Seit drei Wochen wohne ich im ersten Stock eines dreistöckigen Chemnitzer Neubaus. Es ist ein Haus ohne besondere Eigenschaften und ohne eigenem Geruch. Es ist weißlich verputzt, hat Fenster und Türen und einen Extraeingang mit abschließbaren Mülltonnen. Die Wände sind sehr dünn.
Einen Stock über mir wohnt eine Familie mit fernklingendem Namen. Die Frau trägt Schwarz, ein Kopftuch, aber hautenge Kleidung. Mit ihr eine andere Frau, vermutlich ihre Mutter. Zwei zarte blasse Kinder, vielleicht drei Jahre alt, Mädchen, gehören dazu. Ich habe die vier nur einmal vor der Haustür gesehen.
Aber ich höre sie jede Nacht.
Trampeln, Schritte, Möbelrutschen, Hämmern, ein Mann, den ich nur als Kopf im Fenster kenne, sagt etwas, ihm wird aufgeregt geantwortet, er schreit in unerwarteteten Abständen, die Frau kreischt plötzlich schrill. Schläge, Geheul, noch mehr Schläge. Kinder weinen bitterlich. Lauteres Schluchzen begleitet einen Fluchtversuch in den Hausflur, wieder barsche Schlaggeräusche, die Flucht wird unterbunden. Es ist plötzlich stiill. Und dann wieder laut. Der Rhythmus ist nicht vorhersehbar.
Vorgestern klang es, als würde der Mann die Frau totschlagen. Ich habe die Polizei gerufen und nach einer halben Stunde kamen zwei Beamte ohne Eile. Sie gingen hinauf und waren nach etwa drei Minuten wieder weg. Sie, die Frau, hat offensichtlich keine Anzeige ertstattet.
Die zuständige Frau beim Jugendamt war heute nicht erreichbar.
Ich bin zu feige, um selber die Teppe hochzusteigen und zu klingeln und Fragen zu stellen.
Mein Hirn produziert unablässig Horrorszenarien.
Ein Vormieter, den ich zufällig traf, dies ist eine Theaterwohnung, er ist auch Regisseur, beschreibt ähnliche Erlebnisse und Reaktionen ohne Ergebnis. Er fand Blut auf der Treppe und vermutet, verschiedene Männer gingen in die Wohnung, eine Crackhöhle.
Ich weiß nicht, was ich tun soll. Die beiden kleinen Kinder weinen jede Nacht!
WELT 24
... in Deutschland ist das Phänomen weit verbreitet. Jede
vierte Frau hat nach Angaben des Bundesfamilienministeriums schon
mindestens einmal in ihrem Leben Gewalt von Seiten des Partners erfahren. Nur jede vierte bis siebte Frau holt sich Hilfe.
Das Hilfetelefon Gewalt gegen Frauen
365 Tage im Jahr, rund um die Uhr erreichbar: Das Hilfetelefon „Gewalt gegen Frauen“ ist das erste bundesweite Beratungsangebot für Frauen, die von Gewalt betroffen sind. Unter der Nummer 08000 116 016 und via Online-Beratung können sich Betroffene, aber auch Angehörige, Freunde sowie Fachkräfte anonym und kostenfrei beraten lassen. Qualifizierte Beraterinnen stehen den Anrufenden vertraulich zur Seite und vermitteln sie auf Wunsch an Unterstützungsangebote vor Ort. Bei Bedarf werden Dolmetscherinnen in 15 Sprachen zum Gespräch hinzugeschaltet.
https://de.wikipedia.org/wiki/Gewaltschutzgesetz
Kinder haben den unabhängigsten Geist in einem abhängigen Leben. Sie leben in einer Welt, die sie noch nicht gestalten können, die aber sie gestaltet. Und sie brauchen Erwachsene, die bei Verstand sind. Die bekommen sie nicht immer.
AntwortenLöschenIch hab' ein bisschen nachgelesen und vor allem herausgefunden, dass Deutschland gegenüber der Schweiz (deren Ergebnisse mir aufgrund meiner Lokalisation als erstes angezeigt werden) ein Entwicklungsland ist. In der Schweiz besteht eine Meldepflicht bei Verdacht auf Kindesmisshandlung... und ein entsprechendes organisatorisches und juristisches Gerüst auf das zurückgegriffen werden kann.
Deutschland ist hinterher.
Eine recht gute Sammlung von Anlaufstellen ist hier zusammengetragen:
http://www.polizei-beratung.de/themen-und-tipps/gewalt/kindesmisshandlung/tipps.html
Wenn die erwachsenen Gewaltopfer den Täter nicht anzeigen, ggf. sogar schützen, dann wird es schwer. Ich will der vorgefahrenen Polizei nicht aus der Ferne, in Unkenntnis der Lage lapidares Fehlverhalten unterstellen. Eine schwere oder gefährliche Körperverletzung wird nicht vorgelegen haben (google mal die Definition, die liegt derartig im brutalen, dass ich es persönlich schon Mordversuch nennen würde). Eine leichte, vorsätzliche oder fahrlässige Körperverletzung ist ein Antragsdelikt und bedarf der Anzeige des Opfers um zur Verfolgung zu gelangen.
Wenn die erwachsenen Opfer das unterlassen und dann noch ihr möglichstes tun eine Kindesmisshandlung zu verbergen und evtl. keine optischen Spuren erkennbar sind, dann kann die Polizei u.U. wenig tun. Das gilt auch für Dich.
Der sensible Ermessensspielraum der Polizei besteht darin das Jugendamt einzuschalten und es mit Deiner (und ggf. früheren Meldungen) zu versorgen.
Ob dieser Spielraum ausgeschöpft wird kann man nicht sagen. Das kannst Du sicherstellen indem Du das Jugendamt und ggf. den Kinderschutzbund einschaltest.
(http://www.dksb-chemnitz.de/index.php/impressum.html)
Dort bestehen die Befugnisse die Situation auch ohne Kooperation der Erwachsenen zu prüfen und weiter zu verfolgen.
Ich weiß, das ist entsetzlich schwer auszuhalten und ich möchte nicht mit Dir tauschen... aber wenn die erwachsenen Co-Opfer, aus Gründen, die ich verstehen, aber nicht entschuldigen mag, den Schutz der Kindern unmöglich machen, dann sind Befugnisse gegen ihren Willen der einzige Weg. Die hast Du nicht. Das beschränkt Deine Möglichkeiten darauf die unerträgliche Situation und jene, die diese Befugnisse haben, zusammen zu bringen.
Und ja, das mag Dir zu wenig erscheinen. Das erscheint wahrscheinlich jedem, der bei Trost ist, zu wenig. Aber es ist das, was für die Kinder den Unterschied bedeuten kann, wenn jene Erwachsenen, die sie schützen sollten, nicht handeln.
Jeden Morgen eine Mail mit den Ereignissen der letzten Nacht an eine zustaendige Behoerde mailen?
AntwortenLöschenDazu vielleicht mal eine Tonaufnahme machen und mitschicken?
Der Frau und der Mutter irgendwie die Telefonnummer des Beratunsgtelefons zustecken?
Bravo fuer alles, was Du tust - aber kein persoenliches Risiko eingehen!