Samstag, 3. November 2012

November - Allerlei



Albrecht Dürer Weinender Cherubim


Dies Irae -
Tage des Zorns
 
Als ich das Dis Irae in der Sixtinischen Kapelle hörte:

Nein, Gott, nicht so! Lenzfrohes Knospenspringen,
Olivenhain, der Taube Silberbrust
Zeigt klarer deiner Liebe Sein und Macht
Als Flammenschreck und Donnerkeulenschwingen.

Die roten Reben dein Gedenken bringen;
Ein Vogel, der des Abends westwärts fliegt,
Sagt mir von Ihm, den niemals Rast gewiegt;
Von dir, ich weiß es, alle Vögel singen.

Nein, komm nicht so! Komm in des Herbsttags Stille,
Wenn rot und braun entflammt die Blätter sind
Und über Wäldern echot Schnittersang.

Komm, wenn des runden Mondes Glanz und Fülle
Auf goldne Ährenbündel nieder rinnt,
Und ernte deine Frucht: wir harrten lang.

Oscar Wilde


Sonnet On Hearing The Dies Irae Sung In The Sistine Chapel  

Nay, Lord, not thus! white lilies in the spring,
Sad olive-groves, or silver-breasted dove,
Teach me more clearly of Thy life and love
Than terrors of red flame and thundering.

The hillside vines dear memories of Thee bring:
A bird at evening flying to its nest
Tells me of One who had no place of rest:
I think it is of Thee the sparrows sing.

Come rather on some autumn afternoon,
When red and brown are burnished on the leaves,
And the fields echo to the gleaner's song,

Come when the splendid fulness of the moon
Looks down upon the rows of golden sheaves,
And reap Thy harvest: we have waited long.

Dies irae (lateinisch „Tag des Zorns“, häufig auch in der mittellateinischen Form Dies ire
ist der Anfang eines mittelalterlichen Hymnus vom Jüngsten Gericht, der bis 1970 in der römischen Liturgie als Sequenz der Totenmesse gesungen wurde.

...Welch ein Graus wird sein und Zagen,
Wenn der Richter kommt, mit Fragen 
Streng zu prüfen alle Klagen!... 


Die Herbstzeitlose


Herbstzeitlose - Giftpflanze des Jahres 2010
 
Der deutsche Herbst-Zeitlose leitet sich davon ab, dass die Pflanze im Herbst bis in den Oktober hinein und damit außerhalb der Blütezeit anderer Pflanzen blüht.
 Andere deutsche Trivialnamen für die Herbst-Zeitlose sind Giftkrokus, Butterwecken, Giftblume, Hahnenklöten, Henne, Hennegift, Herbstblume, Herbstlilie, Herbstvergessene, Hundsblume, Hundshode(n), Hundsknofel, Käsestäuber, Kokokköl, Kuckucksweck, Kühe, Kuhditzen, Kuheuter, Läuseblume, Leichenblume, Michelsblume, Michelwurz, Mönchskappen, Nacktarsch, Nackte Hur, Nackte Jungfer, Ochsen, Ochsenpinsel, Spindelblume, Spinnblume, Teufelsbrot, Teufelswurz, Wiesenlilie, Wiesensafran, Wildsafran, Wilde Zwiebel, Winterhaube, Winterhauch und Zeitlose. Schweizerdeutsch: Blutts Mäitli (Schweizerdeutsch für Nacktes Mädchen), Säulöichrut, Tüfelswurzle


Melpomene/Band 1/022


22. Bey dem Grabe zweier Kinder, die Gift gegessen hatten.


1. Als in der schönsten Blumenzeit
Zwei Kinder sich erquickten,
Und sich in unschuldvoller Freud
Die schönsten Blumen pflückten;
Da fanden sie im Wiesengrund
Der Herbstzeitlose Samen,
Wo sie, entzückt bei diesem Fund,
In höchster Wonne schwamen.

2. Sie öffneten den Samenkelch
Worin sie Körnchen fanden
Von blühend weisser Farb; und welch
Entzücken sie empfanden!
Das müßen Zuckerkörnchen seyn,
So sprachen sie, und nahmen,
Betrogen von dem falschen Schein,
Für Zucker diesen Samen.

3. Zum Unglück war kein Mensch dabei
Sie weislich zu belehren:
Daß dieser Samen giftig sey
Wie viele schöne Beeren;
Auch waren sie zum Schulbesuch
Zu jung, und nicht verpflichtet,
Sonst hätte sie sogleich ein Buch
Von Giften unterrichtet.

4. Sie assen nun mit Lüsternheit
Den giftgefüllten Samen,
Wovon sie schon in kurzer Zeit
Die größte Qual bekamen;
Sie eilten zu den Eltern heim,
Und klagten über Schmerzen,
Und trugen schon den Todeskeim
In ihren bangen Herzen.

5. Die Schmerzen nahmen überhand
Im aufgebäumten Magen,
Daß jedes wie ein Wurm sich wand,
In grenzenlosen Plagen.
Man rief sogleich den Arzt herbei:
Was doch den Kindern fehle,
Und was es für ein Übel sey,
Das sie so grausam quäle.

6. Der Arzt erschien, und sagte: daß
Sie Gift bekommen haben,
Gab ihnen ohne Unterlaß
Die allerbeßten Gaben;
Allein die Hülfe kam zu spat,
Dem Gift zu widerstehen,
Und ach! sie mußten ohne Gnad
Dem Tod ins Auge sehen.

7. Denn bald erschien des Todes Farb
Auf ihren Angesichtern,
Es brach ihr armes Herz, und starb
In Zuckungen und Gichtern.
Da lagen sie im Todesarm
Die starren Kinderleichen,
Und ihrer Eltern Gram und Harm
Ist keiner zu vergleichen.

8. Sie werfen auf die Leichen sich,
Befeuchten sie mit Thränen
Und ihr Geheul ist fürchterlich
Und lößt sich auf in Stöhnen;
Sie möchten bei der Kinder Tod
Auch sich zu Grabe stürtzen,
Und ach! ihr grosser Jammer droht
Ihr Leben abzukürtzen.

9. Und sicher wird es beim Gericht
Den Eltern beigemessen,
Wenn sie bei ihrem Unterricht
Die weise Lehr vergessen:
Die Kinder möchten ja doch nie
Was Unbekanntes essen,
Es sey ja öfter schon für sie
Der Tod darin gesessen.

10. Und o ihr Kinder! lasset euch
Durch diesen Fall belehren,
Und euch das Naschen doch sogleich
Von euren Eltern wehren,
Und esset ja doch nichts, als wenn
Die Eltern es erlauben,
Es könnte, wärs auch noch so schön,
Euch doch das Leben rauben.

11. Nun ruhet sanft im Erdenschoos,
Ihr unschuldvollen Kinder!
Denn glücklicher ist euer Loos
Als das verstockter Sünder.
Zwar hat des Todes Hand gepflückt
Euch schon in zarter Blüthe,
Hingegen ewig euch beglückt
Des Allerhöchsten Güte.

Michael von Jung
 

Freitag, 2. November 2012

Giotto - Heilige Comics



GIOTTO
1266 - 1337


Giotto di Bondone soll seinem Maler-Meister Cimabue eine Fliege auf eines seiner Bilder gemalt haben. Dieser versuchte wiederholt, das störende Insekt zu verscheuchen. 

Wir befinden uns im 13. Jahrhundert. Die Christen Europas bemühen sich in unablässigen Kreuzzügen, Jerusalem  den Heiden  zu entreissen, die mongolischen "Horden" erobern Asien und große Teile Europas, Marco Polo fährt nach China, das Nibelungenlied entsteht, in Italien wird die Brille erfunden. 
Die Renaissance  hat noch nicht begonnen. 
Derweil malt in Florenz  der Sohn eines Schmiedes, vom Florentiner Maler Cimabue "entdeckt" als er Schafe hütete und währenddessen zeichnete, seine kindlich-magischen Vorstellungen biblischer und anderer heiliger Ereignisse.

Einfacher geht es nicht.
 
Einer kümmert sich um das Kamel.

Wie wunderbar unterschiedlich die Engel trauern


Der heilige Franziskus von Assisi 1181 – 1226,
 Er starb also 40 Jahre vor Giottos Geburt. 


... Danach wurde er von Bruder Johannes von Muro, zu der Zeit General des Franziskaner-Ordens, nach Assisi berufen und malte in der oberen Kirche als Fresken 32 Geschichten des Lebens und der Taten des Heiligen Franziskus, die ihm großen Ruhm brachten.

... After this he was called to Assisi by Fra Giovanni di Muro, at that time general of the order of S. Francis, and painted in fresco in the upper church thirty-two stories from the life and deeds of S. Francis, which brought him great fame.
Vasari 


Der heilige Franziskus unterrichtet die Vögel.


Franziskus bietet seinen Mantel einem armen Ritter an.


 Ein Bürger von Assisi breitet seinen Mantel vor dem Hl. Franziskus aus.

1296-1298

Als nämlich Franziskus eines Tages einem gar einfältigen Mann aus Assisi auf der Straße begegnete, zog dieser wohl auf Eingebung Gottes seinen Mantel aus, breitete das Gewand vor Franziskus Füßen aus und verkündete, Franziskus verdiene alle Ehre, weil er schon bald große Dinge vollbringe und darum von allen Gläubigen hoch zu verehren sei.
 

Sonnengesang oder Lob der Schöpfung

des Heiligen Franziskus

Es beginnt das Lob der Schöpfung, das der selige Franziskus
zu Lob und Ehre Gottes dichtete, als er krank bei St. Damianus lag


Höchster, allmächtiger, guter Herr,
dein sind der Lobpreis, die Herrlichkeit und Ehre und jeglicher Segen.
Dir allein, Höchster, gebühren sie,
und kein Mensch ist würdig, dich zu nennen.

Gelobt seist du, mein Herr, mit allen deinen Geschöpfen,
zumal dem Herrn Bruder Sonne;
er ist der Tag, und du spendest uns das Licht durch ihn.
Und schön ist er und strahlend in großem Glanz,
dein Sinnbild, o Höchster.


Gelobt seist du, mein Herr, durch Schwester Mond und die Sterne;
am Himmel hast du sie gebildet, hell leuchtend und kostbar und schön.

Gelobt seist du, mein Herr, durch Bruder Wind und durch Luft
und Wolken und heiteren Himmel und jegliches Wetter, 

durch das du deinen Geschöpfen den Unterhalt gibst.

Gelobt seist du, mein Herr, durch Schwester Wasser,
gar nützlich ist es und demütig und kostbar und keusch.

Gelobt seist du, mein Herr, durch Bruder Feuer,
durch das du die Nacht erleuchtest;
und schön ist es und liebenswürdig und kraftvoll und stark.


Gelobt seist du, mein Herr, durch unsere Schwester, Mutter Erde,
die uns ernähret und trägt
und vielfältige Früchte hervorbringt und bunte Blumen und Kräuter.


Gelobt seist du, mein Herr, durch jene, die verzeihen um deiner Liebe willen
und Krankheit ertragen und Drangsal.
Selig jene, die solches ertragen in Frieden, 

denn von dir, Höchster, werden sie gekrönt werden.

Gelobt seist du, mein Herr, durch unsere Schwester, den leiblichen Tod;
ihm kann kein lebender Mensch entrinnen.
Wehe jenen, die in schwerer Sünde sterben.
Selig jene, die sich in deinem heiligsten Willen finden,
denn der zweite Tod wird ihnen kein Leid antun.


Lobt und preist meinen Herrn
und sagt ihm Dank und dient ihm mit großer Demut.



Das Massaker an den Unschuldigen (Herodes Kindermord)

http://www.casasantapia.com/art/giorgiovasari/lives/giotto.htm


Donnerstag, 1. November 2012

Skyfall, ein Kammerspiel




SKYFALL - Himmelssturz


Wie bist du vom Himmel gefallen / du schöner Morgenstern? Wie bist du zur Erden gefellet / der du die Heiden schwächtest?
Jesaja

Null Null Sieben

Bond, James Bond. 
Geschüttelt, nicht gerührt.

Regie: Sam Mendes -
Daniel Craig, Judy Dench, Albert Finney und Javier Bardem und ein altbekannter Überraschungsgast 


Sicher, sicher gibt es gigantische, haarsträubende, atemberaubende Actionszenen und die notwendigen Bondgirls, Martinis werden getrunken, und natürlich Heineken, es wird geballert, geknallt, geprügelt, gerannt, gerammt, gestürzt und geküßt, aber in seinem Kern ist dieser Bondfilm ein Kammerspiel. 


Ohne jeden Hochmut gegenüber dem eigenen Genre, nutzen die Macher BOND, um mit ihm verwegenen Spaß zu haben, indem sie mit den uns wohlbekannten Chiffren jonglieren, sich ironisch durch die Filmgeschichte zitieren und gleichzeitig den Kampf des alten Kerls, (Die Reihe ist jetzt 50!) ums Überleben in einer schnelleren,
veränderten und verwirrenden Welt durchspielen.


In den ersten 40 Minuten des Films wirkt Daniel Craig wie ein stark gealterter, ausgebrannter, wenn auch immer noch gutgebauter ehemaliger Soldat, und auch später spürt man immer wieder die Erschöpfung seines langen Superheldenlebens, eine intelligente Geschichte über das Altwerden und wie schwer es ist mit den eigenen ehemals gutbegründeten Entscheidungen zu leben. 

Gut ist da wo wir sind und böse ist dort, geht nicht mehr. Die Guten sind böse für eine mehr und mehr verschwimmende gute Sache. Die Bösen wären gerne gut und sind so böse, weil es ihnen verwehrt wird.
Und die Schauspielerei ist einfach großartig. Auch weil Mendes den Spielern Auftritte baut, ihnen Raum gibt, Überraschungen zuläßt und provoziert.
Craig gibt den weißen Clown, die Folie für die Kapriolen von Judy Dench und Javier Bardem. Im Englischen gibt es dafür den schönen Begriff: "straight man", der der die Vorlagen für die Witze der anderen liefert. Er spielt fast nichts, aber wie er das tut, ist toll. Judy Dench, winzig, zart und weißhaarig erlaubt sich entschuldigungslose Kälte und schießt ihre Texte scharf. Albert Finney ist schottischer als es die Polizei erlaubt. Und dann Javier Bardem - schwer zu beschreiben, er setzt Haltungsdreher, wo man sie nicht vermutet, er trägt wiederum eine der abartigsten Perücken, die ich je gesehen habe und schafft es dich in atemloser und doch amüsierter Spannung zu halten, wo die Figur als nächstes hinkippt.
Nach einem der hirnrissigsten Kämpfe des Films (Zitat: Jurassic Park) schlendert Bond aus dem Bild mit dem hingeworfenen Satz: " That's the circle of life." (Der Lion King läßt grüßen.)
Die letzte halbe Stunde fokussiert praktisch nur noch auf die vier zentralen Figuren, im Hintergrund brennt es, vorn wird seziert. Und hier schafft der Film etwas Erstaunliches, er erzählt die Geschichte der gefallenen Engel, ohne die bondeigene Ironie zu verlieren und in den befürchteten Kitsch abzudriften.

Und wie Javier Bardem sterben spielt, und ... Mehr sage ich nicht, um den Spaß am Gucken nicht zu verderben.




Ein glücklicher Kinoabend, ich habe bekommen, was ich erwartet habe, nur besser.


P.S. Ralph Fiennes spielte auch mit, der wird es sehr schwer haben!

 

Mittwoch, 31. Oktober 2012

Drehpause


Oh, wie Shakespeare das Kino geliebt hätte!"
“Oh how Shakespeare would have loved cinema!”
Derek Jarman

Je perfekter ich verführt, betrogen, übertölpelt werde, desto besser.
Mein mißtrauisches Sezieren, das ich den meisten Theaterabenden angedeihen lasse, läßt sich im Kino nur ganz selten blicken.
Ich liebe Filme. Unterhaltet mich! Nehmt mich auf eine Reise irgendwohin, wo ich noch nicht war! 
Ich weine auch öfter im Kino als im Theater.


 Jaws - Der Weisse Hai

 Planet der Affen

Der Pate - James Caan, oder Sonny Corleone wird gleich erschossen, die Fäden führen zu den explodierenden Blutkapseln.

Herr der Ringe - Peter Jackson und mein Idol, Sir Ian McKellen alias Gandalf.

https://www.youtube.com/watch?v=6ZOrUgt4nys 

Titanic - nass.

Übernommen von vintage everyday
 
Das Schweigen der Lämmer


Alien - ein müdes Monster


2001


Frankenstein 

Montag, 29. Oktober 2012

Der Tod und das Mädchen



DER TOD UND DAS MÄDCHEN


Für immer! Nimmer! Pierre-Eugène-Emile Hébert 1828–1893


Von des Teuffels vergifften Zung,
Hat der Tod sein Ursprung,
Herrschet über die Menschen gantz:
Wir müssen all an seinen Tantz.

Eva ist vast schuldig dran,
Sie gab den Tod auch ihrem Mann,
Deß müssen wir groß leyden Noht,
Dann daher kommt der bitter Tod.

Der Todten-Tantz, wie derselbe in der weitberühmten Stadt Basel, als ein Spiegel Menschlicher Beschaffenheit, gantz künstlich mit lebendigen Farben gemahlet, nicht ohne nutzliche Verwunderung zu sehen ist. 1786

Matthias Claudius lassen wir diesmal aus, den hatten wir schon. Aber Schiele muß sein.


Egon Schiele Der Tod und das Mädchen 1915
Wer hält da wen?

Das Mädchen und der Tod

Dies flüssig grüne Gold heißt Gift und tötet.
Wie gut es riecht: wie wenn der wilde Wind
In den Akazienbäumen irr sich fängt,
Dann geht man still im Mond auf weichen Blüten ...
Vielleicht ist Totsein solch ein lautlos Wandern
Durch fremde leere Länder ohne Schlaf,
Auf stillen Brücken über grüne Wasser
Durch lange schwarze, schweigende Alleen,
Durch Gärten, die verwildern ...
Und endlich komm ich an das Haus des Todes:
Im großen Saale ist ein großer Tisch
Aus grünem Malachit; den tragen Greifen.
Da sitzt der Tod zu Tisch und läd mich ein
Und Pagen viel mit feinen schmalen Händen
Und Schuh'n aus schwarzem Samt, die lautlos gleiten.
Die tragen wunderbare Schüsseln auf:
Ja, ganze Pfauen, Fische silberschuppig
Mit Purpurflossen, in den feinen Zähnchen
(Die sind vergoldet) stecken Lorbeerreiser
Und Trauben mit goldrotem Rost und offen
Granatäpfel, die auf weichen Kissen
Von frischen Veilchen leuchten, und der Tod
Hat einen Mantel an aus weißem Samt
Und setzt mich neben sich
Und ist sehr höflich ...

Hugo von Hofmannsthal: Gesammelte Werke in zehn Einzelbänden. Band 1: Gedichte, Dramen, Frankfurt a.M. 1979, S. 161-162.

Hans Baldburg Grien Der Tod und das Mädchen 1517

Mädchen-Klage

Diese Neigung, in den Jahren,
da wir alle Kinder waren,
viel allein zu sein, war mild;
andern ging die Zeit im Streite,
und man hatte seine Seite,
seine Nähe, seine Weite,
einen Weg, ein Tier, ein Bild.

Und ich dachte noch, das Leben
hörte niemals auf zu geben,
daß man sich in sich besinnt.
Bin ich in mir nicht im Größten?
Will mich Meines nicht mehr trösten
und verstehen wie als Kind?

Plötzlich bin ich wie verstoßen,
und zu einem Übergroßen
wird mir diese Einsamkeit,
wenn, auf meiner Brüste Hügeln
stehend, mein Gefühl nach Flügeln
oder einem Ende schreit.

Rainer Maria Rilke Neue Gedichte 1907


Hier doch noch der Claudius, vertont von Schubert, gesungen von Jessye Norman

Sonntag, 28. Oktober 2012

Bald bin ich alt, aber jetzt noch nicht.



Ich werde nie ein alter Mann sein. Alt zu sein, heißt für mich immer 15 Jahre älter zu sein, als ich es bin."

“I will never be an old man. To me, old age is always 15 years older than I am.”
Bernard Baruch 

Gilt für mich, Frau, ebenso. 


Als ich 8 war, dachte ich, dass 14-jährige eine ganz andere Art Menschen wären. Wissend, unnahbar, gemein. Wirklich alte Leute, wie etwa meine Eltern und andere an meiner Erziehung Beteiligte, waren die, die tollen Sachen machten, wenn ich ins Bett mußte. Nächte gefüllt mit aufregenden, beneidenswerten, dekadenten Vergnügungen, die ich, bis aufs Fernsehgucken, zwar nur ungenau definieren konnte, um die ich sie aber glühend beneidete. 
Nur meine Großmutter war eine Ausnahme. Allwissend, alles verstehend, jung und geheimnisvoll uralt.

Mit 16 fand ich jeden über 20, außer dem Mann in den ich verliebt war, blöd und bedauernswert. Ich wußte ja schon alles, und das meiste auch besser. Nur, dass es diese alten Leute es halt schon wieder vergessen oder nie gewußt hatten. Unbegreiflich, warum die alle nicht begriffen, was doch so sonnenklar war. Wenn man uns nur gelassen hätte, die Welt wäre eine ganz andere, bessere gewesen.

Bis 20 war ich unsterblich. 

Dann starb der erste Gleichaltrige.

Danach war ich viele Jahre ausschließlich mit mir und anderen ungefähr Gleichaltrigen beschäftigt. Der dreissigste Geburtstag war schön, aber nicht welterschütternd, trotz der warnenden Unkenrufe meiner Umgebung. 
40 ebenso - dachte ich, dann krachte es. Man hat es gekracht.

50 und folgende ist ganz in Ordnung bisher. Keine größeren Gesundheitskrisen, weniger Schlaf ist nötig, die Fähigkeit zum Spaß haben, ist noch ungemindert. Aber dieses Altern beschäftigt mich. 

Als ich jung war, war Jugend noch keine Zielgruppe. Man war halt jung. Jetzt, heute, spüre ich eine absichtsvoll künstlich erzeugte, strenge Teilung der Gesellschaft, zumindest in unserem europäisch/nordamerikanisch Luxusteil der Welt. Marketing, Werbung und Interessengruppen der Politik/Wirtschaft behaupten Unverträglichkeit beider Seiten miteinander, als würde an einem magischen Punkt der Lebenszeit eine Grenze verlaufen, die uns in zwei Lager teilt. Über den Grenzzaun schauen wir uns feindselig in die jungen/alten Augen. Die Familie, ob verwandschaftlich oder durch glücklichen Zufall zusamengesammelt, war einst melting pot (Schmelztiegel) der Generationen, sie gibt es fast nur noch in Bruchstücken. Ein neues Interesse aneinander haben wir noch nicht entwickelt. "Ihr stehlt uns das Geld für unsere Renten" - "Wir haben ein Leben lang für eure Zukunft gearbeitet."

Meine Mutter ist heute 82 Jahre alt geworden. Eine Freundin wird demnächst 90. Und überraschenderweise, denken diese Alten merkwürdige, freche Gedanken, sie machen böse, wahre Witze, sie wissen Dinge. Nicht weil sie alt, weise und ach so erfahren sind, sondern weil sie in der Welt leben, sie erleben, ertragen, über sie nachdenken. Sie lieben, sie trauern, sie benehmen sich schlecht und gut, sie haben Hoffnungen. Sie hatten mehr Zeit. Sie werden weniger Zeit haben.

Happy birthday!
 

Freitag, 26. Oktober 2012

Äpfel - Die Fortsetzung



Sollten Sie vorhaben, einen Apfelkuchen von Grund auf selber zu machen, müssen Sie erst das Universum erfinden.

Carl Sagan


"Der Baum des Lebens" Hannah Cohoon. 
"City of Peace Monday July 3rd 1854" from The Andrews Collection at Hancock Shaker Village

Du kannst zehnmal tausend Früchte greifen,
in der Hand liebkosen,
sanft pflücken,
und darfst sie nicht fallenlassen...

Robert Frost: Nach dem Apfelpflücken

Juan de Zurbarán Stilleben mit Äpfeln und Orangenblüte ca. 1840

  APFELBEIGNETS WIE MEINE MUTTER SIE MACHT
  
  Sobald ihr davon esst, gehen euch die Augen auf; ihr werdet wie Gott und
  erkennt Gut und Böse. (Genesis)

  2-3      Äpfel
  schälen, entkernen,
  in Scheiben schneiden
  
  Backteig:
  1        Tasse Milch
  1      Tassen Mehl
  2        Eier
  1 TL    Zucker
  1 TL    Rum
            Prise Salz

  rühren, bis er glatt ist,
  die Apfelscheiben eintauchen und
  in heißes, schwimmendes Fett geben,
  servieren mit der Sabayon Sauce

  Sabayon Sauce (Zabaglione)

  4         Eigelb
  ¾        Tasse Zucker
  ¾        Tasse Apfelschnaps und Apfelsaft mischen

  in einem Topf über heißem Wasser
  schlagen, bis es dick wird
  vom Herd nehmen,
  weiterschlagen, bis es abgekühlt ist.

  Man kann anstatt der Sauce auch nur Zimt und Zucker über die Beignets
  streuen.
  Die Sauce wiederum ist auch wunderbar für andere Süßspeisen geeignet.
  Einfach die Alkoholsorte wechseln.


Andy Warhols Kinderbuch


Donnerstag, 25. Oktober 2012

Äpfel


  ÄPFEL

Heute abend eine kleine Ausstellung in der Linienstrasse : Zimmerherbst.
Herbst im Zimmer, Blätter, Äpfel, solch ein Duft! Dinge zum Anfassen, zum Riechen, Schauen! Schön.
Äpfel riechen süß und warm, finde ich. 
Eine Berliner Altbauwohnung, auch die durchgetretenen Dielen waren mal Teil eines Baumes. Draussen der erste wirklich kühle Abend - feuchtig, windig - naßkalt. Eine Freundin sagte, die Blätter klatschen von den Bäumen. 
Vor Jahren hätte ich heute den Ofen geheizt und, vielleicht Bratapfel gemacht. Das war auch so ein Duft. 
Und macht noch jemand selbst Apfelmus für Apfelreis? Solches, wo noch Stücke drin sind, drüber kommt Zucker und Zimt und viel gebräunte Butter.

     MILCHREIS
     
     300 g Milchreis
     1–1,5 l Vollmilch
     wenig Zitronenabrieb
     2 Pck Vanillezucker oder eine Vanillestange
     3 EL Zucker
     1 EL Butter
     1 Prise Salz

Am besten sind Boskopäpfel fürs Mus! Oder wie meine Deutschlehrerin sagte: Boskoäpfel, mit stummem p. Sie nannte Geschirr auch gerne Servi, mit langem i und stummem s.


DER ÜBER UNS

Hans Steffen stieg bei Dämmerung (und kaum
konnt er vor Näschigkeit die Dämmerung erwarten)
in seines Edelmannes Garten
und plünderte den besten Apfelbaum.

Johann und Hanne konnten kaum
vor Liebesglut die Dämmerung erwarten
und schlichen sich in ebendiesen Garten
von ungefähr an ebendiesen Apfelbaum.
Hans Steffen, der im Winkel oben saß
und fleißig brach und aß,
ward mäuschenstill vor Wartung böser Dinge,
daß seine Näscherei ihm diesmal schlecht gelinge.

Doch bald vernahm er unten Dinge,
worüber er der Furcht vergaß
und immer sachter weiteraß.
Johann warf Hannen in das Gras.
"O pfui!" rief Hanne, "welcher Spaß!
Nicht doch, Johann! - Ei was?
O schäme dich! - Ein andermal - o laß -
O schäme dich! Hier ist es naß."

Naß oder nicht; was schadet das?
Es ist ja reines Gras.
Wie dies Gespräche weiterlief,
das weiß ich nicht. Wer braucht's zu wissen?

Sie stunden wieder auf, und Hanne seufzte tief:
"So, schöner Herr, heißt das bloß küssen?
Das Männerherz! Kein einzger hat Gewissen.
Sie könnten es uns so versüßen.
Wie grausam aber müssen
wir armen Mädchen öfters dafür büßen!
Wenn nun auch mir ein Unglück widerfährt! -
Ein Kind - ich zittre. - Wer ernährt
mir denn das Kind? Kannst Du es mir ernähren?"
"Ich?, sprach Johann, "die Zeit mag's lehren.
Doch wird's auch nicht von mir ernährt:
Der über uns wird schon ernähren;
dem über uns vertrau."

'Dem über uns.' Dies hörte Steffen.
'Was', dachte er, 'will das Pack mich äffen?
Der über Ihnen? Ei, wie schlau!'
"Nein, schrie er, "laßt euch andere Hoffnung laben!
Der über euch ist nicht so toll.
Wenn ich ein Bankbein nähren soll,
so will ich es auch selbst gedrechselt haben."

Wer hier erschrak und aus dem Garten rann,
das waren Hanne und Johann.
Doch gaben bei dem Edelmann
sie auch den Apfeldieb wohl an?
Ich glaube nicht, daß sie's getan. 


Gotthold Ephraim Lessing


...Darauf ging sie in eine ganz verborgene einsame Kammer, wo niemand hinkam, und   machte da einen giftigen giftigen Apfel. Äußerlich sah er schön aus, weiß mit roten Backen, dass jeder, der ihn erblickte, Lust danach bekam, aber wer ein Stückchen davon aß, der musste sterben. Als der Apfel fertig war, färbte sie sich das Gesicht und verkleidete sich in eine Bauersfrau, und so ging sie über die sieben Berge zu den sieben Zwergen.
Sie klopfte an, Schneewittchen streckte den Kopf zum Fenster heraus und sprach "ich darf keinen Menschen einlassen, die sieben Zwerge haben mirs verboten." "Mir auch recht", antwortete die Bäuerin, "meine Äpfel will ich schon los werden. Da, einen will ich dir schenken." "Nein", sprach Schneewittchen, "ich darf nichts annehmen." "Fürchtest du dich vor Gift?" sprach die Alte. Siehst du, da schneide ich den Apfel in zwei Teile; den roten iss du, den weißen will ich essen." Der Apfel war aber so künstlich gemacht, dass der rote Backen allein vergiftet war. Schneewittchen lusterte den schönen Apfel an, und als es sah, dass die Bäuerin davon aß, so konnte es nicht länger widerstehen, streckte die Hand hinaus und nahm die giftige Hälfte. Kaum aber hatte es einen Bissen davon im Mund, so fiel es tot zur Erde nieder...

"SCHNEEWITTCHEN" * Märchen der Gebrüder Grimm

* Wiki sagt:
In der ersten Ausgabe von 1812 erwacht Schneewittchen, als ihr ein Diener des Prinzen einen Schlag in den Rücken versetzt, aus Ärger, dass er das tote Mädchen den ganzen Tag herumtragen muss.

Das gefällt mir.


Mittwoch, 24. Oktober 2012

Le Corbusier


Le Corbusier 
Sessel LC2
1929 


Le Corbusier eigentlich Charles-Édouard Jeanneret-Gris, 
geboren am 6. Oktober 1887 in La Chaux-de-Fonds in der Schweiz. 
Architekt, Möbelgestalter, Karrierist, Nazisympathisant. 

"Wenn es ihm mit seinen Ankündigungen ernst ist, kann Hitler sein Leben mit einem grossartigen Werk krönen: der Neugestaltung Europas..." Le Corbusier

Der Sessel ist wunderbar, ich besitze ihn in grün.


10 Franken-Schein mit dem Bild Le Corbusiers