Dienstag, 20. September 2016

Penthesilea 5 - Verse

Penthesileaeine Tragödie in Blankversen, d.h. ungereimten fünffüßigen Jamben. Der Urfaust des postpubertären Goethe ist teilweise in Blankvers geschrieben und doch so ganz anders. Kleist ufert aus. Sätze strecken sich über halbe Seiten, Satzstellungen sind scheinbar irrwitzig versetzt, Satzzeichen dienen als Hilfszeichen, Silbengewichte verschieben den Sinn. Gradliniges Sprechen ist so rar, dass es geradezu irritiert. Unter enormem Druck stehende Menschen versuchen verzweifelt ihrer sich widersprechenden Gedanken/Gefühle Herr zu werden und ihre Sprache spiegelt ihre innere Verwirrung. Ihre Bemühung um Klarheit, Entschiedenheit zerbirst an der Unfassbarkeit ihrer Gefühle. Ambivalenz als Sicherheitsrisiko. Die politische Realität erlaubt keinen Zweifel. Die Sprache stolpert, stürzt im Kampf um die reine poetische Schönheit in die Katastrophe. Jeder Gedankenstrich, ein Versuch der Rettung.


Penthesilea.
Wie ist mir?



Prothoe.

                        Wohl denk' ich – nicht?

Penthesilea.

                                                                        Zum Entzücken!

O sagt mir! – Bin ich in Elisium?


Prothoe.
Nicht, meine beste Königinn, nicht, nicht.
Es ist die Welt noch, die gebrechliche,
Auf die nur fern die Götter niederschaun.

Vers m. ‘rhythmisch gegliederte, oft mit Reim versehene Zeile einer Dichtung, Bibelstelle’, ahd. fers (9. Jh.), mhd. vers, entlehnt aus lat. versus ‘Linie, Strich, Reihe, Zeile, Verszeile’, mlat. ‘(gesungener) Abschnitt eines Psalms’, eigentl. ‘das Umwenden der Erde durch den Pflug und die dadurch entstandene Furche’, zu lat. vertere (versum) ‘kehren, wenden, drehen’. Im allgemeinen Sprachgebrauch steht Vers vielfach im Sinne von Strophe.
Digitales Wörterbuch der Deutschen Sprache 

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Ein Jambischer Gesang reimet sich besser zu frölichen als zu trawrigen Sachen.
Enoch Hanmann 1645

Der Jambus ist zu ernst-haften liedern und gedichten mehr 
als zu schertz- und lustspielen brauchbar,  
des mänlichen Ganges wegen.
Philipp von Zesen 1641

Der Jambus ist das einzige, wahre, echte, natürliche, heroische Metrum unserer Sprache.
Bürger: An einen Freund über seine teutsche Ilias. In: Der Teutsche Merkur 1776

Der Jambus (griechisch ἴαμβος, ïambos; lateinisch iambus; Plural Jamben) ist in der quantitierenden (silbenmessenden) antiken Verslehre ein aus zwei Verselementen bestehender Versfuß, bei dem einem Breve (kurz/leicht) ein Longum (lang/schwer) folgt, notiert als ◡—. Sein metrisches Gegenstück ist der Trochäus (—◡).

Wikipedia - Über den Jambus 

Heine über Verse 

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Der fünffüssige Jambus - idealerweise zehn Silben - leicht und schwer, kurz und lang - dann der Zeilensprung am Satzende, nach einem Komma, Doppelpunkt oder Semikolon. Oder als Enjambement stutzend den vorherigen Satzteil konternd, umlenkend oder verstärkend. Eine wundervolle Welt von Möglichkeiten. Bei guten Versen erübrigt sich das Betonen von Einzelworten, weil sich Sinn durch Rhytmus, Hebung / Senkung, Zeilensprung und Satzzeichen wie von allein ergibt.

Man sollte wirklich alles, was sich über das Gemeine erheben muss, in Versen wenigstens anfänglich konzipieren, denn das Platte kommt nirgends so ins Licht, als wenn es in gebundener Schreibart ausgesprochen wird.
Friedrich Schiller: Brief an Goethe vom 24. November 1797

Enjambement von französisch enjamber ‚überschreiten‘, ‚überspringen‘, ein Zeilensprung oder Verssprung tritt in einer Folge von Versen dann auf, wenn eine Satz- oder Sinneinheit über das Ende eines Verses hinaus auf den folgenden Vers übergreift.


Wikipedia.- Über das Enjambement 

Kleist (hat) in seiner Penthesilea das Thema der Gewalt noch einmal gesteigert: sowohl materiell, weil hier ein Kannibalismus aus Liebe den Endpunkt bildet, als auch formal, weil er sich in das Korsett des Blankverses begibt, des ungereimten fünfhebigen Jambus. Aber sehen wir, was er aus diesem Formzwang macht: Er nutzt ihn als Mittel der Kompression, so, wie ein Motor das Treibstoffgemisch verdichtet, um es zur Explosion zu bringen. 
Ulrich Greiner in Der Zeit
 
http://www.zeit.de/2011/02/Kleist-Greiner/seite-2

Was mir die Göttliche begehrt, das weiß ich:
Brautwerber schickt sie mir, gefederte,
Genug in Lüften zu, die ihre Wünsche
Mit Todgeflüster in das Ohr mir raunen.
Im Leben keiner Schönen war ich spröd;
Seid mir der Bart gekeimt, ihr lieben Freunde,
Ihr wißt's, zu Willen jeder war ich gern:
Und wenn ich dieser mich gesperrt bis heute,
Beim Zevs, des Donners Gott, geschah's, weil ich
Das Plätzchen unter Büschen noch nicht fand,
Sie ungestört, ganz wie ihr Herz es wünscht,
Auf Küßen heiß von Erz im Arm zu nehmen.
Kurz, geht: ins Griechenlager folg' ich euch;
Die Schäferstunde bleibt nicht lang mehr aus:
Doch müßt ich auch durch ganze Monden noch,
Und Jahre, um sie frein: den Wagen dort
Nicht ehr zu meinen Freunden will ich lenken,
Ich schwör's, und Pergamos nicht wiedersehn,
Als bis ich sie zu meiner Braut gemacht,
Und sie, die Stirn bekränzt mit Todeswunden,
Kann durch die Straßen häuptlings mit mir schleifen.


Meine gestrige Frage genauer wiederholt:

Was für ein Haß den Priamiden längst
Entbrannt sei in der Griechen Brust...


Die Zeilen meinen, dass den Griechen ein Hass gegen die Priamiden in der Brust entbrannt ist. Ein Hass auf/gegen, aber ohne die richtende Präposition. Anstattdessen ein für unser heutiges Ohr verwirrender Dativ.
 

Gibt es dafür eine grammatikalische Erklärung?

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