Sonntag, 6. November 2016

Doctor Strange - Benedict goes large

Es ist wirklich eine Art Universum, das Marvel da erschafft, wenn auch ein kleineres, verdienstorientiertes.
Es gibt Helden mit Wunderkräften (Hulk), welche mit technischem Superwissen (Iron Man), mythologische Helden (Thor), tolldreiste Kampfhelden (Black Widow), Helden der Zukunft (Guardians of the Galaxy) und nun auch Zaubererhelden. 
Und sie alle treffen sich, spielen, kämpfen, quatschen miteinander und werden in immer neuen Zusammenstellungen noch Material für mindestens 751 Fortsetzungen bieten. 
Bei Doctor Strange nicht schon im Abspann gehen! Nicht so schön, wie bei den Guardians, aber nicht übel.

 
Arroganter, emotional gestörter Neurochirurg verliert durch Autounfall den Gebrauch seiner Hände, gibt die Schuld allen und jedem, hat einen Zusammenbruch, gerät nach Kathmandu, findet Lehrer, erinnert sich an den Eid des Hippokrates, den er einst geleistet hat, studiert Zauberei, findet seine Bestimmung und rettet die Menschheit vor Dormammu, dem Superbösewicht aus der dunklen Dimension, meist vertreten durch Mads Mikkelsen, unter extremem Einsatz von glitzerndem Lidschatten, als Kaezilius. Alle zaubern wie verrückt unter Einsatz sehr gut aussehender Handbewegungen.

Vorrausgeschickt, es ist ein Spaß. "Inception" wird, ums Zehnfache gesteigert, zitiert, "Sherlock" amerikanisiert. Tilda Swinton kann selbst esoterischsten Schwampf mit kühler Intelligenz und einer Prise Witz servieren. Mads ist großartig wie immer. Rachel McAdams und Chiwetel Ejiofor und Benedict Wong geben erstklassige Unterstützung und Benedict Cumberbatch... 
Tja, er ist gut, ich bin Fan, aber es ist als müßte sich in diese Art von schamlose Vergrößerung erst einpassen, noch hat er nicht die elegante Entspanntheit von Tilda Swinton, oder die manisch-coole Überdrehtheit von Robert Downey jr.
Er ist gut, aber noch ist die Verstellung zu spüren, der Mangel an Realität macht ihm noch zu schaffen. 

"Sherlock" Staffel hat am 1. Januar 2017 Premiere!

Das Universum (von lateinisch universus „gesamt“), ist die Gesamtheit von Raum, Zeit und aller Materie und Energie darin. Das beobachtbare Universum beschränkt sich hingegen auf die vorgefundene Anordnung aller Materie und Energie, angefangen bei den elementaren Teilchen bis hin zu den großräumigen Strukturen wie Galaxien und Galaxienhaufen. So sagt es Wiki.

Eid des Hippokrates
Ich schwöre bei Appollon dem Arzt und Asklepios und Hygieia und Panakeia und allen Göttern und Göttinnen, indem ich sie zu Zeugen rufe, daß ich nach meinem Vermögen und Urteil diesen Eid und diese Vereinbarung erfüllen werde: Den, der mich diese Kunst gelehrt hat, gleichzuachten meinen Eltern und ihm an dem Lebensunterhalt Gemeinschaft zu geben und ihn Anteil nehmen zu lassen an dem Lebensnotwendigen, wenn er dessen bedarf, und das Geschlecht, das von ihm stammt, meinen männlichen Geschwistern gleichzustellen und sie diese Kunst zu lehren, wenn es ihr Wunsch ist, sie zu erlernen ohne Entgelt und Vereinbarung und an Rat und Vortrag und jeder sonstigen Belehrung teilnehmen zu lassen meine und meines Lehrers Söhne sowie diejenigen Schüler, die durch Vereinbarung gebunden und vereidigt sind nach ärztlichem Brauch, jedoch keinen anderen. Die Verordnungen werde ich treffen zum Nutzen der Kranken nach meinem Vermögen und Urteil, mich davon fernhalten, Verordnungen zu treffen zu verderblichem Schaden und Unrecht. Ich werde niemandem, auch auf eine Bitte nicht, ein tödlich wirkendes Gift geben und auch keinen Rat dazu erteilen; gleicherweise werde ich keiner Frau ein fruchtabtreibens Zäpfchen geben: Heilig und fromm werde ich mein Leben bewahren und meine Kunst. Ich werde niemals Kranke schneiden, die an Blasenstein leiden, sondern dies den Männern überlassen, die dies Gewerbe versehen. In welches Haus immer ich eintrete, eintreten werde ich zum Nutzen des Kranken, frei von jedem willkürlichen Unrecht und jeder Schädigung und den Werken der Lust an den Leibern von Frauen und Männern, Freien und Sklaven. Was immer ich sehe und höre, bei der Behandlung oder außerhalb der Behandlung, im Leben der Menschen, so werde ich von dem, was niemals nach draußen ausgeplaudert werden soll, schweigen, indem ich alles Derartige als solches betrachte, das nicht ausgesprochen werden darf. Wenn ich nun diesen Eid erfülle und nicht breche, so möge mir im Leben und in der Kunst Erfolg beschieden sein, dazu Ruhm unter allen Menschen für alle Zeit; wenn ich ihn übertrete und meineidig werde, dessen Gegenteil.

Samstag, 5. November 2016

Mapplethorpe - Look at the pictures


  © Robert Mapplethorpe

Mapplethorpe - Look at the Pictures
Eine HBO-Dokumentation
Von Fenton Bailey und Randy Barbato

Ich bin spät auf Robert Mapplethorpes Arbeiten gestoßen, durch den ersten Band von Patti Smiths Autobiographie "Just Kids". Ein scheuer, verspielter, hinreißend schöner junger Mann, der gierig nach seinem Ort in der Kunst suchte, katholisch geprägt, sehr ehrgeizig und sehr arm, sie wird seine erste Liebe und er bricht ihr das Herz, eine Fakt, den sie mit großer demütiger Zuneigung beschreibt.


Ken Moody und Robert Sherman 1984
© Robert Mapplethorpe
Beide Modelle hatten Alopecia, wodurch sie 
völlig haarlos waren.

Statuen, Blumen, Porträts, Frauen, Männer und Männer und ihre Schwänze, fast ausschließlich in schwarz/weiß, zu Beginn Polaroids, dann schenkte ihm ein wohlhabender Liebhaber eine Hasselblad. Mapplethorpe ist, eins der vielen, vielen Opfer der grausamen Krankheit AIDS, nur vierzig geworden und muß gearbeitet, geschuftet haben, als wüßte er, dass er nur wenig Zeit haben würde.

 Mann im Polyester Anzug 1980
Aus X-Portofolio Serie
© Robert Mapplethorpe
Photo: Sotheby’s New York

1989 Die Nationale Stiftung für die Künste der USA

Der US-Senator Jesse Helms hat einer Ausstellung seiner Photos wegen erfolgreich eine Novelle zum Gesetz über die staatliche Kunstsubventionierung im Senat eingebracht, die die Förderung von Kunst verbietet, die " Darstellungen von Sadomasochismus, Homoerotizismus, die Ausbeutung von Kindern, oder Personen, die sexuelle Akte vollziehen fördert, verbreitet oder schafft; auch Matrial, dass die Gegenstände oder den Glauben der Anhänger einer bestimmten Religion oder Nicht-Religion verleumdet, herabsetzt oder verunglimpft." Auch für Kunst "die eine Person wegen ihrer Rasse, Überzeugung, Sex, Behinderung, Alter oder nationaler Herkunft verleumdet, herabsetzt oder verunglimpft" wurde staatliche Fördeung verboten. Im Herbst 89 wird diese Bestimmung durch eine neue Abstimmung abgemildert, aber nicht abgeschafft.
Helms verwendete auch den Ausdruck: "Look at the pictures!" Er hat die Photos an Senatoren verschickt, um sie zur Unterstützung seines Antrages zu bewegen.

Homage an Mapplethorpe © Catherine Balet

Mittwoch, 2. November 2016

Anne Carson - Kurzer Vortrag über die Mona Lisa


KURZER VORTRAG ÜBER DIE MONA LISA

von Anne Carson

Jeden Tag hat er seine Frage in sie gegossen, wie
man Wasser von einem Gefäß in ein anderes gießt,
und es goß zurück. Erzähl mir nicht, dass er seine Mut- 
ter, Lust, etcetera malte. Da ist ein Mo-
ment wenn das Wasser weder in einem Gefäß noch in
dem anderen ist - was für ein Durst es war, und er nahm
an, dass er, wenn die Leinwand völlig 
leer wäre, aufhören würde. Aber Frauen sind stark.
Sie kannte Gefäße, sie kannte Wasser, sie kannte
tödlichen Durst. 



http://johannaschall.blogspot.de/2012/11/warum-lachelt-diese-frau-woran-denkt.html 
  
SHORT TALK ON THE MONA LISA

by Anne Carson

Every day he poured his question into her, as
you pour water from one vessel into another,
and it poured back. Don’t tell me he was paint-
ing his mother, lust, et cetera. There is a mo-
ment when the water is not in one vessel nor in
the other what a thirst it was, and he sup-
posed that when the canvas became completely
empty he would stop. But women are strong.
She knew vessels, she knew water, she knew
mortal thirst.

 

Dienstag, 1. November 2016

Guy Ritchie - Rhythm & Film

GUY RITCHIE
 

1998: Bube, Dame, König, grAS (Lock, Stock & Two Smoking Barrels)
2000: Snatch – Schweine und Diamanten (Snatch.)
2002: Stürmische Liebe 
(Swept Away)
2005: Revolver
2008: Rock N Rolla (RocknRolla)
2009: Sherlock Holmes
2011: Sherlock Holmes: Spiel im Schatten (Sherlock Holmes: A Game of Shadows)
2015: Codename U.N.C.L.E. (The Man from U.N.C.L.E.)


Die eher knappe Filmographie des Mannes, der seine Frau Madge zu nennen pflegte.

Jason Statham Benicio Del Torro Vinnie Jones Brad Pitt Mark Strong Ray Liotta Clive Owen Tom Hardy Gerard Butler Tom Wilkinson Idris Elba Robert Downey jr. Jude Law Henry Cavill Armie Hammer Hugh Grant Sylvester Groth


Er macht Männerfilme. Filme mit Männern. Filme über Männer. Er heißt ja auch 'Guy'! (Guy = Kerl, Macker, Mann)

'Swept Away' verbuche ich unter liebesblindem Ausrutscher und ignoriere ihn.

Kriminelle der unteren Ränge, mit nicht viel mehr als Charme und Hoffnung bewaffnet, haben einen coolen Plan, es gibt einen großen Boss, der viel böser & ruchloser ist, der Plan gerät in die Katastrophe abzurutschen, es sieht nach sicherem, schrecklichen Untergang aus. Dann folgt mit scharfem Dreh die Rettung, das Happy End. 
Die maskuline Variante der romantischen Komödie. Frauen sind vorhanden, aber bleiben mysteriös. Der Ton ist proletarisch mit Ausflügen in grimmige Poesie. 
Die Liebe spielt eine große Rolle, die Liebe zwischen Freunden, die Liebe zwischen Männern. Wobei die hinreißende, tiefe Verliebtheit von Tom Hardy in RocknRolla eher die Ausnahme von der Regel ist.


Ritchie ist ein Schnittkünstler. Montagen, harte Überblendungen, Verlangsamungen, krasse Beschleunigungen, Hip-Hop Rhythmen. Die Action Sequencen sind wild und elegant choreographiert, viel Körpereinsatz, viel Gewalt, die aber immer Witz und Theatralik behalten und nicht ins sadistisch Sinnlose verfallen. Um entscheidende Szenen abzusetzen, Rückblenden, Zuspitzungen, gibt er ihnen spezifische Färbungen. Die Charaktere der Figuren sind immer erinnerbar, nicht einschichtig, platt. Ich kann sie begreifen.

Er erzählt seine Filme, wie ein intelligentes, phantasiebegabtes Kind Geschichten erzählt, nicht chronologisch, er hakt sich an faszinierenden Details fest, dann schlägt er einen Haken, findet Verlinkungen verblüffender Art, serviert Gleichzeitigkeiten. Ich muß aufpassen, um den Faden nicht zu verlieren. Das mag ich. Er ist witzig. Das mag ich auch.

Er macht Filme über Männer, die auch Frauen gerne sehen. 

P.S. And now for something completely different: "Die Geträumten" ein Film für Leute, die sich für Celan und Bachmann, lange, langsame Einstellungen und das wunderbare Gesicht von Anja Plaschg interessieren. 

Sonntag, 30. Oktober 2016

Schauspieler, die unbekannten Wesen

Schauspieler, zumindest die am Theater arbeitenden, verdienen schlecht, arbeiten äußerst hart und leben den unbequemsten vorstellbaren Alltag (Probe von 10 bis 14.00 Uhr und dann wieder ab 19.00 Uhr bis um 10 Uhr abends. Freie Tage sind nicht planbar.) und sie besitzen eine überaus zarte Elefantenhaut.
Schauspieler, Menschen. die aus Passion und für Geld spielen, während andere zuschauen.
Schauspieler haben aufgehört, zu rauchen, weil es zu teuer ist und schlecht für ihre ständig belasteten Stimmbänder. Sie trinken weniger als allgemein vermutet, weil sie es sich nicht leisten können, und am nächsten Morgen immer wieder Probe ist, und davor muß auch noch das Kind versorgt werden. 

Ich bin ausgebildete Schauspielerin mit Fachschulabschluß und nun arbeite ich schon seit vielen Jahren als unausgebildeter Regisseur mit Leuten, die den gleichen Beruf wie ich gelernt haben, die sich aber keineswegs ähneln. 
O, wie verschieden sie sind, und ich sicher auch! 

Einer braucht nur karge, praktische Hinweise, ein anderer Gespräche über Politik oder Parapsychologie. Einer mag abstruse Geschichten, eine andere verachtet meine Art anekdotisch auf die Welt und mein Sein in ihr zu blicken.
Eine erzählt mir in den Proben (jedenfalls scheinbar) ihre gesamte Biographie, bei einer anderen, könnte ich nicht einmal sagen, ob sie überhaupt eine Biographie hat. 
Ich mag das, ein Katalysator für so viele höchst unterschiedliche Persönlichkeiten zu sein, ihnen ein Umfeld zu schaffen, in dem sie kreativ & aktiv werden können. Sie öffnen sich unmäßig, sie lassen sich gehen, und gehen dabei ein gewaltiges Risiko ein. Sie sind mutig, wenn sie ein lohnenswertes Ziel geboten bekommen.

Und dann sind da die kraftzehrenden, unproduktiven, erschöpfenden Ausnahmen, die zutiefst Faulen, Egozentrischen, die, die nicht denken wollen, nicht lachen, nicht versagen, die, die ihre privaten Neurosen als passiv aggressive Waffe gegen jederlei überraschende Lebendigkeit einsetzen. Ich nenne sie Vampire. Sie saugen Kraft und geben nichts lebendig Verwendbares zurück. Sie interessieren sich ganz und gar und ausschließlich für sich selbst und ihre augenblickliche Lebenssituation, und gehen dabei über jede denkbare Leiche, um in der unbeschadeten Gewissheit der eigenen emotionalen Unfehlbarkeit, Besonderheit ans unklar erahnte, meist zutiefst sentimentale Ziel zu gelangen. 
"Ich kann mir das nicht merken.", "Ich lerne nicht Text im voraus.", "Das würde meine Figur nicht tun." und derlei simple Ausreden, durchschaubares Zeug, und alles, damit sie nicht aus ihrer selbstgerechten Gemütlichkeit herausgeraten.

Menschen, also auch Bühnenfiguren, sind vielerlei, ambivalent und widersprüchlich. Ihre Falllhöhen sind immens. Wer jetzt noch so dachte, erlebt, fühlt nun das genaue Gegenteil. Fallhöhe, ein gutes, hartes Wort. Ich glaube eins und will doch das andere. Ich bin ein Bühnen-Mensch, keine gefällige, sentimentale Bühnenfigur. Ich bin von dialektischer, widersprüchlicher Einzigartigkeit.


Max Beckmann Ballettprobe 1950

Samstag, 29. Oktober 2016

Idole sterben

Heute erhielt ich die Nachricht vom Tod Manfred Krugs.

In den 70er Jahren des letzten Jahrhunderts habe ich monatelang meine Familie mit einer Endlossschleife seiner Langspielplatten gequält. "Es war nur ein Moment" und "Ein Hauch von Frühling" dudelten pausenlos auf meinem Plattenspieler, auf Tempo 33. Krugs Stimme war nicht groß, eher zart und hell, vorsichtig, die Texte nachvollziehbar, leicht und hochmusikalisch.


Sergej Klang auf FB: Das was Manne Krug und Günther Fischer in den 70er Jahren gemacht haben, gehört zum Besten, was in der DDR auf Platte erschienen ist. Gerade weil es weder Ostrock, noch Schlager, noch Chanson, noch Jazz ist. Sondern sich gekonnt irgendwo zwischen all diesen Stilen bewegt. Angenehm unzeitgemäß, perfekt arrangiert, immer mit einer Prise Humor geerdet. Chansonesker Soul-Beat-Schlager...

Wenn du schläfst, mein Kind
Schau ich dir in die Träume
Und ich sehe, du träumst davon
Wie schön wir sind
Und ich hüt' mich, dass ich keinen Deut versäume...

ODER
Im wunderschönen Monat Mai
Als alle Knospen sprangen
Da ist in meinem Herzen
Die Liebe aufgegangen!

Im wunderschönen Monat Mai
Als alle Vögel sangen
Da hab' ich ihr gestanden
Mein Sehnen und Verlangen!

Wenn er und sein Musikerkollege Gerd Natschinski sich allerdings, wie bei "Greens", in den Jazz amerikanischer Prägung vorwagten, wurde ihre Musik dünn, harmlos und sehr ddrisch. Wenn man richtig deutsch klingendes Englisch hören möchte, hier bekommt man es zu hören. Er hat auch in "Porgy und Bess" Sporting Life gesungen, keine gute Idee, finde ich.
Dann doch lieber so:
https://www.youtube.com/watch?v=CP49yyQKpkk 

Als Schauspieler war Krug direkt, unverstellt, eher er selbst in Bestform, als eine verfremdete Figur. Der DEFA-Film "Spur der Steine" wurde durch Verbot zum ungesehenen Geheimtipp, ich hab bis heute nur Ausschnitte gesehen, die allerdings kräftig und nach DDR-Maßstab realistisch wirken.

Nun ist er tot. Und David Bowie ist es auch. Und Edward Albee. Und Bud Spencer. Und, oh Gott, Götz George. Und Muhammad Ali. Und Prince. Und Genscher und Westerwelle. Und Sinatra, unvorstellbar. Und Peter Lustig, Willemsen, Genscher und Alan Rickman, der Besitzer der schönsten vorstellbaren Stimme. Sie alle und viele mehr starben im Jahr 2016. 

Im allgemeinen Sprachgebrauch werden häufig Personen, denen große oder übertriebene Bewunderung entgegengebracht wird, als Idole bezeichnet, sagt Wiki.

Um mich herum sterben Menschen, die an bestimmten Punkten meines Lebens für mich wichtig waren. Idole? Idol ist ein bedrückendes Wort, man lastet dem anderen ein zu großes Gewicht auf, also nenne ich es lieber hilfreiche Streckenbegleiter. Und sie sterben. Das heißt, ich bin alt geworden. 58 Jahre alt. Darum bemerke ich heute heftiger, wenn jemand stirbt, der mir auf meinem Weg begegnet ist. "Die Einschläge kommen näher", eine Platitüde, aber nicht unwahr. 
Wenn in der Umgebung meiner Magdeburger Oma jemand starb, berichtete sie davon immer mit einer gewissen Schadenfreude. Aber vielleicht war sie auch nur froh, dass der "Krug" noch einmal an ihr vorbei gegangen war?

Leider bin ich gänzlich unfähig, an jegliches Leben nach dem Tod zu glauben, aber trotzdem ist die Vorstellung von feuchtfröhlichen, mitternächtlichen Feiern auf gewissen Friedhöfen tröstlich. Mein Vater und Heiner Müller und Hegel und alle möglichen "Bewohner" des Dorotheenstädtischen Friedhofes mit Whiskey und Zigarre, meine Mutter auf der Suche nach einer Wärmflasche. Sie hätte heute ihren 86. Geburtstag gefeiert. Himbeerrolle, Apfelhaferflocken-Kuchen und Quarkkuchen mit Aprikosen hätte es gegeben. Und noch viele andere Kuchen und Torten. 
Und wenn man drei Stück Kuchen gegessen hatte, fragte sie besorgt, ob die anderen, einem vielleicht nicht geschmeckt hätten. Jüdische Mütter und ihre Obsession mit Esswaren. Ich hab meiner Mutter mal vorgeworfen, dass wir nie ein längeres Gespräch führen konnten, weil sie immer dafür sorgte, dass ich einen vollen Mund hatte. 

Everybody wants to go to heaven, but nobody wants to die.

 
FOCUS - ONLINE

Kein Fluch – sondern Statistik

Warum ist das so? Glaubt man dem bei der BBC für Nachrufe zuständigen Redakteur Nick Serpell, ist dafür kein Promi-Fluch verantwortlich – sondern bloße Statistik. Vor allem die Unterhaltungsbranche erlebte einen Boom in den 1960ern, das Fernsehen etablierte sich in den Haushalten und brachte zahlreiche neue Stars hervor. Auch das Musikgeschäft verankerte sich ab den späten 1950er Jahren endgültig in der Populärkultur und erzeugte Dutzende neuer Idole.
Ab den 1960ern gab es also viel mehr Stars als zuvor, und wir schreiten in eine Phase, in der die Promis aus den 1960ern und 1970ern langsam alt werden – und sterben. Hinzu kommen noch Berühmtheiten aus den späteren Jahrzehnten, die unerwartet früh von uns gehen - wie Prince. Auch von diesen existieren mehr als früher.

Folge des Bevölkerungswachstums

Die Expansion der Unterhaltungsindustrie hat auch mit einem generellen Bevölkerungswachstum zu tun. Ab 1946 explodierte die Geburtenzahl in den westlichen Industriestaaten. 1965 kamen in Deutschland 1,3 Millionen Babys auf die Welt – ein absoluter Höchstwert der Nachkriegszeit und der Zenit des Geburtentrends.
In den USA gehören 23 Prozent der Bevölkerung zur sogenannten „Baby Boomer“-Generation der zwischen 1946 und 1964 geborenen Menschen. Unter den Promis befindet sich daher ebenfalls eine überdurchschnittlich große Anzahl „Baby Boomer“ – die jetzt langsam in ein hohes Alter kommen. Damit steigt leider auch die Wahrscheinlichkeit, dass sich Fans von einigen ihrer Stars verabschieden werden müssen.

Aufmerksamkeit durch Twitter und Co.

Zu guter Letzt kommt auch den sozialen Medien eine große Rolle zu: Denn das Internet senkte die Schwelle, die es braucht, um als prominent zu gelten. Todesfälle wie den der amerikanischen Wrestlerin und Porno-Darstellerin Cyna hätten in Deutschland vor zehn Jahren nur eingeweihte Zirkel mitbekommen. Heute verbreiten sich auch Todesfälle von Persönlichkeiten aus Randnischen in rasender Geschwindigkeit.
Die gute Nachricht ist also: Dass es mehr prominente Todesfälle zu geben scheint als früher, hat nichts mit einem "Schicksalsjahr" oder einem "Prominentenfluch" zu tun, sondern es gibt eine natürliche Erklärung. Die schlechte Nachricht allerdings: Der Trend wird sich in den kommenden Jahren eher noch verstärken. Die BBC hat bereits reagiert. Der traditionelle 30-minütige Jahresrückblick auf verstorbene Prominente wird in diesem Dezember erstmals auf eine ganze Stunde verlängert.

Mittwoch, 19. Oktober 2016

Kleist ist eine Überforderung

Donald Trump wird möglicherweise Präsident werden, Herr von Schirach in einer anderen, nicht undenkbaren, Dimension Justizminister. Syrien brennt heute. Niemand von uns weiß wirklich, was Putin denkt. Menschen flüchten allerorten. Wer verläßt seine Heimat ohne guten/schlimmen Grund?
Deutschland  ist prozentual zufriedener, Afrika hungert immer noch, Israel und Palästina beissen sich die Kehlen blutig.

Ich bin immer noch nur ein Theaterregisseur.

Das Private ist immer auch politisch, Politik begründet sich selbstgewiß im privaten Gefühl. Gefühl, Gefühligkeit, Empfindung, Empfindlichkeit. Was unterscheidet den Wutbürger von wirklicher Wut? Den Gutmenschen vom konkreten hilfreich sein im entscheidenenen Augenblick? Ich fühle mich, in bester Absicht, aber in ständiger Überforderung durch mein kleines tägliches Leben.

Es gibt Tage, da macht die Welt fast keinen Sinn. 

Unsere erste Hauptprobe lief gut, trotz Erkrankungen aller Arten - Kotzvirus, Fieber, Magenkrämpfe, Zahnschmerzen etcetera. 
Kleist nervt. Kleist überanstrengt. Kleist ist eine Unverschämtheit.
Kein Kompromiss nirgendwo.
Alles oder nichts. Ganz oder gar nicht. Keine erwartbare Hoffnung.

ABER! Aber, wenn ich Abstand hätte, würde ich sagen, dass heute sechs Menschen auf einer Bühne miteinander eine Geschichte verhandelt haben. Noch ungelenk, noch mit Angst, aber miteinander in diesen Ängsten.

Kritik im Anschluß: Laßt mich ein, schließt mich ein! Wie kriegen wir den willigen aber erschöpften Chemnitzer dazu, nach acht Stunden entfremdeter Tätigkeit, sich für unsere maßlose Geschichte zu interessieren? Zu akzeptieren, dass es seine Geschichte ist. Auch wenn er niemals niemanden auffrißt.

Sonntag, 16. Oktober 2016

Bob Dylan - Nobelpreisträger

Die DDR geht zugrunde und Bob Dylan gibt ein Konzert. 

Akte mit der Bezeichnung: Robert Zimmerman, No. HA XX 17578 
 „Unter heutiger Sicht hat er bei den gegenwärtig sich im jugendlichen Alter befindlichen Jahrgängen keine außergewöhnliche Resonanz", eher unter „älteren Jugendlichen und Menschen mittleren Alters ... Es ist davon auszugehen, dass Bob Dylan bei seinem Auftreten sich gegenüber dem Publikum und dem Veranstalter diszipliniert verhalten wird und bei seinem Auftritt keine negativen Emotionen zu erwarten sind."
Die Freie Deutsche Jugend (FDJ) als Veranstalter hatte keine Mühe, in kurzer Zeit 81.000 Karten für das Konzert zu verkaufen.


Ich, allein, in einer Menschenmenge auf einer feuchten dunklen Wiese in Treptow, die Vorband spielt, es wird dunkel, Platzangst ergreift mich, noch bevor der mythische Dylan, der von mir verehrte, die Bühne betritt, gehe ich, flüchte ich. In meiner Wohung in Lichtenberg lausche ich einer Vinyl-Aufnahme seiner Stimme auf meinem Plattenspieler

Für die Jüngeren unter euch, ein Plattenspieler tastet übergroße schwarze CDs mit Hilfe einer Nadel einer Rille folgend ab, und die zu hörende Musik hat Neben-, Tiefen-, Schattengeräusche, die die Älteren unter uns bei digitaler Musik manchmal vermissen.

Jahre später in Japan, als Gast eines Filmfestivals werde ich panisches Opfer eines der dort üblichen Karaokeabende, die Gastgeber singen mit vibrierendem Sopran Schubertlieder in gebrochenem Deutsch. Wir verbeugen uns voreinander bis zum Abwinken. Ich werde mittels übergroßer Höflichkeit gezwungen, mich zu revanchieren, und grummle, um drei Uhr früh, unter dem Einfluß einer großen Menge Sake, "Sag mir wo die Blumen sind" und war sicher, ich sänge die deutsche Version eines Dylan Liedes, ein Irrtum. Pete Seeger schrieb den Ohrwurm und Dylan (und Marlene Dietrich) haben ihn uns eingeprägt. 

Ich bin was Musik betrifft ein idiotischer Freak, maßlos, eklektisch bis geschmacklos und leidenschaftlich, aber irgendwann zwischen dem 14. und 20. Lebensjahr fand es meine Grundprägung statt, The Beatles, Bob Dylan, Ian Anderson, Manfred Krug, Marvin Gaye und Barockmusik. Seitdem ist, dem Himmel sei Dank, Vielfältiges dazugekommen. Aber wenn mich jemand mitternächtlich weckte und mit vorgehaltener Pistole erinnerte Liedtexte von mir verlangte, bekäme er die Zeilen, denen ich in pubertären Einsamkeiten hundertemale gelauscht habe. Texte, die mich meinten, nur mich. 

Ich hatte einen Freund, der kein Englisch sprach, aber alle Beatles-Lieder lautmalerisch auswendig hersagen konnte.

Und stellt euch eine Gruppe junger Leute vor, in einem Land aus dem man nicht rauskam: Wenn wir Rentner sind, werden wir wie Kerouac durch die USA trampen. "When I'm Sixtyfour" werde ich "Like a Rolling Stone" sein. 

Wir waren acht. Arrogant, hoffnungsvoll und voll von Zukunft. Einer säuft, einer ist in der Klapper oder tot, eine arbeitet als Lehrerin in Neukoelln, in Usbekistan und anderswo, eine ist Chirurgin in Hamburg, einer lebt in Los Angeles und hat sich sein gutes Leben hart erarbeitet, einer war IM und ist jetzt Urologe in Hamburg, einer liebt die deutsche Literatur von Rheinsberg aus.

Später konnte ich genauer hinhören. Verheddert in Traurigkeit.


Tangled Up In Blue


Early one mornin’ the sun was shinin’
I was layin’ in bed
Wond’rin’ if she’d changed at all
If her hair was still red
Her folks they said our lives together
Sure was gonna be rough
They never did like Mama’s homemade dress
Papa’s bankbook wasn’t big enough


And I was standin’ on the side of the road
Rain fallin’ on my shoes
Heading out for the East Coast
Lord knows I’ve paid some dues 

gettin’ through
Tangled up in blue


She was married when we first met
Soon to be divorced
I helped her out of a jam, I guess
But I used a little too much force
We drove that car as far as we could
Abandoned it out West
Split up on a dark sad night
Both agreeing it was best


She turned around to look at me
As I was walkin’ away
I heard her say over my shoulder
“We’ll meet again someday

on the avenue”
Tangled up in blue


I had a job in the great north woods
Working as a cook for a spell
But I never did like it all that much
And one day the ax just fell
So I drifted down to New Orleans
Where I happened to be employed
Workin’ for a while on a fishin’ boat
Right outside of Delacroix


But all the while I was alone
The past was close behind
I seen a lot of women
But she never escaped my mind, 

and I just grew
Tangled up in blue


She was workin’ in a topless place
And I stopped in for a beer
I just kept lookin’ at the side of her face
In the spotlight so clear
And later on as the crowd thinned out
I’s just about to do the same
She was standing there in back of my chair
Said to me, “Don’t I know your name?”


I muttered somethin’ underneath my breath
She studied the lines on my face
I must admit I felt a little uneasy
When she bent down to tie the laces 

of my shoe
Tangled up in blue


She lit a burner on the stove
And offered me a pipe
“I thought you’d never say hello,” she said
“You look like the silent type”
Then she opened up a book of poems
And handed it to me
Written by an Italian poet
From the thirteenth century


And every one of them words rang true
And glowed like burnin’ coal
Pourin’ off of every page
Like it was written in my soul 

from me to you
Tangled up in blue


I lived with them on Montague Street
In a basement down the stairs
There was music in the cafés at night
And revolution in the air
Then he started into dealing with slaves
And something inside of him died
She had to sell everything she owned
And froze up inside


And when finally the bottom fell out
I became withdrawn
The only thing I knew how to do
Was to keep on keepin’ on 

like a bird that flew
Tangled up in blue


So now I’m goin’ back again
I got to get to her somehow
All the people we used to know
They’re an illusion to me now
Some are mathematicians
Some are carpenters’ wives
Don’t know how it all got started
I don’t know what they’re doin’ with their lives


But me, I’m still on the road
Headin’ for another joint
We always did feel the same
We just saw it from a different point 

of view
Tangled up in blue
Written by: Bob Dylan

Dienstag, 11. Oktober 2016

Ein gutes Gefühl

Eine scheue, kleine, feine Verliebtheit ist ein schönes Ding. Sie macht wacher, offener, gutgelaunter. Nichts Welterschütterndes vielleicht, aber ein zarter Glanz über dem Tag. So ein Gefühl ist absichtslos, ohne Erwartung, Genuß in sich, an und für sich.

Wiki bietet folgende Definition: Glanz ist eine optische Eigenschaft einer Oberfläche, Licht ganz oder teilweise spiegelnd zu reflektieren. ... Genau wie Farbe ist der Glanz eine Eigenschaft, die zum visuellen Erscheinungsbild einer Oberfläche beiträgt. Glanz ist ein Sinneseindruck und daher vom Betrachter abhängig.

© Michael Dressel
Ich möchte ein Glanz sein. Wollen Sie wissen, was ein Glanz ist? Ein Glanz ist - also es gibt Mädchen, die sind ganz eklig hässlich und können doch ein Glanz werden. Aber besser ist es schon, wenn man nicht wie ein totes Skelett aussieht. ... Und ich werde ein Glanz. Weil nämlich ein Glanz sein ist das Großartigste, was es gibt.
Aus: Das Kunstseidene Mädchen von Irmgard Keun

Vielleicht brächte ich es so weit, in Glanz zu leben, aber ich hätte dann alles andere nicht, meine absolute Freiheit und mein Leben für mich. 
Franziska zu Reventlow, Tagebücher