Donnerstag, 8. November 2012

Briefe zwischen Weigel und Brecht




ich lerne: gläser + tassen spülen


   1923 haben sich die beiden bei der Arbeit an "Trommeln in der Nacht" in 
   Berlin kennengelernt. Sie eine österreichische Jüdin, die begann sich als Schau-
   spielerin einen Namen zu machen und er, ein schwäbischer Dichter, mit enormem 
   Talent und ebenso großen Ambitionen. 

   Ende Dezember 1923 Brecht an Weigel:

   1
   Zweite Hälfte Dezember:
   starke Langeweile
   90% Nikotin
   10% Grammophon
   offensichtlicher Mangel
   an Bädern
   Jahresende:
   Auf nach Mahagonny
   bevorzugt!

   2
   HW
   (zu deutsch:
             Havary)

   1923 bis 1956, 33 Jahre, zwei Kinder, 12 Jahre erzwungene Emigration, viel Arbeit,
   eine Theatergründung.
   In den 12 Jahren für sie nahezu keine Rollen, er schreibt hauptsächlich für die Schub-
   lade. Sie verlassen Deutschland 1933 direkt nach dem Reichstagsbrand, und ziehen 
   über Prag nach Wien, dann in die Schweiz, nach Dänemark, Schweden, Finnland, 
   jeweils für etwa ein Jahr, zwischendurch immer wieder Reisen auf Arbeitssuche,
   schießlich über Leningrad, Moskau und Wladiwostok in die USA. Bis 1947 leben sie, 
   dass heißt die ganze Familie, in Los Angeles. Nachdem Brecht 1947 vor das Kommitee 
   für Un-Amerikanische Aktivitäten geladen worden war, verläßt erst er, dann auch der 
   Rest der Familie die USA und wandern über Frankreich und die Schweiz wieder 
   nach  Berlin.
   12 Jahre nicht spielen, als sie fliehen mußten, war Helli, Helle oder Helen, wie Brecht 
   sie anschrieb, 33.


  Es war sicher keine übliche Ehe. Aber es war eine, so scheint mir, gute. Sie verloren 

  nie das Interesse aneinander, das wird aus den Briefen deutlich, sie hatten 
  einen gemeinsamen Humor und man bekommt, obwohl seine Briefe zahlreicher sind 
  als die ihren, viele sind wohl bei den zahlreichen Umzügen verloren gegangen, 
  den Eindruck von zwei sehr starken Personen, die sich dem Bemühen 
  umeinander stellen. 


  Ulrich Matthes und Katharina Thalbach haben ganz wunderschön gelesen, leicht 
  und amüsiert. Die Lesung wird wohl im Januar vielleicht noch einmal wiederholt.


 14. März 1956 Weigel an Brecht

  Lieber Bert!

  Wir haben gestern wie die Wahnsinnigen geheizt und nach einem ganzen Tag heizen 
  im Probenhaus waren 8º zu erreichen. Es ist wirklich zum Verzweifeln. Wir wissen nicht, 
  wie wir Kohlen bekommen sollen. Der Magistrat kann uns nicht mehr an Zuschuß 
  geben. Trotz aller Schwierigkeiten muß ich Dich bitten noch in dem kleinen Probe-
  bühnchen zu arbeiten. Es ist versprochen worden, nächste Woche sei Frühling.

  Ihn habe ich nicht kennengelernt, sie war die beste vorstellbare Großmutter, nach 

  dem Abend heute, vermisse ich sie beide.


  Bertolt Brecht / Helene Weigel Briefe 1923-1956 "ich lerne: gläser + tassen spülen"
  suhrkamp; herausgegeben von Erdmut Wizisla

Dienstag, 6. November 2012

Tod in Venedig


Ich muß vorab bildungsbürger-beschämt erklären, dass ich kein begeisterter Thomas Mann Leser bin. Meine Versuche mir seine Romane zu erkämpfen, endeten ausnahmelos in erschöpften Niederlagen. Nur bei den Novellen erging es mir etwas besser. Tonio Kröger, Der kleine Herr Friedemann, Mario und der Zauberer waren ok. Aber mehr als das schwache ok. fällt mir auch da nicht ein. Wälsungenblut hat mir gefallen, weil die dekadenten Geschwister sich immer an den Händen hielten, die stets ein wenig feucht waren .  

Nach meinen erfolglosen Leseversuchen, hatte ich das Gefühl, dass ich, wenn ich schon aus einer Dichterfamilie stammen muß, es mit der meinen gar nicht so schlecht getroffen hatte.

Und dann habe ich vor ein paar Jahren in München eine Inszenierung von Benjamin Brittens Oper Tod in Venedig gesehen. Britten ist für einen Fast-Nichtkenner moderner Musik eigentlich harter Tobak, aber an diesem Abend machte alles Sinn - die Musik, die Geschichte, die Bühne, das Spiel. Es war hochkompliziert und doch ganz einfach, höchst artifiziell und doch so durchsichtig, dass man den komplizierten Phrasen der Musik und den angestrengten emotionalen Ausschlägen des Herrn von Aschenbach mit morbider Faszination und bedrücktem Mitgefühl folgen wollte. Nach 3 und einer halben Stunde war Schluß. Schade.
Der Regisseur hieß Immo Karaman. 
 
Der Tod in Venedig ist eine 1911 entstandene Novelle, Thomas Mann selbst nannte sie, die novellistische Tragödie einer Entwürdigung.

Sie beginnt mit zwei Sätzen.


Satz 1: Gustav Aschenbach oder von Aschenbach, wie seit seinem fünfzigsten
Geburtstag amtlich sein Name lautete, hatte an einem
Frühlingsnachmittag des Jahres 19.., das unserem Kontinent monatelang
eine so gefahrdrohende Miene zeigte, von seiner Wohnung in der
Prinz-Regentenstraße zu München aus, allein einen weiteren Spaziergang
unternommen. 
Satz 2: Überreizt von der schwierigen und gefährlichen, eben
jetzt eine höchste Behutsamkeit, Umsicht, Eindringlichkeit und
Genauigkeit des Willens erfordernden Arbeit der Vormittagsstunden,
hatte der Schriftsteller dem Fortschwingen des produzierenden
Triebwerks in seinem Innern, jenem »motus animi continuus«, worin
nach Cicero das Wesen der Beredsamkeit besteht, auch nach der
Mittagsmahlzeit nicht Einhalt zu tun vermocht und den entlastenden
Schlummer nicht gefunden, der ihm, bei zunehmender Abnutzbarkeit
seiner Kräfte, einmal untertags so nötig war. So hatte er bald nach
dem Tee das Freie gesucht, in der Hoffnung, daß Luft und Bewegung ihn
wieder herstellen und ihm zu einem ersprießlichen Abend verhelfen
würden.
...

Und endet mit drei kurzen Sätzen.


Satz 1: Minuten vergingen, bis man dem seitlich im Stuhle Hinabgesunkenen zur
Hilfe eilte. 
Satz 2: Man brachte ihn auf sein Zimmer. 
Satz 3: Und noch desselben Tages empfing eine respektvoll erschütterte Welt die Nachricht von seinem
Tode. 

Thomas Mann, Tod in Venedig, München, Hyperionverlag Hans von Weber 1912

Den vollständigen Text kann man hier finden:
http://www.gutenberg.org/files/12108/12108-8.txt


 Standbild aus der wunderbaren Verfilmung von 1971, Regie: Luchino Visconti mit Dirk Bogarde als Gustav von Aschenbach

Am 4. Juli 1920 schreibt Thomas Mann an Carl Maria Weber : „Leidenschaft als Verwirrung und Entwürdigung war eigentlich der Gegenstand meiner Fabel, – was ich ursprünglich erzählen wollte, war überhaupt nichts Homo-Erotisches, es war die – grotesk gesehene – Geschichte des Greises Goethe zu jenem kleinen Mädchen in Marienbad, das er mit Zustimmung der streberisch-kupplerischen Mama und gegen das Entsetzen seiner eigenen Familie partout heiraten wollte, diese Geschichte mit allen ihren schauerlich komischen, zu ehrfürchtigem Gelächter stimmenden Situationen...“  


Und so kann eine Alt-junge Liebe auch klingen:

 Michelangelo an Tommaso Cavalieri


Hätt ich geahnt, als ich zuerst Dich schaute
daß mich die warme Sonne Deiner Blicke
Verjüngen würde und mit dem Geschicke
Feuriger Glut im Alter noch betraute,
Ich wäre, wie der Hirsch, der Luchs, der Panther
Entflohen jeder schnöden Schicksalstücke
und wäre hingeeilt zu meinem Glücke,
Längst wären wir begegnet dann einander!
Doch warum gräm ich mich, wo ich nun finde
In Deinen Engelsaugen meinen Frieden,
All meine Ruhe und mein ganzes Heil?
Vielleicht wär damals mir dies Angebinde
noch nicht geworden, das mir nun beschieden,
Seit Deiner Tugend Fittich ward mein Teil

1532
Übersetzung von Rainer Maria Rilke


Tommaso Cavalieri

Interessanter Artikel zu "Tod in Venedig" aus der Zeitung Die Zeit:
http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/buecher/100-jahre-tod-in-venedig-pervers-was-fuer-ein-pfuscherisches-wort-11829625.html 


AKTUELL!
Die Schaubühne meldet:

»Der Tod in Venedig«

nach Thomas Mann
Regie: Thomas Ostermeier
Premiere in Rennes am 10. November 2012
Premiere in Berlin am 12. Januar 2013
Regie: Thomas Ostermeier 

Paul Cézanne - Äpfel und Orangen




YOU CANNOT COMPARE APPLES AND ORANGES?

Du kannst Äpfel nicht mit Orangen vergleichen?  
Im Deutschen sind es Äpfel und Birnen, die unvergleichbar seien sollen. 

"Wie macht er das nur? Er kann nicht zwei Farbtupfen auf eine Leinwand setzen, 
ohne dass es ausgezeichnet ist." Auguste Renoir über Paul Cézanne


Stilleben mit Äpfeln und Orangen
c. 1895—1900, Öl auf Leinwand, 74 x 93 cm
Musée d'Orsay, Paris



Montag, 5. November 2012

What the fuck!


WHAT THE FUCK!

Fuck ist ein herrliches Schimpfwort. Eine Verbalinjurie - ein Wort mit dem man verletzten kann, aber nur ein bisschen, keine bleibenden Wunden, nur ein  geplänkeltes Anstupsen.
Scheiße ist gut, Mist, Dreck, verdammt - alle gut verwendbar, aber fuck stellt sie alle in den redensartlichen Schatten. Fuck the fucking fucker. Fuck ist universell einsetzbar, das f liegt griffig zwischen oberer Zahnreihe und unterer Lippe und erzeugt einen wohltuenden Luftstrom, dann ein kurzes u, und das abschließende ck knallt im Gaumen und gibt der gefühlten Aggression einen klaren Endpunkt.
Fuckety fuck fuck, wenn man sich, zum Beispiel, beim Einschlagen eines Nagels zur Aufhängung eines wunderschönen Bildes mit dem Hammer auf den Daumen gehauen hat. Fuckety fuck fuck! Ein kleines Gedicht. Entladung. Wortvergnügen. Melodie und Rhythmus, Wortklang entspricht körperlichem Empfinden. Wie "schmatzen" oder "Matsch" oder "Quatsch". 

Ficken funktioniert so nicht. Es ist noch zu sehr mit der eigentlichen Bedeutung des Wortes verbandelt. Wohingegen fuck, fucking, fucker, fucked, wenn nicht ausdrücklich in sexuellem Zusammenhang verwendet, nur noch als Lautwerte funktionieren.
Eigentlich manifestiert fuck nur die Unfähigkeit, das rechte, treffende Wort zu finden zur genauen Festlegung der momentanen Gefühlslage, der gemeinten Verächtlichkeit, der beabsichtigten Beleidigung. Selbst eine Ungeheuerlichkeit wie Begatter deiner Mutter = motherfucker, Tabubrecher aller alt- und neuzeitlichen Moralverabredungen, verliert im heutigen englischen Sprachgebrauch von fuck an welterschüttender Provokation und wird zum Klang der simplen Ablehnung, manchmal sogar der Bewunderung. 

That motherfucker has guts - Der traut sich was!

Fuck off! - Verschwinde!

You are fucked! - Du hast keine Wahl!
He is fucking with me. - Er verarscht mich.
Don't fuck with my head. - Mach mich nicht wahnsinnig.
Motherfucking son of a bitch! - (wörtlich) Mutterfickender Sohn einer Hündin! - (eigentlich) Mistkerl!
This is fucking hard. - Das ist verdammt schwer.
Fuck you very much. - Na schönen Dank auch.
A Fuck up - Eine kleinere Katastrophe, ein mißlungenes Unternehmen
What the fuck? - Hä?
Shut the fuck up! - Halts Maul!
Holy fuck! - Verdammt!
Fuck it! - Laß es sein!
Wake the fuck up! - Wach endlich auf! - Begreif es endlich!
Fuck you all! - Zur Hölle mit euch!
Fuck him/her! - Vergiss ihn/sie!


I am fucked! - Ich bin am Ende!
 

Tenacious D "Fuck her gently"

https://www.youtube.com/watch?v=215pmeoUjcY

Fuck up the Fucking Fuck you Fucking Fuck of a Fuck Fucking Fucked Fucker!



 
I am so fucked!

Als Bonus: Fick die Waldfee! - Das kann doch nicht wahr sein!

Sonntag, 4. November 2012

Robert Mapplethorpes Muse


Ich will hier nicht von griechischen Göttinnen reden, sondern von einer ungewöhnlichen Frau. Patti Smith. Und auch das nur in ihrer Beziehung zu Robert Mapplethorpe.

Ich muß zugeben, dass ich mit ihr als Sängerin nur sehr wenig anfangen kann, aber als ich letztes Jahr ihr Buch "Just Kids" las (Bolgeintrag vom 7.9.2011), war ich verblüfft, wie nah ich mich ihr fühlte und wie sehr sie in der Lage war eine mittlerweile schon fast mythische Zeit, die Kunstszene New Yorks der Siebziger Jahre, unsentimental, unverklärt und doch liebevoll zu beschreiben.
Und heute bin ich über Photos, die Robert Mapplethorpe von ihr in dieser Zeit gemacht hat, gestolpert. 
Unzählige Photos, auf manchen sieht sie gräßlich aus, harsch, mager, struppig, auf anderen wie eine Knaben-Elfe, fast ätherisch, als würde nur das Photo selbst sie vor dem Verschwinden retten.  

Wiki sagt: Eine Muse ist eine Person, die einen anderen Menschen zu kreativen Leistungen inspiriert. - Sie haucht ihm also Leben oder Seele ein. Da mag etwas dran sein, wenige seiner Photographien haben solche ernsthafte Zärtlichkeit, solche Empathie ihrem "Objekt" gegenüber. Man spürt Respekt, man sieht Zuneigung.

Der 4.11.1946 war der Geburtstag von Robert Mapplethorpe.


















1975


1978








Samstag, 3. November 2012

November - Allerlei



Albrecht Dürer Weinender Cherubim


Dies Irae -
Tage des Zorns
 
Als ich das Dis Irae in der Sixtinischen Kapelle hörte:

Nein, Gott, nicht so! Lenzfrohes Knospenspringen,
Olivenhain, der Taube Silberbrust
Zeigt klarer deiner Liebe Sein und Macht
Als Flammenschreck und Donnerkeulenschwingen.

Die roten Reben dein Gedenken bringen;
Ein Vogel, der des Abends westwärts fliegt,
Sagt mir von Ihm, den niemals Rast gewiegt;
Von dir, ich weiß es, alle Vögel singen.

Nein, komm nicht so! Komm in des Herbsttags Stille,
Wenn rot und braun entflammt die Blätter sind
Und über Wäldern echot Schnittersang.

Komm, wenn des runden Mondes Glanz und Fülle
Auf goldne Ährenbündel nieder rinnt,
Und ernte deine Frucht: wir harrten lang.

Oscar Wilde


Sonnet On Hearing The Dies Irae Sung In The Sistine Chapel  

Nay, Lord, not thus! white lilies in the spring,
Sad olive-groves, or silver-breasted dove,
Teach me more clearly of Thy life and love
Than terrors of red flame and thundering.

The hillside vines dear memories of Thee bring:
A bird at evening flying to its nest
Tells me of One who had no place of rest:
I think it is of Thee the sparrows sing.

Come rather on some autumn afternoon,
When red and brown are burnished on the leaves,
And the fields echo to the gleaner's song,

Come when the splendid fulness of the moon
Looks down upon the rows of golden sheaves,
And reap Thy harvest: we have waited long.

Dies irae (lateinisch „Tag des Zorns“, häufig auch in der mittellateinischen Form Dies ire
ist der Anfang eines mittelalterlichen Hymnus vom Jüngsten Gericht, der bis 1970 in der römischen Liturgie als Sequenz der Totenmesse gesungen wurde.

...Welch ein Graus wird sein und Zagen,
Wenn der Richter kommt, mit Fragen 
Streng zu prüfen alle Klagen!... 


Die Herbstzeitlose


Herbstzeitlose - Giftpflanze des Jahres 2010
 
Der deutsche Herbst-Zeitlose leitet sich davon ab, dass die Pflanze im Herbst bis in den Oktober hinein und damit außerhalb der Blütezeit anderer Pflanzen blüht.
 Andere deutsche Trivialnamen für die Herbst-Zeitlose sind Giftkrokus, Butterwecken, Giftblume, Hahnenklöten, Henne, Hennegift, Herbstblume, Herbstlilie, Herbstvergessene, Hundsblume, Hundshode(n), Hundsknofel, Käsestäuber, Kokokköl, Kuckucksweck, Kühe, Kuhditzen, Kuheuter, Läuseblume, Leichenblume, Michelsblume, Michelwurz, Mönchskappen, Nacktarsch, Nackte Hur, Nackte Jungfer, Ochsen, Ochsenpinsel, Spindelblume, Spinnblume, Teufelsbrot, Teufelswurz, Wiesenlilie, Wiesensafran, Wildsafran, Wilde Zwiebel, Winterhaube, Winterhauch und Zeitlose. Schweizerdeutsch: Blutts Mäitli (Schweizerdeutsch für Nacktes Mädchen), Säulöichrut, Tüfelswurzle


Melpomene/Band 1/022


22. Bey dem Grabe zweier Kinder, die Gift gegessen hatten.


1. Als in der schönsten Blumenzeit
Zwei Kinder sich erquickten,
Und sich in unschuldvoller Freud
Die schönsten Blumen pflückten;
Da fanden sie im Wiesengrund
Der Herbstzeitlose Samen,
Wo sie, entzückt bei diesem Fund,
In höchster Wonne schwamen.

2. Sie öffneten den Samenkelch
Worin sie Körnchen fanden
Von blühend weisser Farb; und welch
Entzücken sie empfanden!
Das müßen Zuckerkörnchen seyn,
So sprachen sie, und nahmen,
Betrogen von dem falschen Schein,
Für Zucker diesen Samen.

3. Zum Unglück war kein Mensch dabei
Sie weislich zu belehren:
Daß dieser Samen giftig sey
Wie viele schöne Beeren;
Auch waren sie zum Schulbesuch
Zu jung, und nicht verpflichtet,
Sonst hätte sie sogleich ein Buch
Von Giften unterrichtet.

4. Sie assen nun mit Lüsternheit
Den giftgefüllten Samen,
Wovon sie schon in kurzer Zeit
Die größte Qual bekamen;
Sie eilten zu den Eltern heim,
Und klagten über Schmerzen,
Und trugen schon den Todeskeim
In ihren bangen Herzen.

5. Die Schmerzen nahmen überhand
Im aufgebäumten Magen,
Daß jedes wie ein Wurm sich wand,
In grenzenlosen Plagen.
Man rief sogleich den Arzt herbei:
Was doch den Kindern fehle,
Und was es für ein Übel sey,
Das sie so grausam quäle.

6. Der Arzt erschien, und sagte: daß
Sie Gift bekommen haben,
Gab ihnen ohne Unterlaß
Die allerbeßten Gaben;
Allein die Hülfe kam zu spat,
Dem Gift zu widerstehen,
Und ach! sie mußten ohne Gnad
Dem Tod ins Auge sehen.

7. Denn bald erschien des Todes Farb
Auf ihren Angesichtern,
Es brach ihr armes Herz, und starb
In Zuckungen und Gichtern.
Da lagen sie im Todesarm
Die starren Kinderleichen,
Und ihrer Eltern Gram und Harm
Ist keiner zu vergleichen.

8. Sie werfen auf die Leichen sich,
Befeuchten sie mit Thränen
Und ihr Geheul ist fürchterlich
Und lößt sich auf in Stöhnen;
Sie möchten bei der Kinder Tod
Auch sich zu Grabe stürtzen,
Und ach! ihr grosser Jammer droht
Ihr Leben abzukürtzen.

9. Und sicher wird es beim Gericht
Den Eltern beigemessen,
Wenn sie bei ihrem Unterricht
Die weise Lehr vergessen:
Die Kinder möchten ja doch nie
Was Unbekanntes essen,
Es sey ja öfter schon für sie
Der Tod darin gesessen.

10. Und o ihr Kinder! lasset euch
Durch diesen Fall belehren,
Und euch das Naschen doch sogleich
Von euren Eltern wehren,
Und esset ja doch nichts, als wenn
Die Eltern es erlauben,
Es könnte, wärs auch noch so schön,
Euch doch das Leben rauben.

11. Nun ruhet sanft im Erdenschoos,
Ihr unschuldvollen Kinder!
Denn glücklicher ist euer Loos
Als das verstockter Sünder.
Zwar hat des Todes Hand gepflückt
Euch schon in zarter Blüthe,
Hingegen ewig euch beglückt
Des Allerhöchsten Güte.

Michael von Jung
 

Freitag, 2. November 2012

Giotto - Heilige Comics



GIOTTO
1266 - 1337


Giotto di Bondone soll seinem Maler-Meister Cimabue eine Fliege auf eines seiner Bilder gemalt haben. Dieser versuchte wiederholt, das störende Insekt zu verscheuchen. 

Wir befinden uns im 13. Jahrhundert. Die Christen Europas bemühen sich in unablässigen Kreuzzügen, Jerusalem  den Heiden  zu entreissen, die mongolischen "Horden" erobern Asien und große Teile Europas, Marco Polo fährt nach China, das Nibelungenlied entsteht, in Italien wird die Brille erfunden. 
Die Renaissance  hat noch nicht begonnen. 
Derweil malt in Florenz  der Sohn eines Schmiedes, vom Florentiner Maler Cimabue "entdeckt" als er Schafe hütete und währenddessen zeichnete, seine kindlich-magischen Vorstellungen biblischer und anderer heiliger Ereignisse.

Einfacher geht es nicht.
 
Einer kümmert sich um das Kamel.

Wie wunderbar unterschiedlich die Engel trauern


Der heilige Franziskus von Assisi 1181 – 1226,
 Er starb also 40 Jahre vor Giottos Geburt. 


... Danach wurde er von Bruder Johannes von Muro, zu der Zeit General des Franziskaner-Ordens, nach Assisi berufen und malte in der oberen Kirche als Fresken 32 Geschichten des Lebens und der Taten des Heiligen Franziskus, die ihm großen Ruhm brachten.

... After this he was called to Assisi by Fra Giovanni di Muro, at that time general of the order of S. Francis, and painted in fresco in the upper church thirty-two stories from the life and deeds of S. Francis, which brought him great fame.
Vasari 


Der heilige Franziskus unterrichtet die Vögel.


Franziskus bietet seinen Mantel einem armen Ritter an.


 Ein Bürger von Assisi breitet seinen Mantel vor dem Hl. Franziskus aus.

1296-1298

Als nämlich Franziskus eines Tages einem gar einfältigen Mann aus Assisi auf der Straße begegnete, zog dieser wohl auf Eingebung Gottes seinen Mantel aus, breitete das Gewand vor Franziskus Füßen aus und verkündete, Franziskus verdiene alle Ehre, weil er schon bald große Dinge vollbringe und darum von allen Gläubigen hoch zu verehren sei.
 

Sonnengesang oder Lob der Schöpfung

des Heiligen Franziskus

Es beginnt das Lob der Schöpfung, das der selige Franziskus
zu Lob und Ehre Gottes dichtete, als er krank bei St. Damianus lag


Höchster, allmächtiger, guter Herr,
dein sind der Lobpreis, die Herrlichkeit und Ehre und jeglicher Segen.
Dir allein, Höchster, gebühren sie,
und kein Mensch ist würdig, dich zu nennen.

Gelobt seist du, mein Herr, mit allen deinen Geschöpfen,
zumal dem Herrn Bruder Sonne;
er ist der Tag, und du spendest uns das Licht durch ihn.
Und schön ist er und strahlend in großem Glanz,
dein Sinnbild, o Höchster.


Gelobt seist du, mein Herr, durch Schwester Mond und die Sterne;
am Himmel hast du sie gebildet, hell leuchtend und kostbar und schön.

Gelobt seist du, mein Herr, durch Bruder Wind und durch Luft
und Wolken und heiteren Himmel und jegliches Wetter, 

durch das du deinen Geschöpfen den Unterhalt gibst.

Gelobt seist du, mein Herr, durch Schwester Wasser,
gar nützlich ist es und demütig und kostbar und keusch.

Gelobt seist du, mein Herr, durch Bruder Feuer,
durch das du die Nacht erleuchtest;
und schön ist es und liebenswürdig und kraftvoll und stark.


Gelobt seist du, mein Herr, durch unsere Schwester, Mutter Erde,
die uns ernähret und trägt
und vielfältige Früchte hervorbringt und bunte Blumen und Kräuter.


Gelobt seist du, mein Herr, durch jene, die verzeihen um deiner Liebe willen
und Krankheit ertragen und Drangsal.
Selig jene, die solches ertragen in Frieden, 

denn von dir, Höchster, werden sie gekrönt werden.

Gelobt seist du, mein Herr, durch unsere Schwester, den leiblichen Tod;
ihm kann kein lebender Mensch entrinnen.
Wehe jenen, die in schwerer Sünde sterben.
Selig jene, die sich in deinem heiligsten Willen finden,
denn der zweite Tod wird ihnen kein Leid antun.


Lobt und preist meinen Herrn
und sagt ihm Dank und dient ihm mit großer Demut.



Das Massaker an den Unschuldigen (Herodes Kindermord)

http://www.casasantapia.com/art/giorgiovasari/lives/giotto.htm


Donnerstag, 1. November 2012

Skyfall, ein Kammerspiel




SKYFALL - Himmelssturz


Wie bist du vom Himmel gefallen / du schöner Morgenstern? Wie bist du zur Erden gefellet / der du die Heiden schwächtest?
Jesaja

Null Null Sieben

Bond, James Bond. 
Geschüttelt, nicht gerührt.

Regie: Sam Mendes -
Daniel Craig, Judy Dench, Albert Finney und Javier Bardem und ein altbekannter Überraschungsgast 


Sicher, sicher gibt es gigantische, haarsträubende, atemberaubende Actionszenen und die notwendigen Bondgirls, Martinis werden getrunken, und natürlich Heineken, es wird geballert, geknallt, geprügelt, gerannt, gerammt, gestürzt und geküßt, aber in seinem Kern ist dieser Bondfilm ein Kammerspiel. 


Ohne jeden Hochmut gegenüber dem eigenen Genre, nutzen die Macher BOND, um mit ihm verwegenen Spaß zu haben, indem sie mit den uns wohlbekannten Chiffren jonglieren, sich ironisch durch die Filmgeschichte zitieren und gleichzeitig den Kampf des alten Kerls, (Die Reihe ist jetzt 50!) ums Überleben in einer schnelleren,
veränderten und verwirrenden Welt durchspielen.


In den ersten 40 Minuten des Films wirkt Daniel Craig wie ein stark gealterter, ausgebrannter, wenn auch immer noch gutgebauter ehemaliger Soldat, und auch später spürt man immer wieder die Erschöpfung seines langen Superheldenlebens, eine intelligente Geschichte über das Altwerden und wie schwer es ist mit den eigenen ehemals gutbegründeten Entscheidungen zu leben. 

Gut ist da wo wir sind und böse ist dort, geht nicht mehr. Die Guten sind böse für eine mehr und mehr verschwimmende gute Sache. Die Bösen wären gerne gut und sind so böse, weil es ihnen verwehrt wird.
Und die Schauspielerei ist einfach großartig. Auch weil Mendes den Spielern Auftritte baut, ihnen Raum gibt, Überraschungen zuläßt und provoziert.
Craig gibt den weißen Clown, die Folie für die Kapriolen von Judy Dench und Javier Bardem. Im Englischen gibt es dafür den schönen Begriff: "straight man", der der die Vorlagen für die Witze der anderen liefert. Er spielt fast nichts, aber wie er das tut, ist toll. Judy Dench, winzig, zart und weißhaarig erlaubt sich entschuldigungslose Kälte und schießt ihre Texte scharf. Albert Finney ist schottischer als es die Polizei erlaubt. Und dann Javier Bardem - schwer zu beschreiben, er setzt Haltungsdreher, wo man sie nicht vermutet, er trägt wiederum eine der abartigsten Perücken, die ich je gesehen habe und schafft es dich in atemloser und doch amüsierter Spannung zu halten, wo die Figur als nächstes hinkippt.
Nach einem der hirnrissigsten Kämpfe des Films (Zitat: Jurassic Park) schlendert Bond aus dem Bild mit dem hingeworfenen Satz: " That's the circle of life." (Der Lion King läßt grüßen.)
Die letzte halbe Stunde fokussiert praktisch nur noch auf die vier zentralen Figuren, im Hintergrund brennt es, vorn wird seziert. Und hier schafft der Film etwas Erstaunliches, er erzählt die Geschichte der gefallenen Engel, ohne die bondeigene Ironie zu verlieren und in den befürchteten Kitsch abzudriften.

Und wie Javier Bardem sterben spielt, und ... Mehr sage ich nicht, um den Spaß am Gucken nicht zu verderben.




Ein glücklicher Kinoabend, ich habe bekommen, was ich erwartet habe, nur besser.


P.S. Ralph Fiennes spielte auch mit, der wird es sehr schwer haben!