ZÄRTLICHEN HERZEN GEFÜHLVOLL GEWEIHT!
MIT HUNDEN ZERREISST SIE,
WELCHEN SIE LIEBET, UND ISST, HAUT UND HAARE, IHN AUF."
Was mache ich mit solch einer Widmung?
Wir machen uns die Liebe passend, alltagstauglich. Parship und Tinder und unzählige halbehrliche Artikel und Romane verkaufen sie uns als sanftes Allheilmittel für unser alltägliches Unglück. Aber wenn sie uns trifft, ist sie anders, rücksichtslos, unbequem, glorios, maßlos und angsteinflößend. Sie ist das Größte und das Härteste.
Alle 11 Minuten verliebt sich ein Single auf Parship.
Leider nur einer, der Geliebte veliebt sich wohl nicht.
Wenn ich in den Sprachen der Menschen und Engel redete, / hätte aber
die Liebe nicht, / wäre ich dröhnendes Erz oder eine lärmende Pauke.
Und wenn ich prophetisch reden könnte / und alle Geheimnisse wüsste /
und alle Erkenntnis hätte; / wenn ich alle Glaubenskraft besäße / und
Berge damit versetzen könnte, / hätte aber die Liebe nicht, / wäre ich
nichts. Und wenn ich meine ganze Habe verschenkte / und wenn ich meinen
Leib dem Feuer übergäbe, / hätte aber die Liebe nicht, / nützte es mir
nichts.
Brief des dogmatischen Mistkerls Paulus an die Korinther
Selbst Paulus, der dogmatische Prediger, wird poetisch, wenn er über die Liebe spricht. Er verachtet Frauen, er verachtet sein früheres Selbst, aber selbst er kennt seine eigene Schwäche.
LOVE IS ALL YOU NEED
John Lennon
FREEDOM'S JUST ANOTHER WORD FOR NOTHING LEFT TO LOSE.
Freiheit ist nur ein anderes Wort dafür, nichts mehr verlieren zu
können.
Me and Bobby McGee
DIE LIEBE IST EINE KATASTROPHE
Die Liebe kennt keine Grenzen, keine Rücksicht, kein Verbot.
Sie kennt kein ABER.
Die PENTHESILEA wurde von Kleist im Laufe des Jahres 1807 geschrieben, unterwegs, er begann mit dem Schreiben in Königsberg, schrieb weiter in Berlin, sogar in französischer Gefangenschaft im Fort de Joux und in Châllons-sur-Marne schrieb er weiter, dann, nach seiner Entlassung, beendete er sein Werk in Dresden.
Er bietet es Goethe 1808 kniefällig zur Beurteilung an: "Ich habe deinen Willen nicht befolgt und deine Gebote nicht gehalten, indem ich Greuelbilder aufstellte und die Zahl der Schandgötzen vermehrte. - Jetzt aber beuge ich das Knie meines Herzens, indem ich deine Gnade erflehe". Goethe mochte Kleist nicht. Seine "Iphigenie" überbrückte heilend den Abgrund zwischen barbarischer Lust und aufgeklärter Ratio, Penthesilea springt in denselben Abgrund und reißt Achilles mit sich.
Kleist beschreibt es selbst so: "es ist wahr, mein innerstes Wesen liegt darin, der ganze Schmutz zugleich und Glanz meiner Seele", nur das sein Schmutz eigentlich sein Schmerz war, sein Herausgeber Ludwig Tieck, gab hier einem durchaus nachvollziehbaren Freudschen Versprecher, Mißversteher Raum.
Es ist für Kleists Rezeption bezeichnend, dass sein erster
Herausgeber Ludwig Tieck das Wort "Schmutz" durch "Schmerz" ersetzte,
Schmerz meiner Seele. Schmutzig durfte Literatur nicht sein, oder, wie
Goethe höflich schrieb, um sich Kleist vom Leib zu halten: "Mit der
Penthesilea kann ich mich noch nicht befreunden." Jedenfalls im 19.
Jahrhundert finde ich nichts, was gerade auch die Gewalt des Sexuellen
so rückhaltlos und drastisch bezeichnet wie Kleists "Penthesilea", und
selbst aus den vergangenen Jahrzehnten würden mir eher Beispiele aus dem
Film einfallen als aus der Literatur. Eher muss man zurückgehen, um
etwas Vergleichbares zu finden, zur antiken Tragödie natürlich, an die
Kleist so viel anders, so viel überzeugender als die deutsche Klassik
anknüpft: Dort hat er es ja her, das Motiv des Gott-Essens genauso wie
die tödliche Liebe der Götter.
Aber nicht nur dort. Bestimmt nicht zufällig vergleicht Kleist den
liebenden Achill mit Christus: "Ach, diese blutgen Rosen! / Ach, dieser
Kranz von Wunden um sein Haupt!" Auch versieht er das Verschlingen gegen
Ende der Tragödie mit deutlichen Anspielungen auf das Abendmahl, das
Verzehren des Fleisches, das Trinken des Blutes. Von der Germanistik
weniger beachtet als seine Bezüge zur griechischen Tragödie, versteht
Kleist die Liebe so biblisch, dass er auf der Kirchenkanzel einen
Skandal auslösen würde. Schließlich gibt es in der Bibel nicht nur das
Hohelied des Salomo, das Gott und das Volk Israel in eine wundersam
zärtliche, dabei unverhüllt erotische Beziehung setzt. Es gibt,
wahrscheinlich repräsentativer für das Alte Testament, auch das Buch
Hosea, in dem Gott als der Liebende vor Eifersucht so fürchterlich
wütet, dass er das Volk als seine Geliebte mehr als nur züchtigt,
sondern sie vor den Augen ihrer Liebhaber nackt auszieht und sich an ihr
vergeht: "Niemand soll sie aus meiner Hand erretten", brüllt der
liebende Gott, und die Menschen stammeln nach der Vergewaltigung
bestimmt nicht aus Verliebtheit: "Kommt, wir wollen wieder zum Herrn;
denn er hat uns zerrissen, er wird uns auch heilen; er hat uns
geschlagen, er wird uns auch verbinden."
Solche Verhältnisse der Liebe, die die Bibel vor zwei- bis
dreitausend Jahren festhielt, sind realer, erfahrungsgesättigter als
alle Romanzen, die seither geschrieben wurden - nicht bloß schmerzlich,
sondern schmutzig. Der Gott der Bibel ist nicht lieb, er ist cholerisch,
zornig, rachsüchtig und mordend, er ist großmütig, erbarmend, zärtlich
und beschützend, er ist rasend, der Gott der Bibel, nicht weniger als
Penthesilea und Achill ist er rasend vor Liebe. Und auch die Menschen
der Bibel lieben nicht wie im Vorabendprogramm, sondern ohne Maß; sie
verschreiben sich ihrem Herrn buchstäblich mit Haut und Haaren, sind
hier unterwürfig, dort rebellisch, werben um den Herrn, wenn er sich
ihnen entzieht, und beschimpfen ihn, wenn er sie misshandelt, klagen die
Zuneigung des Geliebten in immer neuen Worten ein. Das macht die Bibel
groß, groß auch für Ungläubige: Sie erzählt nicht von Übersinnlichem,
sondern von der irdischen Erfahrung in der gesamten Bandbreite und also
über das Vertraute, das Angenehme, das Gefällige hinaus. Insofern ist
die Bibel göttlich, als sie menschlich ist im Extrem. Es ist, was auch
Kleists Dichtung groß, was sie hier und dort göttlich macht. Es ist, was
der deutschen Literatur heute am meisten fehlt.
Was wir von Heinrich von Kleist über die Liebe lernen
Von Navid Kermani
SPRACHE IST BEI KLEIST NIE BLOSS EIN SYSTEM ZUR REPRODUKTION VON WIRKLICHKEIT; SONDERN SIE IST SELBST EINES DER PRODUKTION VON WIRKLICHKEIT; IST AUCH EINE FORM DES HANDELNS.
Dirk Grathoff - Kleist, Westdeutscher Verlag, Wiiesbaden, 2000
Freiheit und Gleichheit! hört man schallen,
Der ruhge Bürger greift zur Wehr,
Die Straßen füllen sich, die Hallen,
Und Würgerbanden ziehn umher,
Das werden Weiber zu Hyänen
Und treiben mit Entsetzen Scherz,
Noch zuckend, mit des Panthers Zähnen,
Zerreißen sie des Feindes Herz.
Friedrich Schiller
Das Lied von der Glocke
1799