Nummer eins war Mist, vier Etagen ohne Fahrstuhl für einen mittelalten Raucher, schmiedeeiserne Horror-Details und eine völlig verkorkste Raumstruktur. Nummer zwei war viel besser, mit dem schönsten vorstellbaren Bad, in dem auch der Stuhl für den Gesprächspartner Platz hätte, aber leider drei Räume gleicher Größe. Und ich will halt zwei Zimmer, ein großes und ein kleines. Nummer drei war öde, über Nummer vier will ich hier berichten.
Kaum 100 Meter Luftlinie von meinem jetzigen Wohnort entfernt, habe ich einer der vielen Berliner Parallelwelten kennengelernt.
In der Chausseestrasse - Eine ehemalige Fabrik, in der einst Aufzüge hergestellt wurden - Wiki schreibt:
Hinter den Neubauten der Chausseestraße 33, 34 und 35 (ursprüngliche Nummer 23) gegenüber der Habersaathstraße befinden sich die denkmalgeschützten Fabrikgebäude von Sigl und Flohr, die 2010 und 2011 zu Eigentumswohnungen umgebaut wurden. Die 1844 errichteten Fabrikgebäude dienten G. Sigl zur Herstellung von Druckereimaschinen. 1887 kauften Theodor Lissmann und Carl Flohr die Fabrikgebäude von Sigls Erben und zogen im April 1888 mit ihrer Maschinenfabrik von der Großen Frankfurter Straße in die Chausseestraße 28b (später Nummer 35). Um 1890 übernahm Carl Flohr den Betrieb als alleiniger Inhaber, ließ ihn zwischen 1900 und 1908 baulich erweitern und in der Fabrik Fahrstühle und Paternosteraufzüge herstellen. Im Jahr 1951 fusionierte die Firma Carl Flohr mit der New Yorker Fahrstuhlfirma Otis zur deutschen Flohr-Otis GmbH und nahm ihren Sitz in Reinickendorf. Das Werk an der Chausseestraße wurde dagegen als VEB Aufzug- und Fahrtreppenbau weiterbetrieben, bis es 20 Jahre nach der Wende im Jahr 2009 vom Eigentümer Otis verkauft wurde. Wie andere Grundstücksnummern in der Straße wurde auch die oben erwähnte Nummer 23 aus dem Jahr 1850 bis 1907 mehrere Male verändert, und trägt seither die Nummer 35. Vor der Nummer 33 steht eine denkmalgeschützte Wasserpumpe. Sie wurde um 1895 aufgestellt, hauptsächlich um die vielen Pferde der damaligen Zeit zu tränken. Als Berlin in Trümmern lag, standen an dieser und allen anderen handpumpen 1945–1948 Menschen nach sauberem Trinkwasser mit Eimern Schlage. Während des Gebäudeneubaus Chausseestraße 33–35 wurde sie eingelagert. Nach der Wiederaufstellung hatte sie ihren Pumpenarm auf der anderen Seite.
Das Gelände hat ein elektronisches Eingangstor und mehrere große Hinterhöfe eingerahmt von schöner klarer Industriearchitektur. Auf dem dritten Hinterhof, ein Eingang, ein Aufzug, ein 150 Meter langer Gang mit rotem Mittelteppich. Ich fühle mich wie in einem Bürogebäude, einer riesigen Arztpraxis, einem gesichtslosen Hotel. Gerade, rechts abbiegen, dann links, dann wieder geradeaus. Tür folgt auf Tür auf Tür. Wo versteckt sich Franz Kafka?
Unser Gastgeber, der der die Wohnung jetzt bewohnt, sagt, dass die Bewohnerfluktuation stark sei. Wie im Hotel halt? Die Wohnung selbst ist von vollkommener Eigenschaftslosigkeit. Alles ist schick, alles fein, nichts persönlich, nichts eigenartig.
Die Einrichtung passt perfekt - gehobenes IKEA in ungebrochener Herrschaft, kein Buch weit und breit, aber hier ein Wasserfleck und dort ein Riß in der Wand. Ich habe Atembeschwerden bekommen und bin höflichst lächelnd geflohen.
Und nun stelle ich mir die grob umrissene Biographie der Bewohner dieses Wohnsilos vor: Herr oder Frau x kommt aus der deutschen Provinz nach Berlin für einen guten Job, die Höhe der Miete verlangt ein mittelgutes Einkommen, Herr oder Frau x ist jung, so zwischen fünfundzwanzig und dreissig, ungebunden, single. Herr oder Frau x wird hart arbeiten und ebenso hart feiern, die Wohnung ist Schlafort, Ablage für Kleidung und Dinge, Ein Zwischenstopp. Eine Bushaltestelle. Der junge Mann, der jetzt dort haust, zieht zu seiner Freundin. Er wird zu einer Hälfte eines Paares. Zwei Photos waren alles, was ich als seine persönlichen Dinge erkennen konnte. Was nicht heißt, dass nicht ein weites, überraschendes Leben in den häßlichen weißen Anbauschränken versteckt war.
Arbeiterschließfächer oder gröber Fickzellen wurden Neubauwohnungen in der DDR genannt. Berliner Juppies (yuppie =young urban professional) bewohnen, in höchster Individualität, ebensolche.
Ein Kapsel-Hotel (capsule hotel) in Osake, Japan.
-----------------------------------------------------------------------------------------------
http://www.stadtentwicklung.berlin.de/denkmal/liste_karte_datenbank/de/denkmaldatenbank/daobj.php?obj_dok_nr=09011296
An der Chausseestraße 35 gehören die Fabrikgebäude der Maschinenfabrik Carl Flohr zu den letzten Zeugnissen des Maschinenbauviertels nördlich der Invalidenstraße. Die 1844 von Georg Sigl gegründete Maschinenbauanstalt, in der 1851 die erste Steindruckschnellpresse hergestellt worden war, wurde 1887 vom Maschinenbaufabrikanten und Ingenieur Carl Flohr übernommen. Die Um- und Erweiterungsbauten der Fabrik in der Zeit zwischen 1844 und 1908 veranschaulichen der wirtschaftlichen Entwicklung der Firmen Sigl und Flohr, die ihre Produktionsstätten beständig vergrößerten. 1857 ließ sich Sigl ein zweigeschossiges Wohnhaus an der Chausseestraße errichten, von denen nur noch Keller- und Erdgeschoss erhalten sind. Die Fabrikanlage auf dem hinteren Teil des Grundstückes gruppiert sich um zwei Höfe. Während die ursprünglich ein- bis zweigeschossigen Gebäude von 1844, die später aufgestockt wurden, eine sparsame schmucklose Ziegelarchitektur aufweisen, sind die weitgehend in Pfeiler und große Fensterflächen aufgelösten Fassaden der Erweiterungsbauten um 1900 von der zeitgenössischen modernen Industriearchitektur geprägt.