Mittwoch, 28. September 2016

Besuch der Alten Dame - Schlamm, Schleim, Matsch

Ein Ensemble. Wie schön das klingt.

Ensemble von frz. ensemble‚ zusammen, miteinander, zugleich, insgesamt; das Ganze, die Gesamtheit... (Wiki)

Das Theater von Chemnitz in Sachsen, in dessen Schauspielsparte sich einundzwanzig Spieler & Spielerinnen den Arsch abarbeiten, um gemeinsam gutes Theater zu produzieren.

Heute abend: "Der Besuch der Alten Dame" von Friedrich Dürrenmatt, einem Stückeschreiber, den ich eigentlich fürchte, weil er seine grandiosen Grundeinfälle, in der zweiten Stückhälfte meist zielsicher durch pädagogisch gutgemeinte, aufklärerische Entsinnlichung tötet. Er ersinnt einen wirklich überraschenden, spannenden Konflikt und exerziert ihn dann in die unerträgliche, öde Erklärbarkeit. Aufklärung um jeden Preis. In meiner Sprache ist das Propaganda.

https://de.wikipedia.org/wiki/Der_Besuch_der_alten_Dame 

Aber heute abend wurde aus Dürrenmatts Schwäche seine Stärke. Obwohl, nein, gerade weil ich lange im Voraus wußte, wie der endgültige Ausgang aussehen würde, wurde mir, absichtsvoll überdehnt und schwer erträglich verzerrt, die Verwirklichung der Katastrophe serviert, ohne dass ich je das Gefühl hatte, die Macher würden nicht ebenso darunter leiden wie ich. Denn sie spielten im Schlamm, im Matsch, in glitschigem, klebrigem Schleim. Er bedeckte den Bühnenboden, verschmutzte sie, gefährdete sie, behinderte sie. Er schmatzte durch den Abend, war Backgroundmusik, Störung und reale leibliche Gefährdung. 
Das Stück spielt in Güllen - in der Gülle?
Mittendrin, zentral, Claire Zachanassian, entschuldigungslos zornig. Sie verlangt Gerechtigkeit um jeden Preis. Ihr Preis wird gezahlt werden. Arm zu sein ist edel, aber Geld zu haben, ist genüsslich. Wir ersehnen, was wir nicht wollen sollten. 
Das Bühnenzeichen sind ebenso klar. Die Farbe Gelb im Kostüm ist Zeichen für Geld, das man nicht hat, aber, in uneingestandener Hoffnung auf baldigen Gewinn, schon mal ausgibt. Investition in künftige noch uneingestandene, aber bald begangene Verbrechen. Scheinbar einfach, dennoch unerträglich. Wir wollen nicht so erkannt werden.

Wozu sind wir imstande, um das zu bekommen, was wir uns nicht eingestehen können, es haben zu wollen?

Wann erfinden wir einsehbare Begründungen für unsere Verbrechen, damit wir sie guten Gewissens begehen können?

 Die goldene Geldkugel mühselig im Griff gehalten im Morast
© Dieter Wuschanski

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Malte Kreutzfeldt (* 1969 in Lübeck) ist ein deutscher Regisseur.
Er studierte von 1993 bis 1998 Regie an der Hochschule für Schauspielkunst Ernst Busch in Berlin. Von 1999 bis 2003 war er Oberspielleiter des Schauspiels am Theater Quedlinburg/Halberstadt. Seit 2003 ist er freischaffend tätig und inszenierte seither unter anderem an den Staatstheatern in Darmstadt, Nürnberg, Mainz und Oldenburg, der Oper und dem Schauspielhaus in Kiel sowie in Stuttgart, Ulm, Würzburg und am Theater Chemnitz.

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