Freitag, 8. April 2011

Die Darsteller-Industrie (von Heike-Melba Fendel)

 Hochinteressanter Artikel, den Pierre Snoussi-Bliss auf facebook gepostet hat, erschienen im Tagesspiegel:

Mehr Roter Teppich als exzellenter Film. Aus Sicht einer Künstleragentur: Wie das Fernsehen die Schauspielkunst abgeschafft hat

Eine junge Frau tanzt zu Klängen, die nur sie selbst hört, auf einer Lichtung. Sonnenstrahlen brechen durch das Laub der Bäume, beflittern die Selbstvergessene mit gleißenden Lichtbröckchen. Aus gebotenem Abstand schaut ihr ein junger Mann mit fassungsloser Begeisterung zu. Eine Szene, vollkommen schön. Vollendet rätselhaft.


Die junge Frau ist Helga Anders, sie ist lange schon tot. Der junge Mann ist Fritz Wepper und schon lange nicht mehr jung. Aber immer noch ein großer Schauspieler. Wenn man ihn denn ließe, wie Zbynek Brynych es tat, 1969 in einer Folge von „Der Kommissar“ aus der diese Entrücktheit stammt. 28 Jahre später will das deutsche Fernsehen nicht entrücken, sondern auf die Pelle des zappenden Zuschauermonsters kriechen und sich dort festkeilen. Mit Krallen, die sich an der Evidenz schärfen: „What you see is what you get“ lautet das Gebot der Fernsehstunde. Jedes Bild zielt auf Eindeutigkeit, jede Darstellung hat sich dem unterzuordnen. Ob man mit Brynych, mit Bob Fosse oder mit Bernhard Wicki gedreht hat, wie dieser des Staunenmachens eigentlich immer noch mächtige Mime Wepper, ist Wurst. Gehärtet im Stahlbad der Quote liefert er nurmehr Stückwerk seines Potenzials.


Im Theater sowieso und, die längste Zeit, auch im deutschen Fernsehen, war der Schauspieler jemand, der manches, ja vieles konnte, das seinen Zuschauern abging. Er konnte jemand werden, der er nicht ist, er konnte dieses Konstrukt Rolle oder Figur beschwören, beseelen, in den Dienst stellen. In den Dienst einer Sehnsucht – vielleicht nur seines Regisseurs – vielleicht aber auch die seiner Zuschauer, die ihm glaubten, die ihm folgten, in eine Figur, eine Geschichte, einen Zusammenhang. Immer aber markierte er mit seiner Kunst einen Abstand zu den Verführten, zu den vielleicht sogar Übertölpelten, die ihm eine Fernsehfilmlänge lang glaubten, bereit waren, ihm alles abzukaufen, weil der Erlös nicht nur ihrer Zerstreuung, sondern auch ihrer Erkenntnis diente.


Heute werden Schauspieler gering geschätzt und Stars hoch geachtet. Der Schauspieler stiehlt uns die Show. Der Star, das sind wir, in besserer Form. Stars im deutschen Fernsehen, das sind heute ausnahmslos perfektere Varianten unserer selbst, ein bisschen hübscher in der Katastrophe, ein bisschen stärker in der Schwäche und sehr viel reicher geworden durch dies kleine Bisschen des Abstandes, den sie zu uns zu halten in der Lage sind.


Anders als im Sport, der zweiten starproduzierenden Branche des Fernsehens, wo die Exzellenz weiterhin jene Bewunderung weckt, die den Abstand zu uns breit bemisst – Das könnt’ ich nicht !!!– verehren wir „unsere Besten“ für eben jenes Beinahe, das sie mit uns verbindet. „Beinahe“ wäre Veronica Ferres auch nur eine etwas zu groß, etwas zu disproportional, etwas zu teilbegabte Jederfrau geworden, die sehen muss, wie sie klarkommt. Tatsächlich aber ist sie der größte Star, den das deutsche Fernsehen je hervorgebracht hat.


Man verehrt sie als große Schauspielerin, ob sie in Werbespots entschlossen nach Handys greift oder – tiefenüberzeugt – Falten wegbeschwört, in Talkshows die Mimin mimt oder in Filmen die Talkshow- und Werbespotdarstellerin ins Schauspielfach zieht. Ein so merkantiles wie merkantilisiertes Gesamtkunstwerk bedient das Primat der Tautologie: Nichts ist so erfolgreich wie der Erfolg.


Ein guter Schuh passt, ein guter Arzt heilt, eine gute Sekretärin wimmelt ab. Ein guter Schauspieler bringt Quote. Oder vielleicht wird zwischenzeitlich längst umgekehrt ein Schuh draus. Wer Quote bringt, ist ein guter Schauspieler. Wirkung und Ursache – wem wollte man das in erschütterten Zeiten verdenken – werden gerne verwechselt. Der Eindeutigkeit des Genre – hierzulande funktionieren ohnehin nur zwei reibungslos, der Krimi und der Liebesfilm – folgt die Eindeutigkeit der Darstellung. Ich weine, also bin ich traurig, ich lalle, also bin ich betrunken, mein Blick ist unstet, also bin ich verdächtig. Die Gegenläufigkeit: Wer betrunken ist, sucht klar, wer traurig ist, sucht glücklich zu scheinen und wer unschuldig ist, hat das schlechte Gewissen, sie findet keinen darstellerischen Raum in einem Medium, das, um mit dem Filmemacher Christian Petzold zu sprechen, in jeder Einstellung anschaffen geht.


Natürlich gibt es inszenatorische wie darstellerische Ausnahmen, allein, es ist egal. Denn längst ist nicht nur den Zuschauern, sondern auch der Kritik das Instrumentarium abhanden gekommen, schauspielerische Leistungen zu bewerten. Schauspieler sind einadjektivische Kreaturen geworden, eine Besetzung ist im Zweifels- wie im Regelfall „hochkarätig“, eine darstellerische Leistung ist (meist in Klammern gesetzt) wahlweise: „überzeugend“, „eindringlich“, „stark“, gegebenenfalls mal ein mutiges „unterfordert“. Schauspielerporträts beschäftigen sich mit der Wahl des Lokales, der Kleidung oder der Adoranzstufe, nicht mit dem, was eigentlich gespielt wird. Lieber zwei O-Töne aus einer Pressekonferenz oder einem Gruppeninterview als zwei Beobachtungen einer Anverwandlung. Falls diese noch stattfindet. Denn längst ist das Fachkräftereservoir durchsetzt von Protagonisten der Generation Soap. Seit den frühen 90ern legitimiert nicht die Bühne oder die etablierte Ausbildungsstätte erste Gehversuch in der Primetime, sondern gerne der Kollateralruhm, den man sich als Moderatorin, Model, „Freundin von“ oder Schulhofentdeckung erworben hat. Addiert man hierzu die Produktionsbedingungen des gemeinen Fernsehfilmes, bleibt kein Schauspielerauge trocken. Klamme Budgets verhindern Probentage – oftmals treffen sich Regie und Schauspieler erst am ersten gemeinsamen Drehtag – wie das Durchfilmen einer ganzen Szene in den sogenannten Master-Einstellungen. Stattdessen wird in Schuss-Gegenschuss-Auflösung portionierte Emotion durchgerockt, der Restanspruch wird wahlweise im Schnitt oder der Vermarktung zur Ausstrahlung erledigt. Erfolgreiche Schauspieler haben ohnehin in der Mediengesellschaft eierlegende Wollmilchfrauen und -männer zu sein. Rote Teppiche wollen souverän beschritten, Talkshows jovial bestritten und Modestrecken mit schmalgehungertem Bauch absolviert sein. Die Rolle Schauspieler hat sukzessive das Spielen von Rollen überlagert. „Unsere Besten“ sind längst unsere besten Schauspielerdarsteller geworden. Der Deutsche Fernsehpreis hat im Handstreich in der Kategorie „Bester Schauspieler Nebenrolle“ Männer und Frauen zusammengefasst, um mehr Platz für Köche und Klums zu haben. So richtig scheint das niemanden gestört zu haben.


Wer sich nicht wehrt, spielt verkehrt. Wer sich wehrt, spielt im Zweifel: Gar nicht. Oder in randständigen Formaten wie denen des kleinen Fernsehspiels, des Independent-Kinos oder eben des Theaters. Dort sammelt er Bonuspunkte, die er im Primetime-Fernsehen nur allzu selten einlösen kann. Oder er heißt Götz George.


So hat es sich gefügt und also fügt man sich. Man sehnt sich nach den Ausnahmerollen bei den Ausnahmeregisseuren, den Stephan Wagners, Dominik Grafs und Matti Geschonneks dieser Fernsehwelt. Man blickt ein wenig hämisch auf die Affirmationsmodelle der Darstellerindustrie, die Furtwänglers, Neubauers und Neldels und will deren Macht, bezahlt allerdings in anderer Münze, als der von Kochbüchern, Ehemännern und Vorabendserien. Man will diese Liebe, denn nicht anders übersetzt sich Erfolg für Schauspieler, aber zu einem anderem Preis – dem des Gutseins. Die schlechte Nachricht ist: Qualität ist im Kontext der Fernsehindustrie kein Garant für Erfolg, sie unterläuft ihm allenfalls. Die gute Nachricht ist, dass es keine gibt. Das Medium Fernsehen hat sich der Schauspielkunst weitestgehend entledigt, es bedient sich ihrer nurmehr als ungeschützte Behauptung. Es braucht sie nicht, um zu funktionieren, dieses Medium, das nichts mehr und nichts anderes will, als funktionieren. Aber vielleicht gilt das Gleiche ja auch umgekehrt, und das wäre dann doch eine tröstliche Erkenntnis. Vielleicht braucht ja auch die Schauspielkunst das Fernsehen gar nicht, hat es in Wahrheit nie gebraucht. Ein Missverständnis wäre endlich gelöst.


Heike-Melba Fendel ist Inhaberin von Barbarella Entertainment, einer Agentur, die Schauspieler wie Matthias Brandt, Vadim Glowna und Esther Schweins betreut.

Donnerstag, 7. April 2011

Mascha Kaleko und Freunde

Melancholie eines Alleinstehenden
Wenn ich allein bin, ist das Zimmer tot.
Die Bilder sehn mich an wie fremde Wesen.
Da stehn die Bücher, die ich längst gelesen,
Drei welke Nelken und das Abendbrot.
Grau ist der Abend. Meine Wirtin tobt.
Ich werde irgendwo ins Kino gehen. -
Mit Ellen konnte ich mich gut verstehen.
Doch vorgen Sonntag hat sie sich verlobt.
...Das letzte Jahr ist so vorbeigeweht.
Mitunter faßt mich eine schale Leere.
Der Doktor sagt, daß dies neurotisch wäre.
Ob das wohl andern Leuten ähnlich geht
Ich träume manchmal, daß der Flieder blüht.
(Ich kann zuweilen ziemlich kitschig träumen.)
Erwacht man morgens dann in seinen Räumen,
Spürt man erst recht, wie es von draußen zieht.
Dann pflückt man statt der blauen Blümelein
Die ewig-weißen Blätter vom Kalender
Und packt die noch zu frühen Sommerbänder
Und seine Sehnsucht leise wieder ein.
Vorm Fenster friert der nackte Baum noch immer,
Und staubgeschwärzter Schnee taut auf den Beeten.
Der Ofen raucht. Und mein rnöbliertes Zimmer
Schreit schon seit Herbst nach helleren Tapeten.
Mein bester Freund ist nach Stettin gezogen.
Der Vogel Jonas blieb mir auch nicht treu.
Die Winterlaube hat der Sturm verbogen. -
Nun sitz ich da und warte auf den Mai...

                                                        Ist sie nicht schön?

Mein schönstes Gedicht 

Mein schönstes Gedicht?
Ich schrieb es nicht.
Aus tiefsten Tiefen stieg es.
Ich schwieg es.

Lied: Terry Callier Oh dear, what can the matter be

                                           Ich liebe seine Stimme.

Seiltänzerin ohne Netz
 
Mein Leben war ein Auf-dem-Seile-Schweben.
Doch war es um zwei Pfähle fest gespannt.
Nun aber ist das starke Seil gerissen:
Und meine Brücke ragt ins Niemandsland.
 
Und dennoch tanz ich und will gar nichts wissen,
Teils aus Gewohnheit, teils aus stolzem Zorn.
Die Menge starrt gebannt und hingerissen.
Doch gnade Gott mir, blicke ich nach vorn. 

Lied: Sufjan Stevens John Wayne Gacy Jr.

                                           Das Lied ist über einen Serienmörder! Wunderbar!

»Die Leistung der Frau in der Kultur«
 
(Auf eine Rundfrage)
 
Zu deutsch: »Die klägliche Leistung der Frau«.
Meine Herren, wir sind im Bilde.
Nun, Wagner hatte seine Cosima
Und Heine seine Mathilde.
Die Herren vom Fach haben allemal
Einen vorwiegend weiblichen Schatz.
Was uns Frauen fehlt, ist »Des Künstlers Frau«
Oder gleichwertiger Ersatz.
 
Mag sie auch keine Venus sein
Mit lieblichem Rosenmund,
So tippt sie die Manuskripte doch fein
Und kocht im Hintergrund.
Und gleicht sie auch nicht Rautendelein
Im wallenden Lockenhaar,
So macht sie doch täglich die Zimmer rein
Und kassiert das Honorar.
 
Wenn William Shakespeare fleißig schrieb
An seinen Königsdramen,
Ward er fast niemals heimgesucht
Vom »Bund Belesner Damen«.
Wenn Siegfried seine Lanze zog,
Don Carlos seinen Degen,
Erging nur selten an ihn der Ruf,
Den Säugling trockenzulegen.
 
Petrarcas Seele, weltentrückt,
Ging ans Sonette-Stutzen
Ganz unbeschwert von Pflichten, wie
Etwa Gemüseputzen.
Doch schlug es Mittag, kam auch er,
Um seinen Kohl zu essen,
Beziehungsweise das Äquivalent
In römischen Delikatessen.
 
Gern schriebe ich weiter
In dieser Manier,
Doch muß ich, wie stets,
Unterbrechen.
Mich ruft mein Gemahl.
Er wünscht, mit mir
Sein nächstes Konzert
Zu besprechen. 
 
Lied: John Lee Hooker und Carlos Santana Chill Out (Things gonna Change)

                                           Hmmmmmm!

Lob Des Kommunismus - Ein Video

http://www.youtube.com/user/HeanzoArt

Mittwoch, 6. April 2011

Diane Arbus





Diane Arbus: 1923 in New York als Diane Nemirow geboren, 1971 begeht sie in New York Selbstmord.

Als sie Norman Mailer photographiert hatte, war seine Reaktion: "D. A. eine Kamera in die Hand zu geben, ist wie einem Baby eine Handgranate zu geben."

Susan Sonntag sagt über sie in ihrem Essay Über Fotografie: „Die Menschen, die in Arbus’ Welt angesiedelt sind, enthüllen sich immer selbst. Hier gibt es keinen ‚entscheidenden Moment‘. […] Statt sie zu überreden, eine ‚natürliche‘ oder typische Haltung einzunehmen, ermunterte sie ihre Modelle, unbeholfen zu wirken – das heißt, zu posieren. Wenn sie so steif dastehen oder dasitzen, wirken sie bereits wie Abbilder ihrer selbst.“ und "Airbus' Photographien sugerrieren eine Naivität...basierend auf Distanz, auf Privileg, auf einem Gefühl, dass das was der Betrachter anschauen soll wirklich anders ist...Das es eine andere Welt gibt."

  

April - Rose Ausländer

April

Da kommt er
wirft Luftlappen ins Gesicht
drückt Sonne auf den Rücken
lacht überlaut wickelt den
Park in grünen Taft zerreißt
ihn wieder stellenweise
pufft die Kinder spielt mit den
Röcken erschreckter
Gouvernanten
drückt alle Regenhebel
macht los die Nordhunde von den Ketten
und
lässt sie laufen nach Windlust
Ein toller Geselle
eine Art Eulenspiegel
auch gangsterhafte Gesten hat er
(jaja mein Lieber du
machst es uns nicht leicht
dich lieb zu haben)
und doch und doch
im Großen und Ganzen
ein prächtiger Kerl
dieser April



Wer bin ich
Wenn ich verzweifelt bin
schreib ich Gedichte
Bin ich fröhlich
schreiben sich die Gedichte
in mich
Wer bin ich
wenn ich nicht
schreibe


Dienstag, 5. April 2011

Theater ist Verbeugung und Applaus

Mein erster Theaterbesuch in Kanada. Leider keine Ahnung mehr was es war (Jetlag!), aber ich weiss noch, es war nicht zu schlimm, auch nicht toll. Am Ende: Applaus, 5 Sekunden und Schluss. Ich saß, leicht brüskiert, mit noch zum Klatschen erhobenen Händen und sah zu, wie der Saal sich blitzschnell leerte. Beim nächsten Theaterbesuch das gleiche, eigentlich immer das gleiche, außer manchmal bei Musicals, Filmtarschauspielerauftritten auf Bühnenbrettern und zweimal bei internationalen Gastspielen. Ein Kulturschock.
Wie anders hier.
Es wird viel geklatscht, gepfiffen, heute zeigt das Begeisterung, früher war es Auspfeifen, Bravo gebrüllt, stehend geklatscht, obwohl das manchmal auch bloß so scheint, weil die Leute eigentlich gehen wollten und im Rausgehen, von einem weiteren Vorhang erwischt wurden.
Um das klar zu sagen, ich liebe Applaus, aber er ist ein höchst ungenauer Gradmesser. Nichtzustimmende Äußerungen sind viel seltener zu hören, als sie gefühlt und gedacht werden, man klatscht dann halt höflich so mit. Ein Buh bedarf großen Mutes oder überwältigenden Zornes. (Ich liebe den Genitiv!) Und mitten aus der Reihe rausstürmen, ist peinlich.
Ist der Regisseur gerade im Trend, ist es scheinbar eh egal, wie gut der jeweilige Abend war. Der Kenner, Trendsetter beweist sich durch Lungenkapazität und Handschlagkraft und manchmal wirkt es, als würde leises Unbehagen einfach weggebravot. Früher nannte man das Claque, heute Insider (Siehe Artikel in der letzten "Theater der Zeit" von Martin Linzer) Dies ist besonders irritierend, wenn man noch eine Viertelstunde vorher beobachten konnte, wie ein gutes Viertel des Publikums unbequem aber selig schlummerte.



Und das Verbeugen der Darsteller, oh, eine Inszenierung in sich, reichend von "bin beinahe zu erschöpft, um den Applaus noch ertragen zu können", bis zu "ihr seid eh zu blöd, um wirklich ermessen zu können, was sich hier heute zugetragen hat". Es scheint auch üblich zu werden, dass sich die Schauspieler miteinander unterhalten, während sie sich, zum Beweis der intensiven Ensemblearbeit, in Gruppe verbeugen. Sehr beliebt im Kontrast dazu, der bescheidene zusammenzuckende Erstaunverbeuger des Protagonisten: "Was? Das alles für mich?" Da kriege ich meistens abrupt Armlähmung.

Dazu zwei Anekdoten aus der Familie: Ernst Busch wollte sich ums Verrecken nicht verbeugen, daraufhin von der Weigel die kühle Frage: "Worauf sind Sie so bescheiden?". Aber auch: "Mutter Courage" das Publikum tobt, die Weigel allein auf der Bühne, sehr scheu, sehr zerbrechlich, der Applaus braust noch höher, sie breitet, wie hilfesuchend, die Hände nach links und rechts in Richtung Gasse: "Helft mir doch, bitte!". Der damals noch sehr junge Schauspieler E. Schall kommt ihr zu Hilfe und bekommt, nachdem man wieder in der Gasse angekommen ist, eine gelangt: "Das war mein Vorhang!". Man muss es halt können, dann geht alles.

Wie macht man es richtig? Keine Ahnung! Es wurde Arbeit geleistet und im besten Fall wird Freude ausgetauscht. Ich liebe die 'Grosse Französische' sehr, die habe ich mir bei Thomas Langhoff abgeguckt, ein sehr formeller Kniefall der Spieler, der keineswegs demütig, sondern sogar stolz wirkt. Und es ist so herrlich altmodisch und darum verwirrend, das mag ich.
Aber oft, besonders nach sehr gelungenen Inszenierungen, löst sich beim Verbeugen die strenge Ordnung des Abends in Nichts auf, und alles rennt heiter verwirrt irgendwie hin und her. Auch merkwürdig, jedoch manchmal erfrischend.
Musik unterm Applaus ist in Deutschland, außer bei Musicals, übrigens streng verboten! Blumenwerfen gibt es auch nur noch selten.
Und es gibt unendliche Varianten der gemeinen Verbeugung. Der verklemmte Knicks, der herablassende Kopfnicker, der athletische Nase-an-Knie Zusammenschnapper (das ist meiner), der im Vorbeirennen fast verpasste Schnellzucker, die Ballerina-Imitation und und und. Und sehr selten den grandiosen den-Zusammenbruch-gerade-noch-vermeidenden Divaverbeuger.
Ich bin noch von einer wirklichen Diva, nämlich von Inge Keller persönlich, zum Verbeugen-Üben gezwungen worden, kann es jetzt halbwegs und hasse es immer noch, besonders zur Premiere als Regisseur. Man hat an dem Abend ja nichts getan und auch wenn ich es intelektuell begreife, fühlt es sich unpassend an.

Amsterdam - Klabund

Die Harfenjule 1927

Zu Amsterdam
Zu Amsterdam bin ich geboren, meine Mutter war ein Mädchen ums Geld. Mein Vater hat ihr die Ehe geschworen, war aber weit gefehlt.

In einer dunklen Gasse, sah ich zum erstenmal das Sonnenlicht. Ich wollte es mit meinen Händen fassen, und konnt' es aber nicht.

Ein junger Mann kam eines Tages, und küßte mich und rief mich seinen Schatz. Sie legten bald ihn in den Schragen, ein anderer nahm seinen Platz.

Wir sind im Frühling durch den Wald gegangen und sahen Hirsch und Reh. Die Bäume blühten und die Vögel sangen, vierblättrig stand der Klee.

Ein jeder hat mir Treu' in Ewigkeit geschworen, war aber weit gefehlt. Zu Amsterdam hab' ich mein' Ehr' verloren, ich bin ein Mädchen um's Geld.

Montag, 4. April 2011

Amsterdam selbst erlebt


Ist das eine schöne Stadt! Klein, ohne kleinstädtisch zu sein, ziemlich alt und ganz neu. Und obwohl ich weiss, dass auch Holland den xenophoben, rechtshinkenden Weg entlangstapft, den sich scheinbar ganz Europa zum beliebtesten Trampelpfad auserwählt hat, so spürt man doch, bei so kurzem Aufenthalt nichts davon. Die Paare und Gruppen (die Ein- heimischen, nicht die Touristen) sind gemischt in Farben und Geschlecht, es wird viel geküsst, immer ein gutes Zeichen und gut gegessen, dito.

Es erstaunt mich allerdings immer wieder, wie wenig ich über die Geschichte selbst unserer nächsten Nachbarländer weiss, von Asien und Afrika erst gar nicht zu reden. Da war ich gestern in einer geheimen katholischen Kirche, denn nach dem Sieg der Reformation, in diesem Fall des Calvinismus, 1648 wurde zwar Religionsfreiheit ausgerufen, aber die Katholiken kurzerhand ihrer Kirchen entledigt, die wurden erst bildergestürmt und dann in reformierte Kirchen umgewandelt. Also haben die Katholischen, für circa 200 Jahre, heimliche Kirchen besucht, auf Dachböden, in Wohnungen und so. Wie ungewöhnlich für Katholiken, meist war es doch andersrum. Und die, ihrer Statuen, Heiligenbilder und figurengeschmückten Fensterscheiben entzogenen Kirchen, haben eine ganz eigene Wirkung, nicht eigentlich kalt, aber sehr ernst und würdevoll.
Calvinismus muss eine recht anstrengende Religionsrichtung sein: die in vielen holländischen Wohnungen nicht vorhandenen Vorhänge, haben ihre Ursache in der verlangten Einsehbarkeit allen Tuns, nichts sollte verborgen bleiben, sodass es keine heimliche Sünde geben konnte. Und bis vor einigen Jahren wurden auf dem flachen Land noch die Fenster der Läden am Sonntag verhängt, damit auf dem Weg zur Kirche nichts vom Spirituellen des heiligen Tages ablenkt. Das ist schon eigenartig, bedenkend das Herr Calvin meinte, dass sowieso schon vor der Erschaffung des Menschen festgelegt worden war, wer "erwählt" ist und wer halt nicht. Wozu dann noch die ganzen Sicherheitsmaßnahmen? Die Erwählten kann man unter anderem auch an ihrem enormen Fleiss und wirtschaftlichem Erfolg erkennen, hört! hört!
Und trotzdem wirkt die Stadt Amsterdam ganz lustvoll und unangestrengt vergnügt und das liegt nicht nur an den Coffeeshops, Stonerhimmelchen inclusive Kaffeegenuss.
Kurzum: Frühlingssonne, viel Laufen, eine herrliche Ausstellung mit vergleichenden Kupferstichen von Lukas von Leyden und Rembrandt, sehr gute Pommes, belgische, das sind die besten, indonesische Reistafel in 35 kleinen Schälchen und dann "The Kings Speech" in einem 90 Jahre alten Kino. Ein Herr Tuschinski hat es gebaut und wie einen 30er Jahre Hollywoodtraum ausgestattet, er ist daran bankrott gegangen. 1941 wurde er in Ausschwitz vergast. Das Kino verfiel und wurde von der Pathe Gruppe restauriert, inclusive nachgewebten Teppichen. Ein Traum mit Separees und plüschigen Sitzgelegenheiten, so muss Kino sein, früher durfte man sogar noch trinken und rauchen, früher.

Quentin Massys
The Money Changer and His Wife




"The Kings Speech", ich versuche mich zu erinnern, wann ich das letzte Mal einen Film mit so viel Wörtern und so langen Einstellungen gesehen habe. Vor Colin Firth und Geoffrey Rush will ich mich verbeugen. Natürlich ist der Film von leicht rührseliger Aussage, aber so schön gespielt!

Sonntag, 3. April 2011

Amsterdam - Jacques Brel

Nur soviel: Ich bin in Amsterdam! Eine wunderschoene grosse Kleinstadt. Surinamisches Essen ist "lekker", wie man hier sagt.



Jacques Brel - Amsterdam

Im Hafen Amsterdams
Singen die Seeleute von
Den Träumen, die sie umtreiben
Weit draußen auf See - vor Amsterdam
Im Hafen Amsterdams
Schlafen die Seeleute
Hingestreckt wie Standarten
Entlang trister Uferböschungen
Im Hafen Amsterdams
Sterben die Seeleute
Voll von Bier und Tragödien
Im ersten Morgenlicht
Aber im Hafen Amsterdams
Werden auch Seeleute geboren
In der brütenden Hitze
Ozeanischen Fernwehs

Im Hafen Amsterdams
Essen die Seeleute
Von viel zu weißen Tischdecken
Triefendnasse Fische
Sie zeigen euch Zähne
Wie gemacht das Glück zu knacken
Den Mond abzureißen
Und Taue zu fressen
Und er duftet der Kabeljau,
Bis ins Herz der Fritten,
Welche ihre grobschlächtigen Hände einladen,
Für einen Nachschlag wiederzukommen
Danach stehen sie lachend auf
In stürmischem Getöse
Machen ihren Hosenschlitz wieder zu
Und gehen rülpsend hinaus

Im Hafen Amsterdams
Tanzen die Seeleute
Und reiben ihre Leiber
an denen der Weiber
Sie tanzen und drehen sich
Wie hinausgeschleuderte Sonnen
Im quäkenden Klang
Eines ranzigen Akkordeons
Sie verrenken sich den Hals,
Um sich besser lachen zu hören
Bis urplötzlich
Das Akkordeon verhallt
Dann mit großer Geste
Und mit stolzem Blick
Kehren sie ihre batavische Herkunft
Heraus ins helle Licht

Im Hafen Amsterdams
Trinken die Seeleute
Und trinken und trinken
Und trinken immer wieder
Sie trinken auf das Wohl
Der Huren Amsterdams,
Hamburgs oder von anderswo
Schließlich trinken sie auf die Damen
Die ihnen ihren hübschen Körper feilbieten,
Die ihnen ihre Tugendhaftigkeit preisgeben,
Für eine goldene Münze
Und wenn sie genug gesoffen haben,
Pflanzen sie sich hin, die Nase zum Himmel
Gestreckt, schnäuzen sich gen Sternenzelt
Und pissen, so wie ich Tränen vergieße,
Auf die untreuen Weiber
Im Hafen Amsterdams
Im Hafen Amsterdams

Samstag, 2. April 2011

Lord Byron


George Gordon Noel Byron, 6. Baron Byron of Rochdale, 1788 - 1824

Eine seiner Geliebten sagte über ihn: "He is mad, bad and dangerous to know."
Der eigentlicher Vertreter der englischen Romantik, ein Leben wie ein tragischer Kitschfilm. Noch heute wird ein schöner, geheimnisumwitterter, leidenschaftlicher, von Unglück verfolgter Mann als "Byronic Hero" bezeichnet.

England im 18. Jahrhundert, die Krone verliert die Kolonie "Amerika" an die Befreiungsbewegung, die industrielle Revolution beginnt mit der Entwicklung von dampfbetrieben Maschinen, innenpolitisch starke politische und soziale Reformbewegungen, mit heftigeren Gegenattacken.

Grossvater: John "Jack Foulweather" Byron, Vize-Admiral der britischen Navy (John "Jack Schlechtwetter" Byron), Seefahrer, Eroberer, Gouverneur von Neufundland, In Australien ist Kap Byron nach ihm benannt.
Vater: Captain John "Mad Jack" Byron, vielfach verheiratet, brachte das Geld von Byron's Mutter durch und verließ sie, starb ein Jahr danach an TBC oder an einer Überdosis, Byron behauptete, er hätte sich die Kehle durchgeschnitten.
Mutter: manisch depressiv, musste Land und Titel verkaufen, um die Schulden des Ehemannes zu bezahlen.
1798 erbt Byron, durch den Tod des 5. Baron Byron, der der "Wicked Lord" (der "böse" Lord) genannt wurde, Titel und Grundbesitz, es folgt der Umzug von Schottland nach London, er ist jetzt der 6. Baron Byron und 10 Jahre alt. Es wird behauptet, dass seine Gouvernante ihn als Kind verführt und geschlagen hätte. Er sagte später, dies hätte ihn zum Melancholiker gemacht. Er wurde zum Liebenden in verzweifelter Passion: Frauen, Männer, Halbschwestern, verheiratete Damen, Jünglinge - Dramen, Tragödien und Skandale und immer das Schreiben.
Eine seiner Geliebten, Lady Caroline Lamb, verfolgt ihn nach Beendigung der Affaire seinerseits, unter anderem, indem sie nachts in Männerkleidung in sein Haus einbricht. Sie stirbt nach unzähligen anderen Affairen, als Alkoholikerin und Junkie im Jahr 1827.
Als Aristrokrat war er natürlich auch Mitglied des Oberhauses des Parlaments und trat als Sozialreformer, Kirchenkritiker und Gegner der Todesstrafe auf. Das Wort "auftreten" bezieht sich auf die Theatralik seiner Reden und seiner Erscheinung.


  When we two parted
  In silence and tears,
  Half broken-hearted,
  To sever for years,
  Pale grew thy cheek and cold,
  Colder thy kiss;
  Truly that hour foretold
  Sorrow to this!
  The dew of the morning
  Sunk chill on my brow;
  It felt like the warning
  Of what I feel now.
  Thy vows are all broken,
  And light is thy fame:
  I hear thy name spoken
  And share in its shame.

  They name thee before me,
  A knell to mine ear;
  A shudder comes o'er me­
  Why wert thou so dear?
  They know not I knew thee
  Who knew thee too well:
  Long, long shall I rue thee
  Too deeply to tell.

  In secret we met:
  In silence I grieve
  That thy heart could forget,
  If I should meet thee
  After long years,
  How should I greet thee?­
  With silence and tears.

  Als wir uns trennten
  In Schweigen und Leid,
  Brechenden Herzens,
  Für lange Zeit,
  Bleich war die Wang' und kalt,
  Kälter der Kuß, -
  Wahrlich, mein Ahnen galt
  Bitterem Schluß.

  Der Tau fiel schaurig
  Im Morgenrot;
  Mein Herz war traurig
  Von künft'ger Not.
  Dein Schwur ist verweht nun,
  Dein Nam' ist entehrt,
  Ich hör' ihn geschmäht nun,
  Bis Scham mich verzehrt.

  Sie nennen den Namen,
  Da schaudert' es mich, -
  Mein Herz will erlahmen, -
  So liebte ich dich!
  Sie flüstern und scherzen,
  Sie kennen ja nicht
  Den Gram hier im Herzen,
  Den Schmerz, der nicht spricht.

  Geheim, wie die Lust war,
  Geheim ist der Schmerz,
  Daß falsch deine Brust war,
  Und treulos dein Herz.
  Und säh ich dich wieder
  Nach langer Zeit, -
  Wie sollt' ich dich grüßen?
  In Schweigen und Leid.

 
1808
  Übersetzt von Otto Gildemeister 1823-1902
  Aus: Lord Byrons Werke In sechs Bänden


Als sich die Wolke der Gerüchte und Anschuldigungen immer enger um ihn zusammenzog, verließ er England endgültig und reiste, nach Zwischenaufenthalten in Deutschland und der Schweiz, nach Italien. In Venedig traf er die Shelleys und ihre Freunde. Während dreier regnerischer Tage und Nächte entsanden dort Mary Shelley's "Frankenstein" und Pollidori's "Vampyre" (der Vorläufer aller Vampirgeschichten, inspiriert durch eine Idee Byrons). Byron selbst schrieb unablässig. Wunderbare Texte, von denen nur wenige die Übersetzung ins Deutsche überleben.
Er reiste weiter und kam schließlich nach Griechenland, wo er sich dem Befreiungskampf der Griechen gegen die türkischen Besetzer, das Ottomanische Reich, anschloß. Es wird behauptet, dass er, hätte er überlebt, nach der Befreiung, König von Griechenland hätte werden können. Er starb an Unterkühlung, verschlimmert durch zu starke Aderlässe, 1824. Ein unromantischer Tod.


 So we'll go no more a-roving
 So late into the night,
 Though the heart still be as loving,
 And the moon still be as bright.

 For the sword outwears its sheath,
 And the soul outwears the breast,
 And the heart must pause to breathe,
 And love itself have rest.

 Though the night was made for loving,
 And the day returns too soon,
 Yet we'll go no more a-roving
 By the light of the moon.

 So werden wir nicht mehr schweifen
 Umher in der späten Nacht,
 Wenn das Herz auch noch verliebt ist
 Und der Mond noch immer lacht.

 Denn das Schwert verschleißt seine Scheide
 Und die Seele verschleißt die Brust,
 Und das Herz muß ruhn um zu atmen
 Und Liebe rasten von Lust.

 Ist die Nacht auch gemacht für die Liebe
 Und der Tag folgt zu schnell der Nacht,
 So werden wir doch nicht mehr schweifen,
 Wenn der Mond vom Himmel lacht.