Donnerstag, 21. November 2013

DORMIVEGLIA


Dormiveglia, was man mit Schlafwachen übersetzen könnte, ist das italienische Wort für Halbschlaf, dieses Dämmern zwischen Wachen und Bewusstlosigkeit - einnicken, noch ein Rest von Realität hält mich hier und doch bin ich schon nicht mehr ganz von dieser Welt. Ich schlummere.  
Oder am Morgen bettwarm dösen, den letzten Traum noch zu Ende spinnen, den Schlaf noch am wegfliehenden Zipfel halten, anstatt, wie meist, schlagartig, abrupt von dort nach hier zu stürzen.

Forscher haben festgestellt, dass, wenn wir müde sind, Teile unseres Gehirns schon beginnen zu schlafen, obwohl wir noch scheinbar wach unseren Tätigkeiten nachgehen. Wir machen dann häufiger Fehler, weil halt einige Neuronen schon zu Bett gegangen sind.
Delphine haben da eine wirklich großartige Fähigkeit, sie können abwechselnd mit nur einer Gehirnhälfte schlafen, während die andere aufmerksam bleibt, wachsam nach Feinden Ausschau hält und sich darum kümmert, dass aufgetaucht wird, wenn Atemluft knapp zu werden droht.

Alles schläft, keiner wacht...

Manchmal, in diesen Wachtraumzeiten finde ich plötzlich Lösungen für langwierig durchgekaute Probleme, weiß ich plötzlich was ich wirklich fühle, ja, ist mir die Welt kein Rätsel mehr. Aber dann senkt sich eine der Waagschalen, Schlaf oder Alltag übernehmen die Zügel und ... Da steh ich nun, ich armer Tor, und bin so klug als wie zuvor.


Hypnagog & Hypnopomp

Hypnagogie bezeichnet einen Bewusstseinszustand, der beim Einschlafen auftreten kann. Eine Person im hypnagogischen Zustand kann visuelle, auditive und taktile Pseudohalluzinationen erleben, unter Umständen, ohne sich bewegen zu können. Obwohl der Person bewusst ist, dass sie halluziniert, kann sie in den meisten Fällen nicht darauf reagieren. Der Begriff wurde im 19. Jahrhundert durch den französischen Gelehrten Alfred Maury geprägt. Die traumartigen Erlebnisse in der Aufwachphase wurden vom englischen Literaten Frederick William Henry Myers Hypnopomp genannt. 
Vermutlich tritt Hypnagogie dann auf, wenn eine Person beim Einschlafen zu schnell in den REM-Schlaf, die Traumphase, absinkt. Während der REM-Phase blockiert das Gehirn die Glieder (Schlafparalyse), damit man die Bewegungen, die man träumt, nicht auch ausführt. Im Fall einer Hypnagogie ist die Person immer noch bei Bewusstsein – sie träumt, ist aber wach. (Wiki)

Hypnopomp ist ein fettes schönes Wort, oder? Schlaf und Feierlichkeit oder Gepränge, Ein Schlaf, der sich brüstet, der angibt: noch bin ich der König, noch geb ich dich nicht her.


Träumender Buddha aus Java

Halb Schlaf 
für Uwe Johnson

Und wie in dunkle Gänge
mich in mich selbst verrannt,
verhängt in eigne Stränge
mit meiner eignen Hand:

So lief ich durch das Finster
in meinem Schädelhaus:
Da weint er und da grinst er
und kann nicht mehr heraus.

Das sind die letzten Stufen,
das ist der letzte Schritt,
der Wächter hört mein Rufen
und ruft mein Rufen mit

aus meinem Augenfenster
in eine stille Nacht;
zwei rufende Gespenster:
eins zittert und eins lacht.

Dann schließt mit dunklen Decken
er meine Augen zu:
jetzt schlafen und verstecken
und endlich Ruh.

Thomas Brasch im Herbst 1982

Witz: Heute Morgen im Halbschlaf an den Wecker gekuschelt und Freundin an die Wand geworfen. Irgendwas ist immer.

Dienstag, 19. November 2013

Windstille und dann nicht mehr




Vincent Van Gogh  
See-Landschaft bei Saintes Maries de la Mer 1888


MEERES STILLE
  
Tiefe Stille herrscht im Wasser,
Ohne Regung ruht das Meer,
Und bekümmert sieht der Schiffer
Glatte Fläche ringsumher.
Keine Luft von keiner Seite!
Todesstille fürchterlich!
In der ungeheuern Weite
Reget keine Welle sich.

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GLÜCKLICHE FAHRT
Die Nebel zerreißen,
Der Himmel ist helle,
Und Äolus löset
Das ängstliche Band.
Es säuseln die Winde,
Es rührt sich der Schiffer.
Geschwinde! Geschwinde!
Es teilt sich die Welle,
Es naht sich die Ferne;
Schon seh ich das Land!
Johann Wolfgang von Goethe
1796 in Schillers Musenalmanach erschienen

Willem Van de Velde the Younger
1664 Die holländische Flotte in Guinea


 

DER WELTTOILETTENTAG!


Happy Toilet, Healthy Life

Heute ist der Welttoilettentag!

Wiki sagt: Als Welttoilettentag wurde der 19. November erstmals 2001 von der Welttoilettenorganisation ausgerufen. 

Am 24. Juli 2013 hat die Generalversammlung der Vereinten Nationen einstimmig auf Vorschlag Singapurs, den 19. November zum Welt-Toiletten-Tag der Vereinten Nationen erklärt, im Kampf für Sanitäranlagen. Hintergrund ist das Fehlen ausreichend hygienischer Sanitäreinrichtungen für mehr als 40 Prozent der Weltbevölkerung und dadurch bedingt verschmutztes Wasser sowie wasserbürtige Krankheiten, was gesundheitliche und sozio-ökonomische Folgen nach sich zieht.

loo2go - Deutschlands erste Klosuchmaschine:

- über 42% der Weltbevölkerung haben nicht den Luxus einer Toilette
- Ziel bis 2015 soll diese Zahl auf 21% senken werden, sportlich!

- Ein Gramm Fäkalien enthält rund 10 Millionen Viren, 1 Millionen Bakterien und 1.000 Parasiten
- 2.600.000.000 Menschen haben keine Möglichkeit eine sanitäre Einrichtung zu nutzen
- jährlich sterben über 1.800.000 Menschen an den Folgen, dass sie keine sanitären   Einrichtungen benutzen können, die meisten sind Kinder
- ein grundsätzliches Menschenrecht sollte eine zweckmäßige Toiletten sein
- Jack Sim gründete 2001 in Singarpur die Welttoilettenorganisation(WTO)
- Aufklären und Aufmerksamkeit soll der jährliche Welttoilettentag bringen
- Die Aktion "I squatted for Worldtoiletday" - soll Aufmerksamkeit erregen



http://www.worldtoilet.org/
http://www.nordbayern.de/nuernberger-nachrichten/sonntagsblitz/eine-gerauschprinzessin-gegen-furze-1.482755 

Und es ist heute auch der Internationale Männertag (seit 1999), nicht zu verwechseln mit dem Weltmännertag, der jährlich am 3. November stattfindet!

Samstag, 16. November 2013

Die Schönheitskönigin von Philadelphia



MISS PHILADELPHIA 1921




MISS PHILADELPHIA 1924




Wiki sagt: Philadelphia, die Stadt der brüderlichen Liebe (griech. philia=Liebe & adelphos=Bruder), ist eine Stadt im US-Bundesstaat Pennsylvania. Mit 1.526.006 Einwohnern (2010) ist sie die fünftgrößte Stadt der Vereinigten Staaten und die größte des Bundesstaates Pennsylvania. 

Wiki sagt aber auch: Philadelphia ist ein Stadtteil von Storkow im Landkreis Oder-Spree und befindet sich am Storkower Kanal zwischen Kummersdorf im Norden, Groß Schauen im Süden, Görsdorf im Westen und Storkow im Osten. Der Ort wurde 1713 das erste Mal unter dem Namen „Hammelstall“ urkundlich erwähnt und 1792 als Philadelphia bezeichnet.

Wie Philadelphia in Brandenburg zu seinem Namen kam:

Ich habe eine andere Geschichte gehört, die, wenn auch unwahr, doch schöner ist. Eine größere Gruppe hoffnungsvoller Auswanderer stellten bei der Ankunft in Hamburg fest, dass der Mann, der ihnen die Schiffsbillets für die Überseefahrt verkauft hatte, ein Betrüger gewesen war und sie nun, nahezu mittellos und mit all ihrer weltlichen Habe in deutschen Landen bleiben mußten. Sie gründeten dann das Dorf Philadelphia, nannten es also nach der Stadt, in die sie ursprünglich hatten reisen wollen.

Ungewöhnliche deutsche Ortsnamen, u.a.: Ägypten in Niedersachsen, Kanada in Thüringen und Waterloo in Brandenburg.


MISS PHILADELPHIA (USA) 2013


Francesca Ruscio, Miss Philadelphia 2013


Die Auswanderer

Ich kann den Blick nicht von euch wenden;
Ich muß euch anschaun immerdar:
Wie reicht ihr mit geschäft'gen Händen
Dem Schiffer eure Habe dar!

Ihr Männer, die ihr von dem Nacken
Die Körbe langt, mit Brot beschwert,
Das ihr aus deutschem Korn gebacken,
Geröstet habt auf deutschem Herd;

Und ihr, im Schmuck der langen Zöpfe,
Ihr Schwarzwaldmädchen, braun und schlank,
Wie sorgsam stellt ihr Krüg' und Töpfe
Auf der Schaluppe grüne Bank!

Das sind dieselben Töpf' und Krüge,
Oft an der Heimat Born gefüllt!
Wenn am Missouri alles schwiegen
Sie malten euch der Heimat Bild:

Des Dorfes steingefaßte Quelle,
Zu der ihr schöpfend euch gebückt,
Des Herdes traute Feuerstelle,
Das Wandgesims, das sie geschmückt

Bald zieren sie im fernen Westen
Des leichten Bretterhauses Wand;
Bald reicht sie müden braunen Gästen,
Voll frischen Trunkes, eure Hand.

Es trinkt daraus der Tscherokese,
Ermattet, von der Jagd bestaubt;
Nicht mehr von deutscher Rebenlese
Tragt ihr sie heim, mit Grün belaubt.

O sprecht! warum zogt ihr von dannen?
Das Neckartal hat Wein und Korn;
Der Schwarzwald steht voll finstrer Tannen,
Im Spessart klingt des älplers Horn.

Wie wird es in den fremden Wäldern
Euch nach der Heimatberge Grün,
Nach Deutschlands gelben Weizenfeldern,
Nach seinen Rebenhügeln ziehn!

Wie wird das Bild der alten Tage
Durch eure Träume glänzend wehn!
Gleich einer stillen, frommen Sage
Wird es euch vor der Seele stehn.

Der Bootsmann winkt! - Zieht hin in Frieden:
Gott schütz' euch, Mann und Weib und Greis!
Sei Freude eurer Brust beschieden,
Und euren Feldern Reis und Mais!




Ferdinand Freigrath aus "Gedichte" 1838




Phalaenopsis Philadelphia (schilleriana x stuartiana)
 Ist das ein toller Name für eine Orchidee, oder was?


 

Freitag, 15. November 2013

Jessie Tarbox Beals 2 - New York


Die Kanadierin Jessie Tarbox Beals, eine der ersten professionellen Photographinnen, starb 1942 im Alter von 71 Jahren bettelarm im Bellevue Hospital in New York, der Stadt, in der sie den größten Teil ihres Lebens gelebt und gearbeitet hatte.

Eine Italienische Emigranten-Familie in der Küche ihrer Wohnung in New Yorker East Side, 1910

"Ich kam nach Amerika, weil ich gehört hatte, die Strassen wären mit Gold gepflastert. Als ich hier ankam, begriff ich drei Dinge -  Erstens: Die Strassen waren nicht mit Gold gepflastert, zweitens: sie waren gar nicht gepflastert und drittens: von mir wurde erwartet, sie zu pflastern." 
Unbekannter Einwanderer im Dokumentarfilm "The Golden Door"

Schüler in einer öffentlichen Schule in New York beim Mittagessen, 1919


 Frauen in akademischer Kleidung bei einer Suffragetten-Demonstration in New York um 1910 © Hulton-Deutsch Collection/CORBIS


Familie auf einem Hinterhof in New York um 1910

Mittwoch, 13. November 2013

Jessie Tarbox Beals 1 - Eine Photographin beim Photographieren



Jessie Tarbox Beals


* 13.12.1870 in Hamilton / Ontario
bis 30.6.1942 in New York
 
Eigentlich wollte ich Photographien von ihr posten, aber dann bin ich an den Bildern, 
von ihr, während sie photographiert, hängengeblieben. Welch ein Aufwand war 
damals nötig und dann auch noch eine weibliche Photographin! 
Sie sieht so fröhlich aus bei der Arbeit. Wie schön.


Unbekannter Photograph
Jessie Tarbox Beals bei der Arbeit während der Louisiana Purchase Exposition
1904(An der Leiter ihr Assistent "Pumpkin"

Seitenansicht

Zeitungsphotographie ist als eine Berufung für Frauen
in gewisser Weise eine Neuheit, aber es ist eine, die große
Anreize bietet, sowohl was das Interesse als auch was den 
Gewinn betrifft. Wenn man Besitzer von Kraft und Gesundheit 
ist, und eines guten Instinkts für Neuigkeiten... einer
ordentlichen Photographie-Ausrüstung, und der Fähigkeit
zu drängeln, welches die wichtigste Qualifikation ist, kann
man ein Zeitungsphotograph sein.

Newspaper photography as a vocation for women is somewhat of 
an innovation, but is one that offers great inducements in the 
way of interest as well as profit. If one is the possessor 
of health and strength, a good news instinct . . . a fair photographic outfit, 
and the ability to hustle, which is the most necessary qualification, one 
can be a news photographer.
Jessie Tarbox Beals
The Focus, St. Louis, Missouri, 1904



Mit ihrem Assistebten auf der Weltausstellung in St. Louis 1904







Dienstag, 12. November 2013

Man könnte durchbrechen


Paul Klee Seiltänzer 1923


Ja, die Erde ist eine dünne Kruste; 
ich meine immer, 
ich könnte durchfallen, 
wo so ein Loch ist. - 
Man muß mit Vorsicht auftreten, 
man könnte durchbrechen. Aber gehn Sie ins Theater, 
 ich rat es Ihnen!

Georg Büchner 
Dantons Tod

Sonntag, 10. November 2013

Regen



Wetter: Nassester Herbst seit 10 Jahren

Der Herbst brachte den Deutschen bisher von allem etwas: Regen, Sonne und 
 in Teilen Bayerns sogar Schnee. Im November bleibt das Wetter konstant - 
konstant schlecht. Denn es wird Regen geben, vor allem im Westen.
5.11.2013 gmx-nachrichten

weiter lesen: http://www.gmx.net/themen/nachrichten/panorama/34at622-wetter-herbst-regen#.A1000146

Es regnet, es regnet,
es regnet seinen Lauf,
und wenn's genug geregnet hat,
dann hört es wieder auf.


Weizenfeld im Regen

Saint-Rémy, Anfang November 1889


Nasser November

Ziehen Sie die ältesten Schuhe an,
die in Ihrem Schrank vergessen stehn!
Denn Sie sollten wirklich dann und wann
auch bei Regen durch die Strassen gehn.

Sicher werden Sie ein bisschen frieren,
und die Strassen werden trostlos sein.
Doch trotz allem: gehn Sie nur spazieren!
Und, wenn's irgend möglich ist, allein.

Müde fällt der Regen durch die Äste.
Und das Pflaster glänzt wie blauer Stahl.
Und der Regen rupft die Blätterreste.
Und die Bäume werden alt und kahl.

Abends tropfen hunderttausend Lichter
zischend auf den glitschigen Asphalt.
Und die Pfützen haben fast Gesichter.
Und die Regenschirme sind ein Wald.

Ist es nicht, als stiegen Sie durch Träume?
Und Sie gehn doch nur durch eine Stadt!
Und der Herbst rennt torkelnd gegen Bäume.
Und im Wipfel schwankt das letzte Blatt.

Geben Sie ja auf die Autos acht.
Gehn Sie, bitte, falls Sie friert, nach Haus!
Sonst wird noch ein Schnupfen heimgebracht.
Und -, ziehn Sie sofort die Schuhe aus!

Erich Kästner

Onomatopöie - Onomatopoesie - Kikeriki!



Onomatopoesie
ist die sprachliche Nachahmung von außersprachlichen Schallereignissen,
sagt Wiki.


Ich erkläre Schauspielern, dass die Szene mehr "Rums" braucht 
oder ist es "Rumms"?, oder dass sie "eine Minilaus grumpfliger" sein müßte. 
Und, o Wunder, sie verstehen was ich meine. Mein Körper produziert 
bisher nicht existente Wörter, mein Mund spricht sie und 
die Gehirne meiner Gegenüber begreifen deren Bedeutung. 
Laute, Zusammenstellungen von Lauten ergeben einen Sinn, ohne dass 
dieser in irgendeinem Wörterbuch nachweisbar wäre. 
Wasser wogt, rauscht, murmelt, plätschert, blubbert, zischt, sprudelt, dampft - die Verben erzeugen Bilder, Geräusche, die über den reinen Wortsinn hinausreichen.

Klappern, plappern, rascheln, klatschen, matschen, tatschen, 
schmatzen, klicken, klackern, schlackern, summen, brummen & 
 rauschen, mauscheln, quietschen, zutschen, gurgeln, murmeln.  
Oder Kikeriki, Ia, Wau-wau & Miau, die übrigens nicht für alle Welt gelten. Französische Hunde bellen anders, nämlich oua-oua. Boing und Knall 
und Bums und Rums, rumsbums. Plumps. Rattatazong! 

Wiktionary: LAUT
ein Geräusch, das durch die menschliche oder tierische Stimme hervorgerufen wird, in der Linguistik: Laut als Teil einer Sprache; Sprachlaut

Ich liebe das Wort MATSCH.  

KARAWANE
 
jolifanto bambla ô falli bambla
grossiga m'pfa habla horem
égiga goramen
higo bloiko russula huju
hollaka hollala
anlogo bung
blago bung
blago bung
bosso fataka
ü üü ü
schampa wulla wussa ólobo
hej tatta gôrem
eschige zunbada
wulubu ssubudu uluw ssubudu
tumba ba- umf
kusagauma
ba - umf


Hugo Ball 



Onomatopoetische Repräsentation eines Aufschlags. Plumps!

Onomatopoesie 

- von altgriechisch: ὄνομα (onoma) Name und ποίησις (poiēsis) das Machen
WORTERZEUGUNG?




Die deutsche Sprache

Kann die deutsche Sprache schnauben, schnarchen, poltern, donnern, krachen,
Kan sie doch auch spielen, schertzen, liebeln, gütteln, kürmeln, lachen.

Friedrich von Logau (1604 – 1655)


 

Freitag, 8. November 2013

Der 24. Jahrestag des 9. November 1989


EINE NACHT WIE KEINE NACHT

Privatreisen nach dem Ausland können ohne Vorliegen von Voraussetzungen (Reiseanlässe und Verwandtschaftsverhältnisse) beantragt werden. Die Genehmigungen werden kurzfristig erteilt. Die zuständigen Abteilungen Paß- und Meldewesen der Volkspolizeikreisämter in der DDR sind angewiesen, Visa zur ständigen Ausreise unverzüglich zu erteilen, ohne daß dafür noch geltende Voraussetzungen für eine ständige Ausreise vorliegen müssen. […] Ständige Ausreisen können über alle Grenzübergangsstellen der DDR zur BRD bzw. zu West-Berlin erfolgen... Das tritt nach meiner Kenntnis… ist das sofort, unverzüglich.

Günter Schabowsky in einer Pressekonferenz übertragen von der der Aktuellen Kamera, der Nachrichtensendung des Fernsehens der DDR


Merkwürdig, ich kann die Aktuelle Kamera vom 9. November nicht finden, nur Ausschnitte in der Tagesschau des "Westfernsehens".

Ein, in der Rückschau ungelenker, ja geradezu peinlicher Fernsehauftritt, öffentlicher Höhepunkt von Geschehnissen, deren vollen Umfang und Vorgeschichte wahrscheinlich selbst jetzt niemand von uns wirklich überblickt.

Meine Erinnerung an die Stunden bevor die glücklichen Tänze auf der Mauer stattfanden:

Weil ich weder Vorstellung noch Abendprobe habe, bin ich zu Hause, der Fernseher läuft, wie eigentlich immer in dieser Zeit, in der jeder Tag, jede Stunde Neues, Unglaubliches bereithält. Die erste wirkliche Demonstration meines Lebens liegt fünf Tage zurück, Unsicherheit, Hoffnung, Ungewissheit sind geistiger Dauerzustand. Die Aktuelle Kamera beginnt, früher habe ich die nie geschaut, Schabowski, der Günter, allgemein als besonders scharfes Dreckschwein und Alkoholiker bekannt, stammelt die oben zitierten Sätze in die Kamera. Inszenierung oder Unfall?
Noch am 8.November hatte er in einer Rede im ZK geäußert:
Eine einwandfreie Berichterstattung über jegliches Auftreten von Mitgliedern der Führung, also von Mitgliedern des Zentralkomitees wie von Mitgliedern des Politbüros … Das sind die wichtigsten Dinge. Die Methoden dazu können nur wieder Methoden der Administration und Gängelei sein, wenn man das mal in Anführungszeichen sagen will, anders ist es nicht möglich.Und die Berichterstattung der jüngsten Zeit sei
im Grunde nichts weiter […] als die übelsten Methoden, also des Bodensatzes, der westlichen Presse […] den Mist müssen wir nicht mitmachen. Und wenn man so mit ihnen spricht, dann haben sie es auch schnell verstanden, daß das eine Masche ist, die man nicht akzeptieren kann und die sich nicht mit dem Kurs der Erneuerung vereinbart.Und jetzt das!
Ich rufe einen Freund an, ob ich richtig gehört habe, und wir verabreden uns in der Kantine des Deutschen Theaters. Dort bekommen wir den Anruf eines anderen Bekannten, der nur: "Ich bin drüben, ich bin drüben!" ins Telephon stammelt. 
Es sei angemerkt, dass alle diese Anrufe über das Festnetz liefen. Man stelle sich vor - keine Handys!
Verwirrung, Freude, Panik, Unglauben.
Stunden später. Ich fahre mit Jörg-Michael Körbl in einem Lada durch Ost-Berlin. Im Haus des Reisens am Alexanderplatz stempelt eine überforderte Frau irgendwelche obskuren Genehmigungen in DDR-Ausweise, ein überwältigter junger Mann jubelt mitten auf der Straße: " Ich bin zwanzig Mal hin und her, hin und her!". Die Stadt ist still, nur an den Grenzübergängen sammeln sich immer mehr Menschen. 
Wir, Jörg und ich, beenden die Nacht in der Volksbühne und verbrennen in einem surrealen Autodafe unsere DDR-Ausweise auf einem Kantinentisch.
In Jörg-Michael Koerbls Stück "Neues Deutschland" von 1999 lautet der erste Satz: "Die Menschen rennen durch die Stadt wie vor dem Weltuntergang."
Eigentlich gab es von diesem Tag an die DDR nicht mehr.
Gut das sie weg ist!

 
Chronik des 9.Novembers mit genauen Zeitangaben:
http://www.chronik-der-mauer.de/index.php/de/Chronical/Detail/day/9/month/November/year/1989