Samstag, 2. April 2022

GEHT ES DIR GUT? an der Volksbühne

 Fabian Hinrichs und René Pollesch sind "von alldem müd und wahnsinnig".

Geht es Dir gut? Um die Frage klar zu beantworten, nein, es geht mir nicht gut. Aber heute Abend geht es mir etwas besser, weil sich ein ein langer, dünner Mann anderthalb Stunden lang die Seele nach mir aus dem Leib gerufen hat. "Komm zurück!" 

Toller Trick, dieses "DU", mit dem er mich meint, mich und die anderen Zuschauer und vielleicht auch den Gott, an den ich nicht glaube.

Er hat gerufen, nicht geschrien, nicht gebrüllt, gerufen, die Seele aus dem Leib, nach mir. In Hoffnung auf Antwort?

Er hat mit bulgarischen und afrikanischen Chören gesungen und recht schlecht getanzt, damit ich noch mehr begreifen konnte, wie gut die Tänzer von Flying Steps waren. Und er hat mit einem Taxi coole Bremsmanöver veranstaltet und eine Mutter, die ein zweijähriges Kind mitgebracht hatte, höflich gebeten, zu gehen, weil hier doch nicht KIKA sei. Und er hat, als ein Zuschauer, um zum Pinkeln zu gehen, die Tür knallen ließ, lächelnd, leicht betrübt erwähnt, dass dies "die zweitleiseste Stelle" des Abends gewesen sei. Und in der ersten Hälfte trug er dabei das blödeste denkbare Kostüm, eine asymetrisch geschnittene Leinenparka mit schiefem Fellkragen.

Es ging um Corona, Masken, Putin, die Ukraine, Elon Musk, das Klima, und nichts davon wurde ausgesprochen. 1,5 Meter Abstand, 1,5 tausend Kilometer bis Kiyv, 1,5 Millionen Lichtjahre.

"Wir müssen jetzt über mehr reden, als über Dich und mich."

Und es gab eine wunderschöne silberne Rakete. 

"Geht's Dir gut?" von René Pollesch und Fabian Hinrichs 
an der Berliner Volksbühne © Thomas Aurin

Sonntag, 13. März 2022

DER HORATIER - HEINER MÜLLER - 1968


Heiner Müller
DER HORATIER (1968)

Zwischen der Stadt Rom und der Stadt Alba

War ein Streit um Herrschaft. 

Gegen die Streitenden

Standen in Waffen die Etrusker, mächtig.

Ihren Streit auszumachen vor dem erwarteten Angriff

Stellten sich gegeneinander in Schlachtordnung

Die gemeinsam Bedrohten. Die Heerführer

Traten jeder vor sein Heer und sagten

Einer dem andern: Weil die Schlacht schwächt

Sieger und Besiegte, laßt uns das Los werfen

Damit ein Mann kämpfe für unsere Stadt

Gegen einen Mann, kämpfend für eure Stadt

Aufsparend die andern für den gemeinsamen Feind

Und die Heere schlugen die Schwerter gegen die Schilde 

Zum Zeichen der Zustimmung und die Lose wurden geworfen. 

Die Lose bestimmten zu kämpfen

Für Rom einen Horatier, für Alba einen Kuriatier.

Der Kuriatier war verlobt der Schwester des Horatiers

Und der Horatier und der Kuriatier

Wurden gefragt jeder von seinem Heer:

Er ist/Du bist verlobt deiner/seiner Schwester. 

Soll das Los Geworfen werden noch einmal?

Und der Horatier und der Kuriatier sagten: Nein

Und sie kämpften zwischen den Schlachtreihen

Und der Horatier verwundete den Kuriatier

Und der Kuriatier sagte mit schwindender Stimme:

Schone den Besiegten. Ich bin

Deiner Schwester verlobt.

Und der Horatier schrie:

Meine Braut heißt Rom

Und der Horatier stieß dem Kuriatier

Sein Schwert in den Hals, daß das Blut auf die Erde fiel.

Als nach Rom heimkehrte der Horatier

Auf den Schilden der unverwundeten Mannschaft

Über die Schulter geworfen das Schlachtkleid

Des Kuriatiers, den er getötet hatte

Am Gürtel das Beuteschwert, in Händen das blutige eigne 

Kam ihm entgegen am östlichen Stadttor

Mit schnellem Schritt seine Schwester und hinter ihr

Sein alter Vater, langsam

Und der Sieger sprang von den Schilden, im Jubel des Volks 

Entgegenzunehmen die Umarmung der Schwester.

Aber die Schwester erkannte das blutige Schlachtkleid

Werk ihrer Hände, und schrie und löste ihr Haar auf.

Und der Horatier schalt die trauernde Schwester:

Was schreist du und lösest dein Haar auf.

Rom hat gesiegt. Vor dir steht der Sieger.

Und die Schwester küßte das blutige Schlachtkleid und schrie: Rom.

Gib mir wieder, was in diesem Kleid war.

Und der Horatier, im Arm noch den Schwertschwung

Mit dem er getötet hatte den Kuriatier

Um den seine Schwester weinte jetzt

Stieß das Schwert, auf dem das Blut des Beweinten

Noch nicht getrocknet war

In die Brust der Weinenden

Daß das Blut auf die Erde fiel. Er sagte:

Geh zu ihm, den du mehr liebst als Rom.

Das jeder Römerin

Die den Feind betrauert.

Und er zeigte das zweimal blutige Schwert allen Römern

Und der Jubel verstummte. Nur aus den hinteren Reihen

Der zuschauenden Menge hörte man noch

Heil rufen. Dort war noch nicht bemerkt worden

Das Schreckliche. 

Als im Schweigen des Volks der Vater 

Angekommen war bei seinen Kindern

Hatte er nur noch ein Kind. Er sagte:

Du hast deine Schwester getötet.

Und der Horatier verbarg das zweimal blutige Schwert nicht

Und der Vater des Horatiers

Sah das zweimal blutige Schwert an und sagte:

Du hast gesiegt. Rom Herrscht über Alba.

Er beweinte die Tochter, verdeckten Gesichts

Breitete auf ihre Wunde das Schlachtkleid

Werk ihrer Hände, blutig vom gleichen Schwert

Und umarmte den Sieger.

Zu den Horatiern jetzt

Traten die Liktoren, trennten mit Rutenbündel und Beil

Die Umarmung, nahmen das Beuteschwert

Vom Gürtel dem Sieger und dem Mörder aus der Hand das zweifach Blutige eigne.

Und von den Römern einer rief:

Er hat gesiegt. Rom Herrscht über Alba.

Und von den Römern ein andrer entgegnete:

Er hat seine Schwester getötet.

Und die Römer riefen gegeneinander:

Ehrt den Sieger.

Richtet den Mörder.

Und Römer nahmen das Schwert gegen Römer im Streit

Ob als Sieger geehrt werden sollte

Oder gerichtet werden als Mörder der Horatier.

Die Liktoren

Trennten die Streitenden mit Rutenbündel und Beil

Und beriefen das Volk in die Versammlung

Und das Volk bestimmte aus seiner Mitte zwei

Recht zu sprechen über den Horatier

Und gab dem einen in die Hand

Den Lorbeer für den Sieger

Und dem andern das Richtbeil, dem Mörder bestimmt

Und der Horatier stand

Zwischen Lorbeer und Beil.

Aber sein Vater stellte sich zu ihm

Der erste im Verlust, und sagte:

Schändliches Schauspiel, das der Albaner selbst

Nicht ansäh ohne Scham.

Gegen die Stadt stehn die Etrusker

Und Rom zerbricht sein bestes Schwert.

Um eine sorgt ihr.

Sorgt um Rom.

Und von den Römern einer entgegnete ihm

Rom hat viele Schwerter.

Kein Römer

Ist weniger als Rom oder Rom ist nicht.

Und von den Römern ein anderer sagte

Und zeigte mit Fingern die Richtung des Feinds: 

Zweifach mächtig

Ist der Etrusker, wenn entzweit ist Rom

Durch verschiedne Meinung

In unzeitigem Gericht.

Und der erste begründete so seine Meinung:

Ungesprochenes Gespräch

Beschwert den Schwertarm.

Verhehlter Zwiespalt

Macht die Schlachtreihe schütter.

Und die Liktoren trennten zum zweiten Mal

Die Umarmung der Horatier, und die Römer bewaffneten sich

Jeder mit seinem Schwert.

Der den Lorbeer hielt und der das Beil hielt

Jeder mit seinem Schwert, so daß die Linke jetzt

Den Lorbeer oder das Beil hielt und das Schwert

Die Rechte. Die Liktoren selbst

Legten aus der Hand einen Blick lang

Die Insignien ihres Amts und steckten

In den Gürtel jeder sein Schwert und nahmen

In die Hand wieder Rutenbündel und Beil

Und der Horatier bückte sich

Nach seinem Schwert, dem blutigen, das im Staub lag. 

Aber die Liktoren Verwehrten es ihm mit Rutenbündel und Beil.

Und der Vater des Horatiers nahm sein Schwert auch und ging 

Aufzuheben mit der Linken das blutige

Des Siegers, der ein Mörder war

Und die Liktoren verwehrten es ihm auch

Und die Wachen wurden verstärkt an den vier Toren

Und das Gericht wurde fortgesetzt

In Erwartung des Feinds.

Und der Lorbeerträger sagte:

Sein Verdienst löscht seine Schuld

Und der Beilträger sagte:

Seine Schuld löscht sein Verdienst

Und der Lorbeerträger fragte:

Soll der Sieger gerichtet werden? 

Und der Beilträger fragte:

Soll der Mörder geehrt werden?

Und der Lorbeerträger sagte:

Wenn der Mörder gerichtet wird

Wird der Sieger gerichtet

Und der Beilträger sagte:

Wenn der Sieger geehrt wird

Wird der Mörder geehrt.

Und das Volk blickte auf den unteilbaren einen

Täter der verschiedenen Taten und schwieg.

Und der Lorbeerträger und der Beilträger fragten:

Wenn das eine nicht getan werden kann

Ohne das andere, das es ungetan macht

Weil der Sieger/Mörder und der Mörder/Sieger sind ein Mann, unteilbar 

Sollen wir also von beidem keines tun

So daß da ein Sieg/Mord ist, aber kein Sieger/Mörder

Sondern der Sieger/Mörder heißt Niemand?

Und das Volk antwortete mit einer Stimme

(Aber der Vater des Horatiers schwieg): 

Da ist der Sieger. Sein Name: Horatius. 

Da ist der Mörder. Sein Name: Horatius. 

Viele Männer sind in einem Mann.

Einer hat gesiegt für Rom im Schwertkampf.

Ein andrer hat seine Schwester getötet

Ohne Notwendigkeit. Jedem das Seine.

Dem Sieger den Lorbeer. Dem Mörder das Beil. 

Und der Horatier wurde gekrönt mit dem Lorbeer 

Und der Lorbeerträger hielt sein Schwert hoch 

Mit gestrecktem Arm und ehrte den Sieger

Und die Liktoren legten aus der Hand

Rutenbündel und Beil und hoben das Schwert auf

Das zweimal blutige mit verschiedenem Blut

Das im Staub lag und reichten es dem Sieger

Und der Horatier mit gekrönter Schläfe

Hielt sein Schwert hoch so daß für alle sichtbar war

Das zweimal blutige mit verschiedenem Blut

Und der Beilträger legte das Beil aus der Hand, und die Römer alle 

Hielten jeder sein Schwert hoch drei Herzschläge lang

Mit gestrecktem Arm und ehrten den Sieger.

Und die Liktoren steckten ihre Schwerter

In den Gürtel wieder, nahmen das Schwert

Des Siegers aus der Hand dem Mörder und warfen es

In den vorigen Staub, und der Beilträger riß

Dem Mörder von der Schläfe den Lorbeer

Mit dem der Sieger gekrönt worden war und gab ihn

Wieder in die Hand dem Lorbeerträger und warf dem Horatier 

Über den Kopf das Tuch in der Farbe der Nacht

In die zu gehen er verurteilt war

Weil er einen Menschen getötet hatte

Ohne Notwendigkeit, und die Römer alle

Steckten jeder sein Schwert in die Scheide

So daß die Schneiden alle bedeckt waren

Damit nicht teilhatten die Waffen

Mit denen der Sieger geehrt worden war

An der Richtung des Mörders. Aber die Wachen

An den vier Toren in Erwartung des Feinds

Bedeckten ihre Schwerter nicht

Und die Schneiden der Beile blieben unbedeckt

Und das Schwert des Siegers, das im Staub lag, blutig.

Und der Vater des Horatiers sagte:

Dieser ist mein letztes. Tötet mich für ihn.

Und das Volk antwortete mit einer Stimme:

Kein Mann ist ein andrer Mann

Und der Horatier wurde gerichtet mit dem Beil

Daß das Blut auf die Erde fiel

Und der Lorbeerträger, in der Hand

Wieder den Lorbeer des Siegers, zerrauft jetzt

Weil von der Schläfe gerissen dem Mörder

Fragte das Volk:

Was soll geschehn mit dem Leichnam des Siegers?

Und das Volk antwortete mit einer Stimme:

Der Leichnam des Siegers soll aufgebahrt werden

Auf den Schilden der Mannschaft, heil durch sein Schwert.

Und sie fügten zusammen ungefähr

Das natürlich nicht mehr Vereinbare

Den Kopf des Mörders und den Leib des Mörders 

Getrennt voneinander mit dem Richtbeil

Blutig aus eigenem beide, zum Leichnam des Siegers

Auf den Schilden der Mannschaft, heil durch sein Schwert 

Nicht achtend sein Blut, das über die Schilde floß

Nicht achtend sein Blut auf den Händen, und drückten ihm 

Auf die Schläfe den zerrauften Lorbeer

Und steckten in die Hand mit den gekrümmten Fingern 

Vom letzten Krampf sein staubig blutiges Schwert ihm 

Und kreuzten über ihm die nackten Schwerter

Andeutend, daß nichts versehren solle den Leichnam 

Des Horatiers, der gesiegt hatte für Rom

Nicht Regen noch Zeit, nicht Schnee noch Vergessen 

Und betrauerten ihn mit verdecktem Gesicht.

Aber die Wachen an den vier Toren

In Erwartung des Feinds

Verdeckten ihre Gesichter nicht.

Und der Beilträger, in Händen wieder das Richtbeil

Auf dem das Blut des Siegers noch nicht getrocknet war 

Fragte das Volk:

Was soll geschehn mit dem Leichnam des Mörders? 

Und das Volk antwortete mit einer Stimme

(Aber der letzte Horatier schwieg) :

Der Leichnam des Mörders

Soll vor die Hunde geworfen werden 

Damit sie ihn zerreißen

Also daß nichts bleibt von ihm

Der einen Menschen getötet hat 

Ohne Notwendigkeit.

Und der letzte Horatier, im Gesicht

Zweifach die Tränenspur, sagte:

Der Sieger ist tot, der nicht zu vergessende

Solange Rom über Alba herrschen wird.

Vergeßt den Mörder, wie ich ihn vergessen habe

Der erste im Verlust.

Und von den Römern einer antwortete ihm:

Länger als Rom über Alba herrschen wird

Wird nicht zu vergessen sein Rom und das Beispiel

Das es gegeben hat oder nicht gegeben

Abwägend mit der Waage des Händlers gegen einander

Oder reinlich scheidend Schuld und Verdienst

Des unteilbaren Täters verschiedener Taten

Fürchtend die unreine Wahrheit oder nicht fürchtend

Und das halbe Beispiel ist kein Beispiel

Was nicht getan wird ganz bis zum wirklichen Ende

Kehrt ins Nichts am Zügel der Zeit im Krebsgang.

Und der Lorbeer wurde dem Sieger abgenommen

Und von den Römern einer verneigte sich

Vor dem Leichnam und sagte:

Gestatte, daß wir aus der Hand brechen, Sieger

Dir nicht mehr Empfindendem

Das Schwert, das gebraucht wird.

Und von den Römern ein andrer spie auf den Leichnam und sagte: 

Mörder, gib das Schwert heraus.

Und das Schwert wurde ihm aus der Hand gebrochen

Nämlich seine Hand mit der Totenstarre

Hatte sich geschlossen um den Schwertknauf

So daß die Finger gebrochen werden mußten 

Dem Horatier, damit er das Schwert herausgab 

Mit dem er getötet hatte für Rom und einmal 

Nicht für Rom, das blutige einmal zu viel

Damit gebraucht werden konnte von andern besser 

Was gut gebraucht hatte er und einmal nicht gut.

Und der Leichnam des Mörders, entzweit vom Richtbeil

Wurde vor die Hunde geworfen, damit sie

Ganz ihn zerrissen, so daß nichts bleibe von ihm

Der einen Menschen getötet hatte 

Ohne Notwendigkeit, oder so viel wie nichts.

Und von den Römern einer fragte die andern: 

Wie soll der Horatier genannt werden der Nachwelt? 

Und das Volk antwortete mit einer Stimme: 

Er soll genannt werden der Sieger über Alba

Er soll genannt werden der Mörder seiner Schwester

Mit einem Atem sein Verdienst und seine Schuld.

Und wer seine Schuld nennt und nennt sein Verdienst nicht 

Der soll mit den Hunden wohnen als ein Hund

Und wer sein Verdienst nennt und nennt seine Schuld nicht 

Der soll auch mit den Hunden wohnen.

Wer aber seine Schuld nennt zu einer Zeit

Und nennt sein Verdienst zu anderer Zeit

Redend aus einem Mund zu verschiedner Zeit anders 

Oder für verschiedne Ohren anders

Dem soll die Zunge ausgerissen werden.

Nämlich die Worte müssen rein bleiben. Denn

Ein Schwert kann zerbrochen werden und ein Mann

Kann auch zerbrochen werden, aber die Worte

Fallen in das Getriebe der Welt uneinholbar

Kenntlich machend die Dinge oder unkenntlich.

Tödlich dem Menschen ist das Unkenntliche.

So stellten sie auf, nicht fürchtend die unreine Wahrheit

In Erwartung des Feinds ein vorläufiges Beispiel

Reinlicher Scheidung, nicht verbergend den Rest

Der nicht aufging im unaufhaltbaren Wandel

Und gingen jeder an seine Arbeit wieder, im Griff

Neben Pflug, Hammer, Ahle, Schreibgriffel das Schwert.





Dienstag, 8. März 2022

Krieg

Ich hatte Mühe, bei "Bühnenschüssen", auch wenn ich vorgab der Schütze zu sein, nicht panisch zusammenzuzucken. Im echten Leben habe ich keinen Schuß erlebt oder auch nur gehört, außer Luftgewehre auf Jahrmärkten.

Das nahezu orchestrale Pfeifen der Stalinorgeln in Dokumentationen über den Zweiten Weltkrieg jagte mir Angst ein.

In Filmen ist Schießen meist lustig, 1000 Patronen in einer Minute und lauter Tote, die nur tot spielen.

 

Mein Onkel Herbert ist vor Stalingrad "gefallen", vermutlich wurde er von einem Panzer überrollt. Mein Vater sollte 44 noch zu den Werwölfen und wurde von seinem Vater daran gehindert, was ihn den Krieg überleben ließ. Die Familie wurde 45 in Magdeburg ausgebombt.

Meine Familie mütterlicherseits war 12 Jahre auf der Flucht vor dem Krieg, der jetzt der 2. Weltkrieg genannt wird. Beim Ersten gab es noch keine Nummerierung, er hieß einfach der Große Krieg.

Meine liebsten Freunde hatten schreckliche Zeiten bei der NVA in DDR-Friedenszeiten und der gänzlich militaristische Wehrkundeunterricht meiner Oberschulzeit lehrte uns Verhalten im Kriegsfall, dass sicher nichts genutzt hätte. Z.B.: Übermangansaures Kaliumpermanganat in Wasser auflzuösen und darin Kleidung etc. einzuweichen, um sie strahlungsabweisend zu machen, die Hülle des Personalausweises  zur Schutzbrille umzuarbeiten und den Deckel für den Exkremente-Eimer im Schutzkeller nicht zu vergessen. Der FDJ-Sekretär täuschte aus einem Busch heraus mit feuchten Platzpatronen einen Atomangriff vor, woraufhin wir uns in Richtung der "Explosion" auf den Boden werfen sollten, da wir so unter den konkaven Teil des Atompilzes gelangen würden.

Stanislaw Lem war da hilfreicher. "Im Falle eines Atomangriffes werfen sie sich auf den Boden und legen ihre Aktentasche über den Kopf, dann robben sie eilig zum nächsten Friedhof."

Ich gehöre der glücklichen Generation meines Landes an, der, die keinen Krieg erlebt hat. So wie meine Altersgenossen in Frankreich, Groß-Britannien, Schweden, Griechenland, etc. 

Andere, genauso alt, die in Kroatien, Serbien, dem Kosovo, Palästina, Israel, Syrien, dem Kongo, Ruanda und vielen anderen Ländern leben, hatten dieses Glück nicht.

Und jetzt ein Krieg uns ganz nah, es sind nur etwa 1000 Kilometer bis Kyiv. Ich weiß, die Flüchtenden werden liebevoll aufgenommen, aber die aus Syrien kamen, wurden mißtrauisch beäugt. Die jetzigen sehen uns ähnlich. Macht das den Unterschied? Und sie sind eher Christen. Auch Polen und Ungarn öffnen ihre Türen.

Ich weiß, dass die Ukraine kein Land voller Heiliger und ohne eigene Oligarchen, Korruption und rechtsradikale Söldner ist. Ich weiß, (vermute), dass die Nato und die Geheimdienste der USA nach dem offiziellen Ende des Kalten Krieges intensiv eigene Interessen in der Ukraine gefördert haben.

https://www.youtube.com/watch?v=DjTJF8OPAIg 

Und ich weiß, dass die Rote Armee uns unter großen Opfern und mit verspäteter Hilfe durch die westlichen Armeen, vom Faschismus befreit hat.

ABER. ABER. Wladimir Wladimirowitsch Putin hat diesen Krieg erklärt und seine Kriegserklärung mit Lügen gepolstert. Er berät sich mit seinen Generälen an einem 10 Meter langen Tisch, wobei er an dem einen Ende sitzt und die nervösen Militärs am anderen. Er meint entscheiden zu können, ob die Ukrainer das Recht haben, ihr Land ihr eigen zu nennen. Er arbeitet mit nationalistischen Konstrukten, die nach Großrussischem Reich stinken. Er droht mit dem Einsatz von Atomwaffen. Er ist im KGB groß geworden und diese Prägung bestimmt seine Entscheidungen.

https://www.t-online.de/nachrichten/id_91710112/wladimir-putin-enger-vertrauter-spricht-reaktion-vom-kremlchef-geht-viral.html

Laut einer Umfrage des Moskauer Levada-Zentrums, bewerten 70 Prozent der Russen Stalins Rolle in der Geschichte positiv, während sie nur von 19 Prozent negativ beurteilt wird. (Umfrage des Levada Zentrums 2019)

Russisches Gas & Nord Stream oder amerikanisches Flüssiggas? Welche Rolle spielt das?

100 000 000 Millionen für die Aufrüstung, eine große erschreckende Geste, die mir erst bewußt gemacht hat, dass nach 89 wirklich und fast unbemerkt abgerüstet wurde. Und jetzt alles wieder hochpumpen? 

Und die Klimakrise macht keine Kriegspause. Und Corona ist noch nicht vorbei. Und Trump dreht  ab.

https://www.youtube.com/watch?v=dLSaFerdWQE

Hier meine Losung, die ein besonders idiotisches Transparent aus der DDR zu Zeiten des Kalten Krieges wiederholt.

WIR FORDERN EINE WELT OHNE ATOME!


Sonntag, 6. Februar 2022

Dieter Mann ist gestorben

Dieter Mann. 

Wir haben uns über die vielen Jahre immer gesiezt und doch mit dem Vornamen angesprochen. Eine unfassbar altmodische Form von gegenseitigem Respekt.

Ich war 21, Elevin und in den Proben zu Alexander Langs "Sommernachtstraum" gab es der Witzeleien über meine Jugend die Menge. Eines Tages, wieder mal eine lustige Bemerkung, diesmal von Dieter Mann, über meine jugendliche Erscheinung, genauer meine Brüste. Und ich hatte genug, biss zurück, "Ist Ihnen das nicht irgendwann langweilig?" Pause. Mir schoß durchs Hirn, jetzt hast Du's dir mit einem älteren Kollegen versaut. Nach langer Pause murmelte D.M. "Ich werde sehr bald 40." Seitdem hatte ich ihn gern.

Mit Christine Schorn in "Unterwegs"

Er hat mir, nun schon als Intendant, vorgeschlagen, das Deutsche Theater zu verlassen, sah keine Zukunft für mich. Er hat zwei Jahre später, ich hatte seinen Rat nicht befolgt, seinen Vorschlag zurückgenommen und mich in die DT-Familie aufgenommen. Er war, mir gegenüber, in ganz erstaunlicher Weise ehrlich und klar. Damit konnte ich gut umgehen.

Er hat mir, zusammen mit Ulrike Krumbiegel, als blutige Regie-Anfängerin zu meiner ersten Regie in den Kammerspielen des Deutschen Theaters verholfen und hat sich meinen noch sehr unlockeren Einfällen großmütig und offen ausgesetzt.

Er hat, als wir, 1988/89, "Die Diktatur des Gewissens", von Schatrow, ein wirklich schlechtes Stück, aber auch ein wirklich notwendiger Text zur Zeit, gefühlte 1000 Mal in einem Jahr spielten, den alten Mann aus der Ukraine, um uns aufzuheitern, ein jedesmal anders alt angelegt, mal war er 80, dann 120, gelegentlich noch viel älter.

Er war ein Arbeiterkind, Student der Arbeiter- und Bauern Fakultät, seine Bildung, und sie war beeindruckend, war das Ergebnis von harter Arbeit und Hoffnung. Wenn der verfluchte unsozialistische Sozialismus eine gute Seite hatte, dann, dass Kinder, die nie hätten studieren können, es konnten.

Er war Mitglied der SED und Intendant, sicher ein zweischneidiges Ding, eine solche Position in einem solchen Land. Er hat im aufgeregten und aufregenden Jahr 1989 einige gute Entscheidungen getroffen und versucht, Notwendiges zu ermöglichen.

ZWEI KRAWATTEN  Aufzeichnung der Inszenierung des Deutschen Theaters. Was für ein Spaß war das und dann hat Dieter auch noch gesteppt.

Er gab elegante Handküsse.

Er konnte ganz wunderbar Gedichte sprechen und Verse, präzise, unangestrengt, ganz gerade gedacht, nicht betont oder getönt. 

Photo Ralf Hirschberger / dpa

Ich hatte ihn sehr gern und es gibt mittlerweile verflixt viele Kränze, die von der Nachwelt, für von mir verehrte Mimen, nicht geflochten werden.

Dem Mimen flicht die Nachwelt keine Kränze,
Drum muss er geizen mit der Gegenwart,
Den Augenblick, der sein ist, ganz erfüllen,
Muss seiner Mitwelt mächtig sich versichern,
Und im Gefühl der Würdigsten und Besten
Ein lebend Denkmal sich erbaun – So nimmt er
Sich seines Namens Ewigkeit voraus,
Denn wer den Besten seiner Zeit genug
Getan, der hat gelebt für alle Zeiten.



Samstag, 25. Dezember 2021

DON'T LOOK UP - Netflix schenkt uns eine weihnachtliche Apokalypse

DON'T LOOK UP

Ein sehr großer Komet steuert auf die Erde zu und wird sie demnächst zerstören, was tuen wir, um das zu verhindern?

Nichts.

Dann unter übergroßem Druck, das absolut Notwendige.

Ohne all zu viel Opfer zu bringen.

Ein guter Freund von mir, der seit 1990 in den USA lebt und dort gerne lebt, erzählte mir, dass er 2017, als Trump die Wahl zum Präsidenten der USA gewann, und er ist ein bekennender Zyniker, zwei Wochen lang unter Magenschmerzen und Brechreiz litt.

Die Wut und die Angst, die ich fühle, wenn ich es mit Menschen zu tun bekomme, die irrational argumentieren, für die weiß nicht weiß ist, 1 + 2 nicht 3, sondern 5, sind real. Wissenschaftliche Erkenntnisse werden von ihnen mit einem Schulterzucken abgetan. Ihre Gefühle werden als Meinungen verkauft. Behauptungen bekommen das Gewicht von Urteilen. "Ich lasse mich nicht impfen, denn Gott hat mir ein Immunsystem gegeben." Ich brauche keine Impfung, denn ich lebe gesund, bewege mich viel an der frischen Luft und esse gesund.", "Ich fühle tief in mir, das da was nicht stimmt und handele dementsprechend.". 

Wenn mein Gasherd nicht funktioniert, wende ich mich an einen Experten für Gasherde, wenn mein Blinddarm schmerzt, gehe ich in die Notaufnahme, um Hilfe zu bekommen. Aber bei Corona weiß ich es besser, denn hier geht es nicht um die drei Impfungen, die ich benötige, um in Kenia auf Safari zu gehen, sondern um meine Freiheit. 

Was ist mit unseren Gehirnen passiert? 

Im Film sieht man den sich der Erde nähernden Kometen ab einem bestimmten Punkt deutlich am Himmel, da ist "Don't look up", "Schau nicht hin", der passende Slogan, weniger Tests, heißt weniger Corona. Was ist mit unseren Gehirnen passiert?



Sonntag, 5. Dezember 2021

DIE COVID-IMPFUNG UND SELBST EINIGERMASSEN KLUGE LEUTE DREHEN DURCH.

Ich bin heute auf Facebook als KZ-Wärterin bezeichnet worden, weil ich mich fieser Propaganda verweigert habe, man hat mir prophezeit, ich würde in einer, nicht näher bezeichneten Zukunft, meine Hände nicht in Unschuld waschen können und würde mich für meine Worte schämen, mein Vater würde sich im Grab umdrehen und mein Großvater wäre empört, ob dessen, was ich poste. Dies alles geschah in Folge zweier Postings in denen ich erstens eine emotionale, aggressive und gänzlich introvertierte Reaktion auf die Äußerungen einer bestürzend ungenauen, esoterischen Nicht-Impferin konstatiert und, zweitens, meinen Impfstatus auf "geboostert" aufgestockt habe.

Ich habe in jungen Jahren meine kleine Schwester einmal geschupst, ansonsten ist mein physisches Gewaltkonto ernüchternd leer, gemein bin ich manchmal, aber, so denke ich, nur im Rahmen des Üblichen.

Was ist mit uns los? Nette Leute, bei denen ich vermute, dass sie unter normalen Umständen, freundlich und umgänglich wären, äußern plötzlich Vorwürfe der aggressivsten Art und fühlen sich dabei völlig im Recht.

"Wir befinden uns in einer Situation, die der in 1933 oder wahlweise 1989 gleicht. Die Diktatur ist im Kommen oder, was das gleiche ist, diese Diktatur muß verhindert werden, mit allen Mitteln."

Ist das so? Nein. Keiner wird heute für nichteinverständliche Meinungen bezüglich der Impfung ins Gefängnis geworfen, verhört, gefoltert und verurteilt. Millionen Juden wurden ermordet, aus keinem anderen Grund, als dem, dass sie Juden waren. Kein Impfgegegner befindet sich in solcher Gefahr. Keiner.

Was ist mit uns los? Haben wir jedes Maß verloren? Anne Franks Schicksal gleicht dem eines Lockdowns? Sophie Scholl darf unerwidert von Jana aus Kassel vereinnahmt werden? 

Ich bin ein, zugegeben, uneinsichtiger Anhänger der Wissenchaft, Big Pharma existiert, aber es hat auch vielen von uns das Leben gerettet. Blinddärme, Bluthochdruck, Diabetes ... Mensch, die Hälfte der Leute, die ich lieb habe und ich selber, wäre tot ohne "Big Pharma".


Samstag, 27. November 2021

Cevapcici - Eine Erinnerung

Meine Freundin hat sie als junges Ding in der "Möwe" gegessen, dem Künstlerclub in Ost-Berlin, offen bis sehr spät. Man mußte ordentlich angezogen sein, um reinzukommen, konnte aber gänzlich besoffen wieder rausgehen, taumeln, stolpern. Wenn man nachts noch irgendwo abhängen wollte, war die "Möwe", damals fast die einzige Möglichkeit. Cevapcici mit Pommes und Gin Fizz für 1,50 Mark der DDR, Studenten bekamen besonders große Portionen. 

"Memories"! Viele Flirts, viele Gespräche, die die Welt verändern wollten, viele Küsse.

Komischerweise habe ich Cevapcici dort nie gegessen, aber kenne sie aus Bulgarien mit Schopskasalat und bulgarischen Zigaretten. Papyrossa, gräßliches Zeug. Aber Bulgarien war Ausland, anders, und auf dem Weg zurück machten wir noch einen Tag Zwischenstop in Budapest, was faktisch schon wie Westen war.

Jedes Land auf dem Balkan hat eine eigene, beste Variante, ich mochte diese, saftig, würzig.

Das Rezept:

700 g Hackfleisch, gemischt, halb Schwein, halb Rind, ich habe bei meinem Lieblingsfleischer Lamm-Gehacktes bekommen und mit Rindergehacktem gemischt. https://www.fleischerei-erchinger.de/

150 g Zwiebel, sehr fein geschnitten, gehackt oder gerieben

3 Knoblauchzehen durchgedrückt oder auch mehr, je nach Laune

1,5 TL Salz 

1/2 TL Natron

1 TL schwarzen Pfeffer

2 TL Paprikapulver edelsüß 

1 TL Papriakpulver rosenscharf 

1 EL Olivenöl, plus Olivenöl zum braten

Alle Zutaten in einer Schüssel vermischen und 10 (in Worten zehn) Minuten kneten, 10 Zentimeter lange und circa zwei Zentimeter breite Miniwürste rollen und, auf einen Teller legen, mit Frischhaltefolie abdecken und für mindestens zwei Stunden an die kälteste Stelle des Kühlschranks stellen, dann in reichlich Olivenöl 8 bis 10 Minuten bei mittlerer Hitze braten. Dazu Zatziki und Avjar (Paprika-Auberginen Püree) und, wenn man sentimentale Erinnerungen folgt, mit Pommes, in unserem Fall vom sehr guten Currywurststand in der Oranienburger, servieren. 

Das ursprüngliche Rezept ist von dieser Website: https://emmikochteinfach.de/cevapcici-das-original-ganz-einfach/

Ich schaffe es fast nie, Photos zu machen, bevor alles aufgegessen ist. Deshalb eine Leihgabe.



 

Sonntag, 21. November 2021

GUDRUN RITTER - GÖTZ-GEORGE-PREIS

 

Ich liebe Gudrun Ritter. 

Sie ist eine zarte, kleine Frau mit wissenden Augen und einem gefährlich sinnlichen Mund, ihre Stimme kann rau und schrill und flirrend und trocken und gurrend und hart und zärtlich und und und ... Sie ist immer, immer direkt im Ton, nie tönend, nie salbadernd, nie vage, sondern genau ins Ziel.

Eine gefährliche Elfe, eine klarsehende Träumerin, eine Unschuld mit Wissen und Sexappeal, ein Mysterium, selbst wenn sie scheinbar einfach wirkt. 

Und wie macht sie das, dass es jedesmal wirkt, als sei es frisch, gerade passiert, neu gedacht? 

Torquato Tasso, Zwei Krawatten, Miss Sara Sampson, Stella, Die Rundköpfe und die Spitzköpfe, Sugardollies, die Aufzählung könnte Seiten füllen. 

Ich gucke ihr so gern zu, so gern. 

Und ihr unerreichtes "Was?" in Proben, superlaut und gänzlich plötzlich, wenn sie die Souffleuse nicht verstand. Das nahm der Probe die Heiligkeit und gab ihr Leben.

In einer Produktion, in der der Regisseur gelegentlich zu terroristischen Methoden gegen einzelne Spieler, öfter gegen mich, griff, rettete mich ihr gut gesetztes Rülpsen, nach hinten, unhörbar fürs Publikum, aber mir die Angst nehmend, in einer anderen, nicht ganz gelungenen Inszenierung hat sie mich an einer schwer erträglichen Stelle lustvoll, heftig in die Wade gekniffen. Dafür bin ich ihr ewig dankbar.

Heute wurde sie mit dem Götz-George-Preis der gleichnamigen Stiftung in einer liebevoll vorbereiteten und durchdachten Veranstaltung, ausgezeichnet. Der Abend war 2G plus und trotzdem habe ich Angsthase meist mit Maske dagesessen, so viele Leute.

Und plötzlich saß da eine kleine Runde von DT Veteranen, Tine Schorn, Bernd Stempel, Dagmar Manzel - uff, so viele Erinnerungen. Ich hab an diesem Haus 15 Jahre verbracht, gute Jahre, mit harschen Phasen. Es waren meine prägende Jahre und ich habe dort Menschen getroffen, die mir die wirklich wichtigen Dinge für mein Theaterleben beigebracht haben, obwohl sie sich nie als "Lehrer" verstanden habe. Und dafür liebe ich sie. Manche, wie Tine und Gudrun sind putzmunter und aktiv, andere sind krank oder von uns fortgegangen, alle waren Spielmäuse.

Besser als Gudrun es heute Abend gesagt hat, kann ich es nicht formulieren: "Wenn ich könnte, ich würde nochmal von vorn anfangen."

Freitag, 19. November 2021

Juhu, die Welt geht unter und ich sitze im Atomschutzbunker

Bin ich hysterisch oder macht euch die augenblickliche Situation auch nervös? 

Die Nachrichten klingen, als wären sie wirre Schnittschnipsel aus irgendwelchen Hollywood-Weltuntergangsfilmen. Österreich im Lockdown, Bayern auch, Sachsen, Thüringen auf dem Weg dorthin. 

Eigentlich bin ich ein nervender Optimist, Glas halb voll, gelegentlich sogar überlaufend.

Aber: Verzweifelte Schausteller packen ihre Waren, gekauft oder produziert fürs Weihnachtsgeschäft wieder ein. Erschöpfte Clubbesitzer schalten die Musik aus, obwohl sie brav 2G plus eingehalten haben. Teenager verabschieden sich vom Feiern. Erste Theater schließen.

Die Lage tendiert ins Apokalyptische, aber wir unternehmen erst nächste Woche was?

Wir müssen die Ängste der Nichtimpfer verstehen. Muß ich? Will ich? Sicher, ihre Gründe sind sehr unterschiedlich. Aber bis auf die, die aus medizinischen Gründen nicht geimpft werden dürfen, klingen viele ihrer Begründungen für meine Ohren übelst vage oder geradezu dämlich. Allgemeine Bauchgefühle, irgendwelche möglichen DNA-Veränderungen, unbewiesene Spätfolgen, Bill-Gates-Chipping, Wissenschaftsskeptizismus ohne größeres eigenes Wissen, Big-Pharma ganz allgemein und durch keine genauen Fakten begründetes überhebliches Besserwissen. Und ich weiß, dass ich vereinfache, aber 400 Tote am Tag und mehr in in der Zukunft gestatten mir das das vielleicht.

Wenn meine Waschmaschine aufgibt, frage ich einen Waschmaschinenreparateur um Hilfe. Wenn mein Blinddarm entzündet ist, lege ich meine Gesundheit in die Hände eines Chirurgen. Bei Zahnschmerzen hilft ein Zahnarzt, bei Unwissen hilft lernen. Zweitmeinungen sind möglich und manchmal nötig, aber letzten Endes hilft ein Spezialist. Übrigens würde ich in meinem Job auch nicht auf die Meinung jedes Laien hören, der meint, es besser zu wissen, weil er er das so fühlt oder auf Telegram gelesen hat, wie es anders geht.

Widerständig zu sein ist eine hohe Qualität. aber ist es eine Qualität an sich oder muß es seinen Feind genau definieren und nicht nur das Gegenhalten-An-Sich zur Qualität erklären? Bin ich ein Schlafschaf, wenn ich die Hygienemaßnahmen für richtig halte und sie, um gesund zu bleiben, einhalte?

Und die Impfdurchbrüche? Müssen die alten Leute aber auch alle irgendwelche Vorerkrankungen haben?  Mathematik ist auch zu verwirrend. Wenig Trauer um die Toten, viel Rechthaberei. Sie sind ja eh alt. Früher oder später. Begrüßt den Tod, er ist Teil unserer Existenz. Ich glaube, zu sterben, wenn man lieber leben will, ist schlimm, sehr schlimm. Weil wir nur ein Leben haben. Und dann sind da noch die, die uns lieben und vermissen werden.

Wie sind wir hier her geraten? Erst war Wahlkampf, da wollten sie keinen verschrecken und jetzt ampeln sie wie wild.

Ist die Lage so schlimm, wie sie mir scheint oder soll ich mich abregen und auf meine Booster-Impfung warten?

Corona ist wie Tinitus, ein dauernder stressiger Ton in meinem Innenohr. Ja, ich weiß, ich jammere auf hohem Niveau, aber so what.

Ich will, dass es besser wird. Bald. Balder. Am baldesten. 
 
Letztendlich bin ich fassungslos, wie viele meiner Mitbürger wirklich dumm sind, oder nicht einmal dumm, aber unwillig zu denken, mitzufühlen, weil wütend zu sein, so viel einfacher ist. Die Juden sind schuld, die Muslime, die Regierung, Bill Gates, wer auch immer, nur ich, armes, immer geplagtes Ich habe nie keinerlei Verantwortung zu tragen.

Montag, 8. November 2021

Beelitz - Heilstätten - Eine Kapitalismus Studie

Eine Führung durch die alte Chirugie - es ist kalt, es regnet, es weht, wir fahren nach Beelitz. Das Gelände ist riesig, Ruinen auf der einen Seite der Landstrasse, in Sanierung befindliche Gebäude und funktionierende Kliniken auf der anderen. 

Hier wurde zwischen 1898 und 1930 die größte Lungenheilstätte Europas errichtet. Eine kuriose und politische Geschichte. Arbeiter des ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts lebten unter grauenhaften Bedingungen, lange Arbeitstage, wenig Sonne, enge Wohnungen mit Nässe, Überbelegung, grässlichen hygienischen Bedingungen. 

Ergo, Sie erkrankten, oft schon in der Kindheit, an Tuberkolose. Was sie als Arbeiter früher oder später unverwendbar machte. Bismarck hatte zur Befriedung der Arbeiter Sozial- und Gesundheitsversicherung eingeführt, keine Rentenversicherung, aber eine für Veteranen, also für die, die nicht mehr arbeiten konnten. 

Ergo. Es entstand ein Problem: für die "Arbeitgeber", die befürchteten, einen großen Teil ihrer "Arbeitnehmer" an die Tuberkolose zu verlieren, diese Sorge wurde noch größer, als 1914 Soldaten für den geplanten großen Krieg gebraucht wurden, und auch ein Problem für die Versicherung, die immer mehr arbeitsunfähige, aber noch nicht tote, "nur" zunehmend kränkere Versicherte "durchschleppen" musste.

Eine Heilungsmethode gab es nicht, auch wenn Robert Koch schon das Tuberkel, die Ursache des Übels entdeckt hatte. Man wusste, Sonne half, gute Ernährung und Ruhe, keine Heilung, aber Aufschub. Wirkliche wirksame Antibiotika gab es erst nach 1945.

Ergo. Es mußte eine Lösung gefunden werden. Die Arbeits-, Soldatenkraft mußte geschützt werden.

Ergo. Es  wurden von den Versicherungen Kliniken gebaut, erst in bergigen, luftigen Gegenden für die reichen Kranken, dann nahe der Großstädte für die weit mehr betroffenen Armen. Gute Luft, gutes Essen, viel Ruhe. Man stelle sich vor, ein Mensch aus dem vierten Hinterhof, dritte Etage, große Familie, ein Waschbecken für viele, Klo ebenfalls, wenn nicht im Hof, Schwamm in der Wand, keine Sonne, keine Ferien, unterernährt, trifft am Bahnhof Beelitz ein, wird entkleidet, transportiert und behandelt. Vom Elend ins Paradies? Allerdings ein ödes Paradies, ruhen, nicht lesen, nicht stricken, nichts tun. Es soll aber im Geheimen einiges gelaufen sein, der Pförtner hat sich bestechen lassen und es gab Feiern in den weitläufigen Kabeltunneln.

Wie Masttiere wurden die Kranken wieder erwerbsfähig gemacht und nach zwei oder drei Monaten wieder in die Armut, die harte Arbeit und den Dreck entlassen.

Eine Nebengeschichte, um die Lunge, durch die Krankheit, wie von Motten zerfressen, zu operieren, musste auf einer Seite eine Rippe entfernt werden, ohne Narkose, nur mit örtlicher Betäubung, was später zur Buckelhaltung führte.

Ergo, Einzelzimmer für die meisten, weil sie nach der Operation oft Schmerzen erlitten und stöhnten, dicke Wände zur Schallisolierung, hohe Decken, um den Lungenkranken genug Sauerstoff zu bieten, alle Zimmerecken rund, damit sich in den Ecken keine Keime absetzen konnten.

Von 1945 bis 1989 haben die Russen hier das grösste Militärhospital außerhalb der Sowjetunion betrieben. Die Bodenkacheln der ersten Bauphase sind unverwüstbar, die Wandkacheln, produziert in der DDR, nicht ganz so.

Ein Ein verwunschener Ort. Komprimierte Geschichte, deutsches Reich, Nazilazarett, Russenhospital, und der Wandalismus und die Partylaune der Neunziger. 







 





https://sites.google.com/site/beelitzheilstaetten/geschichte 

Zwischen der Eröffnung der Heilstätten 1902 und dem Jahr 1926 waren bereits 66.445 Männer, 43.953 Frauen und 6.559 Kinder als Patienten aufgenommen wurden. Insgesamt gab 1929 es 1.338 Betten, davon 950 für Lungenkranke und 400 Betten für Patienten mit Nervenschwäche, Rheuma, Magen- und Herzleiden. Oberstes Ziel der Behandlung in den Heilstätten war die "Verhütung von Invalidität" und die "Wiederherstellung von Erwerbsfähigkeit" der Kranken.