Sonntag, 7. Juli 2013

Staatsbürgerkunde 1961


Stellen Sie die Armee eines kapitalistischen Landes der eines sozialistischen Landes gegenüber!

Am 24.3.1961 in einer Schule in Mecklenburg war dies das Thema eines Staatsbürgerkunde (Stabü) - Aufsatzes. Die Schreiberin war gerade sechzehn geworden, hörte begeistert Radio Luxemburg, las Schiller auf dem Klo, um dort ungestört weinen zu können, hatte überhaupt ihre ganz eigenen sechzehnjährigen Gedanken und Ideen und war doch, ohne größere Mühe, in der Lage über den oben zitierten Satz einen längeren Text zu schreiben. Lerne lügen ohne zu denken, könnte man das nennen. Ähnliche Hohlsätze, Worthülsen, Sinnverquarkungen haben die meisten DDR-Kinder meiner Generation, zu ähnlichen idiotischen Aufgabenstellungen, fleissig von sich gegeben. Ich schließe mich selbst dabei ein. Manche von uns haben geglaubt, manche haben sich gewehrt, aber viele haben im Wissen um die verlangte Verlogenheit ohne Skrupel das Erwünschte geliefert und sind dann nach Hause gegangen und haben sich darüber lustig gemacht. Welch ein schizophrener Irrsinn.
Ich lese das heute, lache lauthals, erkenne mich wieder und erschrecke.

Der Aufsatz:

Jeder Staat hat seine Machtmittel: Polizei, Gesetze, Regierung, Gericht und auch die Armee. Der Charakter der Armee ist von der jeweils im Lande herrschenden Gesellschaftsordnung abhängig. * In Ländern mit antagonistischen Klassen (sehr gegensätzlich, nicht vereinbar) stellt die Amee nicht nur eine Verteidigungs-, sondern in weit größerem Maße, eine Angriffsarmee dar. Länder mit antagonistischen Klassen sind die kapitalistischen Länder. ** Der Kapitalismus hat sein größtes Geschäft am Krieg. Also ist die Armee dort eine Ver Angriffsarmee. In den sozialistischen Ländern dagegen ist nur im Frieden an ein Vorwärtskommen zu denken. Alle Betriebe sind auf friedliche Produktion eingestellt. Wir brauchen ja die Menschen und Materialien, um unseren Wirtschaftsbedarf zu decken. Der Sozialismus kann nur im Frieden existieren. Dementsprechend ist auch der Charakter der Armeen in friedliebenden Ländern, z.B.  bei uns in der DDR. Eine Armee brauchen auch wir; jedoch nicht zum Angreifen sondern zur Verteidigung, zum Schutz unseres Landes und seiner Errungenschaften. Der Oberbefehlshaber unserer Armee war früher Arbeiter. (Ich glaube Maurer.) Dies allein sagt schon genug. In den kapitalistischen Ländern, z.B. in Westdeutschland, sind jetzt viele Offiziere usw. in Machtstellung, die auch im 2. Weltkrieg schon mit am Ruder waren; z.B. der Bonner Kriegsminister Strauß. Schon alleine durch die Menschen, die in den beiden Armeen zu bestimmen haben, kann man seine Schlüsse auf deren Charakter ziehen. Außerdem haben wir andere Beweise, daß die Bundeswehr eine Angriffsarmee ist. Plant man doch in der DBR (?) schon wieder einen neuen Feldzug in Richtung Osten! Wie sollte das ohne die Bundeswehr geschehen? Und von Verteidigung kann in dem Falle auch gar nicht die Rede sein; obwohl die Bundeswehr an und für sich von sich selbst behauptet, sie sei eine Verteidigungsarmee. Jedoch die Tatsachen sprechen dagegen.

* Wir kennen Angriffs- uund Verteidigungsarmeen.

** Auch in der DDR gibt es verschiedene Klassen. Jedoch arbeiten diese
   miteinander und nicht gegeneinander. 
http://www.google.de/imgres?hl=de&biw=1115&bih=593&tbm=isch&tbnid=PxOJJVZTLV7MOM:&imgrefurl=http://www.poolalarm.de/kindersuchdienst/ddr-schule.htm&docid=EQK26ZAa1Sfj1M&imgurl=http://www.poolalarm.de/kindersuchdienst/schule-bilder/schule-schiessuebung.jpg&w=500&h=386&ei=-YzZUfWvA4_QsgaF-4CYAQ&zoom=1&iact=hc&vpx=184&vpy=242&dur=1940&hovh=197&hovw=256&tx=150&ty=87&page=1&tbnh=143&tbnw=182&start=0&ndsp=18&ved=1t:429,r:1,s:0,i:88 

1 Kommentar:

  1. Kommentar der Aufsatzschreiberin, jetzt 68 Jahre alt:

    Dein Eingangstext trifft die Perfidie genau. Mein Aufsatz - in Deinem
    Blog und damit fremder für mich, also über mein Klassenzimmer
    hinausweisend - liest sich so noch grusliger, als vor ein paar Tagen,
    als ich ihn fand.
    Erschreckend, wie manipulierbar weiche Menschen sind, nicht nur in ihrer
    Unwissenheit, sogar in ihrer Gerissenheit.

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