Sonntag, 26. Mai 2013

Erinnerungen an etwas Fastvergessenes - Die Jahreszeit



 Vorfrühling Erstfrühling Vollfrühling Frühsommer  
Hochsommer Spätsommer  
Frühherbst Vollherbst Spätherbst  
Winter

Ich erinnere mich, dass diese Namen einst, vielleicht mag es sogar noch vor
nicht allzulanger Zeit so gewesen sein, dazu dienten, den Ort im laufenden Jahr
näher zu bezeichnen. Und wenn mich mein Gedächtnis nicht täuscht, würden
wir uns augenblicklich gerade im Vollfrühling befinden. Vollfrühling oder
Spätfrühling, man konnte den Sommer bereits ahnen, der Kampf um das
Tragen von Kniestrümpfen kontra doofe Strumpfhose war fürs Erste
beendet, Jacken wurden ständig irgendwo liegen gelassen und die
Freibäder wurden geöffnet - für Kinder in Mitte, das Mombi, oder 

(für Ausländer) das Kinderbad Monbijou - unser "Kleinod", überfüllt, dreckig 
und herrlich. Und die ganz besonders Mutigen sind auch mal in die 
nebenan fließende Pampe mit Namen Spree gesprungen, immer mit 
einem wachsamen Auge auf die plötzlich auftauchenden Grenzschutzboote. Bockwurst mit Senf für 80 Pfennig der DDR oder zum gleichen Preis 
8 Stullen mit Senf. Das Bad gibt es noch, aber dieses Jahr ist es 
wahrscheinlich noch zugefroren.

Der Mittel- oder Flirtgang

BERLINER FREIBAD

Max Herrmann Neiße
 

Wie sie an des Tümpels Schmutzgestaden
wie an einem Meereshafen baden,
sich ein märkisches Misdroy vortäuschen,
den verbotnen Leib, den heilsam keuschen,
aus sintflutlich steifer Wäsche schälen,
lange zappeln auf den Uferpfählen
und grotesk ins dunkle Spülicht platschen,
neckisch sich die Rundlichkeiten klatschen
und ihr schweres Fett kopfüber kippen
oder lieblich auf und nieder wippen!

Harmlos sich die Voyeure lagern
in ergiebiger Nähe von den magern
Mädchenleibem und markiern gemessen
Zeitungslesen oder Stullenfressen.
Alte Weiber hocken dahingegen
dort, wo Jünglinge des Bades pflegen,
hocken hoffnungslos, weil diese Knaben
eine ganz bestimmte Richtung haben,
die sie zärtlich zirpend wie Kastraten
würstchenwarm und zweifellos verraten.

Angler stehn wie Statuen im Gewimmel,
Flieger knattern am Gewitterhimmel,
Sportler, von dem Wahn besessen, rennen
auf und nieder, Pärchen selig pennen,
um des Dunkels Gnade zu erwarten.
Badehosenstifte spielen Karten,
fühlen sich als Männer und mißbrauchen
als gelegnen Grund zum Kettenrauchen
die vor soviel Schweiß wehrlosen Mücken,
die sich ängstlich in die Büsche drücken.

An den Beinen braun wie Kinderkacke
klebt der Sand, und eine Hinterbacke
schwimmt wie ein Ballon im schmutzgen Schilfe.
Ein getauchtes Wesen wimmert » Hilfe!«
Händler spenden aus verdächtgem Kübel
trübe Limonade. Wem wird übel.
Andern mundet die vom Staub verdreckte
Kost der Apfelsinen und Konfekte,
und ein ganz Verrohter schnappt den Happen
der noch zappelnd moosbedeckten Quappen.

Zu der Frösche lyrischem Gequarre
spielt jetzt einer sinnig die Gitarre,
einer pfeift das Lied von den Bananen.
In der Ferne rattern dumpf die Bahnen,
knallt das Feuerwerk vom Lunaparke.
Und hier produziert sich »Karl, der Starke«
und begeistert durch diverse Flausen
Pupen sowie Puppchen zu Applausen,
bis zuletzt, wenn schon die Blitze schwirren,
Glieder so und so sich toll verwirren.

Und seltsam unfaßbar die Geisterstimme singt:
»Am Wasser, am Wasser, am Wasser bin ich zuhaus . . .«
Und jeder die Seine schließlich heimwärts bringt,
und in den Schlafstuben die Lichter löschen aus,
der Sipo stapft ums Karree- - -
Und prasselt der Regen aufs Fensterbrett,
dann liegt die Nixe geborgen im Bett,
und auch der kesse Wannseekadett,
und er sticht nur im Traum noch in See.



Ursprünglich stand im Monbijoupark ein Rokkoko-Lustschloß aus dem 
18. Jahrhundert, es wurde 1959 aus ideologischen Gründen abgerissen.


Schloß Monbijou und Spree


Die fünf weißen Ratten im Schloss Monbijou
Im Monbijoupark stand einst ein prächtiges Schloss. Dort spukte es in der Johannisnacht. Fünf weiße Ratten huschten dann über die Treppen und 
durch die Zimmer. Ein Feuerschein folgte ihnen und Wehklagen ertönte, 
wo sie weilten. Kein Riegel hielt sie auf und keine Wand konnte sie halten. 
Die Feuerlöcher der Ofen öffneten sich, wenn die seltsamen Tiere kamen. Fünfzehnmal mussten sie in jedes Feuerloch hinein und fünfzehnmal wieder hinaus. Durch die Gänge wankte eine junge Frau und weinte. Um Mitternacht 
sang sie zuweilen ein schauriges Lied:
"Wole, wole, Kindelein mein, starr ist der Stein, war Fleisch und Bein. So jung gestorben, durch mich verdorben. Wole, wole, Kindlein, tanzt!"
Wer mochte die Verdammte sein?
Fünf kleine Mädchen waren die Ratten einst, und die weinende Frau war die Gärtnerin, die Mutter der Kinder. In der Johannisnacht war sie mit ihrem 
Liebsten zum Tanz gegangen, während die Kinder schliefen. In der Nacht 
aber kam ein Gewitter auf und weckte die Kleinen. Sie tasteten sich durch 
das dunkle Schloss, während sie die Mutter suchten und krochen schließlich 
voller Angst in die Feuerlöcher der Kamine. Da kehrte die Mutter heim und 
suchte ihre Kinder im ganzen Schloss. Als sie diese schließlich in den Löchern sitzen sah, da lachte sie über ihre Furcht und sprach: "Wie Ratten sitzen sie 
da im Feuerloch." Aber ein eisiger Schrecken durchfuhr sie, als plötzlich 
fünf Ratten vor ihr herhuschten, weiß wie die Mädchen in ihren Hemdchen gewesen waren. In den Garten huschten die Tiere und die Gärtnerin 
hinterher. Ein greller Blitzstrahl zuckte auf, und sie wurde zu Stein. 
Die Ratten gruben sich darunter in die Tiefe hinab.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen