Freitag, 30. Mai 2014

Robert Capa - Omaha Beach - Beinahe umsonst


   Wenn Deine Bilder nicht gut genug sind, warst du nicht nah genug.
   If your pictures aren't good enough, you aren't close enough.
   Robert Capa

   Am 6.6.1944 nimmt Robert Capa im Gefolge des 16. Regiments der 1. 
   Infanterie Division, als Photograph für das renommierte LIFE- Magazin, an 
   der Invasion der Alliierten in der Normandie teil. Er photographiert die 
   Landung am Omaha Beach aus nächster Nähe, wird nicht getötet, drei 
   Filmrollen mit 106 Bildern erreichen das Londoner Büro von LIFE. Die unter 
   Zeit- und Erwartungsdruck stehende Photoassisstentin legt die Filme in der 
   Dunkelkammer in den Trockner und will den Prozess durch erhöhte 
   Temperatur beschleunigen - die Druckerpresse wartet - und 96 oder 97 der 
   Photographien verschmirgeln, nur 10 oder 11 Aufnahmen, je nach Quelle, 
   überleben den Hitzeschock.
   Büchners Verlobte hat sein letztes Stück verbrannt, es war ihr zu 
   unanständig. Mit der Bibliothek von Alexandria verbrannten unzählige 
   möglicherweise großartige Werke der Weltliteratur. Und hier hat eine eifrige 
   junge Frau fast einhundert unter Lebensgefahr geschossene (welch verbale 
   Ironie!) Zeitzeugnisse verkocht. Die Arme! Welch eine Blamage. Wir wissen 
   nicht einmal ihren Namen, gut so.
   Die Bilder sind unscharf, eilig, hastig.  
   Am Omaha Beach in der Normandie landeten um die 34 000 Soldaten, 2400 
   davon starben dort, weshalb der Strand den Namen "Blutiger Strand" bekam, 



Men of the 16th Infantry Regiment seek shelter from German machine-gun fire 
in shallow waterbehind "Czech hedgehog" beach obstacles, Easy Red sector, Omaha Beach.
© Robert Capa/Magnum Photos.

© Robert Capa/Magnum Photos.

© Robert Capa/Magnum Photos.

Donnerstag, 29. Mai 2014

Der Tag an dem mein Gehirn gelöscht wurde


Vor einer Woche begann mein Computer, ein launisches Eigenleben zu führen. Er wollte dies und das nicht tun oder wenigstens auf andere Art, als ich es erwartete. Schon eine ganze Weile hatte ich den Eindruck, dass er seine vielfältigen täglichen Aufgaben zunehmend widerwilliger und schleppender verrichtete. Aber nun ging er in den aktiven und passiven Widerstand. Meine internen und auch die lauten Gespräche mit ihm wurden zunehmend dringlicher und zugleich unterwürfiger. " Bitte, bitte, gehorche mir doch!" Unsere übliche klare Meister- Diener Beziehung bekam Risse und ein Abgrund, mein Abgrund voll Hilflosigkeit öffnete sich. APPLE, unser gemeinsamer Guru wurde angerufen. Von mir. Der Computer war wohl ganz zufrieden mit seiner neu gewonnen Freiheit. Verschiedene Berater auf steigenden Sprossen der Apple-Reparaturhierachie redeten mir und ihm gut zu, gaben Ratschläge, griffen, mit meiner Einwilligung, der Computer ließ es über sich ergehen, in das Innenleben der unwilligen Maschine ein. Ihre Anweisungen wurden zunehmend kryptischer, mein Schweißfaktor höher. Viele Stunden vergingen unter Aufsicht und mit Hilfe reizender Menschen aus dem geheimnisvollen Apple-Center am anderen Ende meiner Telephonleitung. Einer war aus Rumänien, wo ich auch Verwandte habe, einer hatte genauso viel oder wenig Ahnung wie ich. Von Anruf zu Anruf wiederholte ich die Litanei der Beschwerden meines Computers, schleppte den unbeteiligten Patienten von Arzt zu Arzt. Alle waren sich sicher, dass Hoffnung bestünde, deuteten Versäumnisse ihrer Vorgänger an und versicherten, dass ihre Behandlung sicher besser anschlagen würde, als die ihrer Kollegen. Nichtsdestotrotz verschlechterte sich der Zustand des Behandelten zusehends. Dann gestern Abend, ein ganz zauberhafter Mann, Ingeneur und Psychologe ging mit mir in den End-Überlebenskampf - Back-Up machen - ALLES löschen - neu laden - - - und nix ging mehr, gar nix. Mr. C., so werde ich ihn von jetzt an nennen, sagte ja, dann ok. in 7 Stunden, in 58 Stunden oder in einer Sekunde und verabschiedete sich schließlich ohne Abschiedsgruß aus meinen Diensten.  Der Herr aus dem Apple-Hilfe-Zentrum hatte Dienstschluß, versprach Hilfe am nächsten Mittag. Ich war allein mit meinem komatösen Silberkasten.
Meine Termine, meine Arbeitsunterlagen, meine Archive, meine Freizeitunterhaltungen, dieser Blog und und und - kurz der Großteil meines Gehirns waren in den Erinnerungen eines Nicht-Mehr-Ansprechbaren gefangen. Desolation! 



Heute morgen zu Gravis, jetzt läuft er wieder, allerdins ohne Trackpad (Maus), unter Verlust einiger wichtiger Fakten und nachdem ich und Helfer, denen ich gar nicht genug danken kann, etwa zwanzig Stunden auf Wiederbelebungsversuche verwendet haben. Ich bin erschöpft. Meine Helfer sind es auch. Wie sich Mr. C fühlt weiß ich nicht. 
Und erzählt mir jetzt bitte nichts über die Entfremdung des Menschen von der realen Welt durch wachsende Abhängigkeit von der digitalen. Ich liebe meine reale Welt und kann gut zwischen beiden unterscheiden. Aber Dienst ist Dienst und Schnaps ist Schnaps, und ohne Mr. C. bin ich verflixt weniger effizient, Teile meiner realen Welt leben sehr weit weg und der Kontakt mit ihnen wird durch Mr. C. stark vereinfacht, facebook bedient meine Bedürfnisse nach realem Tratsch und Klatsch, und vor allem kann ich die Arbeit, die ich liebe digital schneller und leichter verrichten, damit ich mehr Zeit für den realen Teil meines Lebens habe.
Mr. C. ich brauche sie und hoffe auf ihre baldige völlige Gesundung!

Samstag, 24. Mai 2014

Verfluchter reaktionärer Dreck!


Bitte lesen! Das ist ein erschreckender, wütendmachender Artikel über Entwicklungen im ungarischen staatlichen Theaterbetrieb.


http://pusztaranger.wordpress.com/2014/05/23/sakrales-theater-gegen-die-internationale-schwulenlobby/

Müßiggang ist eine Kunst.


"Man schläft, man schläft, und hat nicht mal Zeit, sich zu erholen"
Oblomow

Dem Müßigggang zu frönen, ist eine Kunst.
Das Verb ist mit Fron verwandt und setzt althochdeutsch fronen, mittelhochdeutsch vronen „dienen“ fort. Wiki
Meine Großmutter, widerspenstige Witwe, Schauspielerin, Mutter, Oma und Intendantin hatte die Fähigkeit am Samstag Nachmittag die Probe verlassen, ihre Enkelin, also mich, einzusacken, nach Buckow in der Märkischen Schweiz zu fahren und sich während dieser etwa einstündigen Fahrt in einen gemähchlichen Hippie, der sich innigst fürs Pilzesammeln, Schwimmen und Mehlspeisen-Zubereiten interessierte zu verwandeln. Sie genoss, wenn wir geniessen als absichtsvolle, aber nicht angestrengte Tätigkeit definieren. Diese Fähigkeit hat sie mir vererbt und ich kann ihr gar nicht genug danken für dieses Erbe.
Ich liebe es müßig zu gehen. Im eineindeutigen Sinne des Wortes durch Städte zu wandern, ohne Plan und Bildungsbedürfnis. Und im eigentlichen Sinn, ohne Absicht und Erwartung von Nutzen, zu SEIN.
Man gebe mir zwei Tage ohne Pflicht und ich werde sie nutzlos, gänzlich unnütz nutzen, Himmel anstarren, Filme zum Vergnügen schauen, mit Kindern Faxen machen, Gedichte übersetzen, die fast niemand lesen wird, über den Sinn des Wortes Müßiggang kontemplieren, was übrigens ein veraltetes Wort für das gewöhnliche Nachdenken ist. Nachdenken, über etwas das vergangen ist nach - denken. Mein Luxus, unnütz, entspannend, manchmal sehr schön. 
Und vielleicht kann ich nur deshalb so viel arbeiten, weil ich so grundtief müßig gehen kann. Ich diene der Muße, um der Pflicht gerecht zu werden.
Oder ich tue gern NICHTS.

Ich werde immer einen faulen Menschen wählen, um eine schwierige
Aufgabe zu lösen, weil er eine unanstrengende Art finden wird, sie zu lösen.
Bill Gates


"Die Arbeit bekommt immer mehr alles gute Gewissen auf ihre Seite: Der Hang zur Freude nennt sich bereits Bedürfniss der Erholung und fängt an, sich vor sich selber zu schämen. Man ist es seiner Gesundheit schuldig — so redet man, wenn man auf einer Landpartie ertappt wird. Ja, es könnte bald so weit kommen, dass man einem Hange zur vita contemplativa (das heisst zum Spazierengehen mit Gedanken und Freunden) nicht ohne Selbstverachtung und schlechtes Gewissen nachgäbe." 
Friedrich Nietzsche

Müßiggang oder das aktive Nichtstun

von Siegfried Lenz
http://www.zeit.de/1962/13/muessiggang-oder-das-aktive-nichtstun 

Muße ist ursprünglich die Substantivierung des Verbs müssen, und zwar im Sinne von „sich etwas zugemessen haben, Zeit, Raum, Gelegenheit haben, um etwas tun zu können“. Muße bedeutet dementsprechend ursprünglich nichts anderes als „Gelegenheit oder Möglichkeit, etwas zu tun“. Beide Wörter stammen ab von althochdeutsch muozan → goh. Hiervon, über das Adjektiv müßig, abgeleitet bezeichnet Müßiggang eine dauerhafte Untätigkeit. 
Wiki  

 

Freitag, 23. Mai 2014

Zwischen zwei Produktionen - Eine kleine Luxus-Jammerei


   
   LOBET DAS FAULSEIN, DENN ES IST UNDEUTSCH UND RETTET
   DIE SEELE

   Premiere, Premierenfeier, Glück oder Unglück, je nachdem, Heimfahrt,
   manchmal sieben Stunden, manchmal drei, Ankommen, Auspacken, 
   Wäsche waschen, Postberge abtragen, privates Leben leben.

   Aber, wenn, wie dieses Mal, die nächste Arbeit so sehr bald beginnt,
   überlagern sich Entspannung und Neuanspannung, Privatestes und
   gewohnter Arbeitsstress zu einer Kakophonie von Eindrücken und Kon-
   trasten. Hui! Und wenn dann noch der Computer spinnt, wie jetzt gerade
   meiner, der sich weigert meine Kalender zu synchronisieren, bockig
   langsamer wird und in unverschämter Weise Geduld verlangt, dann ...

   Und natürlich kommen gerade jetzt die tollsten Leute zu Besuch von
   überall in der Welt, und die lang vermissten Freunde sind noch lieber als
   sie sowieso immer sind, und Überraschungen gibt es auch, und das Berliner 
   Wetter zeigt sich von seiner verführerischsten  Seite und Faulsein wäre 
   herrlich, ist aber verboten.
   
   Wisst ihr, was ich im August tun werde? Gar nichts. Verblöden. Ver-
   sumpfen. So faul sein, dass ich mich in ein dickes, langsames, träges,
   grunzendes Ding verwandelne, dass genüsslich in die Gegend starrt,
   alle Welt lieb hat und auch ganz  ohne Intelligenzquotienten auskommt. 
   Judith und Lissabon, macht euch auf Johanna das Erholungsmonster gefasst!

  

© Frederico Machuca

   Shakespeare, Julius Cäsar:  
   Lasst wohlbeleibte Männer um mich sein, 
   mit glatten Köpfen, die nachts gut schlafen.

VORLESUNG

um ein gedicht zu machen
habe ich nichts
eine ganze sprache
ein ganzes leben
ein ganzes denken
ein ganzes erinnern
um ein gedicht zu machen
habe ich nichts
Und nun erst – eine Vorlesung! Nein – fünf!
Um eine Vorlesung zu halten
habe ich nichts
eine ganze Sprache – mir fehlen die Worte
ein ganzes Leben – zu viele Versäumnisse
ein ganzes Denken – nur noch Perseverationen
ein ganzes Erinnern – ausschließlich Lücken
um eine Vorlesung halten
habe ich alles
Vor allem ein Thema. Zu diesem kam es aus rein organisatorischen Gründen. 
 Es läßt sich indes aus sich selbst begründen. Vor allem als Zeichen des Fleißes, des Mangels an Faulsein. Ich rieche, rieche – Menschenfleiß!
ein falusein
ist nicht lesen kein buch
ist nicht lesen keine zeitung
ist überhaupt nicht kein lesen
ein faulsein
ist nicht lernen kein lesen und schreiben
ist nicht lernen kein rechnen
ist überhaupt nicht kein lernen
ein faulsein
ist nicht rühren keinen finger
ist nicht tun keinen handgriff
ist überhaupt nicht kein arbeiten
ein faulsein solang mund geht auf und zu
solang luft geht aus und ein
ist überhaupt nicht
Dies – unser Motto. Unser Thema: das Öffnen und Schließen des Mundes.

Ernst Jandl



Mittwoch, 21. Mai 2014

Schon wieder Shakespeare. Hamlet. Bin ich suchtgefährdet?


Ein Gewinner, der nicht kämpfen muß. Der absahnt. Im Lear gewinnt der zögerliche, feige, greinende Albany die Krone, im Hamlet kommt ein kriegslüsterner norwegischer Haudegen ins Land, genau in dem Moment, wo sich die gesamte dänische Herrschergruppe gerade selbst ausgelöscht hat.
Erster Satz: " Wo ist das Schauspiel?", letzter: "Geht, heißt die Soldaten schießen."
Irgendwo, ganz tief in unseren Mägen oder Seelen oder wo auch immer, das steckt, was wir Gewißheit nennen, haben wir alle diese durch nichts bewiesene Hoffnung auf den Sieg des Besseren über das Schlimme. Und  Shakespeare hatte sie sicher auch, aber die Realität kommt ihm dann dazwischen, und so gewinnt halt das Mittelmäßige oder gar das noch Schlimmere oder jemand, der bisher völlig nebensächlich schien. Es geht einfach weiter.


Zbigniew Herbert

Fortinbras' Klage


Für M.C. 

Allein geblieben prinz können wir jetzt von mann zu mann miteinander reden
wenn du auch auf der treppe liegst und soviel siehst wie die tote ameise
das heißt die schwarze sonne mit den gebrochenen strahlen
niemals konnt ich an deine hände denken ohne zu lächeln
und nun da sie auf dem stein wie abgeschüttelte nester liegen
sind sie genauso schutzlos wie vorher Das ist das Ende
Die hände liegen gesondert Der degen gesondert Gesondert
liegen kopf und beine des ritters in weichen pantoffeln
Du wirst ein soldatenbegräbnis haben wenn du auch kein soldat warst
das ist das einzige ritual auf das ich mich etwas verstehe
es wird keine kerzen geben und keinen gesang sondern lunten und donner
trauertuch über dem pflaster helme beschlagene stiefel
artilleriepferde trommelwirbel wirbel ich weiß schön ist das nicht
das wird mein manöver sein vor der machtübernahme
man muß diese stadt an der gurgel fassen und etwas schütteln
So oder so du mußtest fallen Hamlet du taugtest nicht für das leben
du glaubtest an die kristallbegriffe und nicht an den menschlichen lehm
du lebtest in ständigen krämpfen und jagtest träumend chimären
du schnapptest gierig nach luft und mußtest dich gleich erbrechen
kein menschliches ding gelang dir nicht einmal das atmen
Jetzt hast du ruhe Hamlet du tatest das deine
nun hast du ruhe der rest ist nicht schweigen doch mein
du wähltest den leichteren teil den effektvollen stich
was aber ist schon der heldentod gegen das ewige wachen
mit kaltem apfel im griff auf erhöhtem stuhl
mit blick auf den ameisenhaufen und auf die scheibe der uhr
Leb wohl mein prinz mich erwartet das kanalisationsprojekt
und der erlaß in sachen der dirnen und bettler
ich muß auch ein bessres gefängnissystem erfinden
denn wie du richtig meintest Dänemark ist ein gefängnis
Ich gehe zu meinen geschäften Heut nacht wird der stern
namens Hamlet geboren Wir kommen nie mehr zusammen
was von mir bleibt wird kein gegenstand einer tragödie
Wir sollten uns weder willkommen noch abschied sagen wir leben auf inselmeeren
und dieses wasser die worte was sollen was sollen sie prinz

Sonntag, 18. Mai 2014

Frauen lesen.


Ich lese, gern und viel und, wenn nicht berufsbedingt fokussiert, meist völlig ziellos. 
Wenn auf der Toilette nichts anderes zu finden ist, lese ich halt die Texte auf der Zahnpastatube. In der Bahn lese ich "Die Zeit", mindestens einmal pro Monat "Die Bildzeitung" von vorn bis hinten, Kriminalromane mit Serienmördern und ohne, Sachbücher aller Art, Theaterstücke, wenn ich muß, Gedichte immer, Fanartikel über meine jeweilige momentane Lieblingsserie, jetzt ist es gerade Game of Thrones, Romane in akuten Schüben, dann wochenlang überhaupt nicht, Science Fiction ohne Sternenkriege, die Vanity Fair US und alles, was mir in Arztpraxen, Hotelfoyers, Freundes-Regalen und zufällig ins Auge gefallenen Zeitungrezensionen unter die wirr wählenden Augen kommt. Große Teile der Weltliteratur fehlen völlig, aber dafür kenne ich nahezu alles von Dorothy Sayers, Shakespeare, Gott & seinen Co-Autoren und alle Bände Winnetou, Heidi, dem Herrn Der Ringe, der Foundation Trilogie, Grimms Märchen, Courts-Mahler (O Graus!), und unzählige Bücher, die kein Mensch braucht und die mir irgendwie passiert sind. Warum bin ich so unfähig, gezielt zu lesen? Es liest mit mir. Es hat auch nicht wirklich mit Bildungshunger zu tun. Wenn mich das Thema "Pest" packt, lese ich einfach alles, was mir dazu in die Hände fällt, von Camus & Defoe bis zu obskuren Internetartikeln über Ausgrabungen in Londoner Friedhöfen.
Binge Eating ist eine Essstörung, bei der es zu periodischen Fressanfällen mit Verlust der Kontrolle über das Essverhalten kommt. Könnte ich also an Binge Reading leiden? 
Es ist drei Uhr nachts, die Probe beginnt um Zehn, aber ohne ein paar Seiten Mord & Todschlag oder einem Gedicht oder was auch immer, kann ich nicht einschlafen, selbst wenn meine Augen sich schon kreuzen. 

"Lesesucht, die Sucht, d.h. die unmäßige, ungeregelte auf Kosten anderer nöthiger Beschäftigungen befriedigte Begierde zu lesen, sich durch Bücherlesen zu vergnügen." Joachim Heinrich Campe

Lesen im engeren Sinn bedeutet, schriftlich niedergelegte, sprachlich formulierte Gedanken aufzunehmen und zu verstehen, schreibt Wiki. Und das lateinische legere = „sammeln“, „auswählen“, „lesen“ findet sich in den deutschen Fremd- und Lehnwörtern Lektüre, Lektor und Legende.

Hans-Werner Hunziker, (2006) Im Auge des Lesers: foveale und periphere Wahrnehmung - vom Buchstabieren zur Lesefreude, Transmedia, Stäubli Verlag Zürich 2006 ISBN 978-3-7266-0068-6 nach daten des Statistischen Bundesamtes, Zweigstelle Bonn, Zeitbudgeterhebung 2001/02.

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Lesendes Mädchen
Gustav Adolph Hennig 1828


Mädchen die "Post" lesend
Norman Rockwell 1941


Portrait Helen Gow
Alexander Mann 1853–1908


Frau in Grau 
Louis le Brocquy 1939

Samstag, 17. Mai 2014

Theater hat auch eine Premiere - König Lear


Könnt ihr euch noch erinnern, wie es war, als ihr euch in frühen oder späteren  Teenager-Jahren erträumt habt, wie es sein wird, das erste Mal Sex zu haben? 

Der erste Kuss. Zu feucht, zu trocken, zu kurz, zu fest, was macht der oder die denn um Gottes Willen mit seiner/ihrer Zunge, die Zähne fest zusammenbeissen oder nicht? Schmeckt fremde Spucke gut? Was mache ich falsch? Warum fühlt sich das so komisch an? Mein Gott ist das schön! Soll das alles gewesen sein?
Knutschen bis kurz davor oder weit darüber hinaus. Zeit gerinnt oder verflüssigt sich.
Die Panik, die Ungeduld, die Vorfreude, die Zweifel, die Unbedingtheit, die Lust.

So in etwa ist es mit Premieren. Wochenlanges Petting ohne zur letzten, ersehnten, gefürchteten, begehrten, alleinseligmachenden Vereinigung zu gelangen. 
Wiki nennt es: Petting, von englisch petting: to pet „zu liebkosen", bezeichnet sexuelle Handlungen zwischen Menschen, die jede Art von sexueller Stimulation ohne Vollzug des Geschlechtsverkehrs umfassen.
Wir tun es unter uns, ohne Kostüme, ohne Bühnenbild, ohne Licht, zu Beginn vielleicht auch ohne Text, nur uns selbst und unseren Unzulänglichkeiten ausgesetzt. Erste Intimität entsteht mit vorgestellten Partnern. Oder es ist der Regisseur, also ich, und die Assisstentin, die Souffleuse, die den künftigen Bettgenossen, das PUBLIKUM, ersetzen. Bin ich also so etwas wie eine Trainings-Sex-Puppe, nur mit echteren Reaktionen?

Vor vielen Jahren, beim Zwischenhalt in Frankfurt am Main, auf dem Weg zu meinem ersten West-Gastspiel mit dem Deutschen Theater, erschreckte mich der weitaufgerissene Mund einer Gummipuppe im Beate Uhse Shop in Bahnhofsnähe. War sie erschrocken? Erstaunt? Oder machte sie sich lustig?




"Inflate here", verdeutscht: "Hier aufblasen".

Was aufblasen ? Mein Ego? Bin ich Medium, Fluffer oder Spiegel?
Nur Schauspieler werden vier oder fünf Mal im Jahr entjungfert.
Morgen ist die Erste Nacht. Wird sie Lust auf mehr machen? Ernüchtern? Überwältigen? Beide beteiligte Seiten sind gefordert.  Seid zärtlich miteinander, geniesst es.


Willkommen und Abschied


Es schlug mein Herz, geschwind, zu Pferde!
Es war getan fast eh gedacht.
Der Abend wiegte schon die Erde,
Und an den Bergen hing die Nacht;
Schon stand im Nebelkleid die Eiche
Ein aufgetürmter Riese, da,
Wo Finsternis aus dem Gesträuche
Mit hundert schwarzen Augen sah. 

Der Mond von einem Wolkenhügel
Sah kläglich aus dem Duft hervor,
Die Winde schwangen leise Flügel,
Umsausten schauerlich mein Ohr;
Die Nacht schuf tausend Ungeheuer,
Doch frisch und fröhlich war mein Mut:
In meinen Adern welches Feuer!
In meinem Herzen welche Glut! 

Dich sah ich, und die milde Freude
Floß von dem süßen Blick auf mich;
Ganz war mein Herz an deiner Seite
Und jeder Atemzug für dich.
Ein rosenfarbnes Frühlingswetter
Umgab das liebliche Gesicht,
Und Zärtlichkeit für mich - ihr Götter!
Ich hofft es, ich verdient es nicht!
 
Doch ach, schon mit der Morgensonne
Verengt der Abschied mir das Herz:
In deinen Küssen welche Wonne!
In deinem Auge welcher Schmerz!
Ich ging, du standst und sahst zur Erden
Und sahst mir nach mit nassem Blick:
Und doch, welch Glück, geliebt zu werden!
Und lieben, Götter, welch ein Glück.

 Spätere Fassung, ~1785
Johann Wolfgang von Goethe


Donnerstag, 15. Mai 2014

NOCHMALS LEAR - Wahnsinn ist der höchste Sinn - Emily Dickinson


LEAR
Erster Akt
Oh, lasst mich nicht wahnsinnig werden, nicht wahnsinnig,
Oh Gott; lass mich klar; ich will nicht wahnsinnig sein!


LEAR
Zweiter Akt
Ich hab viel Grund zum Weinen, doch dies Herz
Soll brechen in einhunderttausend Splitter
Eh dass ich wein. O Narr! ich werde wahnsinnig.


LEAR
Fünfter Akt

Heult, heult, heult! Oh! ihr seid ja aus Stein:
Hätt ich nur eure Augen, Zungen – 

ich, ich schrie ’s Gewölbe dieses Himmels ein

Edvard Munch: Der Schrei 
© The Munch Museum/The Munch Ellingsen Group/VBK

Wahnsinn ist der höchste Sinn –
Für den, der ihn versteht –
Und Sinn – der tollste Wahnsinn –
Die Mehrheit nur
Entscheidet, hier, wie überall –
Wer zustimmt – ist gesund –
Wer abweicht – ist gefährlich – und
Braucht Ketten wie ein Hund -

"Guten Morgen, Mitternacht. Zweisprachige Gedichte und Briefe“ Diogenes

Much Madness is divinest Sense -
To a discerning Eye -
Much Sense - the starkest Madness -
’Tis the Majority
In this, as all, prevail -
Assent - and you are sane -
Demur - you’re straightway dangerous -
And handled with a Chain -
 
Reprinted by permission of the publishers and the Trustees of Amherst College
from The Poems of Emily Dickinson: Variorum
 
„Ich sah die besten Köpfe meiner Generation zerstört vom Wahnsinn, hungrig
hysterisch nackt,
wie sie im Morgengrauen sich durch die Negerstraßen schleppten auf der Suche
nach einer wütenden Spritze" 
 
Allen Ginsberg Howl/Geheul
 
Wiki:
Das Wort „Wahnsinn“ ist eine Rückbildung des 18. Jahrhunderts aus dem
Adjektiv „wahnsinnig“, das schon im 15. Jahrhundert nachweisbar ist. Vorbild
war das Wort „wahnwitzig“, welches auf das althochdeutsche wanwizzi
zurückgeht. Dabei bedeutet das althochdeutsche wan (ie. *(e)uə-no „leer“)
ursprünglich „leer, mangelhaft“ (vgl. lat. vanus, engl. waning). „Wahnwitz“ bzw.
„Wahnsinn“ bedeuteten also in etwa „ohne Sinn und Verstand“. Dadurch, dass
wan und Wahn (ahd. wân „Hoffnung, Glaube, Erwartung“) sprachgeschichtlich
zusammengefallen sind, haben sich die Bedeutungen gegenseitig beeinflusst:
„Wahn“ wurde zur falschen, eingebildeten Hoffnung, der alte Wortbestandteil
wan wird heute als das etymologisch nicht verwandte „Wahn“ wahrgenommen. 

Dienstag, 13. Mai 2014

LAUFEN & SINGEN im MAI


LAUFEN & SINGEN

Wiki sagt:

WANDERN ist eine Form des Gehens über lange (MEHRSTÜNDIGE) Strecken 
in der Natur. Früher eine häufige Art des Reisens, 
stellt es heute hauptsächlich eine FREIZEITBESCHÄFTIGUNG dar. 

Maiglöckchen

 
KOMM, LIEBER MAI UND MACHE

Komm, lieber Mai, und mache
Die Bäume wieder grün,
Und lass uns an dem Bache
Die kleinen Veilchen blüh'n!
Wie möchten wir so gerne
Ein Blümchen wieder seh'n,
Ach, lieber Mai, wie gerne
Einmal spazieren geh'n.

Zwar Wintertage haben
Wohl auch der Freuden viel,
Man kann im Schnee frisch traben
Und treibt manch Abendspiel.
Baut Häuserchen von Karten,
Spielt Blindekuh und Pfand,
Auch gibt's wohl Schlittenfahrten
Aufs liebe freie Land.

Doch wenn die Vöglein singen,
Und wir dann froh und flink
Auf grünem Rasen springen,
Das ist ein ander' Ding.
Jetzt muss mein Steckenpferdchen
Dort in dem Winkel steh'n;
Denn draußen in dem Gärtchen
Kann man vor Schmutz nicht geh'n.

Am meisten aber dauert
Mich Lottchens Herzeleid,
Das arme Mädchen lauert
Recht auf die Blumenzeit.
Umsonst hol ich ihr Spielchen
Zum Zeitvertreib herbei,
Sie sitzt in ihrem Stühlchen
Wie's Hühnchen auf dem Ei.

Ach, wenn's doch erst gelinder
Und grüner draußen wär!
Komm, lieber Mai, wir Kinder,
Wir bitten gar zu sehr!
O komm und bring vor allem
Uns viele Veilchen mit,
Bring auch viel Nachtigallen
Und schöne Kuckucks mit.

Christian Adolph Overbeck
Maikäfer

DER KUCKUCK UND DER ESEL

Der Kuckuck und der Esel,
Die hatten großen Streit,
Wer wohl am besten sänge
Zur schönen Maienzeit
Wer wohl am besten sänge
Zur schönen Maienzeit

Der Kuckuck sprach: „Das kann ich!“
Und hub gleich an zu schreien.
Ich aber kann es besser!
Fiel gleich der Esel ein.
Ich aber kann es besser!
Fiel gleich der Esel ein.

Das klang so schön und lieblich,
So schön von fern und nah;
Sie sangen alle beide
Kuckuck, Kuckuck, i-a!
Sie sangen alle beide
Kuckuck, Kuckuck, i-a! 

Hoffmann von Fallersleben

Maipilz © Georg Müller

DER MAI IST GEKOMMEN

Der Mai ist gekommen, die Bäume schlagen aus,
da bleibe, wer Lust hat, mit Sorgen zuhaus;
wie die Wolken dort wandern am himmlischen Zelt,
so steht auch mir der Sinn in die weite, weite Welt.

Frisch auf drum, frisch auf drum im hellen Sonnenstrahl
wohl über die Berge, wohl durch das tiefe Tal.
Die Quellen erklingen, die Bäume rauschen all;
mein Herz ist wie ’ne Lerche und stimmet ein mit Schall. 
Und find ich keine Herberg, so lieg ich zu Nacht
wohl unter blauem Himmel, die Sterne halten Wacht.
Im Winde die Linde, die rauscht mich ein gemach,
es küsset in der Frühe das Morgenrot mich wach. 
Herr Vater, Frau Mutter, dass Gott euch behüt!
Wer weiß, wo in der Ferne mein Glück mir noch blüht?
Es gibt so manche Straße, da nimmer ich marschiert,
es gibt so manchen Wein, den ich nimmer noch probiert. 
Und abends im Städtlein, da kehr ich durstig ein:
"Herr Wirt, eine Kanne, eine Kanne blanken Wein!
"Ergreife die Fiedel, du lust’ger Spielmann du,
von meinem Schatz das Liedel, das sing ich dazu. 
O Wandern, o wandern, du freie Burschenlust!
Da weht Gottes Odem so frisch in die Brust,
da singet und jauchzet das Herz zum Himmelszelt:
wie bist du doch so schön, du weite, weite Welt!
Emanuel Geibel

 Maivogel © Werner Bartsch


Sonntag, 11. Mai 2014

Emma Siegmund-Herwegh, geboren am 10. Mai 1817 in Berlin


Auf der Suche nach einer, aus finanziellen Gründen, notwendigen, rechtefreien Hamlet-Übersetzung und erschreckenden Begegnungen mit den euphorischen Shakespeare-Vergewaltigungen durch Gerhart Hauptmann (Hamlet in Wittenberg), Theodor Fontane und einigen anderen überehrgeizigen Deutschschluderern, stieß ich auf eine erstaunlich klare und ernstzunehmende Version des Vormärz-Dichters Georg Herwegh. Ein "beut", heute bietet, hie und da, läßt sich problemlos ändern, der Rest ist ... gut. 
Dann lese ich über den Mann, ein interessanter Kerl, aber seine Frau ist der Hammer!  
Emma Siegmund: Sie hat Georg geliebt, Kinder mit ihm gezeugt, einen Salon für Turgenjev, Heine, Bakunin und viele andere aufregende Zeitgenossen geöffnet, Georgs Fremdgehen nicht hingenommen und ihn verlassen, einen italienischen Revolutionär, Felice Orsini, geliebt und ihm FEILEN ins Gefängnis geschmuggelt, Hosen getragen, um als Spion hinter feindlichen Linien zu arbeiten, hat sich mit Georg versöhnt, politisch gedacht und gekämpft, Georg überlebt, Frank Wedekind durch ihren Witz fasziniert, ihr Leben lang hart gearbeitet, revolutionär gedacht und gekämpft und ist schlußendlich großartig gescheitert. Was für ein tolles Leben, so viel Kraft, Leidenschaft und Ausdauer. Ihre Biographie hat den schönen Titel: Die grösste und beste Heldin der Liebe.

EMMA SIEGMUND - HERWEGH

Portrait Maler unbekannt

Obwohl in den besten Berliner Kreisen zuhause, wohlbegütert und hochbegabt, engagierte sie sich für demokratische Ideale, nahm dafür Not und Exil in Kauf. Sie lebte und dachte selbstbewusst, europäisch und revolutionär. Sie ritt wie der Teufel, schoss mit Pistolen, schwamm bei Mondschein in Flüssen und Seen, turnte, rauchte. Sie besuchte die rapide wachsenden Elendsviertel Berlins und betreute Polens Freiheitskämpfer im preußischen Gefängnis. In ihren eigenen Kreisen fühlte sie sich jedoch kaum noch zu Hause. In ihren Tagebüchern lässt sie ihrem Hohn darüber freien Lauf: "Beamtenseelen", "Philister", "liberales Pack", "fahle Brut", "Hofschranzen", "Speichellecker".

Berlin, den 10. Februar 1843

Mein lieber Georg!

Vor wenigen Stunden habe ich die Zeichnungen zu einem Tisch für Dich erhalten, sieh sie an, und gefällt Dir die eine davon, schicke sie schnell zurück, damit ich für die Ausführung sorgen kann. 

Den nächsten Montag werde ich auch die noch fehlenden Scheine erhalten und Dir senden, wenige Wochen später komme ich dann selbst, von den Eltern und Gustav begleitet. Fanny kann der Kleinen wegen nicht in dieser Jahreszeit reisen und gedenkt uns lieber im Sommer zu besuchen, wenn wir sonst schon von unserer Reise heimgekehrt sein werden. 
Je näher die Zeit unserer Vereinigung heranrückt, desto grösser ist meinerseits mein Verlangen nach Dir, aber auch wieder die Besorgnis, Dich dauernd fesseln und befriedigen zu können, wie ich es möchte und überhaupt ein Weib es soll, wenn sie Deiner würdig ist. Du glaubst nicht, wie viel mir noch fehlt, wie viel Geduld Du auch wirst mit mir haben müssen und wie arm meine Natur in geistiger Beziehung im Vergleich zu der Deinen ist. 
Nimm, was ich Dir schreibe, nicht für eine Superbescheidenheit, ich bin nie bescheiden gewesen und halte diese Eigenschaft für ebenso einfältig als die entgegengesetzte. Das einzige, was alle meine Kräfte und mein Interesse ungeteilt in Anspruch nimmt, ist das Geschick, eigentlich die politische Entwicklung meines Volkes und meine Liebe, in allem übrigen bin ich Stümper, Dilettant, und ich hasse den Dilettantismus. – Nur in der Liebe fühle ich mich ganz fertig und gestählt zu dem Grössten. Ich fürchte, dass es besser gewesen wäre, Du hättest mich ein Jahr später kennen gelernt, der Mensch vermag viel in einem Jahr, und ich wäre imstande gewesen, Dir besseres bieten zu können, – mehr Dich fortwährend anzuregen und heben. Genug, ich bin heute verstimmt, es ist besser, ich verarbeite dies im Stillen, als dass ich Dich und mich laut quäle.
Es ist gut, dass ich nicht mehr lange unter diesem Pack zu leben brauche, sie würden mich mit der Zeit zur lächerlichen Selbstüberhebung bringen, während Dir gegenüber meine eigene Person mir nicht in den Sinn kommt. Lass uns reisen, recht bald, recht weit und ganz, ganz allein. Sind wir erst beisammen, wird alles besser sein.
Adieu mein Herz; ich bombardiere Dich jetzt tüchtig mit Briefen, wenn sie Dir zu oft kommen, denke fein, dass Du es so gewollt und Dein Schatz nicht anders gekonnt.

Deine Emma.



 DAS LIED VOM HASSE
1841

Wohlauf, wohlauf, über Berg und Fluß
Dein Morgenrot entgegen,
Dem treuen Weib den letzten Kuß,
Und dann zum treuen Degen!
Bis unsre Hand in Asche stiebt,
Soll sie vom Schwert nicht lassen;
Wir haben lang genug geliebt
Und wollen endlich hassen!

Die Liebe kann uns helfen nicht,
Die Liebe nicht erretten;
Halt du, o Haß, dein Jüngst Gericht,
Brich du, o Haß, die Ketten!
Und wo es noch Tyrannen gibt,
Die laßt uns keck erfassen;
Wir haben lang genug geliebt
Und wollen endlich hassen!

Wer noch ein Herz besitzt, dem soll's
Im Hasse nur sich rühren;
Allüberall ist dürres Holz,
Um unsre Glut zu schüren.
Die ihr der Freiheit noch verbliebt,
Singt durch die deutschen Straßen:
»Ihr habet lang genug geliebt,
O lernet endlich hassen!«

Bekämpfet sie ohn Unterlaß,
Die Tyrannei auf Erden,
Und heiliger wird unser Haß
Als unsre Liebe werden.
Bis unsre Hand in Asche stiebt,
Soll sie vom Schwert nicht lassen;
Wir haben lang genug geliebt
Und wollen endlich hassen!

 Georg Herwegh

Literatur über Emma Herwegh:

Barbara Rettenmund und Jeannette Voirol
Emma Herwegh — Die grösste und beste Heldin der Liebe