Dienstag, 19. Mai 2015

BAAL & FAUST - ZORN & KONSUM


Und wenn Baal nur Leichen um sich sah
War die Wollust immer doppelt groß.
Man hat Platz, sagt Baal, es sind nicht viele da.
Man hat Platz, sagt Baal, in dieses Weibes Schoß.

b.b.


Vorgestern. "Baal" in der Inszenierung von Frank Castorf, nein, ich bin nicht die Brecht-Erbin, noch nicht, möge meine Mutter noch lange leben, gestern "Faust" im BE. Der eine Abend ist von großer Art, übervoll, zu lang, nicht lang genug. Da geht ein Riß durch die Welt und der wird hier nicht geleugnet werden. "Geschichten, die man versteht, sind nur schlecht erzählt." Eine Welt die erklärbar und erträglich ist, muß eine erlogene Welt sein. Der andere löst die Art persönlich peinlichen Ekel aus, den man vermutlich fühlt, wenn man mit leicht angelutschten Gummibären bespuckt werden würde. Hübsch. Nice. Schlimmer geht nicht.

Zwei kostspielige Bühnenbilder, das eine ein undurchdringlicher Zitatendschungel für Hochleistungsschauspieler, die selbst kurz vor dem physischen Kollaps noch in der Lage sind, klare und intelligente Kommentare zu ihrer Situation in eben diesem Abend zu liefern, das andere hochglänzender Background für nicht wirklich perfekt trainierte und, ob ihrer Austauschbarkeit, vermutlich ungeliebte Marionettendarsteller. Nur einer bekommt Raum, und nutzt ihn, Christopher Nel als, na, natürlich als Mephistopheles.

  Illustrationen aus einem Physiognomiebuch des 19. Jahrhunderts, 
Eusserste Verzweiflung & Zorn mit Forcht vermischt

Einerseits: Castorf aka "Frank Bertolt Brecht", hält die Welt nicht aus. Er ist Baal und all die andern. Theweleits Männerphantasien erobern die Bühne und ich bin Opfer und Mitarbeiter, Bewunderer und Kumpan. Castorf, einer, der politisches Theater macht, krasse, unrealisierbare humanistische Ansprüche stellt und an seiner Unfähigkeit damit aufzuhören, in Zeiten des politisch korrekten, larmoyanten, und damit garnichtsmeinenden, allgemeinmenschlichen und authentischen Theaters, verzweifelt, und doch nicht aufhört gegen den Konsens anzuschreien. Und es gelingt ihm, unvorstellbarer Weise sogar, dabei nicht den Humor zu verlieren. Andererseits - entläßt mich der Faust, zugegebenermaßen schon zur Pause, länger ging nicht, das Leben ist zu kurz, als zwischen Abneigung und Mitleid schwankende Gestalt, die möglichst schnell Abstand gewinnen will. Abneigung, weil so viel für so wenig vergeudet wird, Mitleid, weil sich hier ein großartiges Talent für eine uninteressante Matschproduktion verschwendet.

Und jedermann erwartet sich ein Fest.
Sie sitzen schon mit hohen Augenbraunen
Gelassen da und möchten gern erstaunen.
Ich weiß, wie man den Geist des Volks versöhnt;
Doch so verlegen bin ich nie gewesen:
Zwar sind sie an das Beste nicht gewöhnt,
Allein sie haben schrecklich viel gelesen.
Wie machen wir's, daß alles frisch und neu
Und mit Bedeutung auch gefällig sei?

Goethe Faust I 

"Baal" - Kritik in der BZ von Uwe Seidler 
"Faust" - Kritik von Uwe Seidler ebenda 

Samstag, 16. Mai 2015

Ich bin ein Alien - Hi, Hitler im BKA


Hi, Hitler

Lucie Pohl wurde mit einem Schnurrbart geboren. Ein zarter weicher brauner Flaum auf einer deutschen Babyoberlippe. Im zarten Alter von vier Jahren wollte sie als Hitler zum Kinderfasching gehen und wurde von ihrer jüdischen Mutter erschrocken, doch zartfühlend dazu überredet, es doch lieber als lebende Colaflasche zu versuchen.
Lucie Pohl ist ein erstklassiger, bilingualer und ziemlich unerschrockener Clown. 
Heute und morgen gastiert sie im BKA, vom 19. bis 23. Mai in Recklinghausen und am 25. & 26. Mai in Hamburg. Sie hat schon ungefähr 50 dieser Shows gespielt, in New York, in London & Edinburgh. Sie, ein Stuhl und ein paar Musikeinspielungen. Sie ist schnell, genau, grob und rabiat.
Ein Abend über den Pohl-Zirkus, ihre Familie, Versprengte und Heimatsuchende, Schwankende und Verschworene. Wo ist Heimat? Wo fühle ich mich zu Hause? Warum bin ich anders, als ...
Sie heult gern vor dem Spiegel, sie imitiert präzise die unterschiedlichsten Typen, sei es die chinesische Vermieterin in Soho, die zartbeschwingte Schwester oder die betrunkene Regisseurin in Berlin. Sie möchte, oh sie möchte sein, wie all die anderen, die Normalen. Die vermutlich auch heimlich das Gefühl haben, sie wären anders, als ...


Die Aliens sind wir selber

Eine Einfrau-Show in Englisch, in Deutsch, in mensch. 

Der Alien ist uns allen geläufig, als Bezeichnung für grünhäutige Besucher aus dem All, die die unsere Erde aus uns unbekannten Gründen mit Hilfe ihrer UFOs besuchen. Meine Eltern haben vor Jahren einen solchen Besuch  vorbereitet, als sie über dem ländlichen Brandenburg ein ovales Lichtgebilde am Himmel sichteten, sie haben eine Viertelstunden lang ernst und schwerwiegend überlegt, wie dieser "Erste Kontakt" zu gestalten sei, und waren dann schwer enttäuscht, als sich herausstellte, dass es sich nur um einen russischen Militärhubschrauber handelte. 
Ich habe in jugendlicher Faszination, die Bücher von Erich von Däniken verschlungen, und auch den Film "Erinnerungen an die Zukunft", der in den Siebzigern in der DDR im Kino lief, wie es dazu kam, wird wohl ewig ein Geheimnis bleiben, habe ich glaubenwollend und unkritisch in mich aufgesogen. Die Hoffnung auf etwas Fremdes, das besser wäre, als das, was ich kannte, ließ mich mein kritisches Urteilsvermögen leichtfertig übergehen.

Erinnerungen an die Zukunft ist ein deutscher Dokumentarfilm von Harald Reinl aus dem Jahr 1969 und basiert auf dem gleichnamigen Buch von Erich von Däniken. Der Film war 1971 für den Oscar in der Kategorie Bester Dokumentarfilm nominiert. Die Erstaufführung war am 26. April 1970 in Deutschland und am 20. April 1973 in der DDR. Im Jahr 1986 erfolgte die Veröffentlichung einer überarbeiteten Fassung, mit neuen Kommentaren. (Wiki)



Alien, der Fremde, der Ausländer, der Außerirdische.

Lucie findet ihre Sicherheit endlich, als die USA ihr den Status eines "Aliens of extraordinary ability", eines Fremden mit außergewöhnlichen Fähigkeiten zugesteht. Sie ist immer noch ein Fremder, aber einer, der gewollt wird. Kann sie zaubern? Kann sie unheilbare Krankheiten heilen? Nein. Sie kann Menschen zum Lachen bringen. Hi! Hitler!

Alien of extraordinary ability is an alien classification by United States Citizenship and Immigration Services. The United States may grant a priority visa to an alien who is able to demonstrate “extraordinary ability in the sciences, arts, education, business, or athletics”, or through some other extraordinary career achievements.
It is known colloquially as a “genius visa” or "artists' visa" (many of the recipients are artists). It can be granted on non-immigrant or immigrant basis.

http://www.luciepohl.com/#!solo-show/c1u87

Dienstag, 12. Mai 2015

A Life Backward - Wer war Stuart Shorter?


Stuart Shorter, geboren als Stuart Clive Turner, am 19. of September 1968 in Cambridge, starb am 6. Juli 2002 in Waterbeach, Cambridgeshire, wahrscheinlich durch Selbstmord.

Ein Film, auf einer realen Lebensgeschichte basierend, über einen heroinsüchtigen, obdachlosen, zur heftigen Gewalttätigkeit neigenden Obdachlosen, der mich zum Heulen gebracht hat. 
Verfluchter Dreck, habe ich ein gesegnetes Leben.
Ich weiß nicht, wie gut die Synchronisation ist, der schlechte deutsche Titel läßt nichts Gutes ahnen, aber das Gucken lohnt sich auf jeden Fall. 
Warum können Briten sozial glaubhafte, nicht moralisierende und erschreckende Geschichten erzählen und wir nicht? Jeder Obdachlose in einem deutschen Film, scheint lautlos die Größe seines Talents, die ihm diese Darstellung ermöglicht, mitzuerzählen. Die Zähne sind weiß, das Kostüm sorgfältig verschmutzt, die Sprache leicht dialektgefärbt, aber gut verständlich. Sabber, Pisse und böser Witz kommen nicht vor.
Tom Hardy lallt zu Zeiten bis zur Unverständlichkeit, die Bomberjacke, die er trägt, gleicht derjenigen, die der Obdachlose vor meinem REWE auch hat. Er ist schlau und ekelig, unverfroren und er weiß genau, was wir von ihm denken.

Der Film basiert auf dem gleichnamigen Buch von Alexander Masters.
Masters zeigt sich darin weniger als ein außergewöhnlich guter Schriftsteller denn als ein außergewöhnlich mutiger Chronist, der aus seiner eigenen Hilflosigkeit nie einen Hehl macht. Es ist dieselbe Hilflosigkeit, die im gesellschaftlichen Umgang mit Obdachlosen ansonsten nur allzugern verschwiegen wird. 
FAZ
 


A Life Backward - Wer war Stuart Shorter?
Drama, GB 2007
Wie wurde ich, was ich bin?


"Ich war wirklich überrascht, als ich dich getroffen habe, Alexander. Ich dachte immer, mit Leuten aus der Mittelschicht ist irgendwas nicht in Ordnung. Aber die sind ganz normal. Das hat mich echt geschockt." 
"Das kurze Leben des Stuart Shorter" ist die Geschichte einer ungewöhnlichen Freundschaft zwischen einem Schriftsteller und Illustrator ("ein Mittelschichts-Arschloch, wenn man ehrlich ist, Alexander") und einem chaotischen Obdachlosen, den er bei einer Kampagne kennen lernt, die zwei Sozialarbeiter aus dem Gefängnis befreien soll. Damit verwoben ist Stuarts Bekenntnis: die Geschichte seines Lebens, ganz unten. Mit Witz und Mitgefühl arbeitet sich Masters durch Postüberfälle und Gefängniskrawalle zurück bis zu dem Tag, an dem Stuart die Gewalt für sich entdeckt - um zu begreifen, warum sich ein fröhlicher kleiner Junge in eine drogen- und alkoholsüchtige Dr.Jekyll-und-Mr.Hyde-Persönlichkeit verwandelt hat. Alexander Masters ist ein ungewöhnliches Buch gelungen, eine Biografie, die die Besonderheit eines Lebens erzählt und einen Einblick in Verhältnisse gewährt, die für immer mehr Menschen Realität sind. 
Eine Mischung aus mehreren Rezensionen

Rezension des zugrundeliegenden Buches, Unbedingt leseswert!
http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/buecher/rezensionen/sachbuch/wer-war-stuart-shorter-1386395.html 
 

Montag, 11. Mai 2015

Petrichor - Der Geruch des Regens auf trockener Erde


Es gibt Worte, die sagen, was nicht zu sagen ist.

Petrichor 
 
Ruhe. Trockenheit. Süße. Hitze. Erde. Dichte. Unbeweglichkeit. Durst
trifft auf 
Leichtigkeit. Eile. Helligkeit. Auflösung, Geruchlosigkeit. Sättigung. Feuchtigkeit.

Festigkeit auf Tropfen.
Fläche auf kleinste Teile.
Schoß auf Sättigung. 
Erwartung auf Erfüllung.
  


Petrichor

Wiki schreibt:
Der Begriff Petrichor bezeichnet den Geruch von Regen auf trockener Erde. Das Wort leitet sich aus dem Griechischen ab. Das Wort petros bedeutet Stein und ist kombiniert mit Ichor, der Flüssigkeit, die, nach der griechischen Mythologie, in den Adern der griechischen Götter fließt.
Der Begriff wurde 1964 von zwei australischen Forschern, I.J. Bear und R.G. Thomas, in einem Artikel für die Fachzeitschrift Nature geprägt. Im Artikel beschreiben die Autoren, wie der Geruch durch ein Öl entsteht, das bestimmte Pflanzen während Trockenperioden absondern, welches wiederum von Tonböden und Gesteinen adsorbiert wird. Während des Regens wird das Öl, zusammen mit einer anderen Verbindung namens Geosmin, in die Luft freigesetzt. Durch die Verbindung entsteht der markante Geruch. In einem Folgebericht zeigten Bear und Thomas 1965, dass das Öl die Keimung von Samen und das frühe Pflanzenwachstum verzögert.
 
http://www.zeit.de/2015/05/geruch-regen-stimmts 

Moses und Aron an der Komischen Oper Berlin


Vorrede auf dem Theater:

Estragon: 
Wir finden doch immer was, um uns einzureden, dass wir existieren, nicht wahr, Didi? 
Wladimir: 
Ja, ja. Wir sind Zauberer.
 Samuel Beckett "Warten auf Godot"


Arnold Schönberg
Moses und Aron 
Oper in drei Akten
1923 – 1937

Vorausgeschickt: obwohl ich wenig von moderner klassischer Musik verstehe, ihr sogar eher ängstlich begegne, habe ich heute in der Komischen Oper fast zwei Stunden fasziniert zugehört und -gesehen. Das hatte ich nicht erwartet und macht mich ziemlich froh. Es war anstrengend, weil meine Aufmerksamkeit zwischen Textmitlesen und dem Bühnengeschehen zu folgen, hin und her springen mußte. Aber es war aufregend. Nicht, dass ich mit allen assoziativen Bildern glücklich war, aber ich hatte immerzu interessante Reibungspunkte. 
Mit mir waren fünf Studenten, vier Kanadier und eine Türkin, und wir haben im Anschluß fast zwei Stunden gestritten und haben dabei sogar unsere sehr unterschiedlichen Eindrücke einander verständlich mache können. Selten und großartig. 
Und der Chor ist unglaublich! Einhundert Sänger die, während sie diese komplizierte Musik singen, in jedem Augenblick die Spannung halten und offensichtlich immer genau wissen, was sie gerade denken, welche Haltung sie warum einnehmen. Intelligent choreographiert und intensiv gespielt. Bis zur ersten Stückprobe hatten sie bereits 100 musikalische Proben! 100!

Der Riß zwischen der Idee und ihrer Realisation, der Einbruch der Propaganda in die Utopie, der unüberbrückbare Graben zwischen dem Gedanken und seiner Wirklichwerdung - die Geschichte des letzten Jahrhunderts, und des jetzigen, als Fundus des Schreckens. 
Die Tödlichkeit der Ismusse. Faschismus, Stalinismus, Fundamentalismus - ein Reigen des Tötens.

MOSES 
Unvorstellbarer Gott! Unaussprechlicher, vieldeutiger Gedanke! Lässt du diese Auslegung zu? Darf Aron, mein Mund, dieses Bild machen? So habe ich mir ein Bild gemacht, falsch, wie ein Bild nur sein kann! So bin ich geschlagen! So war alles Wahnsinn, was ich gedacht habe, und kann und darf nicht gesagt werden! O Wort, du Wort, das mir fehlt!

Die letzten Worte die Moses in der Aufführung singspricht. 

Schönberg hat die Oper in Berlin geschrieben. Es ist ein Berlinstück, obwohl er ein jüdischer Österreicher durch und durch war. Er hat den letzten Takt von "Moses und Aron" in Berlin komponiert, kurz danach ging er 1933 ins Exil. Er hat die Oper im hereinbrechenden Schatten des Dritten Reichs geschrieben.
Barrie Kosky

Schönberg am 20. April 1923 in einem Brief an Kandinsky:

Was ich im letzten Jahr zu lernen erzwungen wurde, habe ich nun endlich kapiert, und werde es nicht wieder vergessen. Dass ich nämlich kein Deutscher, kein Europäer, ja vielleicht kaum ein Mensch bin (wenigsten ziehen die Europäer die schlechtesten ihrer Rasse mir vor), sondern, dass ich Jude bin. Ich habe gehört, dass auch ein Kandinsky in den Handlungen der Juden nur Schlechtes und in ihren schlechten Handlungen nur das Jüdische sieht, und da gebe ich die Hoffnung auf Verständigung auf. Es war ein Traum. Wir sind zweierlei Menschen. Definitiv!"
Zwei Wochen später schrieb er abermals an Kandinsky:  


"Und da tun Sie mit und lehnen mich als Juden ab. Habe ich mich Ihnen denn angetragen ... Wie kann ein Kandinsky ... es unterlassen eine Weltanschauung zu bekämpfen, deren Ziel Bartholomäusnächte sind!" 
http://www.zeit.de/1964/44/die-erde-ist-kein-vergnuegungslokal 

Kurze Zusammenfassung der in der Oper zitierten biblischen Moses & Aaron Geschichte:
Nachdem Mose von Gott am brennenden Dornbusch zum Führer und Befreier Israels berufen worden war, kehrt er nach Ägypten zurück und trifft dort auf seinen Bruder. Gott macht Aaron zu Moses Sprecher und gemeinsam treten die Brüder vor den Pharao, um von ihm die Freiheit der Hebräer zu fordern. Anfangs wirkt er durch seinen Stab einige Wunder : Als er den Stab zu Boden wirft, wird dieser zur Schlange und verschlingt die Stab-Schlangen der ägyptischen Magier, er macht durch den Stab das Wasser des Nils zu Blut und läst die Frosch- und Stechmückenplage aus. Später ist nur noch berichtet, dass Moses so einen Stab hat, mit dem er Wunder vollbringt. Verglichen mit seinem dynamischen Bruder ist Aaron keine Führerpersönlichkeit. Nur an einer Stelle wird sein Name zuerst genannt, obwohl er der ältere Sohn ist, und nur zweimal spricht Gott direkt zu ihm. Zwar handelt Aaron zweimal auch unabhängig von Mose - doch beide Male geht es gründlich schief: Als Mose sehr lange auf dem Berg Sinai bleibt, wo er die 10 Gebote erhält, gibt Aaron dem Drängen des Volkes nach und errichtet ein goldenes Stierbild, das von den Hebräern als Götze angebetet wird. Von seinem Bruder zur Rede gestellt, schiebt Aaron alle Schuld dem Volk zu ....
Aus: In 18 Monaten durch die Bibel
http://www.its-gospel-time.de/index.php?option=com_glossary&func=view&Itemid=433&catid=124&term=Aaron 

Interview mit dem Intendanten der Komischen Oper Barrie Kosky.
http://www.zeit.de/2014/40/komische-oper-berlin-barrie-kosky 

Moses und Aron Chorprobe:
https://www.youtube.com/watch?v=cFYvIYkDECE 

Sonntag, 10. Mai 2015

e.e. cummings - falls es himmel geben sollte wird meine mutter - if there are any heavens my mother



falls es himmel geben sollte wird meine mutter


Rebecca Haswell Clarke Cummings
---------------------

falls es himmel geben sollte wird meine mutter(ganz für sich)
einen haben. Es wird kein stiefmütterchenhimmel auch
kein zerbrechlicher himmel voller maiglöckchen sondern
es wird ein schwarzroter rosenhimmel sein.

mein vater wird(tief wie eine rose
hoch wie eine rose)sein

stehend nah meiner

(wiegend über ihr
still)
mit augen die wirklich blumenblätter sind und sehen

nichts mit dem gesicht eines dichters wirklich das
eine blume ist und nicht ein gesicht mit
händen
die wispern
dies ist mein geliebte meine

(plötzlich im sonnenlicht

wird er sich verneigen,

& und der ganze garten wird sich verneigen.
 
 Black Baccara Rose


if there are any heavens my mother will(all by herself)have
one. It will not be a pansy heaven nor
a fragile heaven of lilies-of-the-valley but
it will be a heaven of blackred roses

my father will be(deep like a rose
tall like a rose)

standing near my

(swaying over her
silent)
with eyes which are really petals and see

nothing with the face of a poet really which
is a flower and not a face with
hands
which whisper
This is my beloved my

(suddenly in sunlight

he will bow,

& the whole garden will bow) 

 
e.e. cummings 

Samstag, 9. Mai 2015

Theater hat auch Wirkung (auf mich)


Ich bin Mitte 50 (Wie ist das passiert?) und gehe immer noch oft und oft gern ins Theater. Ein Junkie, süchtig, nicht belehrbar. 
Im Lauf der Jahre haben sich Grundmuster für Theaterabende herausgeschält, die, verallgemeinernd, aber doch recht präzise, beschreiben, wie ich einem Theaterabend begegne und was er mit mir anstellt. (Ausnahmen sind erwünscht!)



1. Ich habe Spaß, lächle oder lache und weiß, wenige Stunden später, nicht mehr ganz genau was ich eigentlich gesehen habe. Pointen, Arrangements, Gesten bleiben hängen, der Zusammenhang löst sich schnell ins angenehm Vage auf. Habe ich ein schlechtes Gedächtnis? Sind zwei Stunden Vergnügen ein schätzenswerter Zeitraum? Oder vergeude ich hier Lebenszeit für Oberflächliches? Ist Lachen an sich ein Wert? Zwei Stunden waren meine Mundwinkel gravitationsgeschützt. Ist das genug? Muß es genug sein? Ist Amüsement ein Wert an sich? Manchmal - ja. Ja. 
In der zweiten Vorstellung "Der Spanischen Fliege" in der Volksbühne war der Spaß am Bühnenirrwitz beinah genauso groß, wie die Lust daran, den um mich herum sitzenden Berliner Intellektuellen, bei der Entscheidung zwischen Lachkrampf und vergeistigter Zurückhaltung zuzusehen.

2. Ich bin ein zu prüfender Student in einer Prüfung, von der ich nicht weiß, welches Fach angesetzt ist. Bin ich sensibel/schlau/offen/tief genug, zu verstehen, was verlangt wird? Der Prüfungsdruck ist erheblich. Kafka hätte seine Freude. Oft falle ich durch. Bin ich zu blöd/alt/verbohrt oder ist der Theaterabend nicht genügend? Will mich der Regisseur auf die Probe stellen? Will ich geprüft werden? Beweise ich mein Lebensrecht als Mensch/Kunstkonsument durch die bestandende Prüfung? Oder kann mich das arrogante Arschloch von Regisseur einfach mal am mir eigenen Arsch lecken? Ich bin gekommen, habe meine Karte bezahlt und muß mich erniedrigen/verachten lassen? Oder bin ich einfach denkfaul? Man will doch so gern dazugehören, zu denen die "IN" sind, trendy, up to date sind. Wie schütze ich mich vor der eigenen Harmoniesucht? 
Kunst kommt von Können, nicht von Wollen, sonst hieße es Wunst.
Aber, andererseits, die Gefährdung bequem, selbstgerecht und öde zu werden, ist nicht zu unterschätzen. 
Bob Wilson leicht und sicher abgelegt unter Design, veränderte sich unter der Erfahrung der Rekonstruktion seiner ersten großen Operninszenierung von "Einstein on the Beach". Auch wenn ich noch immer denke, dass er zu viel und zu selbstsicher und selbstzitierend arbeitet. 



3. Ich weiß eine halbe Stunde, im schlimmsten Fall zwei Stunden vorher, was stattfinden wird, 
und die Mühe meine Augenlider davon abzuhalten, sich zu senken, bzw. die Anstrengung meinen unabwendbaren Schlaf als intensives Nachdenken zu tarnen, erschöpfen mich vollständig.
Die Beispiele sind zahllos. Ich bin wohl ein arrogantes Arschloch oder habe einfach zuviel Theater gesehen.

4. Ich bin einverstanden. Nicht gut. Nicht schlimm. Nichts weiter. Manchmal ist es dann ein einzelner Spieler, eine Szene, die mich packt, weckt und tragisch verloren im Gesamtramsch ersäuft.

5. Ich bin ahnungslos, fassungslos, urteilslos und atemlos. Froh. Jahre später springen unerwartet Bilder, Szenen auf und erklären mir Welt oder zumindest mein eigenes wirres Verhalten. Menschen spielen, es wurde neu gedacht. "Das Trunkene Schiff" & "Othello" von Castorf, Armin Petras "Das Käthchen von Heilbronn", "Minna von Barnhelm" und und und. ... "Ödipus Stadt" am DT, "Onkel Wanja" in Ingolstadt, "Struwelpeter" von den Tiger Lillies, Vieles, sehr vieles als ich jung, naiv und ahnungslos war. Gott sei Dank gibt es das immer wieder, erhofft & ungeahnt.

Das ist geblieben: Das Zentrum der Theaterkunst ist der Spieler oder pc: die SpielerIn. Die postdramatische Situation ist eine von Dramaturgen erdachte, wir leben weiter dramatisch. Authentizität auf der Bühne ist eine pornographische Phantasie. Wir müssen selber leben. Auf der Bühne kann nur aus voller Seele lügend nach der Wahrheit gehascht werden. Ein Zipfel Wahrheit wird gepackt, ein Zipfel, gebt mir den Zipfel!
Gebt mir Fragen, Schönheit, Erkennbarkeit & Solidarität mit meiner Not. Gebt mir den Zipfel.

Ich sehe überall Konzepttheater. Zugunsten von Konzepten hat man den Schauspielern ihre ganze Wildheit, Kühnheit und Brillanz ausgetrieben! Herbert Fritsch



 Alle Photographien © Eolo Perfido

P.S. 
6. Ein unbenennbares Gefühl betrogen zu werden, läßt mich nicht los. Ist das Kunst oder Mist?

Donnerstag, 7. Mai 2015

Genesis & Ödipus - Sebastião Salgado & Romeo Castellucci



Zweimal Kunst an diesem Tag. 
Einmal wurde in mir beim Gang durch die kühlen Räume der neuen C/O Galerie im Amerikahaus, ein Staunen über die Heiligkeit, das Verehrungswürdige, das Wunder der Welt geweckt, Ehrfurcht benennt es vielleicht am besten. 
Und später in der Schaubühne, ein Abend exerziert wie ein langes religiöses mystisches Ritual, der mich ein bisschen amüsiert und ziemlich erstaunt hinterließ. Erstaunt, weil das alte Märchen vom Kaiser der nackt ist, in meinem Kopf auftauchte, nur dass da kein Kind war, das am Ende "Aber er hat ja gar nichts an!" gerufen hat.


Afrika: Mursi Frauen im südwestlichen Äthiopien mit Lippentellern

 

So oft habe ich Geschichten photographiert, die die Degradierung des Planeten zeigen.
Ich hatte die Idee, dass ich die Fabriken die verschmutzen photographieren sollte, und all die Müllhalden sehen müsste. Aber, letztendlich, dachte ich, die einzige Art uns anzuspornen, uns Hoffnung zu geben, ist Bilder des unverdorbenen Planeten zu zeigen - die Unschuld zu sehen.

So many times I've photographed stories that show the degradation of the planet. I had one idea to go and photograph the factories that were polluting, and to see all the deposits of garbage. But, in the end, I thought the only way to give us an incentive, to bring hope, is to show the pictures of the pristine planet - to see the innocence.

Sebastião Salgado



Ödipus der Tyrann von Sophokles, übertragen von Friedrich Hölderlin.

Euch, Kinder, wenn ihr schon die Sinne hättet,
Möcht ich noch vieles mahnen. Jetzt gelobt mir,
Was immer leben muß, und daß ihr leichter
Wollt leben als der euch gezeugt, der Vater.

Die erste halbe Stunde schaue ich Karmeliterinnen bei ihren alltäglichen Verrichtungen zu, 
zauberartige Umbauten, so dass ich fast dachte, einen Film zu sehen. Halbschatten,
glasklare Gesänge, keine Worte, voyeuristische Schnipsel. Bis auf einen kurzen Moment des Zweifels,
ob ich möglicherweise im falschen Saal gelandet sein könnte - Ödipus! - lasse ich mich 
in die Bilder fallen. Die Bühne öffnet sich, jetzt strahlendweiß, und die Nonnen beginnen
Ödipus zu spielen. Alle Figuren sind Frauen, außer Teresias, der ist eine männliche Nonne.
Tja, und da wurde es problematisch. Wenn nun Ödipus Schuld, seinen Vater zu töten
und mit seiner Mutter zu schlafen, nun zu unser aller Erbschuld gemacht wird, leben wir
in einer ganz und gar männlichen Welt. Und so sind denn auch die beiden einzigen 
Darsteller, die in die Heftigkeit, die Intensität gehen dürfen, Männer. Teresias, der auch
den stärksten Moment des Abends hat - er benennt den ungeheuren Tabubruch und er, die
Bühne, der Raum gerät ins Vibrieren, ins Zittern, ins Schwanken. Von jetzt ab ist ein Riss
in der Welt. Der zweite Mann ist der Regisseur selbst, der per Video in Großaufnahmen circa 20 Minuten zeigt, wie er nachdem er mit Tränengas besprüht wurde - geblendet - versucht sich 
das Zeug aus den Augen zu reiben, unterstützt von einem vorsorglich bereitgestellten 
DRK-Helfer. Er will, im Gegensatz zu Ödipus nicht erblinden und zeigt seinen Mut, solch ein
Experiment zu unternehmen. 20 Frauen, unter ihnen Angela Winkler, Jule Böwe, 
Rosabel Huguet & Ursina Lardi bereiten den Boden für dieses Video. Der katholische Mann,
der in Stärke & Qual erleidet und wohl deshalb von vielen Frauen gepflegt werden muß.
Der Kaiser ist nicht nur nackt, sondern auch katholisch.
Am Ende ist die Bühne leer bis auf drei überdimensionale pulsierende Furzkissen und die - furzen,
was sonst.
Eine Rentierkarawane des Volkes der Nenzen im nördlichen Sibirien



Alle Photos © Sebastião Salgado


Mittwoch, 6. Mai 2015

Tornado in Mecklenburg-Vorpommern




DER FLIEGENDE ROBERT



Wenn der Regen niederbraust,
Wenn der Sturm das Feld durchsaust,
Bleiben Mädchen oder Buben
Hübsch daheim in Ihren Stuben. -
Robert aber dachte: Nein!
Das muss draußen herrlich sein! -
Und im Felde patschet er
Mit dem Regenschirm umher.
Hui wie pfeift der Sturm und keucht,
Dass der Baum sich niederbeugt!
Seht! Den Schirm erfasst der Wind,
Und der Robert fliegt geschwind
Durch die Luft so hoch, so weit;
Niemand hört ihn, wenn er schreit.
An die Wolken stößt er schon,
Und der Hut fliegt auch davon.
Schirm und Robert fliegen dort
Durch die Wolken immer fort.
Und der Hut fliegt weit voran,
Stößt zuletzt am Himmel an.
Wo der Wind sie hingetragen,
Ja, das weiß kein Mensch zu sagen.

Heinrich Hoffmann (1809-1894)

Die Tiger Lillies Singen "Flying Robert"

 György Sándor Ligeti
Nonsense Madrigals IV. Flying Robert



Montag, 4. Mai 2015

Don Giovanni an der Komischen Oper


Morgen hingehen, Karten vorbestellen, (unbedingt darauf achten, dass Papendell singt!) hinsetzen, verzaubert sein.

Günter Papendell als Don Giovanni - ein glückliches Ereignis!

Mannoman ist der großartig! Ein zarter Mann, bei dem man sich fragt, wo er überhaupt diese Riesenstimme herholt, ein Clown, ein Sprachkomiker, ein Tänzer, ein wildes Kind.

Giovanni ähnelt hier ein wenig dem Joker von Heath Ledger, vibrierend, auf der Suche nach dem nächsten Kick, er weiß was er tut, kann nicht anders, lädt uns ein, sein Vergnügen mitzugenießen und für eine kurze Zeit unsere biederen moralischen Einwände beiseite zu lassen. Ihr wollt es doch auch, oder? Keine Zeit. Keine Zeit. Genuß muß gefunden & genommen werden, selbst der Tod ist dafür am Ende kein zu hoher Preis. Er tut was wir alle wünschen und nicht wagen, weil er mehr riskiert, mehr giert, mehr Spaß hat, mehr Lust, mehr, einfach mehr. Und dies auf fast kindliche Art. Eingestreut und perfekt gesetzt - Sprachwitze der albernsten Art - die Namen der Mitspieler bieten sich ja auch wirklich an.

Während der Champagnerarie spielt er Pferd & Reiter, die Füße hüpfen während die Stimme leicht und weich klingt. Das ist sowohl kunstvoll und witzig aber auch technisch beeindruckend. Frag mal einen Sänger, ob er eine Arie lang hüpfen würde!


Auf denn zum Feste,
Froh soll es werden,
Bis meine Gäste
Glühen von Wein!
Siehst du ein Mädchen
Nahen dem Garten,
Lass' sie nicht warten,
Führ' sie herein.
Tanzen lass' alle sie
Wirr durcheinander;
Hier Menuette,
Da rasche Walzer,
Dort Allemanden
Spiel' ihnen auf.
Ich aber leise,
Nach meiner Weise,
Führe das Liebchen
Ins Kämmerlein.
Drum ohne Sorgen
Deinem Register
Schreibst du schon morgen
Zehne noch ein.


Finale des ersten Teiles:

Mutlos soll mich niemand sehen.
Mag die Welt in Trümmer gehen,
Niemand soll mich zagen sehn
Nein, ich bleib' fest und trotz' dem All.





Günter Papendell, Bariton
"Es ist eine sehr spezielle, sehr körperliche Dauerspannungsspielweise, die auf Dauer wahnsinnig anstrengend ist und wo man gucken muss, wie man das in den Körper reinkriegt, ohne nach zehn Minuten schon total ausgepowert zu sein."
Giovanni singt ein Mädchen an, er singt eine lyrische Kanzonette mit den Bewegungszitaten des Gitarristen einer zweitklassigen Rockband - genial.
Horch auf den Klang der Zither,
Mach auf das Gitter,
O lindre meine Pein
Und lass mich glücklich sein!
Lässt du mich trostlos flehn,
So macht ein rascher Tod,
Du Falsche, sollst es sehn,
Ein Ende meiner Not.
Mir lacht dein süßes Mündchen
Voller Wonne,
Und dein liebliches Auge strahlt
Wie die Sonne;
Magst du auch grausam sein,
Was gilt's, du hast mich lieb:
Lasse mich nicht allein,
du loser Herzensdieb.

Die Inszenierung ist von Herbert Fritsch und dementsprechend lustvoll, auch wenn sich der zweite Teil ein wenig gegen die Methodik sträubt. Die Dramaturgie des Librettos häuft hier eine Menge großer Arien an und letztendlich stehen dann da doch Sänger und Sängerinnen und singen einfach. Papendell nicht, er spielt, er verweigert das Genre, die Tradition und spielt somit auch an gegen die Erstarrung und das Zufriedengeben. Ich kenne den Mann nicht und würde ihm trotzdem heute Abend gern meine Liebe erklären.


Alle Photos © Monika Rittershaus