Samstag, 6. November 2010

Romeo und Julia


Romeo und Julia –  Ein Spiel in drei Morgendämmerungen - Thomas Brasch sei Dank



>> Zu kostbar schön, nein, keinem ein Gewinn. <<

Das Stück hat alle Zutaten eines monumentalen Mißerfolges. Es wird kein glückliches Ende geben, und das wird uns schon zu Beginn mitgeteilt. Die eigentliche Ursache des Familienkrieges wird nie, nicht einmal andeutungsweise erwähnt. Beginnend als großes Drama, endet es immer enger werdend als Kammerspiel. Unser Held klagt seitenlang über eine unglückliche Liebe, von der wir erst relativ spät und ganz nebenbei erfahren, dass es sich dabei gar nicht um die im Titel genannte Julia, sondern um irgendeine Rosalinde handelt. Die wiederum wird an diesem Abend niemals die Bühne betreten. Wir werden aber, nur wenig später, dazu aufgefordert zu glauben, dass eben jener Romeo nun ganz wahrhaftig in Julia verliebt ist. Einige Figuren werden groß eingeführt und plötzlich, noch mitten im Stück, abgemurkst und das unter Mitschuld des Haupthelden. Andere verschwinden kommentarlos, ohne Begründung gänzlich aus der Handlung. Dann, zumindest auf den ersten Blick völlig unmotiviert, mittendrin, ein mehrseitiger Monolog über eine Figur namens Mab, die im Stück nie persönlich auftaucht und auch nie wieder erwähnt wird. Die Figuren, die nach dem allgemeinen Sterben übrig bleiben, sind die bis dahin am wenigsten sympathischen und selbst die sind unglücklich und werden wohl auch nicht mehr glücklich werden. Was macht dann, dass ich mich hilflos entzückt in diesem Machwerk wiederfinde und selbst den verrückteste Eskapaden der Personen mit neiderfülltem Mitgefühl folge. Nichts stimmt und alles ist wahr.

Graham Greene
>> Wenn ich sie mir aus dem Sinn schlagen kann, werde ich mir dann irgendwo eine ruhige, gemütliche Frau zum Heiraten finden und eine Ehe schließen können, die friedlich verlaufen und Bestand haben wird? Wahrscheinlich werde ich dann auch nicht so eifersüchtig sein, weil ich sie nicht innig genug lieben werde. Aber sicher fühlen werde ich mich wenigstens, dachte ich zum Schluß. Und das Erbarmen mit mir selbst und der Hass kamen gleichsam über den in der Dämmerung versinkenden Wiesengrund Hand in Hand auf mich zu wie zwei Irrsinnige ohne Wärter. <<

Wann genau hören wir auf zu glauben, dass  wir wirklich und gänzlich glücklich seien können und dürfen? Wann werden wir vernünftig, resigniert und – oder bösartig? Wir lassen es zu, nicht mehr Alles zu wünschen, sondern nur noch ein bißchen Liebe, etwas Glück, die weniger schlimme Variante des Unglücklichseins, und was der Kompromisse mehr sind. Ist Genügsamkeit Feigheit oder notwendig zum Überleben? Je weniger wir erwarten, desto kleiner die ebenfalls erwartete Enttäuschung. Aus Angst vor dem großen Sturz stolpern wir lieber mit kleinen vorsichtigen Schritten durch die erkrampfte Sicherheit. Und dann lesen wir von zweien, die sich gänzlich ohne Sicherung in die Liebe fallen lassen, den Sturz wagen und noch ihr Fall in den angekündigten Tod ist herrlich anzusehen.

Northrop Frye:
 >> Romeo und Julia sind heilige Opfer und Opfergaben müssen seit jeher vollkommen und ohne Makel seien. Das hat einen durchaus realen Kern, nämlich das Gefühl, dass nichts Vollkommenes und ohne Makel in dieser Welt von Bestand seien kann und deshalb einer anderen Welt übergeben werden sollte, bevor es zerfällt. Dieses Prinzip ordnet sich einem noch größeren zu: nichts das die Grenzen der gewohnten Erfahrung durchbricht kann in der Welt der gewohnten Erfahrungen bestehen bleiben. Eines der ersten Äußerungen Romeos über Julia ist >> Zu kostbar schön, nein, keinem ein Gewinn...<< Aber es geht hier um mehr als Schönheit, diese Leidenschaft würde sehr bald die Welt der strengen Väter, gemeinen Tybalts und schnatternden Ammen in Flammen setzen, wenn sie in ihr verbliebe. Indem wir das verstehen, können wir das Stück als Ganzes verstehen, ohne  nur das Gefühl zu haben, dass nur eine Liebe schief gelaufen ist. Sie ist nicht schief gelaufen, sie ist nur dahin gelaufen wohin sie konnte, auf und davon. Sie war immer, wie wir sagen, nicht von dieser Welt. << (Sommernachtstraum, gleiche Fabel, Umkehrung in die Komödie, die spielt in der Nacht und endet mit der Dämmerung.)


>> Wenn du mich nicht ins Leben wieder liebst
         wärs besser, daß du mir das Sterben gibst. <<

Es ist ein tief bewegendes Drama, aber auch eines in ständiger Bewegung. Romeo läuft liebeskrank durch die Stadt, die Diener suchen Streit, Benvolia sucht Romeo, alle gehen zum Fest, Mercutio sucht Romeo, die Amme trägt Nachrichten aus, Paris will schnell heiraten, Lorenzo sucht Kräuter, Capulet schreit: „Tanzt, tanzt!“, es wird geklettert, getanzt, geflohen, gekämpft. Fast alle Figuren scheinen auf etwas zuzueilen. Geschäftsabschlüsse, Machtübernahme, Spaß, Liebe. Aber auch: Inmitten dieser unablässigen Bewegung, Julia, wie der kleine Esel in Goyas Bild „Der Riese“. In Ruhe, gewiß, bis auch sie in den Strudel gerät. Alle Gefühle, so verschieden sie gerichtet sind, ähneln sich in ihrer raschen fordernden Maßlosigkeit. Das Ziel zu dem die meisten gelangen, letztendlich alle, ist der Tod.

Martin Luther
>>Wir sind alle zum Tode gefordert, und es wird keiner für den andern sterben, sondern jeder muß in eigener Person geharnischt und gerüstet sein, mit dem Tod zu kämpfen. – Wir können wohl einer den anderen trösten und zu Geduld, Streit und Kampf ermahnen, aber kämpfen und streiten können wir nicht für ihn, sondern er muß selber auf seiner Schanze stehn und sich mit Feinden, dem Teufel und Tod messen, allein mit ihm im Kampf liegen. <<

Was für ein einsamer Gedanke, welch ein erschreckender Gedanke und er ist wahr, vollkommen und unbezweifelbar. Was auch immer wir nach dem Tod erwarten, dorthin gelangen müssen wir alle und allein und wir wissen nicht wann. Dies wissend, ist es möglich, dass sich auch die Eltern am Schluß zu tragischen Figuren wandeln. Sie sind alt und ihre Kinder sind vor ihnen gestorben, sie sind am trostlosesten Ende angelangt. Sie werden goldene Statuen bauen für die toten Kinder, nur um irgend etwas zu tun.

Georges Bataille
>>Die Erotik kann man bestimmen als das Ja - sagen zum Leben bis in den Tod. (...was die Erotik von der gewöhnlichen sexuellen Aktivität unterscheidet, ist ein vom natürlichen Zweck der Fortpflanzung unabhängiges psychisches Bestreben.) Wesen, die sich fortpflanzen, sind untereinander verschieden. Ein jedes Wesen ist von den anderen verschieden. Zwischen dem einen und dem anderen Wesen liegt ein Abgrund. (Wenn sie sterben, dann bin nicht ich es der stirbt.) Dieser Abgrund ist tief. Doch wir können gemeinsam das Schwindelerregende dieses Abgrundes empfinden. Er kann uns faszinieren. In einem gewissen Sinne ist dieser Abgrund der Tod. Wir sind Wesen, die getrennt voneinander in einem unbegreiflichen Abenteuer sterben, aber wir haben die Sehnsucht nach der verlorenen Kontinuität. Wir ertragen die Situation nur schwer, die uns an eine Zufalls – Individualität fesselt, an die vergängliche Individualität, die wir sind. In der gleichen Zeit, in der wir das verängstigte Verlangen nach der Dauer dieses Vergänglichen hegen, sind wir von der Vorstellung einer ursprünglichen Kontinuität besessen, die uns ganz allgemein mit dem Sein verbindet. Bei allen Menschen bestimmt diese Sehnsucht die Formen der Erotik. (körperliche, die des Herzens und die religiöse) Alles, was die Erotik ins Werk setzt, hat zum Ziel, das Wesen im Allerintimsten zu treffen, dort wo das Herz versagt. Die ganze erotische Veranstaltung ist auf eine Zerstörung der Struktur jenes abgeschlossenen Wesens ausgerichtet, das der Partner im Spiel im Normalzustand ist. Die entscheidende Handlung dabei ist die Entblößung. Erotik ist also Kommunikation. Die Poesie führt zu dem selben Punkt, zu dem die Erotik führt    zur Ununterscheidbarkeit, zur Verschmelzung der unterschiedlichsten Gegenstände. Sie führt uns zur Ewigkeit, sie führt uns zum Tod und durch den Tod zur Kontinuität. <<
(Julia ist im Stück vierzehn, das entspricht der Zeilenzahl des Sonetts)

>>Das Sexuelle wird zum Erotischen, wenn es der Schatten des Todes trifft. Das Sexuelle gehört in die Komödie, die Erotik zur Tragödie. << Harold Bloom
Nehmen wir an, dass all das Laufen, Rasen, Angreifen, Verhandeln und die hastigen Umarmungen nichts anderes sind als sehnsüchtiges Greifen nach Nähe. Flucht vor der letztendlichen unvermeidlichen Einsamkeit und vor der Gewißheit des Todes. Die Zeit muß gefüllt werden mit Aktivität, weil sie endlich ist. Wir müssen etwas erreichen, um zu bestätigen, dass wir noch am Leben sind. Und wenn wir sehr einsam sind, ist auch ein Schlag eine Berührung.


3. >> Die Pest auf eure beiden Häuser. <<

Wenn wir in das Stück einsteigen, haben wir trotz der deutlichen Vorwarnung, das Gefühl in einer, wenn auch aggressiven, so doch verspielten Gegend zu sein. Die Händel sind rasch und witzig, das Liebesunglück pubertär und leicht lächerlich. Die Amme ist komisch. Der Vater will seine Tochter nur verheiraten, wenn sie es auch will. Ein Fest soll stattfinden. Hier und da ein fremder Ton. Das tote Kind der Amme. Tybalts Wutausbruch auf dem Fest. Mercutios Traum, der Romeos gleicht. Aber viel Witz, Poesie, Ironie. Es wird mit Gewalt getändelt und mit Liebe gespielt. Dann: Mercutios Mab - Erzählung, das erste und zweite Treffen der Liebenden, selbst die noch von zärtlicher Leichtigkeit und dann als direkte Folge des vorherigen und doch völlig überraschend: Mercutios Tod. Ein Riß tut sich auf, etwas Unerhörtes ist geschehen. Alles ist anders, selbst das, was vorher geschah verändert seine Farbe ins Dunkle.

Über Mercutio:
 >>Er war sehr klug und unterhaltsam und alles. Die Sache ist, es macht mich verrückt, wenn jemand getötet wird  – besonders jemand, der sehr klug und unterhaltsam und alles ist. –und es ist jemand anderes Schuld. << Holden Caulfield in J.D.Salingers >>Der Fänger im Roggen<<.

Er ist ein Märtyrer der Liebe, stirbt für und durch sie, ohne sie selbst erfahren zu haben, ja, obwohl er den Glauben an sie verweigert hat. Mercutio muß aber auch sterben, damit er nicht zum Zentrum des Stückes wird. Oder „er muß sterben, damit er nicht das Stück umbringt.“ (angebliche Äußerung Shakespeares) Er ist also auch ein Opfer der Gesetze der Dramaturgie.


4. >> Ein großes Durcheinander wars aus Haß.

         Vielleicht aus Liebe. Nein aus Liebeshaß. <<


Qeen Mab:
Merkwürdig, ein Schatten ist immer dunkel, je heller und strahlender das ist, was ihn wirft,  dessen Abbild er ist, desto schärfer und schwärzer ist er. Er kann verblassen, aber nur wenn auch das Licht abnimmt. Er ist immer ein verzerrtes Negativ. Nur einen kleinen Moment, wenn die Sonne im Zenith steht, gibt es ihn nicht. „Schalt die Sonne ab.“
Mab ist der Schatten, der Schatten des Lebendigen. Ist sie also der Tod? Oder der Zufall? Die dunkle Seite? Oder einfach die andere Seite, das Abbild, das Negativ.

Georges Bataille
Der Mensch gehört der Welt der Arbeit und der Vernunft an oder der anderen, der Welt der Natur und Gewaltsamkeit, zwischen diesen beiden Welten sein Leben, ob er will oder nicht, hin und her gerissen wird. Die Welt der Arbeit und der Vernunft ist die Grundlage unseres menschlichen Lebens. Die Natur selbst ist gewaltsam; und so vernünftig wir auch immer werden, immer kann uns eine Gewaltsamkeit beherrschen, nur daß diese jetzt keine bloß natürliche mehr ist, sondern die Gewaltsamkeit eines Vernunftwesens, das zu gehorchen versuchte, aber einer Regung unterliegt, die er nicht auf seine Vernunft zurückführen kann. Es gibt in der Natur und gibt auch im Menschen eine Bewegung die unablässig über die Grenzen hinausdrängt, und die immer nur teilweise eingedämmt werden kann. Die Arbeit erfordert ein Verhalten, in dem die errechnete Mühe, die auf die produktive Leistung verwandt wird, konstant bleibt. Sie erfordert ein vernünftiges Verhalten... Daher definiert sich die menschliche Gemeinschaft, die einen Teil ihrer Zeit der Arbeit widmet, durch die Verbote, ohne die sie nicht zu jener Welt der Arbeit geworden wäre, die sie wesentlich ist.
Wenn wir in den Verboten die Verweigerung erblicken, die das Menschenwesen der Natur als einer Ausschweifung lebender Energie und einer Vernichtungsorgie entgegensetzt, können wir keinen Unterschied mehr machen zwischen Tod und Sexualität. Tod und Sexualität sind nur die Höhepunkte eines Festes, das die Natur mit der unerschöpflichen Vielzahl der Wesen feiert: beide bedeuten eine grenzenlose Vergeudung, die sich die Natur im Widerspruch zu dem tiefen Wunsch jedes Wesens nach eigener Fortdauer leistet. <<

Über Bruder Laurence:
Wissenschaftler, Kenner der Pflanzen und ihrer Wirkung. Er hat für alles eine Lösung. Gerade er, als Vertreter, der institutionellen Religion, glaubt an rationale und rationelle Lösungen. Er ist der Vertreter der Aufklärung. Alles kann in den Griff bekommen werden, es gibt für jedes Problem das richtige Mittelchen. Aber der Schatten besiegt auch ihn. 
 
Über die Amme
In der Szene in der sie Julia zur Bigamie rät, verwandelt sie sich aus einer, wenn auch nervenden, so doch liebevollen Ersatzmutter in den teuflischen Versucher, der Erzfeind. Ist der Schatten auf sie gefallen? 

Über den Vater
Ein bißchen ordinär, geschäftstüchtig, nicht glücklich mit dem älter werden. Alles normal. Und dann, wenn Julia die Heirat mit Paris verweigert. Was ist das? Verbal ist das die brutalste Szene des Stücks. Ein Monstervater ohne jedes liebevolle Verständnis. Ein rücksichtsloser Geschäftemacher mit dem Unglück seiner Tochter.

Über Paris
Scheint ein wenig blaß. Will Julia heiraten, betreibt es wie einen guten Einkauf, hält alle Regeln ein. Hat nie eine Chance nachdem Romeo ins Spiel kommt. Und dann taucht er am Grab auf und leidet wie ein armes Schwein und wird fast uninteressiert von Romeo getötet. Er stirbt mit Julia auf den Lippen.

Über die Mutter
Sie sorgt sich um den Sohn, weiß nix über ihn und scheint für ihn von keinem großen Interesse zu sein. Er erwähnt sie nie. Doch am Schluß verfällt auch sie nach kurzem rachsüchtigem Schuldabweisungsversuch dem Unglück.

Über Benvolio
Er scheint immer das Richtige zu sagen, das man nicht hören möchte. „ Kopf hoch!“ und dergleichen, nur viel schöner formuliert. Er ist friedfertig. Nach der großen Katastrophe bietet er keine Hilfe an, sagt aus und verschwindet aus der Geschichte. Danke Brasch für die Sterbeszene.

Solche Punkte sind für alle Figuren zu finden, hier ist niemand wie er scheint. Außer vielleicht die Diener, geheuerten Schlägern gleich, sind sie eigentlich für die geplante Komödie herbestellt und dann werden auch sie getötet, sozusagen nebenbei. Als Abfall fallen noch ein paar Leichen an, die Bühne ist voll davon. 

5. >> O Leid. Leidvoller Tag voll Leid und Leid. <<

Wir haben hier wohl Häuser
Von Lehm und Stein
Und müssen sie alle verlassen
Ganz allein.
In ein Haus auf lange
Lange ziehn wir ein,
Vom Kopf bis an die Zehen
Wird da Fäulnis sein,
Soll unser Fleisch vergehen
Bis auf das Gebein.

Hast du den Flur im Rücken,
Trägt deine Nase das Dach,
Allem Glück der Erde
Fragst du nichts mehr nach.  
(13. Jahrhundert)





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