Samstag, 8. Dezember 2012

Ludwig Hirsch sieht schwarz




Die gottverdammte Pleite


Als die Kinder Kröten nach Hause brachten
und im Zirkus nicht mehr lachten,
als sie ihr Brot nicht mehr aßen
und statt dessen die Kröten fraßen,
als sie Teddybären zerrissen
und in Autoreifen bissen,
als schließlich Kindergärten brannten
und Lehrer um ihr Leben rannten,
da wußten wir, es ist aus.

Begonnen hat sie damals,
diese gottverdammte Pleite,
Ende März, im vergangenen Jahr.
"Operation Tiger" hieß das Manöver,
im Raum Waldburg und Umgebung,
wie üblich, der Grenze ziemlich nah.
Man steckte Felder in Brand,
man schoß Löcher in den Wald
und das Haus vom alten Förster traf man voll.
Doch das Schlimme an der Sache,
und das wußten wir noch nicht,
da hat ein Panzer einen Hasen überrollt.
Ja, das Schlimme an der Sache,
und das wußten wir noch nicht,
da hat ein Panzer einen Hasen überrollt.

Lisa, das kleine Mädchen,
mit der großen rosa Schleife,
spielt im Garten, vor dem Haus, mit ihrem Hund.
Die Eltern sitzen im Salon,
„Was Herr Klavierlehrer, Sie gehen schon?",
fragt die Mutter und schiebt ihm Marzipan in den Mund.
Da tritt Lisa durch die Tür, zieht ihren Hund hinterher,
ihren Hund, dem wer die Kehle durchgebissen hat.
Der Vater schreit, die Mutter weint,
der Klavierlehrer kotzt ihr Marzipan auf's Kleid,
nur Lisa lächelt, mit blutverschmiertem Mund.
Ja im Raum Waldburg an der Grenze,
hat dieser gottverdammte Panzer
diesen gottverdammten Hasen überrollt.

Der kleine Thomas ist 7 Jahr',
und er freut sich jedesmal,
wenn ihn am Wochenende Großvater besucht,
denn der liest ihm schöne Mähren,
von Prinzessinnen und Zwergen,
aus dem mitgebrachten, alten Märchenbuch.
Ja, dem Großvater, so sagen sie,
dem schlägt das Herz am rechten Fleck,
nur dieses Wochenende hat ihm wer
den Schrittmacher versteckt.
In seinem Zimmer baut allein,
der kleine Thomas ganz geheim,
in seine Eisenbahn den Herzschrittmacher ein.
Ja, im Raum Waldburg an der Grenze,
hat dieser gottverdammte Panzer
diesen gottverdammten Hasen überrollt.

Bis auf die Zähne bewaffnet und zitternd vor Angst,
die Kerze wirft Schatten, die Kellerwand tanzt,
so hocken wir da unten und Tränen weinen wir, Tränen.
Unsere Kleinen, da draußen, verbrennen die Erde,
es kochen die Flüsse, es verdampfen die Meere,
oben am Himmel der kleine Bär, schläft auch nicht mehr.
Ja, unsere Kleinen, unsere Kleinen haben uns den Krieg erklärt,
haben Dir, Mutter mir, Vater, den Krieg erklärt,
weil im Raum Waldburg, an der Grenze,
hat dieser gottverdammte Panzer den Osterhasen überrollt.

Ludwig Hirsch 


Freitag, 7. Dezember 2012

Paula Rego - Krieg




KRIEG
Paula Rego 2003


  
        Wiki sagt: Paula Rego wuchs in Lissabon in einer wohlhabenden, anglophilen 
        Familie auf. Von 1945 bis 1951 besuchte sie die englische Schule St. Julian’s 
        School in Carcavelos nahe Lissabon. Im darauffolgenden Jahr wechselte sie 
        nach England, wo sie von 1952 bis 1956 an der Slade School of Fine Art studierte. 
        Dort lernte sie auch ihren späteren Ehemann Victor Willing kennen. 
        Nach  anfänglichem Pendeln zwischen England und dem Wohnsitz in 
        Ericeira,  Portugal, zog das Paar 1975 permanent nach London. 1988 starb 
        Victor Willing an den Folgen einer Multiplen Sklerose.



Donnerstag, 6. Dezember 2012

Take Five - Dave Brubeck tut es


Take Five - die kurze Pause, für Raucher eine Zigarrettenlänge, für andere einfach fünf Minuten, kein wirkliches Aussteigen, kein Erholen, mehr ein Atemholen, gefüllt mit Nikotin oder Frischluft, um wieder einzusteigen, da wo man unterbrochen hat. Der Kopf oder der Bauch bleiben im Rhythmus, es ist ein Anhalten der Spannung.  

Jazz ist vielleicht die einzige heute existierende Kunstform, bei der der Einzelne frei ist, ohne den Kontakt zur Gruppe zu verlieren. D.B.

Dave Brubeck ist mit fast 92 Jahren an Herzversagen gestorben. Das heißt, er wurde 1920 geboren, in der Zeit als der Jazz noch in der Pubertät war. Er hat musiziert bis zur endgültigen Herzrhythmusstörung. RIP. (Rest in Peace) Oder Ruhe in dem Takt, der Dir der liebste war.
TAKE FIVE. Ruhe Dich aus, aber verlier nicht den Takt!

Ein Stück im Fünfviertel Takt, zu schräg, um als Fahrstuhlmusik nutzbar zu sein und doch
seltsam entspannend. Geschrieben hat es Paul Desmond, aber Dave Brubecks Name ist es, der mir in den Kopf schießt, wenn ich das leicht atemlose, oder unruhig auf langem Atem klingende Stück höre. Take Five - Mach mal kurz Pause! oder der fünfte Take, die fünfte Aufnahme einer Musiknummer im Studio.

Die Gelder aus den Rechten für Take Five gehen übrigens, dem Testament Paul Desmonds folgend, an das Rote Kreuz.

Die Komposition umfasst 24 Takte, ist in der Liedform ABA geschrieben und wird in moderatem Tempo gespielt. (Wiki)

 Dave Brubeck und Paul Desmond 1954

Take Five 1966
http://www.youtube.com/watch?v=faJE92phKzI
Dave Brubeck - piano
Paul Desmond - alto sax
Eugene Wright - bass


Take Five 1968
http://www.youtube.com/watch?v=o2In5a9LDNg

Take Five Al Jarreau 1976
http://www.youtube.com/watch?v=hhq7fSrXn0c

Es würde den Bruchteil eines Bomberflügels kosten, Jazzmusiker durch die Welt fliegen zu lassen. Durch den Jazz können wir unsere Kultur der Freiheit zu den Leuten bringen. Das ist es, was Diktatoren immer zuerst stoppen: Jazzmusik im Radio oder die Möglichkeit, Jazzplatten zu kaufen. Denn dafür braucht es Freiheit. D.B.
 

Mittwoch, 5. Dezember 2012

300 000 Klicks!


300 000 Klicks!

Hihihihihihihihi!

UnRechtschreibung


Die Wahrscheinlichkeit, dass ich ohne Hilfe je einen längeren Text in fehlerloser deutscher Rechtschreibung verfertigen werde, tendiert gegen Null. Kann auch gar nicht anders sein, (gar nicht, wird gar nicht zusammengeschrieben!) denn die Regeln der deutschen Orthographie (-fie),  entpuppen sich, wenn man sie genauer betrachtet, als zwischen Radikalität, ängstlicher Spießigkeit und widerwillige Anpassung an die ohnehin bestehenden Fakten hin- und herschwankende Zwitterwesen.
Auf der Zweiten Orthographischen Konferenz von 1901 in Berlin wurde unter anderem entschieden, dass: in heimischen Wörtern das h nach t grundsätzlich fallen (Tal, Tür statt Thal, Thür) sollte. In Fremdwörtern wie Thron und Theater sowie germanischen Begriffen wie Thing und Thor wurde die th-Schreibung beibehalten. Ohne allgemeine tiefe Kenntnis der Etymologie öffnete man damit der Verwirrung Tür und Thor. 
Eine anekdotische Überlieferung behauptet allerdings, der Deutsche Kaiser habe auf die Mitteilung der geplanten Reform mit etwa folgendem Satz reagiert: Mit Tür und Tor können sie machen, was sie wollen, aber der Thron bleibt Unser. Ob er das Theater auch für sich beanspruchte, ist nicht überliefert.
Und so haben wir nun Köln und Köthen, aber eben auch Cottbus, nur der Kottbusser Platz deutet daraufhin, dass Kottbus auch möglich gewesen wäre. Celle bleibt aber Celle, nicht Zelle.
Der Reformkritiker Theodor Ickler schrieb: »Die „Rechtschreibreform von 1901“ – eine Legende: Unter Fachleuten ist bekannt, daß die um 1900 übliche Rechtschreibung nach der Zweiten Orthographischen Konferenz keineswegs „reformiert“, sondern im Gegenteil gegen willkürliche Veränderungen unter staatlichen Schutz gestellt wurde. (Wiki)

Meinen Eltern ist es zu aufwändig, alle Stängel einzeln zu beschneiden. 
Warum nicht, dennschon wennschon, Ältern von Alter, älter? Würde sich die betreffende Bevölkerungsgruppe gekränkt, (gekrenkt sieht auch ganz niedlich aus,) fühlen? Der Stengel/Stängel und das Bendel/Bändel sind belemmert/belämmert dran, von ihnen ist kein Widerstand zu erwarten.
Wenn's mit Dir abwärtsgeht ist's ein Wort, doch wenn Du abwärts gehst, nicht. Ein Wort für den Zustand und zwei für die Tat. Das geht mir nah. - nahegehen und nahe gehen. Jetzt nicht mehr, jetzt schreiben wir beides getrennt. What the fuck??? Oder WTF, wie die sich gänzlich den Orthographieregeln verweigernden Twitterer, Smser etc. schreiben würden. Jetzt ist's einfacher, aber ist es schöner? 
Hatte auch nicht gewusst, dass nun auch der O-fen getrennt werden darf, das U-fer aber nicht! 
Oder, alt: par-allel und Neu: par-allel / pa-ral-lel, LOL? 
LOL ist Laughing out loud! 



DAU, dümmster anzunehmender user (Benutzer), ist das die Zielgruppe der Reformer? 

Und für Ö.

Das Mal, das Mahnmal:
in der neuhochdeutschen Form sind zusammengefallen mittelhochdeutsch, althochdeutsch meil = Fleck, Zeichen; Sünde, Schande und eine Vermischung aus mittelhochdeutsch māl mit mittelhochdeutsch māl, althochdeutsch māl(i) = Zeichen, Fleck, Markierung. (Duden)
Das Ehrenmal, kann also ein Ort zum Ehren sein oder ein Ort der schändlichen Ehre. Und ein Ehrenmahl ist ein Essen, dass jemandem zu Ehren gegeben wird.

ein Mal und einmal:
Wenn du einmal sagen willst, "Könntest Du mir wenigstens ein Mal zuhören?", dann lägest Du richtig. Noch einmal, oder ich könnte es auch hundertmal sagen, wenn ich beide Wörter betone, das Zahlwort vielleicht etwas mehr, dann wird es getrennt geschrieben, wenn ich es nur so dahin sage, einmal, zweimal oder wie oft auch immer, dann ist es ein Wort.

Liste von Abkürzungen/Akronymen aus dem Netz
Zur Orthographischen Konferenz von 1901

Sonntag, 2. Dezember 2012

Adventus Domini


  Advent, Adventus Domini - Der Herr kommt. 
  Eine mehr als zweitausend Jahre alte Ankündigung, ein Jubel, Vorfreude:

  Das Volk das im Finstern wandelt, sieht ein großes Licht; und über die da wohnen 
  im finstern Lande, scheint es hell. Du machst des Volkes viel; du machst groß 
  seine Freude. Vor dir wird man sich freuen, wie man sich freut in der Ernte, 
  wie man fröhlich ist, wenn man Beute austeilt. Denn du hast das Joch ihrer Last 
  und die Rute ihrer Schulter und den Stecken ihres Treibers zerbrochen wie
  zur Zeit Midians. Denn alle Rüstung derer, die sich mit Ungestüm rüsten, 
  und die blutigen Kleider werden verbrannt und mit Feuer verzehrt werden. 
  Denn uns ist ein Kind geboren, ein Sohn ist uns gegeben, und die Herrschaft 
  ist auf seiner Schulter; er heißt Wunderbar, Rat, Held, Ewig-Vater Friedefürst; 
  auf daß seine Herrschaft groß werde und des Friedens kein Ende auf dem Stuhl 
  Davids und in seinem Königreich, daß er's zurichte und stärke mit Gericht 
  und Gerechtigkeit von nun an bis in Ewigkeit.

  Jesaja 9, 1-6

Sandro Botticelli 1487 Die Madonna vom Granatapfel

  Der Friedefürst mit lässigem Gruß

  Jesaja oder, was schöner klingt, Jeschajahu ben Amoz lebte im 7. Jahrhundert 
  vor Christus in Juda, das damals von Assyriens Macht bedroht war, und war 
  ein Prophet.
  Wiki sagt: Er verkündete Juda, Israel und Assur Gottes Gericht, aber auch 
  eine endzeitliche Wende zu universalem Frieden, Gerechtigkeit und Heil. 
  Als erster Prophet Israels verhieß er den Israeliten einen zukünftigen Messias 
  als gerechten Richter und Retter der Armen. 
  Im Schrein des Buches in Jerusalem kann man die Jesajarolle sehen, ein Duplikat
  zumindest, in den Höhlen von Qumran gefunden, gilt sie als das älteste voll-
  ständig erhaltene Manuskript eines Buches der Bibel und wurde um 200 v. Chr. nieder
  geschrieben. 
   
  Jesaja 42,9 

  Seht, das Frühere ist eingetroffen, Neues kündige ich an. Noch ehe es zum 
  Vorschein kommt, mache ich es euch bekannt.
  
  So bei Luther, bei Martin Buber heisst es: 
   
  Neues melde ich an, eh es wächst, lasse ich euch es erhorchen.

Ehe es wächst, lasse ich euch es lauschen.

Lange haben wir das Lauschen verlernt!
Hatte Er uns gepflanzt einst zu lauschen
Wie Dünengras gepflanzt, am ewigen Meer,
Wollten wir wachsen auf feisten Triften,
Wie Salat im Hausgarten stehn.

Wenn wir auch Geschäfte haben,
Die weit fort führen
Von Seinem Licht,
Wenn wir auch das Wasser aus Röhren trinken,
Und es erst sterbend naht
Unserem ewig dürstenden Mund –
Wenn wir auch auf einer Straße schreiten,
Darunter die Erde zum Schweigen gebracht wurde
Von einem Pflaster,
Verkaufen dürfen wir nicht unser Ohr,
O, nicht unser Ohr dürfen wir verkaufen.
Auch auf dem Markte,
Im Errechnen des Staubes,
Tat manch einer schnell einen Sprung
Auf der Sehnsucht Seil,
Weil er etwas hörte,
Aus dem Staube heraus tat er den Sprung
Und sättigte sein Ohr.
Presst, o presst an der Zerstörung Tag
An die Erde das lauschende Ohr,
Und ihr werdet hören, durch den Schlaf hindurch
Werdet ihr hören
Wie im Tode
Das Leben beginnt.

Nelly Sachs
Stockholm 1945 oder 46

 

Samstag, 1. Dezember 2012

Herkules Seghers


Hercules Pieterszoon Seghers

Geboren um 1590 in Haarlem, Niederlande; gestorben um 1638 in Amsterdam. 
Von ihm hat sich Anna Seghers ihren Künstlernamen geliehen.
Über sein Leben weiss man wenig, er stammt aus einer flandrischen Mennonitenfamilie, 
hat bei einem Landschaftsmaler studiert, eine 16 Jahre ältere Frau geheiratet, in späteren Jahren stark getrunken und soll gestorben sein, als er im Trunk eine Treppe herunterfiel.

Scharteken - Bücher


Landschaft mit hereinhängender Tanne


Blick auf den Rhein

Gropiusbau - AES+F - Das Gastmahl des Trimalchio


Ich gehe, neugierig und erwartungsfrei, in den Gropiusbau, um mir meine wöchentliche Dosis bildende Kunst zuzuführen. Zuerst Dennis Hopper, Photographien aus den 60er Jahren. Sind 1961 bis 1967 nun in den 60er oder 70er Jahre, bei den Jahrhunderten weiß ich es, immer eins nach oben, aber gilt das auch für die Jahrzehnte?
Erster Eindruck: Schwarz-Weiss und recht bieder, doch sind die photographierten Subjekte es nicht. Die Stillleben (3 l!!!) wirken ein bisschen banal, aber sobald er Menschen ablichtet, riecht es nach Aufbruch, Veränderung, neuer Coolness. Diese, meist jungen Amerikaner, schauen siegesgewiss, selbstsicher in die Kamera, noch Jahre entfernt vom Zynismus und der defensiven Arroganz der Aids-Katastrophe und Bush Jahre. Bilder aus einer Zeit, in der schmale Krawatten zu tragen, noch nicht die Zugehörigkeit zu einer hippen Werbeagentur bedeutete und Andy Warhol noch keine schlechtsitzenden Perücken trug.

Andy Warhol, Henry Geldzahler, David Hockney, and Jeff Goodman
1963, © The Dennis Hopper Trust 

Bekiffte Hippies in  rührender Kostümierung, Martin Luther King einen Traum träumend, Biker, die trotz Lederharnisch aussehen wie unschuldig-lüsterne Renaissance-Engel - noch war die versteinernde Rollenverteilung nicht vollzogen worden, noch wurde gespielt, ausprobiert.
Den Mythos Olympia und Bilder der  Deutschen Fussball-Nationalmannschaft überspringe ich, aus nicht wirklich beschämendem Desinteresse am Sport und sitze dann in einem Video-Amphitheater, dreiviertelrund umgeben von dem Paradies-Teil der Trilogie der russischen Video-Künstler von AES+F.

Wiki sagt: Die Gruppe bildete sich 1987 unter dem Namen AES mit den Künstlern Tatiana Arzamasova, Lev Evzovich und Evgeny Svyatsky. Der Fotograf Vladimir Fridkes schloss sich 1995 der Gruppe an. Daraufhin wurde der Name der Gruppe in AES+F geändert. Die Gruppe lebt und arbeitet in Moskau

Das Satyricon, ein Roman, nur in Teilen erhalten, zu dem Das Gastmahl des Trimalchio gehört, schreibt Titus Petronius (14-66), auch Gaius Petronius Arbiter genannt, von Arbiter Elegantiae, d.h. Schiedsrichter des feinen Geschmacks, während der Regierungszeit des Kaisers Nero. Der freigelassene wohlhabende Sklave Trimalchio serviert seinen Gästen, die er unbedingt beeindrucken möchte, ein opulentes Gastmahl, das in der inszenierten Beerdigung des Gastgebers gipfelt.

The Feast of Trimalchio, Triptych #1, Panorama #3, 
2010 Digital collage © AES+F

AES+F nutzen diese Geschichte als Assoziationsvorlage für ihre Visionen zum Paradies in Technicolor. Mit streng zugespitzter Farbauswahl, verfremdeten Zitaten aus der Barockmalerei, Posen sowjetischer Monumentalkunst und unter Verwendung der Werbe-Ästhetik, entsteht ein Monumentalgemälde der mechanisierten Dekadenz. 
Weissgekleidete "Reiche" erreichen auf einem Ozeandampfer ein Eiland mit Palmenstrand, Parklandschaft und Skipiste und werden von Dienstpersonal in volkstümlicher Kostümierung umsorgt, gelegentlich kippt die Situation und Herren bedienen das Personal. 
Video, Stoppbildcamera, Computeranimationen, Blue Box, Zeitlupe, Repetitionen - werden eingesetzt, um ein Gefühl von nervösem Stillstand zu erzeugen, das sich im Verlauf in Vorahnung von Katastrophe verwandelt. 
Eigentlich sind es drei synchronisierte Bildfolgen (rechts,links,mittig), die nur einmal zu einem Gesichterpanorama zusammenschmelzen. Als Betrachter ist man durch die gigantischen Ausmaße und die Menge der wechselnden Szenen gezwungen, ständig den Kopf zu bewegen, immer im Wissen, dass man auf der anderen Seite möglicherweise etwas verpasst.


© AES+F
The Feast of Trimalchio 2010

Spannend. Neu. Anders. Die anderen beiden Teile der Trilogie haben mich nur wenig beeindruckt.

Freitag, 30. November 2012

Der Tod und das Theater



Tja. Eine Glosse.
Heute im Deutschen Theater "Shakespeare - Spiele für Mörder, Opfer und Sonstige" 
in der Regie von Dimiter Gotscheff, mit einigen großartigen Spielern - 
Wolfram Koch, Margit Bendokat, Anita Vulesica, Peter Jordan und anderen, 
und außerdem war den ganzen Abend lang noch ein Gorilla auf der Bühne, 
beeindruckend lebensecht, einsam, mit sich beschäftigt und manchmal sehr ablenkend. Das Bühnenbild in etwa wie bei Krankenzimmer Nr. 9 oder war es 13, dem Tschechowabend. Das Ganze ähnelte fatal einem Vorsprechen für ältere Semester, 
ein oder zwei schöne Monologe für jeden mit der Vorgabe, dass es Shakespeare sein mußte, und Tod und Krone vorkommen müssen - Deutsches Theater sucht 
den Super-Monolog-Spieler oder The best of William S.. 
Manches war toll, gelegentlich war's langweilig, aber dann war ja da immer noch der Affe.

ABER DANN: Wolfram Koch stirbt zum wiederholten Male, in der ersten Reihe sitzend, 
den Kopf nach hinten gebeugt, hörbar rasselnd atmend, Finzi monologisiert, 
dann Frau Vulesica und zwei Reihen vor mir, ich saß in der siebenten, 
kommt Unruhe auf, Eine Frau verläßt aufgeregt leise den Saal und 
wie ich genauer hinschaue, sitzt dort ein älterer Herr in genau der Haltung, 
die wenige Minuten vorher noch Herr Koch eingenommen hatte 
und atmete ebenfalls laut hörbar und unregelmäßig. Oben wird weitergespielt, 
der bewußtlose Mann wird auf den Fußboden gelegt, das Publikum sitzt erstarrt. 
In mir wurde die Krankenschwester wach: "Hat jemand einen Arzt gerufen?", 
höre ich mich laut sagen und verlasse den Saal. Der Arzt kam und dem Mann geht es wieder besser, Gott sei Dank, die Vorstellung wurde abgebrochen. 
Aber der ganze Abend war ein anderer geworden. 
Theater und Leben vertragen sich nicht.
Kommentar einer Bekannten: "Ach, da haben sich die Schauspieler den ganzen Abend 
so angestrengt und jetzt haben sie gar keinen Applaus bekommen."


Arnold Böcklin 1872 Selbstbildnis mit fiedelndem Tod

Richard II. 3. Akt 4. Szene

Richard:
Von Gräbern laßt uns reden, von Würmern und Grabschriften; laßt uns 

den Staub zu unserm Papier machen, und mit regnenden Augen 
unsern Jammer auf den Busen der Erde schreiben. Laßt uns von Testamenten reden, 
und unsre Ausrichter erwählen - - doch nein - - Was können wir vermachen, als unsre abgelegte Leiber der Erde? Unsre Länder, unser Leben, alles ist Bolingbroks, und wir können nichts unser nennen als den Tod, und dieses Bißchen Erde, das unsre Gebeine deken wird. Ums Himmels willen! laßt uns hier auf den Boden niedersizen, und einander melancholische Geschichten vom Tod der Könige erzählen; wie einige entsezt, andre im Krieg erschlagen worden; andre von den Geistern derjenigen verfolgt, so sie 
aus dem Wege geräumt hatten; andre von ihren Weibern vergiftet, andre im Schlaf umgebracht, alle ermordet! - - denn in der holen Crone, die eines Königs 
sterbliche Schläfe umfaßt, hält der Tod seinen Hof; da sizt das groteske Ungeheuer und spottet mit grinsendem Lächeln seines Pomps, erlaubt ihm einen Athem-Zug, eine kleine Scene lang zu herrschen, gefürchtet zu werden, und mit Bliken zu tödten, lispelt ihm eitle schwülstige Gedanken ein, als ob das Fleisch, worinn sein Leben eingeschlossen ist, unzerstörbares Metall sey; und wann er ihn so bethört hat, kommt er zulezt, durchbort mit einer kleinen Steknadel seine Schläfe, und gute Nacht König! - - Bedekt eure Häupter, 
und verspottet nicht Fleisch und Blut mit feyrlicher Ehrerbietung; werfet Ehrfurcht, Titel, Ceremoniel, und alle diese Zeichen der Unterwürfigkeit weg; ihr habt mich 
diese ganze Zeit her mißkannt. Ich lebe von Athem wie ihr, ich habe Bedürfnisse wie ihr, fühle Schmerzen, habe Freunde vonnöthen, wie ihr; so abhängig, wie ich also bin, 
wie könnt ihr mir sagen: ich sey ein König?

verdeutscht von Christoph Martin Wieland

Humorlos

Die Jungen
werfen
zum Spass
mit Steinen
nach Fröschen

Die Frösche
sterben
im Ernst


Erich Fried 
 

Mittwoch, 28. November 2012

Mona Lisa



Warum lächelt diese Frau? Woran denkt sie? Warum nehme ich ihr Lächeln übel?


  Ich war im Louvre, ich und zwei und vier Milliarden andere Touristen, SIE hing 
  hinter dickem, sie fast verbergendem Glas. Keine Ahnung, was ich wirklich gesehen 
  habe oder was mein Kopf mir schon präemptiv suggeriert hat. Die persönliche 
  Begegnung jedenfalls war enttäuschend unbeeindruckend. Aber jetzt, allein am 
  Computer, hinterläßt ihr besserwisserisches Mundwinkelheben, doch eine 
  beunruhigende Wirkung. "Ich weiß etwas, was du nicht weisst.". Was? Das Gefühl 
  kenne ich, der Einzige zu sein, der begreift, was wirklich vorgeht. Und meist liege ich 
  damit völlig falsch. Aber IHR können wir nicht mehr widersprechen. 
  Ärgerlich. Unangreifbare Arroganz oder wirkliche Gewissheit eines 
  herrlichen Geheimnisses?


Zwischen 1503 und1506 - Mona Lisa - La Gioconda zu deutsch: die Heitere, obwohl sie keine Augenbrauen hat

 
  Das Modell: wahrscheinlich, Lisa del Giocondo. Wiki sagt, der deutsche Titel beruht 
  auf einem Rechtschreibfehler, denn Mona leitet sich ab von der italienischen 
  Kurzform Monna (für Madonna ‚Frau‘), ist also kein Vorname, sondern der Titel, mit 
  dem Lisa als Ehefrau (madonna) von Francesco del Giocondo angeredet wurde. 
  Es gibt aber auch zahlreiche andere Theorien, es könnte da Vincis Geliebter sein, 
  Isabella of Naples, Cecilia Gallerani, Costanza d'Avalos, Duchess of Francaville, 
  Isabella d'Este, Pacifica Brandano or Brandino, Isabela Gualanda, Caterina Sforza 
  oder Leonardo selbst. Und weiter: Eine besondere Wirkung bekommt das Bild 
  durch einen Trick Leonardos. Er malte das Bild mit zwei verschiedenen 
  Fluchtpunkten (Perspektiven) – einen für den Hintergrund und einen für die Figur. 
  Dem Betrachter fällt das nicht sofort auf; er hat nur das Gefühl, dass hier irgendetwas 
  nicht stimmt.

 Marcel Duchamp 1919 - l.h.o.o.q. =  èl ache o o qu
Das entspricht ungefähr: Sie hat einen heißen Arsch. 

Wer alles ernst nimmt, was Menschen sagen,
darf sich nicht über Menschen beklagen.
Alles Reden ist meist nur Gered.
Weiß man erst, was dahinter steht,
läßt man's klappern wie die Mühlen am Bach
und geht stillfein in sein eigen Gemach.

Christian Morgenstern

Andy Warhol 1963 - Dreissig sind besser als eine

Das Lächeln der Mona Lisa

Ich kann den Blick nicht von dir wenden.
Denn über deinem Mann vom Dienst
hängst du mit sanft verschränkten Händen
und grienst.

Du bist berühmt wie jener Turm von Pisa,
dein Lächeln gilt für Ironie.
Ja ... warum lacht die Mona Lisa?
Lacht sie über uns, wegen uns, trotz uns, mit uns, gegen uns –
oder wie –?

Du lehrst uns still, was zu geschehn hat.
Weil uns dein Bildnis, Lieschen, zeigt:
Wer viel von dieser Welt gesehn hat –
der lächelt, legt die Hände auf den Bauch und schweigt.
 
Theobald Tiger
Die Weltbühne, 27.11.1928, Nr. 48, S. 819