Jerry Leiber & Mike Stoller, waren eines der größten Songschreiberteams der 50er und 60er Jahre. "Stand by me", "Jailhouse Rock", "Love Potion Nr.9", "On Broadway", "Spanish Harlem", um nur einige zu nennen. Big Mama Thornton, The Drifters, Elvis, Sammy David jr., Ben E. King und Peggy Lee haben ihre Lieder gesungen, auch dies wieder nur eine kleine Auswahl.
Und heute bin ich auf eins ihrer Lieder gestoßen, das ich nicht kannte. "Is that all there is?" oder " Ist das alles?", ein Peggy Lee Hit, aber von John Parish & PJ Harvey gecovert.
Die Melodie ist trügerisch simpel und der Text basiert auf einer Erzählung von Thomas Mann "Enttäuschung". Mit einem kurz formulierten, aber entscheidenden Unterschied. Thomas Mann endet mit: "Von einem Leben, in
dem es keinen Horizont mehr gibt?... Ich
träume davon, und ich erwarte den Tod. Ach, ich kenne ihn bereits so genau, den
Tod, diese letzte Enttäuschung! Das ist der Tod, werde ich im letzten
Augenblicke zu mir sprechen; nun erlebe ich ihn!" Im Lied dagegen: "Ist das alles? Wenn das alles ist, meine Freunde, dann laßt uns weitertanzen, laßt uns den Schnaps holen und ein Fest feiern, wenn das alles ist."
Eher meine Variante.
(Ganz unten findet ihr die Thomas Mann Erzählung, Dank an Gutenberg.de!)
Peggy Lee
PJ Harvey
Der nacherzählte Liedtext geht in etwa so:
Ich erinnere mich, dass unser Haus brannte, als ich ein kleines Mädchen war und an den Gesichtsausdruck meines Vaters, als er mich in seine Arme nahm und durch das brennende Haus auf die Straße rannte. Ich stand zitternd im Schlafanzug und sah die ganze Welt in Flammen. Und als es vorbei war, sagte ich mir: "Ist das alles, was Feuer ist?"
Dann folgt der gesungene Refrain:
Ist das alles? Ist das alles?
Wenn
das alles ist, meine Freunde,
dann laßt uns weitertanzen,
laßt uns den
Schnaps holen
und ein Fest feiern,
wenn das alles ist.
Und als ich zwölf war, ging mein Vater mit mir in den Zirkus, die größte Show der Welt. Da waren Clowns und Elephanten und Tanzbären. Und eine schöne Dame in rosa Strümpfen flog hoch über unseren Köpfen. Und als ich so saß und dem wundervollen Schauspiel zusah, hatte ich das Gefühl, dass etwas fehlte. Ich weiß nicht was, aber als es vorbei war, sagte ich mir: "Ist das alles, was Zirkus ist?"
Ist das alles? Ist das alles?
Wenn
das alles ist, meine Freunde,
dann laßt uns weitertanzen,
laßt uns den
Schnaps holen
und ein Fest feiern,
wenn das alles ist.
Dann verliebte ich mich, Hals über Kopf verliebte ich mich in den wunderbarsten Jungen der Welt. Wir machten lange Spaziergänge am Fluß oder schauten uns stundenlang tief in die Augen. Wir waren so sehr verliebt. Dann ging er eines Tages fort und ich dachte, ich würde sterben. Tat ich aber nicht. Und als ich nicht starb, sagte ich zu mir: "Ist das alles, was Liebe ist?"
Ist das alles? Ist das alles?
Wenn
das alles ist, meine Freunde,
dann laßt uns weitertanzen,
laßt uns den
Schnaps holen
und ein Fest feiern,
wenn das alles ist.
Ich weiß, was ihr wahrscheinlich sagt, wenn es das ist, was sie fühlt, warum beendet sie es dann nicht ein für alle Mal? Oh, nein, nicht ich. Ich will diese letzte Enttäuschung nicht zu bald erleben. Weil ich weiß genau, wie ich jetzt vor euch stehe, werde ich, wenn der letzte Moment kommt und ich meinen Letzten Atem atmen werde, zu mir sagen:
Ist das alles? Ist das alles?
Wenn
das alles ist, meine Freunde,
dann laßt uns weitertanzen,
laßt uns den
Schnaps holen
und ein Fest feiern,
wenn das alles ist.
IS THAT ALL THERE IS?
SPOKEN:
I remember when I was a very little girl, our house caught on fire.
I'll never forget the look on my father's face as he gathered me up
in his arms and raced through the burning building out to the pavement.
I stood there shivering in my pajamas and watched the whole world go up in flames.
And when it was all over I said to myself, "Is that all there is to a fire"
SUNG:
Is that all there is, is that all there is
If that's all there is my friends, then let's keep dancing
Let's break out the booze and have a ball
If that's all there is
SPOKEN:
And when I was 12 years old, my father took me to a circus, the greatest show on earth.
There were clowns and elephants and dancing bears.
And a beautiful lady in pink tights flew high above our heads.
And so I sat there watching the marvelous spectacle.
I had the feeling that something was missing.
I don't know what, but when it was over,
I said to myself, "is that all there is to a circus?
SUNG:
Is that all there is, is that all there is
If that's all there is my friends, then let's keep dancing
Let's break out the booze and have a ball
If that's all there is
SPOKEN:
Then I fell in love, head over heels in love, with the most wonderful boy in the world.
We would take long walks by the river or just sit for hours gazing into each other's eyes.
We were so very much in love.
Then one day he went away and I thought I'd die, but I didn't,
and when I didn't I said to myself, "is that all there is to love?"
SUNG:
Is that all there is, is that all there is
If that's all there is my friends, then let's keep dancing
SPOKEN:
I know what you must be saying to yourselves,
if that's the way she feels about it why doesn't she just end it all?
Oh, no, not me. I'm in no hurry for that final disappointment,
for I know just as well as I'm standing here talking to you,
when that final moment comes and I'm breathing my lst breath, I'll be saying to myself
SUNG:
Is that all there is, is that all there is
If that's all there is my friends, then let's keep dancing
Let's break out the booze and have a ball
If that's all there is
THOMAS MANN
ENTTÄUSCHUNG.
Ich gestehe, dass mich die
Reden dieses sonderbaren Herrn ganz und gar verwirrten, und ich fürchte, dass
ich auch jetzt noch nicht imstande sein werde, sie auf eine Weise zu
wiederholen, dass sie andere in ähnlicher Weise berührten, wie an jenem Abend
mich selbst. Vielleicht beruhte ihre Wirkung nur auf der befremdlichen
Offenheit, mit der ein ganz Unbekannter sie mir äußerte ... Der Herbstvormittag, an dem mir jener
Unbekannte auf der Piazza San Marco zum ersten Male auffiel, liegt nun etwa
zwei Monate zurück. Auf dem weiten Platze bewegten sich nur wenige Menschen
umher, aber vor dem bunten Wunderbau, dessen üppige und märchenhafte Umrisse und
goldene Zierrate sich in entzückender Klarheit von einem zarten, lichtblauen
Himmel abhoben, flatterten in leichtem Seewind die Fahnen; grade vor dem
Hauptportal hatte sich um ein junges Mädchen, das Mais streute, ein ungeheurer
Rudel von Tauben versammelt, während immer mehr noch von allen Seiten
herbeischossen ... Ein Anblick von unvergleichlich lichter und festlicher
Schönheit. Da begegnete ich ihm, und ich
habe ihn, während ich schreibe, mit außerordentlicher Deutlichkeit vor Augen.
Er war kaum mittelgroß und ging schnell und gebückt, während er seinen Stock
mit beiden Händen auf dem Rücken hielt. Er trug einen schwarzen, steifen Hut,
hellen Sommerüberzieher und dunkelgestreifte Beinkleider. Aus irgendeinem
Grunde hielt ich ihn für einen Engländer. Er konnte dreißig Jahre alt sein,
vielleicht auch fünfzig. Sein Gesicht, mit etwas dicker Nase und
müdeblickenden, grauen Augen, war glattrasiert, und um seinen Mund spielte
beständig ein unerklärliches und ein wenig blödes Lächeln. Nur von Zeit zu Zeit
blickte er, indem er die Augenbrauen hob, forschend um sich her, sah dann
wieder vor sich zu Boden, sprach ein paar Worte mit sich selbst, schüttelte den
Kopf und lächelte. So ging er beharrlich den Platz auf und nieder. Von nun an beobachtete ich ihn täglich, denn
er schien sich mit nichts anderem zu beschäftigen, als bei gutem wie bei
schlechtem Wetter, vormittags wie nachmittags, dreißig- und fünfzigmal die
Piazza auf und ab zu schreiten, immer allein und immer mit dem gleichen
seltsamen Gebaren. An dem Abend, den ich
im Sinne habe, hatte eine Militärkapelle konzertiert. Ich saß an einem der
kleinen Tische, die das Café Florian weit auf den Platz hinausstellt, und als
nach Schluss des Konzertes die Menge, die bis dahin in dichten Strömen hin und
wieder gewogt war, sich zu zerstreuen begann, nahm der Unbekannte, auf
abwesende Art lächelnd wie stets, an einem neben mir freigewordenen Tische
Platz. Die Zeit verging, rings umher
ward es stiller und stiller, und schon standen weit und breit alle Tische leer.
Kaum dass hier und da noch ein Mensch vorüberschlenderte; ein majestätischer
Friede lagerte über dem Platz, der Himmel hatte sich mit Sternen bedeckt, und
über der prachtvoll theatralischen Façade von San Marco stand der halbe Mond. Ich las, indem ich meinem Nachbar den Rücken
zuwandte, in meiner Zeitung und war eben im Begriff, ihn allein zu lassen, als
ich mich genötigt sah, mich halb nach ihm umzuwenden; denn während ich bislang
nicht einmal das Geräusch einer Bewegung von ihm vernommen hatte, begann er
plötzlich zu sprechen. -- Sie sind
zum ersten Mal in Venedig, mein Herr? fragte er in schlechtem Französisch; und
als ich mich bemühte, ihm in englischer Sprache zu antworten, fuhr er in
dialektfreiem Deutsch zu sprechen fort mit einer leisen und heiseren Stimme,
die er oft durch ein Hüsteln aufzufrischen suchte. -- Sie sehen das alles zum ersten Male?
Es erreicht Ihre Erwartungen? -- Übertrifft es sie vielleicht sogar? -- Ah! Sie
haben es sich nicht schöner gedacht? -- Das ist wahr? -- Sie sagen das nicht
nur, um glücklich und beneidenswert zu erscheinen? -- Ah! -- Er lehnte sich
zurück und betrachtete mich mit schnellem Blinzeln und einem ganz
unerklärlichen Gesichtsausdruck. Die
Pause, die eintrat, währte lange, und ohne zu wissen, wie dieses seltsame
Gespräch fortzusetzen sei, war ich aufs neue im Begriff, mich zu erheben, als
er sich hastig vorbeugte. -- Wissen
Sie, mein Herr, was das ist: Enttäuschung? fragte er leise und eindringlich,
indem er sich mit beiden Händen auf seinen Stock lehnte. -- Nicht im Kleinen
und Einzelnen ein Misslingen, ein Fehlschlagen, sondern die große, die
allgemeine Enttäuschung, die Enttäuschung, die alles, das ganze Leben einem
bereitet? Sicherlich, Sie kennen sie nicht. Ich aber bin von Jugend auf mit ihr
umhergegangen, und sie hat mich einsam, unglücklich und ein wenig wunderlich
gemacht, ich leugne es nicht. Wie
könnten Sie mich bereits verstehen, mein Herr? Vielleicht aber werden Sie es,
wenn ich Sie bitten darf, mir zwei Minuten lang zuzuhören. Denn wenn es gesagt
werden kann, so ist es schnell gesagt ...
Lassen Sie mich erwähnen, dass ich in einer ganz kleinen Stadt
aufgewachsen bin in einem Pastorhause, in dessen überreinlichen Räumen ein
altmodisch pathetischer Gelehrtenoptimismus herrschte, und in dem man eine
eigentümliche Atmosphäre von Kanzelrhetorik einatmete -- von diesen großen
Wörtern für Gut und Böse, Schön und Hässlich, die ich so bitterlich hasse, weil
sie vielleicht, sie allein an meinem Leiden die Schuld tragen. Das Leben bestand für mich schlechterdings
aus großen Wörtern, denn ich kannte nichts davon als die ungeheuren und
wesenlosen Ahnungen, die diese Wörter in mir hervorriefen. Ich erwartete von
den Menschen das göttlich Gute und das haarsträubend Teuflische; ich erwartete
vom Leben das entzückend Schöne und das Grässliche, und eine Begierde nach
alledem erfüllte mich, eine tiefe, angstvolle Sehnsucht nach der weiten
Wirklichkeit, nach dem Erlebnis, gleichviel welcher Art, nach dem berauschend
herrlichen Glück und dem unsäglich, unnahbar furchtbaren Leiden. Ich erinnere mich, mein Herr, mit einer
traurigen Deutlichkeit der ersten Enttäuschung meines Lebens, und ich bitte
Sie, zu bemerken, dass sie keineswegs in dem Fehlschlagen einer schönen
Hoffnung bestand, sondern in dem Eintritt eines Unglücks. Ich war beinahe noch
ein Kind, als ein nächtlicher Brand in meinem väterlichen Hause entstand. Das
Feuer hatte heimlich und tückisch um sich gegriffen, bis an meine Kammertür
brannte das ganze kleine Stockwerk, und auch die Treppe war nicht weit
entfernt, in Flammen aufzugehen. Ich war der erste, der es bemerkte, und ich
weiß, dass ich durch das Haus stürzte, indem ich einmal über das andere den Ruf
hervorstieß: »Nun brennt es! Nun brennt es!« Ich entsinne mich dieses Wortes
mit großer Genauigkeit, und ich weiß auch, welches Gefühl ihm zu Grunde lag,
obgleich es mir damals kaum zum Bewusstsein gekommen sein mag. Dies ist, so
empfand ich, eine Feuersbrunst; nun erlebe ich sie! Schlimmer ist es nicht? Das
ist das Ganze?... Gott weiß, dass es keine
Kleinigkeit war. Das ganze Haus brannte nieder, wir alle retteten uns mit Mühe
aus äußerster Gefahr, und ich selbst trug ganz beträchtliche Verletzungen
davon. Auch wäre es unrichtig, zu sagen, dass meine Phantasie den Ereignissen
vorgegriffen und mir einen Brand des Elternhauses entsetzlicher ausgemalt
hätte. Aber ein vages Ahnen, eine gestaltlose Vorstellung von etwas noch weit
Grässlicherem hatte in mir gelebt, und im Vergleich damit erschien die
Wirklichkeit mir matt. Die Feuersbrunst war mein erstes großes Erlebnis: eine
furchtbare Hoffnung wurde damit enttäuscht.
Fürchten Sie nicht, dass ich fortfahren werde, Ihnen meine
Enttäuschungen im einzelnen zu berichten. Ich begnüge mich damit, zu sagen,
dass ich mit unglückseligem Eifer meine großartigen Erwartungen vom Leben durch
tausend Bücher nährte: durch die Werke der Dichter. Ach, ich habe gelernt, sie
zu hassen, diese Dichter, die ihre großen Wörter an alle Wände schreiben und
sie mit einer in den Vesuv getauchten Feder am liebsten an die Himmelsdecke
malen möchten -- während doch ich nicht umhin kann, jedes große Wort als eine
Lüge oder als einen Hohn zu empfinden!
Verzückte Poeten haben mir vorgesungen, die Sprache sei arm, ach, sie
sei arm -- oh nein, mein Herr! Die Sprache, dünkt mich, ist reich, ist
überschwänglich reich im Vergleich mit der Dürftigkeit und Begrenztheit des
Lebens. Der Schmerz hat seine Grenzen: der körperliche in der Ohnmacht, der
seelische im Stumpfsinn, -- es ist mit dem Glück nicht anders! Das menschliche
Mitteilungsbedürfnis aber hat sich Laute erfunden, die über diese Grenzen
hinweglügen. Liegt es an mir? Läuft nur
mir die Wirkung gewisser Wörter auf eine Weise das Rückenmark hinunter, dass
sie mir Ahnungen von Erlebnissen erwecken, die es gar nicht gibt? Ich bin in das berühmte Leben hinausgetreten,
voll von dieser Begierde nach einem, einem Erlebnis, das meinen großen Ahnungen
entspräche. Gott helfe mir, es ist mir nicht zu teil geworden! Ich bin
umhergeschweift, um die gepriesensten Gegenden der Erde zu besuchen, um vor die
Kunstwerke hinzutreten, um die die Menschheit mit den größten Wörtern tanzt;
ich habe davor gestanden und mir gesagt: Es ist schön. Und doch: Schöner ist es
nicht? Das ist das Ganze? Ich habe
keinen Sinn für Tatsächlichkeiten; das sagt vielleicht alles. Irgendwo in der
Welt stand ich einmal im Gebirge an einer tiefen, schmalen Schlucht. Die
Felsenwände waren nackt und senkrecht, und drunten brauste das Wasser über die
Blöcke vorbei. Ich blickte hinab und dachte: Wie, wenn ich stürzte? Aber ich
hatte Erfahrung genug, mir zu antworten: Wenn es geschähe, so würde ich im
Falle zu mir sprechen: Nun stürzt du hinab, nun ist es Tatsache! Was ist das
nun eigentlich? -- Wollen Sie mir
glauben, dass ich genug erlebt habe, um ein wenig mitreden zu können? Vor
Jahren liebte ich ein Mädchen, ein zartes und holdes Geschöpf, das ich an
meiner Hand und unter meinem Schutze gern dahingeführt hätte; sie aber liebte
mich nicht, das war kein Wunder, und ein anderer durfte sie schützen ... Gibt
es ein Erlebnis, das leidvoller wäre? Gibt es etwas Peinigenderes als diese
herbe Drangsal, die mit Wollust grausam vermengt ist? Ich habe manche Nacht mit
offenen Augen gelegen, und trauriger, quälender als alles übrige war stets der
Gedanke: Dies ist der große Schmerz! Nun erlebe ich ihn! -- Was ist das nun
eigentlich? -- Ist es nötig, dass
ich Ihnen auch von meinem Glücke spreche? Denn auch das Glück habe ich erlebt,
auch das Glück hat mich enttäuscht ... Es ist nicht nötig; denn dies alles sind
plumpe Beispiele, die Ihnen nicht klar machen werden, dass es das Leben im
ganzen und allgemeinen ist, das Leben in seinem mittelmäßigen, uninteressanten
und matten Verlaufe, das mich enttäuscht hat, enttäuscht, enttäuscht. »Was ist,« schreibt der junge Werther einmal,
»der Mensch, der gepriesene Halbgott? Ermangeln ihm nicht eben da die Kräfte,
wo er sie am nötigsten braucht? Und wenn er in Freude sich aufschwingt oder in
Leiden versinkt, wird er nicht in beiden eben da aufgehalten, eben da zu dem
stumpfen, kalten Bewusstsein wieder zurückgebracht, da er sich in der Fülle des
Unendlichen zu verlieren sehnte?« Ich
gedenke oft des Tages, an dem ich das Meer zum ersten Male erblickte. Das Meer
ist groß, das Meer ist weit, mein Blick schweifte vom Strande hinaus und
hoffte, befreit zu sein: dort hinten aber war der Horizont. Warum habe ich
einen Horizont? Ich habe vom Leben das Unendliche erwartet. Vielleicht ist er enger, mein Horizont, als
der anderer Menschen? Ich habe gesagt, mir fehle der Sinn für Tatsächlichkeiten,
-- habe ich vielleicht zu viel Sinn dafür? Kann ich zu bald nicht mehr? Bin ich
zu schnell fertig? Kenne ich Glück und Schmerz nur in den niedrigsten Graden,
nur in verdünntem Zustande? Ich glaube
es nicht; und ich glaube den Menschen nicht, ich glaube den wenigsten, die angesichts
des Lebens in die großen Wörter der Dichter einstimmen -- es ist Feigheit und
Lüge! Haben Sie übrigens bemerkt, mein Herr, dass es Menschen gibt, die so
eitel sind und so gierig nach der Hochachtung und dem heimlichen Neide der anderen,
dass sie vorgeben, nur die großen Wörter des Glücks erlebt zu haben, nicht aber
die des Leidens? Es ist dunkel, und Sie
hören mir kaum noch zu; darum will ich es mir heute noch einmal gestehen, dass
auch ich, ich selbst es einst versucht habe, mit diesen Menschen zu lügen, um
mich vor mir und den anderen als glücklich hinzustellen. Aber es ist manches
Jahr her, dass diese Eitelkeit zusammenbrach, und ich bin einsam, unglücklich
und ein wenig wunderlich geworden, ich leugne es nicht. Es ist meine Lieblingsbeschäftigung, bei
Nacht den Sternenhimmel zu betrachten, denn ist das nicht die beste Art, von
der Erde und vom Leben abzusehen? Und vielleicht ist es verzeihlich, dass ich
es mir dabei angelegen sein lasse, mir meine Ahnungen wenigstens zu wahren? Von
einem befreiten Leben zu träumen, in dem die Wirklichkeit in meinen großen
Ahnungen ohne den quälenden Rest der Enttäuschung aufgeht? Von einem Leben, in
dem es keinen Horizont mehr gibt?... Ich
träume davon, und ich erwarte den Tod. Ach, ich kenne ihn bereits so genau, den
Tod, diese letzte Enttäuschung! Das ist der Tod, werde ich im letzten
Augenblicke zu mir sprechen; nun erlebe ich ihn! -- _Was ist das nun
eigentlich?_ -- Aber es ist kalt
geworden auf dem Platze, mein Herr; ich bin imstande, das zu empfinden, hehe!
Ich empfehle mich Ihnen aufs allerbeste. Adieu ...