem korrupten Mann regiert wird und es hat verzweifelt versucht, sich gegen ihn zu wehren. Jetzt müssen alle Israelis notwendigerweise zusammenstehen. Und nun? Ich wünsche die Sicherheit aller Juden überall. Aber ich wünsche auch, dass die Palästinenser würdig leben dürfen. Ich wünsche mir einander ausschließende Dinge, kann nichts tun und gehe Kunst gucken.

DOGMAN von Luc Besson im Babylon Kreuzberg, dass nicht zu verwechseln ist mit dem anderen Kino Babylon, wie eine unglückliche junge Frau feststellen musste. Luc Besson - Im Rausch der Tiefe, Nikita, Leon der Profi, Das Fünfte Element und dann der gänzlich grässliche Valerian. Ich wusste also nicht, was mich erwartete. Die Freundin, mit der ich im Kino war, hat es auf den Punkt gebracht: krasser Scheiß! Caleb Landry Jones ist ein schauspielerisches Ereignis. Ehrlich gesagt, ist mir auch egal, ob der Film gut oder nur halbgut ist. Da hat einer was gewagt. Einen großer Wurf. Und da ist Geschmack nur eine, nicht die wichtigste Kategorie. Überzeugung, Konsequenz und Mut sind Kategorien, die in der Kunst, gerade jetzt, wichtig, manchmal entscheidend sind. Krasser Scheiß!

Hauptprobe zum Intendanten Vorsprechen Hochschule Ernst-Busch in Berlin. Fünf und eine halbe Stunde lang, aber ein Vergnügen. So viel Energie, Hoffnung und Talent.

Anselm Kiefer beschrieben von Wim Wenders. 20 Prozent des Films besteht aus nachgestellten Szenen aus Kiefers Leben, Kiefer als Kind (Wenders Enkel?). Kiefer als junger Mann (Kiefers Sohn oder Enkel?). Das ist Kitsch, und zu vernachlässigen. Merkwürdig, dass Humorlosigkeit und Kitsch einander so oft anverwandt sind. Aber die anderen 80 Prozent sieht man Anselm Kiefer bei der Arbeit zu und das ist eine große Freude. Ein Besessener muss arbeiten, will arbeiten, will hart arbeiten. Baut eine Stadt aus leeren schiefen Türmen bewohnt von Frauenkleidern belastet von Büchern, Stacheldraht, Gewucher, Globen. Er redet wenig, bedacht, genau. Die westdeutsche Kunstkritik hat es ihm erstmal sehr übel genommen, dass er sie nicht in Ruhe ließ mit dem verdammten Faschismus-Thema, ihn als Neo-Nazi abgestempelt und erst sein Erfolg in der USA hat sie gezwungen doch hinzuschauen. Und er sieht auch noch verflixt gut aus, weil er so viel arbeitet und es liebt. Sexy mit 78, das will ich auch. Ich hoffe, ich bekomme die Chance eine große Kiefer-Retrospektive zu sehen, irgendwo, irgendwann. Erinnerung. Vor Jahren im Hamburger Bahnhof mein erster Kiefer, haptisch, grobe Struktur und ein paar Kinderkleider. Es schlug mir in den Magen. 

Und zum letzten Akt meines überfüllten Kulturwochenendes: Parsival in Hannover. "Immer wenn ich Wagner höre, habe ich das Gefühl, ich muß in Polen einmarschieren." sagt Woody Allen, und ich stimme ihm, nach diesem 5 1/2 stündigem Opernelebnis aus vollem Herzen zu. Nach einem interessanten ersten Aufzug, zusammengeschweißt von einem tollen Bühnenbild, haben die Sänger, den Rest der vielen Stunden nur noch herumgestanden, sich mal hingesetzt, um dann aufzustehen, langsam irgendwo anders hinzugehen, um sich dann wieder hinzusetzen. Ich kann mir nicht erklären, warum man so ein Frauenbild zwischen wildem Weib und inzestiöser Mutterliebe, Hure und Mami und diese bibbernde Verherrlichung von Retterphantasien durch den "Reinen Toren", heute noch so unwidersprochen auf die Bühne bringen kann. Wenn im ersten Aufzug noch Andeutungen von Klimanot und Verfall des gesellschaftlichen Zusammenhalts zu erahnen waren, verfällt das Ding danach zusehends in kammerspielartiges Psycho - Geraune. Die Qualität der Musik war sicher hoch, davon verstehe ich nicht genug, komme halt vom Schauspiel. Beim Essen in der Pause, schlug meine Dramaturgen-Freundin vor, man könnte doch wenigstens Striche machen, woraufhin ein sehr liebenswürdiger Herr, der an unserem Tisch saß, sagte: "Sicher könnte man, aber dann werden sie gelyncht." "Erlösung für den Erlöser", was für ein protofaschistisches, frauenverachtendes, pseudochristliches Geschwurbel. Man sollte mal den Text ohne Musik aufführen, so ganz nackt, das wäre mir ein Fest, und bitte mit den Regieanweisungen! Zur gleichen Zeit hat übrigens auch Büchner geschrieben und zwar soetwas: "Müdigkeit spürte er keine, nur war es ihm manchmal unangenehm, daß er nicht auf dem Kopf gehn konnte."

PARSIVAL:
Erlöser! Heiland! Herr der Huld!
Wie büss ich Sünder meine Schuld?

KUNDRY:
(deren Erstaunen in leidenschaftliche
Bewunderung übergeht, sucht
schüchtern sich Parsifal zu nähern)

Gelobter Held! Entflieh dem Wahn!
Blick' auf, sei hold der Huldin Nahn!

PARSIFAL:
(immer in gebeugter Stellung, starr
zu Kundry aufblickend, während diese
sich zu ihm neigt und die liebkosenden
Bewegungen ausführt, die er mit dem
Folgenden bezeichnet)

Ja, diese Stimme! So rief sie ihm;
und diesen Blick, - deutlich erkenn' ich ihn,
auch diesen, der ihm so friedlos lachte;
die Lippe, ja... So zuckte sie ihm;
so neigte sich der Nacken,
so hob sich kühn das Haupt;
so flatterten lachend die Locken,
so schlang um den Hals sich der Arm;
so schmeichelte weich die Wange;
mit aller Schmerzen Qual im Bunde,
das Heil der Seele
entküsste ihm der Mund!
Ha! Dieser Kuss!
  

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