Dienstag, 19. Mai 2015

BAAL & FAUST - ZORN & KONSUM


Und wenn Baal nur Leichen um sich sah
War die Wollust immer doppelt groß.
Man hat Platz, sagt Baal, es sind nicht viele da.
Man hat Platz, sagt Baal, in dieses Weibes Schoß.

b.b.


Vorgestern. "Baal" in der Inszenierung von Frank Castorf, nein, ich bin nicht die Brecht-Erbin, noch nicht, möge meine Mutter noch lange leben, gestern "Faust" im BE. Der eine Abend ist von großer Art, übervoll, zu lang, nicht lang genug. Da geht ein Riß durch die Welt und der wird hier nicht geleugnet werden. "Geschichten, die man versteht, sind nur schlecht erzählt." Eine Welt die erklärbar und erträglich ist, muß eine erlogene Welt sein. Der andere löst die Art persönlich peinlichen Ekel aus, den man vermutlich fühlt, wenn man mit leicht angelutschten Gummibären bespuckt werden würde. Hübsch. Nice. Schlimmer geht nicht.

Zwei kostspielige Bühnenbilder, das eine ein undurchdringlicher Zitatendschungel für Hochleistungsschauspieler, die selbst kurz vor dem physischen Kollaps noch in der Lage sind, klare und intelligente Kommentare zu ihrer Situation in eben diesem Abend zu liefern, das andere hochglänzender Background für nicht wirklich perfekt trainierte und, ob ihrer Austauschbarkeit, vermutlich ungeliebte Marionettendarsteller. Nur einer bekommt Raum, und nutzt ihn, Christopher Nel als, na, natürlich als Mephistopheles.

  Illustrationen aus einem Physiognomiebuch des 19. Jahrhunderts, 
Eusserste Verzweiflung & Zorn mit Forcht vermischt

Einerseits: Castorf aka "Frank Bertolt Brecht", hält die Welt nicht aus. Er ist Baal und all die andern. Theweleits Männerphantasien erobern die Bühne und ich bin Opfer und Mitarbeiter, Bewunderer und Kumpan. Castorf, einer, der politisches Theater macht, krasse, unrealisierbare humanistische Ansprüche stellt und an seiner Unfähigkeit damit aufzuhören, in Zeiten des politisch korrekten, larmoyanten, und damit garnichtsmeinenden, allgemeinmenschlichen und authentischen Theaters, verzweifelt, und doch nicht aufhört gegen den Konsens anzuschreien. Und es gelingt ihm, unvorstellbarer Weise sogar, dabei nicht den Humor zu verlieren. Andererseits - entläßt mich der Faust, zugegebenermaßen schon zur Pause, länger ging nicht, das Leben ist zu kurz, als zwischen Abneigung und Mitleid schwankende Gestalt, die möglichst schnell Abstand gewinnen will. Abneigung, weil so viel für so wenig vergeudet wird, Mitleid, weil sich hier ein großartiges Talent für eine uninteressante Matschproduktion verschwendet.

Und jedermann erwartet sich ein Fest.
Sie sitzen schon mit hohen Augenbraunen
Gelassen da und möchten gern erstaunen.
Ich weiß, wie man den Geist des Volks versöhnt;
Doch so verlegen bin ich nie gewesen:
Zwar sind sie an das Beste nicht gewöhnt,
Allein sie haben schrecklich viel gelesen.
Wie machen wir's, daß alles frisch und neu
Und mit Bedeutung auch gefällig sei?

Goethe Faust I 

"Baal" - Kritik in der BZ von Uwe Seidler 
"Faust" - Kritik von Uwe Seidler ebenda 

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen