Sonntag, 12. November 2017

Ägypten 1 - Kairo

TAG EINS

Im Flugzeug von Egyptair ertönt aus dem Bordfernseher gleich nach den Sicherheitshinweisen eine dunkel-sanfte Märchenerzählerstimme und ruft uns zum gemeinsamen Gebet. Die Boeing ist ältlich und topfit, auf den Toiletten finden sich nämlich noch Aschenbecher, wenn auch außer Dienst. 
Dies soll allerdings fürs erste der einzige Ort sein, an dem hier nicht graucht werden darf - ich qualme kindisch-froh im Taxi, in Cafes, im Hotelzimmer.
Das Hotel ist eine Ansammlung von merkwürdigen Widersprüchen, das Treppenhaus heruntergekommen, an der Rezeption lagert ein Knäuel von Kabeln in der Mikrowelle, aber das Zimmer ist wunderbar, die Handtücher in Schwanenform gefaltet und das blitzsaubere Klo schmückt eine Blüte aus Toilettenpapier. 
Ein alter Freund holt uns ab und fährt uns in eine Kneipe mit Alkoholausschank, den wir an diesem Abend wegen Übermüdung aber nicht nutzen, auf dem Weg dorthin überqueren wir den Tahrir-Platz. 
Er war 2011 der Kundgebungsplatz der Kräfte, die gegen/für Mubarak eintraten, und wurde so zum Symbol der ägyptischen Revolution.
Der Freund erzählt vom arabischen Frühling, wie er ihn erlebt hat. Von der hoffnungserfüllten Stimmung, der Sehnsucht nach Freiheit, wenn auch die genaue Definition des Wortes im ahnungslosen Vagen lag. Von den Tagen als seine Schule abgeriegelt war und in der Strasse vor dem Schultor die Leichen der Revolutionsopfer lagen. Von den politischen Manipulationen die sich anschlossen. Von der ökonomisch katastrophalen Lage des Landes. Er liebt es mit verzweifelter Hoffnungslosigkeit.


Früher Dekonstruktivismus im Ägyptischen Museum.

TAG ZWEI


Beim Frühstück schiebt sich am Nebentisch ein schwarzes Vögelchen, eine schmale, junge, vollverschleierte Frau, ihr Frühstück unter das hinderliche Tuch. Ihr Mann, ein Muslimbruder, erkennbar am Bart und der gekürzten Hose, der Knöchel, so will es scheinbar der Prophet, muß frei bleiben, stopft Massen von Süßigkeiten in seinen ohnehin schon feisten Körper.
Trotz des deutlich sichtbaren "Rauchen verboten" Schildes wird auch hier geraucht. 
Die Stadt, ein Moloch. 7 000 000 Einwohner, 16 000 000 in der Metroplregion, kämpfen sich durch den Tag. Ob Autofahrer oder Fußgänger, wer zögert, verliert. Am Morgen habe ich zehn Minuten für eine Straßenüberquerung benötigt, am Abend war ich nur unwesentlich schneller. Solche Art Auto zu fahren habe ich noch nie erlebt, und ich bin gerne und fröhlich in Rom und Paris herumgekutscht. Aber hier? Abenteuerlich, unfaßbar bis lebensgefährlich, Spuren gelten nur als lässig zu mißachtende Vorschläge, Mopeds sind mit vier Personen besetzt oder mit zweien und einem Abwaschtisch, Kleinlaster werden himmelhoch mit Waren vollgestapelt, viele Autos, stammen aus den 60ern und da die Fußgängerwege voll und unbequem sind, latschen auch noch die Fußgänger auf der Strasse. Hupen ist Volkssport. Tohuwabohu. Ein gewöhnlicher deutscher Polizist erläge binnen kurzer Zeit einem Herzinfarkt.

Das Ägyptische Museum, von Franzosen um die Jahrhundertwende erbaut, riesig, unter massivem Polizeischutz, wie alle wichtigen Gebäude, Taschenkontrollen inclusive, der Bau rosafarben und majestätisch. Drinnen fünftausend Jahre menschlichen Könnens, menschlichen Machtge- und Mißbrauches und unserer Fähigkeit zum Imaginieren. So viel Schönes. Fast zu viel! Räume und Räume und Räume voller Mumien und Grabbeigaben und Statuen und Schmuck und historischen Alltagsgegenständen und Tinnef. Pharaonenperrücken aus schwarzer Wolle, viertausend Jahre altes Leinen, fein ziselierter Schmuck.
 
Echnaton, wunderschönes längliches Gesicht, zarter Oberkörper, 
der in einer Birnenform endet. Fett? Schwanger? 


FRAGEN EINES LESENDEN ARBEITERS 
  Wer baute das siebentorige Theben? 
In den Büchern stehen die Namen von Königen. 
Haben die Könige die Felsbrocken herbeigeschleppt? 
Und das mehrmals zerstörte Babylon, 
Wer baute es so viele Male auf ? In welchen Häusern 
Des goldstrahlenden Lima wohnten die Bauleute? 
Wohin gingen an dem Abend, wo die chinesische Mauer fertig war, 
Die Maurer? Das große Rom 
Ist voll von Triumphbögen. Über wen 
Triumphierten die Cäsaren? Hatte das vielbesungene Byzanz 
Nur Paläste für seine Bewohner? Selbst in dem sagenhaften Atlantis 
Brüllten doch in der Nacht, wo das Meer es verschlang, 
Die Ersaufenden nach ihren Sklaven. 
Der junge Alexander eroberte Indien. 
Er allein? 
Cäsar schlug die Gallier. 
Hatte er nicht wenigstens einen Koch bei sich? 
Philipp von Spanien weinte, als seine Flotte 
Untergegangen war. Weinte sonst niemand? 
Friedrich der Zweite siegte im Siebenjährigen Krieg. Wer 
Siegte außer ihm? 
Jede Seite ein Sieg. 
Wer kochte den Siegesschmaus? 
Alle zehn Jahre ein großer Mann. 
Wer bezahlte die Spesen? 
So viele Berichte, 
So viele Fragen.

b.b.


 ÄGYPTISCHE GESICHTER







Und überall Frauen um mich, die ihre Haare und ihren Körper verdecken, aber ihre Gesichter verführerisch schminken, nahezu alle tragen Kopftuch, die meisten zwei übereinander, in vielerlei Bindvariationen, viel zu viele, die meist schwarze Burkha. Und letztere laufen einen Schritt hinter dem bärtigen Gatten und haben oft vier und mehr Kinder dabei. Deutschland findet sich auf der Liste der Staaten, geordnet nach ihrer Gegurtenzahl auf Platz 218, Ägypten liegt mit 23,35 Geburten per 1000 Einwohnern auf Platz 68. 
Ihre unverkleideten Männer wispern "Taxi" oder "Fünf Prozent" in mein Ohr und die mit Witz: "How can I get your money?". Vor jedem Hotel, jeder Werkstatt stehen sechs bis sieben Männer herum, ohne, dass ersichtlich wäre, was genau ihre Aufgabe ist. Ein Land vor der Pleite, ein Land mit mehr als 12 Prozent Arbeitslosigkeit, unter jungen Menschen sind bis zu 28 Prozent. Müll allüberall.

 ÄGYPTISCHER VERFALL

 Abendlicher Basar

Decke im Ägyptischen Museum

 Löwenkopf und Plastiktüten im Ägyptischen Museum


TAG DREI

Wir wandern planlos durch die Stadt, durch Strassen, Gassen, Gässchen, über Müllberge. Die Armut und der damit einhergehende Dreck sind erschütternd. Als wäre die Hoffnungslosigkeit so groß, die Apathie so total, dass die Menschen mit gespenstischer Blindheit für den Zustand ihrer Umgebung geschlagen sind.
















Am Abend essen wir, dem Rat einer jungen Ägypterin folgend, Kushari, eine wohlschmeckende Matschepampe aus Reis, Makkaroni, Linsen und knusprige Zwiebeln, aber wir schlafen schlecht in dieser Nacht und nicht wegen des Essens.


 

Sonntag, 5. November 2017

Das Museum Barberini zeigt DDR Kunst und Kleist ist schwer

Nimm diesen Kuß! – Und bohrten gleich zwölf Kugeln

Dich jetzt in Staub, nicht halten könnt ich mich,
Und jauchzt und weint und spräche: du gefällst mir!
Natalie in H.v.Kleists Prinz Friedrich von Homburg im 4. Auftritt

HINTER DER MASKE. KÜNSTLER IN DER DDR
Museum Barberini 
29. Oktober 2017 bis 4. Februar 2018
Vorrausgeschickt, man sollte sich die diese Ausstellung von oben nach unten ansehen, im zweiten Stock beginnend. Ich hatte den Tipp von einem Facebook-Freund. Ganz oben drei Räume mit Werken, die einst im Palast der Republik hingen. Friede seiner häßlichen, aber durchaus berlintauglichen Asche. 
Das ist ein äußerst kluger Dreh, denn hier hängt das staatstragende, sich ihm anschmiegende, aus Diensteifer gänzlich verkrampfte Grauen. Für jeden, dessen visuelles Gedächtnis Verblassungen aufweist eine exzellenter Auffrischer. Grauenhaft. Traurig. Oder, wie bei Tübke in der Historie bis zur Unkenntlichkeit untertauchend.
Danach wird es besser, viel besser! Immer mal wieder zwischendurch altbekannte DDR-Arbeiter-Portraits, aber eben auch Frechheiten, wildes Abweichlertum, schlaues Umfahren und einfach großartige Werke. 
Trak Wendisch Der Seiltänzer
 
Der Besuch lohnt sich. Und das Museum ist leicht zu erreichen, erst die S-Bahn und dann nur 700 Meter Fußweg. Wenn ich denke, wie viele hunderte Stunden ich bei DEFA-Drehs um dieses unüberbrückbare West-Berlin herumgefahren bin! Der Bau ist wirklich schön. Friedrich der Große hat ihn 1771/72 als herrschaftliches Haus in Auftrag gegeben, 1945 wurde er durch Bomben zerstört. Hasso Plattner, ein enorm reicher Software-Unternehmer, gibt einen Teil seines Geldes für sehr nützliche Dinge her, wie z.B. den Wiederaufbau eben dieses Hauses. Er ist ein Mäzen der Wissenschaft und der Künste. Wiki definiert das Wort so: "Ein Mäzen, auch Mäzenat, weiblich Mäzenin bzw. Mäzenatin, ist eine Person, die eine Institution, kommunale Einrichtung oder Person mit Geld oder geldwerten Mitteln bei der Umsetzung eines Vorhabens unterstützt, ohne eine direkte Gegenleistung zu verlangen. Die Bezeichnung Mäzen leitet sich von dem Etrusker und Römer Gaius Cilnius Maecenas her, der in augusteischer Zeit Dichter wie Vergil, Properz und Horaz förderte." Allerdings was heißt, dass keine direkte Gegenleistung erwartet wird? Steuererlässe? Vielleicht ist er einfach nur ein anständiger Mann mit mehr Geld, als statthaft ist.

Dann haben wir uns im Hans-Otto-Theater in einer 17.00 Uhr Vorstellung den "Prinzen von Homburg" von Kleist angesehen und wiedereinmal bin ich in den Riss zwischen den Generationen gefallen. Ich sah die private Not eines hochsensiblen Hysterikers und hoffte auf den Schrecken eines Menschen, der sich seiner selbst sicher sein konnte, bis ihm dies nicht mehr möglich war. Kleists Figuren, so lese ich es, wissen mit felsenfester Sicherheit wer sie sind, bis ihr Herz, Unterbewußtsein, Magen ihnen mitteilt, dass sie einem Irrtum unterliegen. Sie kämpfen dagegen an mit aller Kraft. Aber am Ende siegt immer die Liebe und der Tod. Amit Epstein hat dazu die mit großem Abstand häßlichsten Kostüme meiner bisherigen Theatererfahrung entworfen.  
Das Leben nennt der Derwisch eine Reise,
Und eine kurze. Freilich! Von zwei Spannen
Diesseits der Erde nach zwei Spannen drunter.
Ich will auf halbem Weg mich niederlassen!
Wer heut sein Haupt noch auf der Schulter trägt,
Hängt es schon morgen zitternd auf den Leib,
Und übermorgen liegts bei seiner Ferse.
Zwar, eine Sonne, sagt man, scheint dort auch,
Und über buntre Felder noch, als hier:
Ich glaubs; nur schade, daß das Auge modert,
Das diese Herrlichkeit erblicken soll.
H.v.Kleist Prinz Friedrich von Homburg 3. Auftritt 

Donnerstag, 2. November 2017

Ich auch, und ihr? Etwa auch?

Kevin Spacey, Dustin Hoffman die Liste der Täter wird länger, täglich. Diese Kerle haben sich schlecht benommen. Sie waren zu bestimmten Zeiten, betrunken oder nüchtern, Arschlöcher. Aber gibt es auch weibliche Mistschweine?
"House of Cards" wird keine nächste Staffel haben, "Reifeprüfung" ist nun ein mieser Film? 
Ich weiß nicht mehr, was ich meinen soll. 
Wie werden wir in Zukunft miteinander umgehen? 
Ich bin aus diesen Kämpfen, unfreiwillig, raus. 
Frauen außerhalb des gebärfähigen Alter sind, für Jäger, nahezu unsichtbar. 
Aber wie läuft es jetzt zwischen euch jungen, unbedachten, sehnsüchtigen Unsicheren? 
Vergewaltigung ist ein Verbrechen. Mißbrauch von ökonomischer Macht zur Befriedigung nicht erwiederten Verlangens sollte es sein.
Aber. ABER. Aber, was ist, wenn mein Vierzehnjähriges Ich sich in einen um vieles Älteren verliebt? 
Wenn Karrierewunsch und Bewahrung der eigenen Würde mein persönlicher Kampf ist? Und diesen Kampf habe ich gebraucht, um die zu werden, die ich bin.
Mit Vierzehn war ich außen vor, ahnungslos, aber schon mit Sechzehn habe ich dumme Entscheidungen ganz allein, absichtsvoll getroffen, aus Abenteuerlust, um wildes Zeug zu erleben, um Spaß zu haben, um erwachsen zu werden. 
War ich also Opfer, der Männer, die ich in diesem Alter gevögelt habe, oder haben sie mich mißbräuchlich gevögelt? Wer hat wen erjagt?
Ich weiß um die Macht weißer Männer, aber ich weiß auch um meine jugendliche Lust auf Abenteuer, um meine mir noch selbst unbekannte Lust. 
Ich kann mit meinen Irrtümern leben. 
Bin ich trotzdem ein Opfer? Oder ein experimentierfreudiges pubertierendes Mädchen mit heftigen eigenen Interessen?
Ich weiß es nicht. Und mag Männer immer noch, nicht alle, aber manche. Und mit Frauen geht es mir genauso.
Machtmißbrauch ist ein subtiles Maschinengewehr. Wer schießt?



nnn

Montag, 30. Oktober 2017

Jeanne Mammen & The Square

Wieder mal die Berlinische Galerie in der Alten Jakobstrasse, die ist immer einen Besuch wert. Jeanne Mammen geboren am 21. November 1890 in Berlin, gestorben am 22. April 1976 ebenda, sehr erfolgreich bis 1933, dann Rückzug, um zu Überleben arbeitet sie als Gebrauchsgrafikerin. Sie notiert "Ende meiner realistischen Periode". Und „Ich habe mich getarnt. Eine Frau als Gebrauchsgrafikerin: Die macht Blümchen.“  Später war sie lang fast vergessen, hat aber immer weiter experimentiert. Wieviele Leben, selbst von Überlebenden, tief eingerissen wurden durch diese verfluchten 12 Jahre.




1947, als ihre Kunst zum ersten Mal seit dem Zweiten Weltkrieg wieder in einer Einzelausstellung präsentiert wurde, zeichnete sie für den Almanach der Galerie Rosen statt einer Vita einfach eine krakelige Linie und schrieb darunter:
„Das ist mein Lebenslauf – er fing mal an und hörte noch nicht auf.“ 
https://www.berlinischegalerie.de/ausstellungen-berlin/aktuell/jeanne-mammen/jeanne-mammen-die-beobachterin/aeusserlicher-kurzbericht/

 
L’art pour L’art
Das Schwirren eines aufgeschreckten Sperlings
begeistert Korf zu einem Kunstgebilde,
das nur aus Blicken, Mienen und Geberden
besteht. Man kommt mit Apparaten,
es aufzunehmen; doch v. Korf ‚entsinnt sich
des Werks nicht mehr‘, entsinnt sich keines Werks mehr
anläßlich eines ‚aufgeregten Sperlings‘.

Christian Morgenstern 1932


Anmutig und herb.
Kurt Tucholsky über J.M.


The Square ein dänischer Film von Ruben Östlund mit Claes Bang (dänisch für Klaus Knall?) in der Hauptrolle. "hm ja durchwachsen, schlechte synchro, mal so mal so, mal platt, mal harter toback, mal gut, recht böser humor" schrieb ein Bekannter. Ich fand ein langer Film, toll photographiert, nicht langweilig, oft überraschend, manchmal überdeutlich und die Schlußsequenz macht klar, was bis dahin dunkel blieb. Ich bin froh, dass ich den Film gesehen habe und Claes Bang ist sehr cool.


Sonntag, 29. Oktober 2017

Wörter klingen - Bilder entstehen

Eine nicht erinnerte, mir nur von meiner Mutter, die heute Geburtstag hätte, würde sie noch am Leben sein, berichtete Episode aus meiner frühesten Kindheit: ich, ihr neues, erstes Baby wird angepriesen, als blond, fett, ausgeglichen und blauäugig, die Gäste bereiten den erwarteten Jubel vor und treffen auf mich, den Säugling im Gitterbett, mild grinsend und über und über mit der mir eigenen Kinderkacke beschmiert. Kontrastbild: blond und dunkelbraun.
Wir bennenen es nur ungern. Obwohl jeder von uns es produziert. Es ist unser völlig idiotisches, geteiltes Geheimnis. Wir essen und verdauen und scheiden die unverdauten Reste aus. Oben geht Nahrung rein, unten kommt Scheiße raus. Warum ist uns das so peinlich?

Die Kackwurst, ein Kinderwort - in meinem Kopf das Bild von etwas länglichem, rundlichen, mittelbraun, nahezu geruchlos. Das erstemal eigenständig auf einer Toilette oder in einen Nachttopf, Windeln werden bald ein vergessenes Wort sein. Hurra!
Aber es gibt auch viele andere Worte für diese menschliche Ausscheidung, zum Beispiel: Scheiße, Kacke, Kot, Stuhl, Darmausscheidung, Haufen, Fäzes, Fäkalien, Exkrement, Schiß, Kaviar.  
Jedes dieser Synonyme, sprachlichen Entsprechungen hat einen eigenen Geruch, eine eigene Deutung, ein eigenes damit verbundenes Gefühl.
Stuhl wird in kleinen Gläsern in Labore gesandt, zur Untersuchung.
Schiß ist, wenn es denn ein guter ist, befreiend, oder er impliziert Angst.
Kacke klingt wie infantiles Schimpfwort.

Kot ist zu untersuchen. Ein Indiz für etwas.
Die Darmausscheidung vermeidet den Ekel und übersetzt ihn hilfreich ins medizinische.
Der Haufen wurde von einem Tier ausgeschieden.
Fäkalien kommen nur in Masse vor. Sie sind Teil des Abwassers, des Abfalls, den wir als Rasse erzeugen.

Fäzes kenne ich nur im Zusammenhang von Kriminalromanen und pathologischen Untersuchungen. 

Kaviar nennt man es in Anzeigen sexueller Art. Ein Euphemismus, Wiki bezeichnet das als Glimpfwort, Beschönigung, Hehlwort, Hüllwort oder Verbrämung. Glimpfwort, als Gegensatz zur Verunglimpfung habe ich das erst heute kennengelernt.
Scheiße ist ein gutes Wort. Das deutsche Equivalent zum englischen "Fuck you". Ich liebe dieses Wort. Es ist ist hart, kurz und und nicht zu verniedlichen. Was Scheiße ist, wird nicht als etwas anderes mißverstanden werden.


Donnerstag, 26. Oktober 2017

Ein feiner Abend

TALENT IST INTERESSE.  
b.b. zugeschrieben

Meist treibt es mich Dreiviertel des Jahres durch die Lande und wenn ich mal in Berlin bin, will ich meine Freunde sehen, meine Wohnung bewohnen, Rezepte ausprobieren und Kultur fressen. Aber Premieren und ähnliches meide ich und bin deshalb, was den sozialen Teil der Berliner Theaterszene betrifft, mittlerweile völlig raus.
Aber heute Abend hat ein Freund ein großes Buch- und Ausstellungsprojekt in der Akademie der Künste vorgestellt und ich hatte durch ihn einen wirklich feinen Abend.
Spannende Reden, man stelle sich das vor, eine kluge Lesung, nicht so schöne Musik, eine faszinierende Ausstellung, die ich mir, wenn sie dann nicht so überlaufen ist, nocheinmal ansehen werde. 
Und danach. Danach Leute wiedersehen, die ich Ewigkeiten, große und kleine, nicht getroffen habe. 
Ein langer Plausch mit Christa & B.K. Tragelehn. Wichtigste DDR-Theatergeschichte in wunderbaren, minimalistischen Anekdoten, angereichert mit den Namen aller Idole meiner kindlichen Theaterbegeisterung. Sie unterbrechen, korrigieren & ergänzen einander - ein Ehepaar erzählt einen Witz mit mehr als einer Pointe. 
Dieter Schütt befragt ihn glücklicherweise schon, denn solch ein Schatz an Wissen und Erfahrung darf nicht verloren gehen. 
Wiki schreibt: Tragelehn war von 1955 bis 1958 Meisterschüler an der Akademie der Künste in Berlin(Ost) bei Bertolt Brecht und Erich Engel, danach war er meist freischaffend als Schriftsteller und Regisseur in Berlin tätig. Er arbeitete an der Studentenbühne der Hochschule für Ökonomie Berlin-Karlshorst und inszenierte das Stück Die Korrektur von Heiner Müller. Im September 1961, einen Monat nach dem Bau der Berliner Mauer, löste die Inszenierung der Uraufführung von Heiner Müllers Stück Die Umsiedlerin oder Das Leben auf dem Lande einen kulturpolitischen Skandal aus. Stück und Aufführung wurden für konterrevolutionär erklärt; Die Umsiedlerin konnte in der DDR bis 1976 nicht aufgeführt werden. Tragelehn wurde aus der SED ausgeschlossen, vom Senftenberger Theater fristlos entlassen und zur Bewährung in der Produktion in einen Braunkohlentagebau in der Niederlausitz geschickt. Nach Intervention von Paul Dessau durfte er ab 1964 wieder als Regisseur arbeiten.

Christa erzählte dann, dass sie, während Tragelehn im Bergbau strafarbeiten mußte, zur Universität gelaufen ist, weil das Geld für die Straßenbahn nicht reichte. Die beiden sind seit 57 Jahren und durch vier Kinder verbunden. Das ist einen gewaltigen Tusch wert!
14 war ich, als Tragelehn mit Einar Schleef beschloß, am BE Frühlingserwachen mit Schülern Berliner Schulen zu machen. 24 als ich in einer Inszenierung von Christas Übersetzung von Oscar Wildes "Von der Wichtigkeit Ernst zu sein" umbesetzt wurde, weil mein Humor mit dem Humor des Regisseurs inkompatibel und mein Gesicht, nach Aussage des Regisseurs, wegen Mangel an Mimik für den Beruf des Schauspielers sowieso ungeeignet sei. Auf dem Heimweg habe ich mir lustvoll vorgestellt, wie ich ihn mit meinem Brotmesser ersteche. Jahre später hat er sich bei mir entschuldigt und wir wurden liebevolle Freunde.
Ich hatte, habe, ein interessantes Leben. Ich werde ein interessantes Leben haben.

Benjamin und Brecht.
Denken in Extremen

Unter Brechts Einfluss treibt Benjamin nur dumme Dinge.
Theodor W. Adorno

Akademie Der Künste Hanseatenweg 10
Di – So, 11 – 19 Uhr 
€ 9/6
Bis 18 Jahre und dienstags ab 15 Uhr Eintritt frei


 Bertolt Brecht und Walter Benjamin spielen Schach, 1934, Skovsbostrand/Dänemark, 
Foto: unbekannt © Akademie der Künste, Berlin, Bertolt-Brecht-Archiv 

An Walter Benjamin der sich auf der Flucht vor Hitler entleibte

Ermattungstaktik war’s, was dir behagte
Am Schachtisch sitzend in des Birnbaum Schatten
Der Feind, der dich von deinen Büchern jagte
Lässt sich von unsereinem nicht ermatten.

b.b.

Dienstag, 24. Oktober 2017

Muskelkater - Aua!

 
Der Muskelkater, wahrscheinlich eine Verhunzung von Muskelkatarrh, verwandt jenem Kater/Katarrh, den man nach übermäßiger Zufuhr von Alkohol haben kann, ist nicht schlimm, aber er nervt ungemein. 
Ich habe momentan einen solchen, weil ich nach langer Zeit sehr hoher Aktivität, seit letzter Woche in einen Zustand der fast vollständigen Faulheit verfallen bin. Stunden auf dem Sofa, Stunden vor dem Computer beim Patience-Spiel. Kultivierte Verblödung im Exzess. Und nun schmerzt mein Körper, weil er intensiv unterfordert wird. Verkrümmt gemütlich auf dem Sofa und mit untergeschlagenem Bein auf dem schönsten Bürostuhl der Welt. 
Der Stuhl ist bescheuert teuer und unglaublich bequem und wird durch Manufaktum vertrieben. Die verkaufen auch einen Besenschrank für 1720 Euro, den habe ich nicht gekauft.
Meschugge, Muskelschmerzen durch Überforderung in Folge von Unterforderung. Und nun bewege ich mich wie die alte Frau, die ich in naher Zukunft hoffentlich sein werde.


Wiki definiert Kattarh so: Ein Katarrh (auch katarrhalische Entzündung oder Catarrhus; v. altgriechisch καταρρεῖν katarrhein, deutsch ‚herunterfließen‘) ist eine Entzündung der Schleimhäute, häufig der Atmungsorgane, die mit einer vermehrten Absonderung wässrigen oder schleimigen Sekretes verbunden ist.

Montag, 23. Oktober 2017

Eine Band - Prada Meinhoff

Christin Nichols singt, René Riewer spielt den elektrischen Bass.
Sie nennen sich Prada Meinhoff, ein Schelm wer ....
Post-Zweitausender Punk-Rock.
Ein erfreulicher Widerspruch in sich.
Die spinnen, drehen ab. 
Sie kreischt, säuselt, schreit und singt.
Er unterstützt, konzentriert und versunken. 

Leider nur ein Musik-Beispiel, sie starten gerade erst durch und die anderen Videos sind ungelenke Live-Mitschnitte.

Maske
https://www.youtube.com/watch?v=a4-HEEY7aXo 




© radioeins/Schuster

Sonntag, 22. Oktober 2017

BLADE RUNNER - 2049

Jared Leto ist ein furchtbarer Schauspieler.

An diesem Film ist alles gut und alles richtig, er ist wunderbar langsam, brillant photographiert, gespickt mit klugen Zitaten seines Vorgängers.
An dem Film stimmt nichts, er nimmt sich selbst so ungeheuerlich ernst, dass er mir kaum Raum läßt, das für ihn zu tun.
Wo das Original feucht und stickig und schmuddelig war, zelebriert er eine edle und durchkomponierte Ästhetik des Drecks und der Nässe.
Wo Harrison Ford stoisch und doch zutiefst verstört durch seine Geschichte stolperte, von der er nicht wußte, dass sie eine Tragödie war, breitet Ryan Gosling seine emotionale Tiefe vor uns aus, wie ein edles Fünf-Sterne-Mahl aus Anlass der Apokalypse.
Wo der Soundtrack von Vangelis minimalistisch in den Magen schoß, setzen heute Zimmer & Wallfisch jede Menge Beats obendrauf, damit unser Herz gewiss im gewünschten Rhytmus pocht.
Rutger Hauer starb im Regen, vielleicht hat er geweint, aber es könnten auch nur Regentropfen gewesen sein, jetzt weint jeder Replikant, und sogar die digitalisierte Menschin, mindestens zweimal, um ihre Menschlichkeit zu beweisen.
Es gibt keine Menschen mehr, nur Massen von Kahlköpfigen.
Darryl Hannah war häßlichschön, wild und witzig, die schiefgegangenen Replikantenmodelle in Tyrells Haus kleine traurige Kunstwerke, Edward James Olmos konnte Tiere aus Papier falten. Im "alten" Film von 1982 wollten alle Figuren unbedingt leben, hier träumen sie alle vom Tod.
Joe Turkel als Dr. Eldon Tyrell war ein herzerweichend einsamer Mensch. Jared Leto ist ein furchtbarer Schauspieler.



Für meine ungenaue Unzufriedenheit gibt es viele Gründe. Sicher verliert man seine filmische Unschuld nur einmal, aber es ist nicht nur das. Denn den Untergang der Welt zu fürchten, ist etwas anderes als sich in dieser Angst zu baden. 
1982, ein es war einmal vor der weltweiten Aidsepedemie, vor der Vernetzung aller mit allem, vor der Entwicklung der Motion-Capture-Technik, vor so vielem anderen. 
2017 eine Zeit der allgemeinen Verunsicherung, Verängstigung. Und möglicherweise aber auch eine Zeit der morbiden Lust an der Katastrophe.

Jared Leto ist ein furchtbarer Schauspieler.

Freitag, 20. Oktober 2017

Kingsman - The Golden Circle

Matthew Vaughn. Sein klassischer Gangsterfilm Layer Cake mit dem sehr jungen, und schon großartigen Daniel Craig ist einer meiner liebsten. Mit Guy Ritchie hat er einige seiner Filmen produziert, leider auch Swept Away. Und eine ziemlich gute X-Men Folge hat er gedreht.
Seinem erfolgreichsten Produkt Kingsman - Secret Service folgt jetzt die gänzlich unvermeidliche Fortsetzung. 

Was kann ich sagen? Vollkommen inhaltsfrei und äußerst unterhaltsam. James Bond trifft Indiana Jones auf Kokain und mir unbekannten Drogen unter freundlichster Verwendung jeden Zitates aus Western und Film noir, dessen er habhaft werden konnte. Und erschreckend zuverlässig dreht Vaughn die Schraube noch mindestens einmal weiter, als von mir erwartet oder faßbar. 

Toll besetzt mit Colin Firth, Mark Strong, Hale Berry, Jeff Bridges, Julianne Moore, Channing Tatum, Michael Gambon, Emily Watson, die alle sichtbar ein extrem gute Zeit hatten, ihre eigenen Spieler-Klischees auf die Schippe zu nehmen. Hale Berry mimt die graue Maus, Emily Watson emotioniert, Jeff Bridges ist cooler als cool, etc..

Und sie alle leichthändig und übergewichtig überflügelnd: Elton John, der auch den einzigen deutlichen blitzenden Blick in die Kamera wirft, während er mit einem mühelosen meterhohen Ninja-Sprung einen Gegner außer Gefecht setzt. 


Wo führt das hin? Wann sind alle irrwitzigen Kampfchoreographien ausgereizt? Wann überholt sich die Ironisierung des eigenen Genres selbst über links? Wann ist nicht mehr zu toppen, was schon ausgetoppt ist? Manchmal denke ich, mit Skyfall war das gesamte Thema auserzählt. Aber nix da, die atemlose Jagd geht weiter.
Im Theater spielt sich, zumindestens in Deutschland, gerade der gleiche Wettlauf ab - Was kann ich tun, das noch kein anderer vor mir getan hat? Alle inhaltlichen Fragen ducken sich unter diese eine, sehr existentielle.
Wie es in Labiches Sparschwein heißt:
Es ist ein Kampf! Der Liebenswertere wird geliebt! Der Gewinnendere wird gewinnen!  
Ich habe heute Abend nichts gelernt, nur gegrinst, und eine Idee für eine künftige Inszenierung auf einer altmodischen Theaterbühne gesehen.